aus Veto 46 – 1998, S. 18-20
Die Anwendungsverbote bestimmter Medikamente bei lebensmittelliefernden Tieren nach der Verordnung EWG 2377/90 und die daraus für die Pferdepraxis resultierenden Konsequenzen sind seit Ende letzten Jahres bereits breit diskutiert worden. In allen Medien sind Pferdetierärzte/innen und Tierschützer/innen gegen die neuen Anwendungsverbote Sturm gelaufen. Einer der meistverbreitetsten Artikel und typisch für den Gesamttenor der Diskussion war dabei der Spiegelartikel im Heft 7/98, in dem geschickt Fakten und Stimmungsmache vermischt wurden. So wurden sachlich richtige Statements von Pferdepraktikern benutzt, um als Ursache der Misere „das sture Schubladendenken der europäischen Agrarbürokraten“ auszumachen. Daß die Pharmafirmen durch Investitionen in Rückstandstests diese Anwendungsverbote hätten verhindern können, fand im allgemeinen kaum Erwähnung. Es sei auch dahingestellt, ob es Sinn macht, von diesen Firmen anderes als marktwirtschaftliches Kalkül zu erwarten. Nichtsdestotrotz wurde dadurch, daß diese Fakten nicht zur Kenntnis genommen wurden, häufig sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die Aufweichung der angeblich zu strengen europäischen Rückstandsregelungen verlangt. Gerne stimmte die Pharmaindustrie in diesen Chor ein, würde es ihr doch viele Millionen sparen. (Zur Verteidigung der „großen“ Pharmafirmen sei allerdings gesagt, daß die „kleinen“, Generika vertreibenden Firmen gar nicht erst versuchten, durch Zusammenschluß die Kosten für die Ermittlung der MRL-Werte für z.B. Phenylbutazon, mit dem sie so viel Geld verdient hatten, zusammenzubringen. Damit bestätigten sie natürlich ihr Bild als „Trittbrettfahrer“ im Pharmageschäft.)
Die Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin hat sich auf dem letzten Gesamttreffen im Mai diesen Jahres mit diesem Thema beschäftigt und für eine vorrangige Behandlung des Verbraucherschutzes und eine Durchsetzung der Anwendungsverbote ausgesprochen. Hierbei wurde ganz richtig festgestellt, daß die zum Teil hysterisch geführte Diskussion über Therapielücken besonders in der Pferdemedizin am eigentlichen Problem vorbeigeht. Es kann nicht sein, daß mit den Argumenten des Tierschutzes der Verbraucherschutz geschwächt wird, wie dies bei einer Rücknahme der Anwendungsverbote zu befürchten wäre. Andererseits scheint es mir aber auch nicht angebracht, den Fakt, daß bestimmter Therapielücken tatsächlich bestehen, zu übergehen. Daher werde ich versuchen, an einzelnen Beispielen aufzuzeigen, wo die neuen und alten Anwendungsverbote die Therapie in der Pferdepraxis beeinflussen. Siehe hierzu Kasten 1 und 2.
Die Pferdemedizin stellt wirtschaftlich für die Pharmaindustrie im Vergleich zu den landwirtschaftlichen Nutztieren nur einen kleinen Sektor dar. Daher werden für viele Medikamente keine Zulassungen für Pferde beantragt. Ganz einschneidend konnte man dies nach der Einführung der tierartlich getrennten Zulassung für Arzneimittel und dem Verbot der Umwidmung im Jahr 1994 sehen. Die Einführung der MRL ist hierbei quasi als nächste Stufe der Reduktion der für Pferde zugelassenen Medikamente zu sehen.
Wer in der Pferdepraxis innovativ und an Forschungsergebnissen besonders der angelsächsischen Länder orientiert behandeln will, ist schon immer zu halbund illegalem Verhalten gezwungen worden. Das hat die im Sportbereich tätigen Pferdetierärzte/innen auch nach 1994 jedoch nicht an der Verwendung nicht zugelassener Medikamente gehindert, wenn durch ihren Einsatz ein deutlicher Therapievorteil erkennbar war. Ich persönlich empfinde es auch als empfindlichen Einschnitt in meine Freiheit bei der Berufsausübung, wenn ich zwischen 30 und 50 % aller meines Erachtens notwendigen Medikamente nicht benutzen darf. Es kann nicht sein, daß einer aufwendigen Diagnostik durch fundiertes Wissen und ausgefeilte Technik eine Pauschaltherapie mit nur einer Handvoll Medikamente gegenübersteht, bloß weil diese lukrativ genug sind, die Zulassungskosten wieder einzubringen. Eine qualifizierte Therapie kann offenbar nur durch illegales Verhalten erreicht werden. Die Analyse des Kollegen Dr. Cronau, langjähriger betreuender Tierarzt der deutschen Springreiterequipe und FEI-Veterinär, die „Tierärzte stehen immer mit einem Bein im Gefängnis“ ist somit völlig richtig.
