1:O für uns! Über rBST und über rBST hinaus

von Anita Idel

aus Veto Nr. 37 – 1995, S. 10-11

rBST ist derzeit in der EU politisch nicht durchsetzbar. Am 14.12.1994 stieg weißer Rauch aus dem Tagungsgebäude der Agrarminister: ein Moratorium, ein Anwendungsverbot bis zum 31.12.1999. Keine Jahrhundertentscheidung, aber ein schmerzhafter Pfahl im Fleisch der Hormonlobby. Zum entgangenen Gewinn durch jede bisher nicht verkaufte Spritze (zu 6.50 $) kommen die nicht amortisierten Entwicklungskosten, die mit 500 Millionen bis eine Milliarde Dollar beziffert werden, von den Werbungskosten für die Akzeptanz ganz zu schweigen.

Widerstand kann sich lohnen

Es blieb spannend. Und ohne die hartnäckige Präsenz der Kampagne gegen rBST vor Ort in Brüssel bis zum letzten Augenblick wäre das Moratorium sicher nicht so lange ausgefallen. Recht hatte behalten, wer die Entscheidung bis zuletzt für verhandelbar gehalten hatte. Die widersprüchlichen Gerüchte aus dem unmittelbaren Umfeld des Ministerrates – von sofortiger Zulassung über ein zweijähriges Moratorium bis hin zum Anwendungsverbot bis zum Jahr 2000 – waren beredter Ausdruck der herrschenden Konfusion.

Für die deutsche Kampagne führten wir am 12.12.94 ein halbstündiges Gespräch mit Bundeslandwirtschaftsminister Borchert und übergaben ihm über 35000 Postkarten mit Unterschriften gegen rBST. Wie schon zuvor in Münster und Luxemburg betonte er, in Deutschland seien wir ums ja einig, das Problem seien die Länder, in denen es keinen Widerstand gebe. Wenige Stunden später konnten wir ihn eines besseren belehren: Mit der vier Meter hohen, aufblasbaren Turbo-Kuh der Europäischen Bauernkoordination (CPE) boten wir mit VertreterInnen zehn weiterer EU-Länder Ministern und Medien zu Beginn der Agrarministerratskonferenz einen (un)willkommmenen Blickfang. Mensch muß sie gesehen haben. Und wurde der Kompressor für die Druckluft mal für einige Minuten abgeschaltet, um unser Megafon nicht zu übertönen, sank ihr Kopf in der Manier des sterbenden Schwans – ein ebenso ungeplantes wie drastisches Sinnbild dessen, was der Tiergesundheit mit rBST angetan wird…

Während wir den von Borchert „eingeforderten“ internationalen Widerstand verkörperten, waren sich die übrigen Verantwortlichen in ihrer Sichtweise der Manifestation mitnichten einig: Pöbel, Polittourismus oder mündige BürgerInnen? So spitzte sich auch die Auseinandersetzung mit der Polizei – erweitert um eine dem Bundesgrenzschutz vergleichbare Einheit – zu. Letztlich wurde aber unserer Forderung, die Straße vor dem Ratsgebäude erst freizugeben, wenn wir einen weiteren offiziellen Gesprächstermin zu rBST erhielten, stattgegeben. Der entpuppte sich dann allerdings als Lehrstück politischer (Un)Sittengeschichte: Der Vertreter des Rates war der Meinung, es sei völlig unnütz, sich gegen eine Zulassung von rBST zu engagieren, denn es sei unmöglich, den illegalen Einsatz zu kontrollieren…

Das war dann doch noch mal eine derbe Herausforderung unseres Galgenhumors – weiterhin war alles offen. Derweil tagte immer noch der Veterinärausschuß, in dem die Hormonlobbyisten mit einem „Kompromiß“ – um zwei Jahre verlängertes Moratorium, derweil flächendeckende Freilandversuche – einen möglichst nahen Zulassungstermin durchzusetzen suchten.

