EIERLEGENDEWOLLMILCHSAU

von Anita Idel

aus Veto 50 – 2007, S. 6-8

Eine EIERLEGENDEWOLLMILCHSAU zierte das Cover der ersten Ausgabe der Veto. Sie war bereits mit Einfüllstutzen versehen für Hormone, Antibiotika und Cortisone. Damals – im Sommer 1982 – hatte der Zeichner Hans-Jörg Seilacher bereits die wichtigsten Zuchtziele im Visier:

bis 1984 – sechsspuriger Ausbau des Verdauungskanals und

bis 1987 – Einkreuzung von landwirtschaftlichem Pflegepersonal.

25 Jahre sind vergangen, und die Einfüllstutzen dienen der mit chronischer Routine betriebenen permanenten Schadensbegrenzung. Obwohl die Gesetzeslage den kranken Verhältnissen immer mehr angepasst worden ist, erlebt die Aufdeckung von Arzneimittelskandalen – auch mit illegalen Substanzen – immer wieder Höhepunkte. Mehr Milch, mehr Fleisch, mehr Eier und das in immer kürzerer Zeit – lautet die so alte wie auch immer wieder neue Devise. Hormone und Antibiotika sollen einen Teil der Produktivitätssteigerung erbringen, die mit der Gentechnik verheißen worden war.

Aber bis heute gibt es keine transgenen Tiere in der landwirtschaftlichen Praxis; denn eine steigende Zahl von Tierversuchen scheitert weiterhin an biologisch-technischen Problemen des Gentransfers bei landwirtschaftlich genutzten Tieren.

Nichts desto Trotz hat die Rechtslage die tierisch-technische Entwicklung überholt: In den USA ist es mittlerweile erlaubt, geklonte Tiere als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Neben produktivitätssteigernden (Wachtumshormon)-Genen waren große Hoffnungen auf Resistenz-Gene gegen die wirtschaftlich gravierendsten Krankheiten gesetzt worden: Seuchen, sowie Atem- und Darmwegserkrankungen. Aber bis heute ließen sich kaum Gene identifizieren, die als allein ursächlich für eine Resistenz angesehen werden könnten.

Und damit zurück zum Titelbild der ersten Veto. Statt der „Einkreuzung von landwirtschaftlichem Pflegepersonal“ vergrößert sich der Aufwand der technischen Überwachung der Tiere immer mehr. So wird immer weniger Zeit mit dem Tier und stattdessen immer mehr Zeit vor dem Computer verbracht. Über die Gentechnik hinaus soll mittels einer weiteren Biotechnik tatsächlich landwirtschaftliches Pflegepersonal eingespart werden. Mit Tieren aus einem Klon pro Stall ließe sich beispielsweise die Berechnung des Futtermittelbedarfs auf ein Minimum reduzieren und die Fütterung dadurch erheblich vereinfachen, verlautbaren einschlägig Interessierte seit Mitte der 80er Jahre.

Mit der seit damals forcierten Klonforschung sollen die hohen Investitionen in die Genforschung trotz der schlechten Erfolgsquoten kompensiert werden: Wenn ein einzelnes transgenes Tier den Vorstellungen seiner Erzeuger entspricht, so die Idee, sollte es massenhaft vervielfältigt werden. Mit dem Schaf „Dolly“ wurde zwar 1997 der Durchbruch präsentiert, aber wieder stehen dem biologisch-technische Probleme entgegen, so dass statt des eigentlichen Ziels, der massenhaften Tierproduktion aus einem Guss, wiederum nur Unikate entstehen. Sollten aber „Dollys“ NachfolgerInnen eines Tages doch in Serie gehen, läge die Gefahr im Erfolg: Das bei allen einheitlich normierte Erbgut würde den Spielraum für individuelle Reaktionen – zum Beispiel Abwehr von Krankheitserregern – drastisch einschränken.

