brave new world oder die Rettung der deutschen Hauskatze

von Norbert Roers

aus Veto 45 – 1998, S. 16-17

AGKT und Gentechnik

Zur Begriffsdefinition: im folgenden verwende ich (hier und heute, nur für diesen Artikel) einen sowohl vereinfachenden als auch – wie ich behaupte – klärenden Vulgärbegriff der Gentechnik: er umfasst also sowohl zuarbeitende Methoden wie z.B. teilautomatisierte Sequenzierungstechniken oder PCR, als auch biotechnologische Methoden von in vitro-Fertilisation bis hin zur künstlichen Gebärmutter, als auch den Komplex der Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen, das Klonen von (noch) Tieren, die Gentherapie, rasse- und sozialhygienische Initiativen bis hin zur Eugenik ……..

Begründung: erstens ist zwar die Gentechnik im engeren Sinn ebenso „nur“ eine Technik wie andere Techniken auch, sie kann jedoch wegen der Auswirkungen auf den einzelnen Menschen und auf den Begriff des Menschlichen weniger als andere Techniken isoliert von ihren historischen gesellschaftlichen Bedingungen gesehen werden. Im Unterschied zur Atomkraft ist hier ja weniger eine Unfall-oder Mißbrauchsdiskussion zu führen, sondern vor allem eine Normalitäts- bzw. Gebrauchsdiskussion. In Bezug auf die Suche nach Krankheiten oder Normabweichungen im menschlichen Genom, auf das Bestreben nach Elimination dieser Faktoren aus diesem und – als nicht mehr sehr unwahrscheinlichem Szenario – dann eben auch aus der Menschheit besteht das Risiko der Gentechnik ja gerade nicht in ihrem Versagen, sondern in ihrem Gelingen.

Zweitens scheint mir die Herauslösung dieser Technologie aus ihrem kapitalistischen Umfeld – also der Versuch, sie jenseits aller Verwertungsbedingungen als neutrale Technik zu begreifen – nur dann akzeptabel, wenn gleichzeitig auch eine andere gesellschaftliche Verfassung ernsthaft mitdiskutiert würde. Dies sehe ich weder in der AGKT, noch in anderen veröffentlichten Diskussionen. Ich verweigere also so lange eine Trennung zwischen Technik und Anwendung, wie die Systemfrage nicht ernsthaft gestellt wird und halte dies auch für einen konstruktiven Vorschlag zur Verhinderung von Scheindebatten.

Aus dem gleichen Grund lehne ich auch eine Technikfolgenabschätzungsdebatte im engeren Sinn ab. Selbst bei optimaler Ausstattung, guter fachlicher Zusammensetzung und finanzieller Unabhängigkeit „kritischer Kontrollkommissionen“ wäre eine solche Debatte nur sinnvoll, wenn in der Zwischenzeit ein „Standstill“, ein Moratorium gelten würde. Nur dann gäbe es Zeit zur Abwägung anstatt des Zwangs zu ständigen Rückzugsdebatten. Zudem gehen die Befürworter dieser Vorgehensweise davon aus, daß es echte Steuerungsmechanismen gibt, was faktisch nicht stimmt. Kapitalistische Verwertungsinteressen, die Skrupellosigkeit der Machteliten, der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologien und die technischen Möglichkeiten der schnellen Umsetzung gerade noch erst diskutierter Entwicklungen verunmöglichen eine demokratische Entscheidung darüber, welche möglicherweise von „uns“ favorisierte Technik- oder Anwendungsbereiche denn kontrolliert zuzulassen oder zu fördern seien. Der Einsatz der Gentechnik ist eben nur sehr bedingt eine Abwägung zwischen richtig und falsch, sondern vor allem eine Machtfrage. Diesem Umstand sollte mensch auch Rechnung tragen.

„und wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol“

Fehlfarben: Monarchie und Alltag, 1980

Warum also der Versuch einer Neuformulierung der AGKT-Position?