Das bestmögliche

Daran gemessen, ist die Entscheidung für das Moratorium bis zum Jahr 2000 die weitestgehende unter den derzeit denkbaren Varianten. 1:0 für uns, aber eben nur ein Etappensieg. Die Auseinandersetzung geht ohne Pause in die nächste Runde. Die Zeiten, in denen sich ein Agrarminister, aus Brüssel zurückkehrend, für ein Moratorium in Sachen rBST feiern lassen konnte, sind vorbei. Denn wer auch nach acht Jahren nicht für das einzig sinnvolle – ein endgültiges Verbot – entscheidet, ist nicht ausreichend gegen rBST. Verschoben ist nicht aufgehoben, ganz im Gegenteil: Diese Entscheidung bedeutet das Offenhalten der Hormonoption, ist letztlich zeitlich begrenzte Symptomkuriererei und Lichtjahre von einer grundsätzlichen, richtigen Weichenstellung entfernt. Wo anderenorts das St. Floriansprinzip blüht, ist die Kampagne gegen rBST lebendiger Ausdruck des Gegenteils: Was 1987 beim „Aachener Appell“ mit dem Zusammenschluß von Organisationen aus der Landwirtschaft, der Dritten Welt und dem Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz begann, bildet heute als Agrarbündnis den harten Kern auch im Kampf gegen rBST und hat sich einmal mehr bewährt. Hinzu kommt die wachsende internationale Verflechtung – auf EU-Ebene organisiert insbesondere durch die CPE und darüber hinaus mit der Pure Food Campaign in den USA. Das Engagement gegen rBST geht derweil weit über diese genannten Organisationen hinaus. Aber während Jochen Borchert demonstrative Aktionen forderte, waren kein Bauernverband, keine Tierärzteschaft, keine Partei und eben auch keine der staatlichen Verbraucherorganisationen vor Ort zu sehen. Letztlich sind aber phantasievolle, mitunter spektakuläre Entscheidungen vonnöten, um solche Entscheidungen zu beeinflussen.

Der Kampf gegen die chemische Keule geht weiter

Es ist der Druck der Straße, den die Politiker immer noch enorm fürchten. Daß diese Entscheidung das verhängte Moratorium auf eine weitgehend populistische Attitüde reduziert, verdeutlicht nur den aktuellen Handlungsbedarf gegen die weiterhin drohende Hormonstrategie. Der Bekanntheitsgrad der Droge konnte zweifellos durch die aktuelle Kampagne noch einmal enorm gesteigert werden. Eine gute Voraussetzung für die weitere Arbeit.

Während Kühe und Menschen in der EU noch einmal eine rBST-freie Atempause erhalten haben, ist in Kanada noch alles offen. „Empfindliche Dokumente“ über Zahlungen in Millionen-Dollar-Höhe von Monsanto an zulassungsinvolvierte Kreise waren dort bekanntgeworden, als eine Zulassung gerade greifbar nahe erschien.

Bereits im Frühjahr 1994 ist in Australien rPST, das Schweinewachstumshormon, zugelassen worden. Bei dieser Entscheidung stand die Akzeptanz auf den Hauptabsatzmärkten im Vordergrund. Mit expansiver Exportpolitik sollen Japan und die USA für australische Schweinereien gewonnen werden. Beide Länder äußerten gegenüber rPST keine Bedenken.

Bereits Mitte der achtziger Jahre sind vom BML geförderte rPST-Versuche in der Bundesrepublik durchgeführt worden. Wer darin längst verjährte Jugendsünden sieht, muß sich durch aktuelle rPST-Forschung in Dummerstorf bei Rostock eines besseren belehren lassen. Der Preis für das fünfjährige rBST-Moratorium sind Freilandversuche, die nun jedes EU-Mitgliedsland nach eigenem Gutdünken durchführen kann. Die Ergebnisse sollen dann in einen bis zum 31.7.1998 zu erstellenden Kommissionsbericht münden. „Kein Stoff ist so gut untersucht wie rBST“, kommentiert Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf die wissenschaftliche Unsinnigkeit dieser Entscheidung.

„Die EU-Agrarminister sollen sich endlich um ein praktikables Nachweisverfahren kümmern, statt über Feldversuche die Bevölkerung durch die Hintertür an die GentecHormonmilch gewöhnen zu wollen“, kritisierte das Agrarbündnis in seiner vorerst letzten Presseerklärung zu rBST. Es gibt noch viel zu tun, damit der weiße Rauch von vorgestern nicht zum Schnee von gestern wird.