Auch aus dem für 1984 anvisierten „sechsspurigen Ausbau des Verdauungskanals“ ist bekanntlich nichts geworden. Aber neben der Einsparung von Arbeitskräften, der Beschleunigung des Wachstums, der Steigerung der Leistung und der Erhöhung der Besatzdichten ist das Futter die entscheidende Variable an den tierischen Produktionskosten. Die Futtermittelindustrie hat durch die Verwendung von Kadavern bis hin zu Dioxin-belasteten Energieträgern Millionen eingespart. Die Pervertierung des Recyclinggedankens nimmt als schlimmste Folge der Externalisierung von Kosten auch den Tod in Kauf. Wie die Verseuchung von Boden, Luft und Wasser sowie Antibiotika-resistente Bakterien uns oft nur schleichend und häufig unerkannt krank machen, ist auch die neuartige Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infolge des Verzehrs BSE-kranker Rinder Realität. Auch wenn wir die genauen Ursachen des Rinderwahns noch nicht abschließend verstehen, seine entscheidende Verbreitung erreichte er durch Zwangskannibalismus: die Verfütterung von Wiederkäuertiermehl an Wiederkäuer. Und schon ist sie wieder da: die Verheißung, mit dem Gen, hier: einem BSE-Resistenz-Gen, könne die Welt gerettet werden.

Der Wunsch nach einfachen Lösungen ist eine entscheidende Triebfeder des Glaubens an die Gentechnik. So wurde Jahrzehnte lang an der Vorstellung festgehalten, ein Gen bewirke die Bildung eines Proteins. Und auch der Glaube, ein Protein regele eine Eigenschaft, hielt sich lange. Nach Untersuchungen, deren Ergebnisse erst nach dem Milleniumswechsel veröffentlicht wurden, hat das Genom von Säugetieren mit 30 000 weit weniger Gene als die angenommenen 100 000.

Bezüglich der züchterischen Selektion kann somit in der Regel nur mit Näherungswerten gearbeitet werden. Die Marker gestützte Selektion versucht sich an Wahrscheinlichkeiten, mit denen ein Marker in der Nähe relevanter Gene lokalisiert ist. Mit FUGATO, der „Funktionelle(n) Genom Analyse im Tierischen Organismus“ gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung sollen die genetischen Grundlagen für Gentests erforscht werden. Die Ergebnisse übernimmt der gleichnamige Industrieverbund (www.FUGATO-Forschung.de); am Ende stehen jeweils patentierte Gentests, wobei im Einzelfall auch das analysierte Produkt, das Tier bzw. seine Verwendung, unter den Patentschutz fallen kann.

Mit der immer stärkeren Selektion erhöht sich auch die Inzucht und damit die Gefahr des Auftretens und der Verbreitung von Erbfehlern. Insbesondere sollen geeignete Bullenmütter identifiziert werden, deren Söhne dann als Anlageträger einzelne Gensequenzen massiv in der Population verbreiten sollen. Inzwischen gibt es Bullen mit mehr als einer Million Nachkommen.

Die große Bedeutung der Fortentwicklung weiterer Biotechniken kommt aber erst in der Kombination der Marker gestützten Selektion mit Fortpflanzungs- und Vervielfältigungstechniken zum Tragen: In-vitro- Fertilisation, Kryokonservierung, Ovum Pick up, In- vitro-Reifung, Intra-zytoplasmatische Spermieninjektion sowie die Verbesserung der Nährmedien.

Die Komplexität genomischer Interaktionen und der Epigenetik ist ein hochspannendes Forschungsfeld. Aber ihre Erforschung krankt – wie so vieles – am Erkenntnisinteresse: Verstehen wollen – einzig, um gewinnsteigernd manipulieren zu können.

Presseresonanz bis zur Praline nach AGKT Stand auf der Grünen Woche 1989

Natürlich war die EIERLEGENDEWOLLMILCHSAU nie gewollt sondern die extrem einseitige Nutzung. In den über 20 Jahren seit der ersten Veto hat diese Spezialisierung weiter dramatisch zugenommen. Die gewünschten züchterischen Erfolge stellen zugleich Durchbrüche auf der Privatisierungsebene dar: Die biotechnischen Möglichkeiten zur züchterischen Spezialisierung führen zu einem weiteren Verlust von Agrobiodiversität durch die reduzierte genetische Basis innerhalb und zwischen den Rassen. Damit verbunden sind (privat-)rechtliche und somit auch soziale Folgen durch die immer geringere öffentliche Verfügbarkeit von Zuchttieren überhaupt. Und speziell von Tieren, die für züchterische Ansätze für weniger intensive Haltungssysteme und die Freilandhaltung geeignet sind – kurz: Die Entwicklung einer ökologischen Tierzucht, orientiert auf Tiergesundheit und nachhaltige Landnutzung.

brave new world oder die Rettung der deutschen Hauskatze

von Norbert Roers

aus Veto 45 – 1998, S. 16-17

AGKT und Gentechnik

Zur Begriffsdefinition: im folgenden verwende ich (hier und heute, nur für diesen Artikel) einen sowohl vereinfachenden als auch – wie ich behaupte – klärenden Vulgärbegriff der Gentechnik: er umfasst also sowohl zuarbeitende Methoden wie z.B. teilautomatisierte Sequenzierungstechniken oder PCR, als auch biotechnologische Methoden von in vitro-Fertilisation bis hin zur künstlichen Gebärmutter, als auch den Komplex der Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen, das Klonen von (noch) Tieren, die Gentherapie, rasse- und sozialhygienische Initiativen bis hin zur Eugenik ……..