Das Hauptproblem liegt bekanntermaßen an der Zuordnung der Pferde zu den lebensmittelliefernden Tieren. Dies ist aber nicht von den „sturen EU-Bürokraten“ in ihrem „Schubladendenken“ erfunden worden, sondern spiegelt nur die überwiegende Situation in der EU wieder. In Ländern wie Frankreich, Spanien, etc. wird traditionell viel Pferdefleisch gegessen. In Großbritannien hingegen ist dies gar nicht der Fall. Die Briten haben daher auch sofort Pferde zu nicht-Lebensmittel-liefernden Tieren erklärt und propagieren den weiteren Einsatz der verbotenen Medikamente. Dieser Einzelgang Großbritanniens war allerdings insofern nützlich, weil findige Köpfe sofort mit dem Reimport von in GB erlaubten und in der Rest-EU verbotenen Arzneimitteln drohten und damit das Bestreben um einen Kompromiß förderten. Ein EU-weiter Lösungsvorschlag von den verschiedensten Seiten einschließlich der Bundestierärztekammer zielt auf die dauerhafte Kennzeichnung der nicht zur Schlachtung bestimmten Pferde hin. Das ist gewiß die intelligenteste Lösung.
Ob die Kennzeichnung mit einem Mikrochip allerdings die praxisreifste Lösung ist, ist noch die Frage. Da die Bundestierärztekammer auch den Ersatz des Heißbrandes durch Mikrochips favorisiert, würde dies bedeuten, daß bei jedem Verkauf oder bei jeder anderen Identitätsprüfung mindestens einer der Anwesenden im Besitz eines Lesegerätes sein müßte. Beifall findet diese Lösung bislang nur bei den Herstellern und Vertreibern von Lesegeräten. Der unbestrittene Vorteil einer nachträglichen Kennzeichnung, wie z.B. mit dem Mikrochip, ist, daß nicht bereits bei der Geburt entschieden werden muß, ob ein Pferd geschlachtet werden kann oder nicht. Hätte ein deutsches Warmblutpferd nun anstelle des Heißbrandes bereits als Fohlen einen Mikrochip implantiert bekommen, würde bei der Applikation eines nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassenen Arzneimittels die Implantation eines zweiten Mikrochips fällig werden. Angenommen dieses Pferd würde aber Jahre später doch zur Schlachtung gelangen, woher soll der ordnungsgemäß die Mikrochips kontrollierende Schlachter wissen, nach wie vielen Chips er suchen muß?
Darüberhinaus würde die Kennzeichnung per Chip für mich als Pferdetierärztin bedeuten, daß ich jedesmal wenn ich ein solches Medikament verwenden will, vorher mit einem Lesegerät das betreffende Pferd kontrollieren müßte, um zu erkennen, ob es bereits „gechipt“ worden ist oder nicht. Vielleicht ist es nur Voreingenommenheit den modernen Techniken gegenüber, aber aus Gründen der Praktikabilität würde ich eine ohne Hilfsmittel erkennbare Kennzeichnung wie z.B. eine Tätowierung bevorzugen. Bei der Verabreichung von Medikamenten, bei denen eine sichere Ausscheidung innerhalb mehrerer Wochen feststeht, könnte das Pferd auch durch Rasur einer definierten Stelle gekennzeichnet werden. Nach Ablauf der Zeit, in der die Haare wieder völlig nachgewachsen sind, könnte das Pferd rückstandsfrei geschlachtet werden.
Trotz all dieser Schwierigkeiten sollte man selbstverständlich dem Verbraucherschutz oberste Priorität einräumen. Aber wenn man seit vielen Jahren mit der oben beschriebenen Situation auf dem Arzneimittelsektor in der Pferdemedizin arbeiten muß, fällt es manchmal schon schwer, den nötigen Ernst zu bewahren.