Zur Zukunft von BST

"Trinken sie's oder trinken sie's nicht", das bleibt weiterhin die Frage

von Anita Idel

aus Veto Nr. 33 – 1993, S. 16-17

Die EG-Agrarkommission hat ein siebenjähriges Moratorium für das gentechnisch produzierte Rinder-Wachstumshormon (BST) in der EG verfügt. Chance oder Risiko für die VerbraucherInnen?

Kleine Geschichte des BST

1993 ist das verflixte siebente Jahr für die Hersteller des gentechnischen Rinder-Wachstumshormons. Seit 1986 versuchen sie, ihr Hormon in den USA und in der EG auf den Markt und an die Kuh zu bringen. Dabei wechseln die Werbeaussagen so häufig wie die Krawatten ihrer Pharmavertreter.

Für die Herstellung des Rinder-Wachstumshormons werden Bakterien mit dem entsprechenden Gen aus Rinderembryonen manipuliert. Das von den Bakterien gebildete Hormon wird Kühen gespritzt, damit sie noch mehr Milch geben.

40% mehr Milch pro Kuh und Jahr durch BST hieß es 1986. In den USA war aber gerade eine Verordnung zur Bekämpfung der Milchüberschüsse in Kraft getreten. Danach sollten innerhalb eines Jahres 1,5 Millionen (!) Kühe geschlachtet werden oder ihren Besitzer wechseln (die Besitzer sollten die Milchproduktion an den Nagel hängen und dafür sozial entschädigt werden). Aufgrund der naheliegenden Schlußfolgerung, mehr Leistung pro Tier erhöhe die Überschüsse, und weil die extremen Ergebnisse nur von vier Tieren stammten, betonte die Pharmaindustrie in der Folge, so extrem sei die Leistungssteigerung ja gar nicht. Vielmehr ließe sich BST als Instrument zur „Feinabstimmung“ der Leistung einsetzen.

Das Rinder-Wachstumshormon gelangte indes auf die Titelblätter US-amerikanischer Zeitungen. Insbesondere Keith Schneider von der New York Times hatte die Zeichen der Zeit erkannt: den geplanten Einstieg der Gentechnik in den Tierstall via Rinder-Wachstumshormon.

Was dort (USA) lauthals propagiert wurde, sollte hier (EG) klandestine die Zulassungsbehörden passiert haben, ehe es auch nur einE VerbraucherIn bemerkt hätte.

Aber damals begannen sich in Europa und in den USA Kontakte zu knüpfen zwischen kritischen Organisationen in den Bereichen Landwirtschaft, Tier-, Umwelt-, Verbraucher- und Naturschutz. Besonders die WisconsinFamily-Farmers, die in ihren mittelständig strukturierten Betrieben über 30% des US-amerikanischen Milchaufkommens ermelken, suchten Verbündete. „Nur gemeinsam sind wir stark“, war Erkenntnis und Gebot der Stunde.

Das hatte auch die Pharmaindustrie erkannt. Und die rivalisierenden Multis Monsanto, Eli Lilly, Upjohn und Cyanamid verpflichteten gemeinsam den größten amerikanischen Werbekonzern für eine BST-Kampagne: Hill und Knowlton. Einen profimäßigen Eindruck machte die Argumentation aber auch weiterhin nicht, – wohl aber das Beharrungsvermögen!

Während sich bei BST-Testkühen Hinweise auf Fruchtbarkeits- und Stoffwechselstörungen sowie Eutererkrankungen häuften, stand die Pharmaindustrie wie ein Mann: Gesundheitliche Probleme für Mensch und Tier bestünden nicht.

Große durchrationalisierte Betriebe sollten umworben werden, indem sie als Gewinner eines BST-Einsatzes hingestellt wurden. Aber kleine und mittlere Betriebe wurden verschreckt durch Aussagen, wie sie top agrar in einer Überschrift dokumentierte: „Nur die Großen werden profitieren“. Sogleich reagierten die flexiblen Werbemacher: Besonders kleine Betriebe hätten mit BST ein Mittel zur Betriebsplanung in der Hand. Bei einer Senkung der Importfuttermittelpreise könnte BST gespritzt werden und so mit billigem Energieinput günstig Milch produziert werden. Eine Antwort auf die Frage, wieso sich das besonders für kleinere Betriebe lohnen sollte, blieben sie schuldig. Und woher sie den Glauben nahmen, die Leistung von Kühen ließe sich durch BST quasi „anschalten“ wie bei Maschinen, verrieten sie auch nicht. Tatsächlich reagieren die Kühe auf die Hormonspritzen sehr unterschiedlich: von enormer Leistungssteigerung bis zu einem Rückgang der Milchleistung.