Begründung: erstens ist zwar die Gentechnik im engeren Sinn ebenso „nur“ eine Technik wie andere Techniken auch, sie kann jedoch wegen der Auswirkungen auf den einzelnen Menschen und auf den Begriff des Menschlichen weniger als andere Techniken isoliert von ihren historischen gesellschaftlichen Bedingungen gesehen werden. Im Unterschied zur Atomkraft ist hier ja weniger eine Unfall-oder Mißbrauchsdiskussion zu führen, sondern vor allem eine Normalitäts- bzw. Gebrauchsdiskussion. In Bezug auf die Suche nach Krankheiten oder Normabweichungen im menschlichen Genom, auf das Bestreben nach Elimination dieser Faktoren aus diesem und – als nicht mehr sehr unwahrscheinlichem Szenario – dann eben auch aus der Menschheit besteht das Risiko der Gentechnik ja gerade nicht in ihrem Versagen, sondern in ihrem Gelingen.

Zweitens scheint mir die Herauslösung dieser Technologie aus ihrem kapitalistischen Umfeld – also der Versuch, sie jenseits aller Verwertungsbedingungen als neutrale Technik zu begreifen – nur dann akzeptabel, wenn gleichzeitig auch eine andere gesellschaftliche Verfassung ernsthaft mitdiskutiert würde. Dies sehe ich weder in der AGKT, noch in anderen veröffentlichten Diskussionen. Ich verweigere also so lange eine Trennung zwischen Technik und Anwendung, wie die Systemfrage nicht ernsthaft gestellt wird und halte dies auch für einen konstruktiven Vorschlag zur Verhinderung von Scheindebatten.

Aus dem gleichen Grund lehne ich auch eine Technikfolgenabschätzungsdebatte im engeren Sinn ab. Selbst bei optimaler Ausstattung, guter fachlicher Zusammensetzung und finanzieller Unabhängigkeit „kritischer Kontrollkommissionen“ wäre eine solche Debatte nur sinnvoll, wenn in der Zwischenzeit ein „Standstill“, ein Moratorium gelten würde. Nur dann gäbe es Zeit zur Abwägung anstatt des Zwangs zu ständigen Rückzugsdebatten. Zudem gehen die Befürworter dieser Vorgehensweise davon aus, daß es echte Steuerungsmechanismen gibt, was faktisch nicht stimmt. Kapitalistische Verwertungsinteressen, die Skrupellosigkeit der Machteliten, der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologien und die technischen Möglichkeiten der schnellen Umsetzung gerade noch erst diskutierter Entwicklungen verunmöglichen eine demokratische Entscheidung darüber, welche möglicherweise von „uns“ favorisierte Technik- oder Anwendungsbereiche denn kontrolliert zuzulassen oder zu fördern seien. Der Einsatz der Gentechnik ist eben nur sehr bedingt eine Abwägung zwischen richtig und falsch, sondern vor allem eine Machtfrage. Diesem Umstand sollte mensch auch Rechnung tragen.

„und wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol“

Fehlfarben: Monarchie und Alltag, 1980

Warum also der Versuch einer Neuformulierung der AGKT-Position?