  1. die normative Kraft des Faktischen: An und für sich ja kein starkes Argument, wenn wir uns nicht zugestehen müssten, daß die Mehrheit der AGKTlerInnen eine Fundamentalablehnung vor sich selbst und anderen ( nicht ohne Gewissensnöte) nicht mehr aufrechterhalten kann oder will. Verschiedene Anläufe zur Vereinheitlichung des Diskussionsstandes in den letzten Jahren führten nicht zu einem neuen Konsens, sondern zum kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Sich-Nicht-Verhalten. Ich behaupte, daß vor allem deswegen die AGKT schon seit einiger Zeit nicht mehr zu einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet fähig ist.
  2. Lebenswege und AGKT-Mehrheiten: Als Individuum vor die Frage gestellt, ob denn diese weit verbreitete diagnostische Methode oder jenes Experiment mit beachtlichem Erkenntnisgewinn oder jener gentechnologisch hergestellte Impfstoff denn durchgeführt bzw. angewendet werden dürfe, ist die Antwort für viele von uns schon des öfteren „ja, ich will“ gewesen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Parteiausschlußverfahren und die reine Lehre für die Verbleibenden oder die Suche nach einem neuen Kompromiss.
  3. Der Spion, der aus der Kälte kam: auch wenn ich nicht der Ansicht bin, daß der kritische Dialog Gentechnnologie-Hardliner dazu bringen könnte, ihre Meinung zu ändern, scheint es mir doch notwendig, die Türe für Informationen offenzuhalten. Konkret muß darum geworben werden, daß einzelne in privaten oder öffentlichen Institutionen Forschende kritische Publikationen nutzen, um Interna oder auch ihnen fragwürdige Projekte zu veröffentlichen. Dies wird aber nur erfolgreich sein, wenn mensch um Informationen und Menschen wirbt.
  4. Wahrheit und Handlungsfähigkeit: Die entscheidende Frage ist die, ob die reine Lehre eine politische oder nur eine moralische Kategorie ist. Andersherum gefragt: ist das Aufweichen von AGKT-Fundamentalpositionen das Ende einer politischen Opposition und der Verzicht auf Widerstand oder ist das Beharren auf der kategorischen Ablehnung aller gentechnischen Methoden und Anwendungsgebiete eine wohlfeile Haltung, die zwar auch nichts ändert, aber dem Individuum die Schuldfrage abnimmt?

Der AGKT-Doppelbeschluß

Aus der oben postulierten Falle führt meiner Ansicht nach nur ein Befreiungsschlag. Ein widerspruchsfreies Leben im Sinne einer totalen Verweigerung einzelner Diagnosetechniken oder Produkte ist nicht mehr möglich. Punkt. Fragezeichen? Die PCR zum Beispiel ist so weit verbreitet, daß ich – wenn ich denn konsequent sein wollte – zumindest meine Großtierpraxis mit meinem diagnostischen Ansatz zumachen könnte. Hab ich aber nicht vor. Wer da noch für sich eine Möglichkeit der Unschuld für sich sieht, dem empfehle ich erstens mal scharf nachzudenken und zweitens noch 2,3 Jahre zu warten. Wie immer, so auch hier: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“ (Benjamin).

Unterstellt also, ich komme in Einzelfragen nicht an der Gentechnik vorbei. Wieso aber sollte mich dies daran hindern, politisch offensiv gegen Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen vorzugehen? Ich beziehe auch Strom von der RWE und bin dennoch Gegner der Atomwirtschaft. Auch meine konventionellen Impfstoffe beziehe ich (zwangsläufig) von eben den Pharmariesen, denen ich als AGKT‚ler einseitig profitorientierte Forschung vorwerfe.

Was ich vorschlage, ist also ein AGKT-Doppelbeschluß, der – stark verkürzt – einerseits die alte AGKT-Totalablehnung aufhebt, um einzelne Techniken oder Anwendungsgebiete zu tolerieren, andererseits eine verstärkte politische Auseinandersetzung mit der „molekularen Sicht auf das Lebendige“ führt.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Absolutionen für Sündenfälle zu geben. Angesichts der oben begründeten Ablehnung einer Technikfolgenabschätzungsdebatte geht es hier um das Ziehen etwas gröberer politischer Linien. Es nutzt aber überhaupt nichts, dies als moralisches Individuum zu tun. Ich möchte sehr wohl, daß die AGKT politikfähig ist, dies allerdings zu unseren Bedingungen. Das Ziehen der politischen Linien muß als kollektiver Prozess fast zwangsläufig “work in progress“ sein. Es genügt dabei nicht, gegen das Klonen von Menschen einzutreten, nur die wenigsten Vertreter des Befürworterkonglomerats aus Universitäten, politischer Macht und Pharmakonzernen sind ja bekennende Dr. Frankenstein-Nachfolger. Ein „pro bonum, contra malum“ ist also ein Allgemeinplatz, ein wenig schwieriger wird es schon werden. Ziel einer solchen Debatte kann keine glatte AGKT-Position sein, die elegant die bestehenden Widersprüche ausklammert oder zukleistert. Angesichts der Komplexität des Themas geht es zunächst vor allem um das eigene Denken. Das ist aber schon eine ganze Menge.