Während die Skepsis eher zunahm, tingelte ein eigens von Monsanto für ein sechsstelliges Jahreseinkommen eingestellter Werbemann mit einer „Statistik“ durch die Lande, nach der über 70% der Bauern in der EG BST anwenden wollten. Daß lediglich 360 Bauern befragt worden waren, verschwieg er ebenso wie die Auswahlkriterien und die Auftraggeber der Erhebung, die Pharmaindustrie.

Aufwendiges Hormon-Lobbying hatte 1985 nicht verhindern können, daß der EG-Ministerrat eine Richtlinie mit einem EG-weiten Verbot von Hormonen in der Tiermast erließ. Doch für BST gilt das Hormonverbot nicht. Dies war der Erfolg des Engagements der FEDESA in Brüssel, einem seit Jahren bestehenden Zusammenschluß der auf dem europäischen Markt vertretenen Pharmaindustrie. In Sachen BST wurde auch schon mal der gesamte Agrarausschuß des Europaparlaments in die USA zu Eli Lilly eingeladen.

Aber zu einer endgültigen Zulassung konnte sich die zuständige EG-Agrarkommission auch nach sieben Jahren nicht durchringen: Erst halbjährlich, dann jährlich, zuletzt um zwei Jahre war die Zulassungsentscheidung in der EG hinausgeschoben worden. Dabei hatte die Kommission schon längst die Argumentation der Pharmaindustrie übernommen, nach der gesundheitliche Gefahren für Mensch und Tier auszuschließen seien.

Einzig der Verbraucherakzeptanz galt ihr Interesse. Um diese zu untersuchen, wurden in den letzten Jahren beachtliche EG-Gelder für Studien aufgewendet. „Trinken sie’s oder trinken sie’s nicht“, das war hier die Frage. Schließlich sind Millionen in die Entwicklung des gentechnischen Hormons und in die Werbung dafür investiert worden. Aber die jahrelangen Informations- und Protestkampagnen der GenkritikerInnen zeigten Wirkung: Eine eindeutig positive Antwort blieben die VerbraucherInnen offensichtlich schuldig. Nun soll die Zeit für das Hormon und seine Hersteller arbeiten:

Im Juni 1993 beschloß der US-Senat ein vorerst 14monatiges Moratorium für die Anwendung des Hormons in den USA.

Und im Juli 1993 überraschte Brüssel mit einem siebenjährigen BST-Moratorium für die EG.

Derweil sollen Lebensmittel aus dem Genlabor die Supermarktregale und die VerbraucherInnenmägen erobern: Käse und Champagner, die gentechnisch beschleunigt reifen, Bier und Brot, deren Produktion durch genmanipulierte Hefen ergiebiger wird, Säfte mit genmanipulierten Enzymen für Haltbarkeit und Geschmack, Joghurt mit genmanipulierten lebenden und vermehrungsfähigen Bakterien, sogenannten Starterkulturen…

Wenn diese sich zunehmend in unseren Mägen tummeln, so die Strategie, wird auch die Hemmschwelle für gentechnische Hormone und genmanipulierte Tiere fallen.

Die genkritischen Organisationen werden einen langen Atem haben müssen, damit die nächsten sieben Jahre keine mageren für sie werden und das Jahr 2000 nicht zum verflixten siebenten Jahr für den Verbraucherschutz wird.

Wer mehr wissen will: VETO Nr 15 S.33, VETO Nr 16 S.20-26, VETO Nr 17 S.13-14, VETO Nr 18 S.14, VETO Nr 19 S.16-17, VETO Nr 21 S.18-19, VETO Nr 23 S. 16-18, VETO Nr 24 S.8-10, VETO Nr 25 S.31