  1. die normative Kraft des Faktischen: An und für sich ja kein starkes Argument, wenn wir uns nicht zugestehen müssten, daß die Mehrheit der AGKTlerInnen eine Fundamentalablehnung vor sich selbst und anderen ( nicht ohne Gewissensnöte) nicht mehr aufrechterhalten kann oder will. Verschiedene Anläufe zur Vereinheitlichung des Diskussionsstandes in den letzten Jahren führten nicht zu einem neuen Konsens, sondern zum kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Sich-Nicht-Verhalten. Ich behaupte, daß vor allem deswegen die AGKT schon seit einiger Zeit nicht mehr zu einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet fähig ist.
  2. Lebenswege und AGKT-Mehrheiten: Als Individuum vor die Frage gestellt, ob denn diese weit verbreitete diagnostische Methode oder jenes Experiment mit beachtlichem Erkenntnisgewinn oder jener gentechnologisch hergestellte Impfstoff denn durchgeführt bzw. angewendet werden dürfe, ist die Antwort für viele von uns schon des öfteren „ja, ich will“ gewesen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Parteiausschlußverfahren und die reine Lehre für die Verbleibenden oder die Suche nach einem neuen Kompromiss.
  3. Der Spion, der aus der Kälte kam: auch wenn ich nicht der Ansicht bin, daß der kritische Dialog Gentechnnologie-Hardliner dazu bringen könnte, ihre Meinung zu ändern, scheint es mir doch notwendig, die Türe für Informationen offenzuhalten. Konkret muß darum geworben werden, daß einzelne in privaten oder öffentlichen Institutionen Forschende kritische Publikationen nutzen, um Interna oder auch ihnen fragwürdige Projekte zu veröffentlichen. Dies wird aber nur erfolgreich sein, wenn mensch um Informationen und Menschen wirbt.
  4. Wahrheit und Handlungsfähigkeit: Die entscheidende Frage ist die, ob die reine Lehre eine politische oder nur eine moralische Kategorie ist. Andersherum gefragt: ist das Aufweichen von AGKT-Fundamentalpositionen das Ende einer politischen Opposition und der Verzicht auf Widerstand oder ist das Beharren auf der kategorischen Ablehnung aller gentechnischen Methoden und Anwendungsgebiete eine wohlfeile Haltung, die zwar auch nichts ändert, aber dem Individuum die Schuldfrage abnimmt?

Der AGKT-Doppelbeschluß

Aus der oben postulierten Falle führt meiner Ansicht nach nur ein Befreiungsschlag. Ein widerspruchsfreies Leben im Sinne einer totalen Verweigerung einzelner Diagnosetechniken oder Produkte ist nicht mehr möglich. Punkt. Fragezeichen? Die PCR zum Beispiel ist so weit verbreitet, daß ich – wenn ich denn konsequent sein wollte – zumindest meine Großtierpraxis mit meinem diagnostischen Ansatz zumachen könnte. Hab ich aber nicht vor. Wer da noch für sich eine Möglichkeit der Unschuld für sich sieht, dem empfehle ich erstens mal scharf nachzudenken und zweitens noch 2,3 Jahre zu warten. Wie immer, so auch hier: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“ (Benjamin).

Unterstellt also, ich komme in Einzelfragen nicht an der Gentechnik vorbei. Wieso aber sollte mich dies daran hindern, politisch offensiv gegen Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen vorzugehen? Ich beziehe auch Strom von der RWE und bin dennoch Gegner der Atomwirtschaft. Auch meine konventionellen Impfstoffe beziehe ich (zwangsläufig) von eben den Pharmariesen, denen ich als AGKT‚ler einseitig profitorientierte Forschung vorwerfe.

Was ich vorschlage, ist also ein AGKT-Doppelbeschluß, der – stark verkürzt – einerseits die alte AGKT-Totalablehnung aufhebt, um einzelne Techniken oder Anwendungsgebiete zu tolerieren, andererseits eine verstärkte politische Auseinandersetzung mit der „molekularen Sicht auf das Lebendige“ führt.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Absolutionen für Sündenfälle zu geben. Angesichts der oben begründeten Ablehnung einer Technikfolgenabschätzungsdebatte geht es hier um das Ziehen etwas gröberer politischer Linien. Es nutzt aber überhaupt nichts, dies als moralisches Individuum zu tun. Ich möchte sehr wohl, daß die AGKT politikfähig ist, dies allerdings zu unseren Bedingungen. Das Ziehen der politischen Linien muß als kollektiver Prozess fast zwangsläufig “work in progress“ sein. Es genügt dabei nicht, gegen das Klonen von Menschen einzutreten, nur die wenigsten Vertreter des Befürworterkonglomerats aus Universitäten, politischer Macht und Pharmakonzernen sind ja bekennende Dr. Frankenstein-Nachfolger. Ein „pro bonum, contra malum“ ist also ein Allgemeinplatz, ein wenig schwieriger wird es schon werden. Ziel einer solchen Debatte kann keine glatte AGKT-Position sein, die elegant die bestehenden Widersprüche ausklammert oder zukleistert. Angesichts der Komplexität des Themas geht es zunächst vor allem um das eigene Denken. Das ist aber schon eine ganze Menge.