- Phenylbutazon
Phenylbutazon hat zwei Vorteile gegenüber den Konkurrenzpräparaten. Es ist relativ gut verträglich und preiswert. Das immer als Ersatz genannte Flunixin-Meglumin ist weder das eine noch das andere. Es ist ein hervorragendes Präparat für die Behandlung akuter Lahmheiten. Für den Einsatz bei Pferden mit chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen ist es dagegen nicht verwendbar, da es maximal 5 Tage angewendet werden soll. Vedaprofen, das unter dem Markennamen Quadrisol und dem Motto „statt Phenylbutazon“ zur Zeit stark beworben wird, ist erheblich teurer. Pferde halten aber nicht nur Leute, bei denen Geld keine Rolle spielt. Ich kenne viele Pferde, die unter niedriger Phenylbutazontherapie noch jahrelang freizeitmäßig geritten werden konnten. Ich selbst habe bei entsprechender Situation, wenn das Pferd nicht mehr sportlich genutzt werden konnte und bei dauernder Lahmheit getötet werden sollte, diese Therapieform als lebensverlängernde Maßnahme eingesetzt, vorausgesetzt ich war davon überzeugt, daß überlegene Therapieformen wegen Geldmangels tatsächlich nicht in Frage kamen.
Dem Phenylbutazon überlegen durch seine knorpelanabole Wirkung ist von den nichtsteroidalen Antiphlogistika lediglich das Carprofen, das es für Pferde aber nur in den USA gibt. Hier würde ich durch den Therapievorteil eine Verteuerung für vertretbar halten. - Griseofulvin
Für Griseofulvin wurde wegen mangelnden wirtschaftlichen Interesses bis 1.1.1996 gar nicht erst eine MRL-Festsetzung beantragt. Griseofulvin kann meines Wissensstandes gar nicht ersetzt werden. Sollten äußerliche Antimykotika wirkungslos sein, kann die Behandlung mit Trichophytie-Vakzine versucht werden. Bei Vorliegen von anderen als Trichophytieinfektionen entfällt diese Möglichkeit natürlich. - Strophantin
Auch Strophantin entfiel, weil keine MRL-Festsetzung beantragt wurde. Mit dem Verbot der Umwidmung von Digoxin aus der Humanmedizin gibt es nunmehr kein Herzglykosid mehr, das man bei diagnostizierter Herzinsuffizienz legal verwenden könnte. Der Absatz von Crataegus-Präparaten stieg sprunghaft an. - Halothan
Das am breitesten eingesetzte Inhalationsnarkotikum hatte noch nie eine Zulassung zur Anwendung bei Pferden. Es wurde und wird illegal eingesetzt. - Acetylcystein
Acetylcystein ist in der Humanmedizin inzwischen als das überlegene Sekretolytikum anerkannt. Es wird auch in der Pferdemedizin mit Erfolg eingesetzt. Besonders bei der Therapie der Chronisch Obstruktiven Bronchitis ist es in Kombination mit Clenbuterol das Mittel der Wahl. Es war noch nie für Pferde zugelassen. Es wurde und wird illegal eingesetzt.
Selbiges gilt für Augensalben, Dopamin, Digoxin, Ringerlösung, Bikarbonatlösung, Theophyllin, Röntgenkontrastmittel und andere mehr. - Dimetridazol
Dimetridazol ist wegen seiner mutagenen Wirkung verboten worden. Allerdings scheint es nach neueren Untersuchungen der Universität Edinburgh (McGoran 1996) als einziges Medikament gegen die fast immer tödlich verlaufende Colitis X des Pferdes zu wirken. Bei 16 erkrankten Pferden überlebten in der mit Dimetridazol behandelten Gruppe 8 von 8 Pferden. In der konventionell behandelten Gruppe starben 5 von 7 Pferden. Der lange erwartete Durchbruch in der Therapie dieser gefürchteten Erkrankung kommt zu spät. - Isoxsuprin
Isoxsuprin fällt unter das Verbot ß-2-sympathomimetischer Substanzen. Auf dem Tierärztetag 1996 wurde von einem die EU beratenden Pharmakologen vehement die Wirksamkeit dieser Substanz bei chronisch degegenerativen Gelenkserkrankungen wie Podotrochlose abgestritten. Unzweifelhaft ist eine selektive Wirkungsweise dieses Medikamentes an den distalen Gliedmaßen wie es immer wieder zu hören war schlicht Mumpitz. Unbestritten ist unter Pferdetierärzten/innen jedoch auch die Wirksamkeit gerader dieser Substanz. Ob dies auf die gefäßerweiternde Wirkung oder einer noch nicht erforschten analgetischen Nebenwirkung beruht, sei dahingestellt. Tatsache ist jedoch, daß mit Isoxsuprin behandelte Pferde wieder anfingen zu lahmen, wenn das Medikament abgesetzt wurde. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Ausnahmen zur Anwendung als Tokolytikum auf die Behandlung von Lahmheiten beim Pferd auszudehnen wie dies beim Clenbuterol und den Atemwegserkrankungen des Pferdes geschah. Statt dessen wurde diese Anwendung explizit verboten. Wenn man bedenkt, wie viele Arzneimittel mit ungesicherter Wirkung zugelassen sind, war die ungehaltene Reaktion der in der Pferdemedizin tätigen auf das Verbot auch dieses Medikamentes verständlich. - Clenbuterol
Auch Clenbuterol fällt unter das unter 8. genannte Verbot. Es ist dankenswerterweise zur Behandlung von Atemwegserkrankungen erhalten geblieben. Eine Verwendung beim Pferd für andere Indikationen ist explizit verboten. (Die Firma Boehringer, Ingelheim hat extra Aufkleber auf ihren Ventipulmindosen, auf denen auf dieses Verbot separat hingewiesen wird.) Es steht nur zu hoffen, daß eines der wichtigsten Therapeutika nicht durch die neuesten Kälberskandale doch noch in der Illegalität verschwindet. - Xylazin
Wenn nicht bis zum Jahr 2000 die Auflagen zur Festsetzung eines MRL erfüllt werden, läuft die Zulassung für Xylazin aus. Xylazin ist ein ähnlicher Fall wie Phenylbutazon. Schon seit geraumer Zeit beherrschen die preisgünstigen Generika den Markt. Die „großen“ Pharmafirmen haben kein Interesse an weiteren Investitionen. Ein ähnliches Konkurrenzprodukt wie dies beim Phenylbutazon das Flunixin ist, steht auch hier schon bereit. Detomidin (Domosedan) ist erheblich teurer und hat zudem den entscheidenden Nachteil, daß die Sicherheit der Sedation vom Kopf zum Schwanz hin abfällt. Ist das Domosedan das Mittel der Wahl, will man Manipulationen am Kopf durchführen, so ist vom Gebrauch bei Manipulationen am Hinterteil des Pferdes abzuraten. Es kann zu unkontrollierten Abwehrbewegungen kommen und zwar auch bei Pferden, die sonst lammfromm sind. Ich selbst habe so einen Fall gesehen, und ich würde nur ausgesprochen ungern im nächsten Jahrtausend auf den Einsatz von Xylazin zur Sedation verzichten. Alle anderen bereits eingeführten Sedativa sind entweder von der sedativen oder der analgetischen Kompetenz dem Xylazin unterlegen. - Thiobarbiturate
Wenn nicht bis zum 1.1.2000 ein MRL festgesetzt werden kann, entfällt auch die Zulassung von Thiobarbituraten (Standardtherapeutikum zum Ablegen von Pferden, kann heutzutage durch Xylazin/Ketamin ersetzt werden), Vitamin A, Vitamin D und Cortisol. - Metamizol
Metamizol gehört erfreulicherweise (noch) nicht in diese Aufzählung. Zwar sollte es mangels MRL-Wertes ebenfalls verboten werden, aufgrund einer fehlerhaften Deklaration wurde dieses Verbot jedoch nicht wirksam. Metamizol ist zur Kolikbehandlung beim Pferd besonders geeignet, weil es eine analgetische und spasmolytische Wirkung hat, ohne wie das Parasympatholytikum N-Butylscopolamin (Buscopan) eine völlige Ruhigstellung des Darmes zur Folge zu haben. Es ist für alle Kolikformen einzusetzen. Bei Verstopfungskoliken und mit Einschränkungen auch bei Gaskoliken können unter der abschirmenden Wirkung des Metamizols milde darmanregende Wirkstoffe zur Therapie verwendet werden. Diese würden durch N-Butylscopolamin neutralisiert werden. Auch Flunixin-Meglumin (Finadyne) ist kein Ersatz. Flunixin fehlt die spasmolytische Wirkung. Die analgetische Wirkung ist dagegen so stark, daß bei anderer als „low-dose“ Therapie, Symptome eines Ileus überdeckt werden können. Darüberhinaus verursacht Flunixin erheblich leichter Läsionen an der Darmschleimhaut, was in der Kolikbehandlung natürlich unerwünscht ist.