Neues zu einem alten Thema

Antibiotikaresistenzen

von Peter Plate

aus Veto 46 – 1998, S. 13-15

Das Problem:

Über die Problematik der Antibiotikaresistenzen, auch im Hinblick auf Leistungsförderer, ist wiederholt in dieser Zeitung berichtet worden (u.a. Nr. 23 u. 27). Seit den letzten Beiträgen zum Thema gibt es einige Neuigkeiten zu berichten:

  • die Entdeckung von Kreuzresistenzen zwischen dem humanmedizinischen Reserveantibiotikum Vancomycin und dem Leistungsförderer Avoparcin, was ein europaweites Verbot des letzteren zur Folge hatte
  • der EU-Beitritt Schwedens, das den Einsatz von Leistungsförderern seit 1986 verbietet, was intensive Diskussionen in der EU zur Folge hatte
  • verschärfte öffentliche Bedenken gegen den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung allgemein.

1. Avoparcin

Der Leistungsförderer Avoparcin, der seit Jahrzehnten in der Schweine- und Geflügelhaltung, in Großbritannien auch in der Milchviehhaltung, zugelassen war, ist ein Glykopeptid-Antibiotikum, von dem bis vor wenigen Jahren keinerlei Probleme bekannt waren (es wird enteral kaum resorbiert und eine Resistenzbildung war unbekannt).

In Krankenhäusern sind multiresistente Staphylococcus aureus-Stämme ein zunehmendes Problem: Patienten starben z.T. nach kleineren Eingriffen an Wundinfektionen und Septikämien; das Glykopeptid Vancomycin ist das einzig wirksame Antibiotikum gegen diese Stämme. Bei anderen Bakterien (Enterokokken) wurden Vancomycinresistenzen schon nachgewiesen. Eine befürchtete Übertragung dieser Resistenz auf multiresistente Staph.-aureus-Stämme wäre katastrophal. Ein kausaler Zusammenhang zwischen vancomycinresistenten Bakterien in Krankenhäusern und Avoparcineinsatz in der Tierhaltung wird kontrovers diskutiert: in den USA wird Avoparcin (legal) nicht eingesetzt, Vancomycinresistenzen sind hier jedoch auch ein Problem. Der Vancomycineinsatz in den Krankenhäusern ist jedoch höher als in Europa, und importiertes Fleisch kann aus Betrieben stammen, die Avoparcin einsetzen. Insbesondere aus Dänemark und Deutschland gibt es Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang nahelegen:

In Krankenhäusern der ehemaligen DDR wurden Anfang der 90er Jahre vancomycinresistente Enterokokken entdeckt, obwohl dieses Antibiotikum dort vor Öffnung der Grenze kaum eingesetzt wurde. Die Entdeckung vancomycinresistenter Enterokokken im Tau- und Waschwasser von Tiefgefrierhähnchen in der Krankenhausküche und die nachgewiesene Kreuzresistenz zwischen Avoparcin und Vancomycin machen den Herkunftsbestand als Resistenzquelle wahrscheinlich (KLARE et al. 1995). Somit war ein deutlicher Hinweis auf eine humanmedizinische Gefährdung durch den Einsatz von Leistungsförderern in der Tierhaltung erbracht, der auch durch vorhergehende Untersuchungen (BATES et al. 1993) unterstützt wird.

Für die Pharmaindustrie und Teile der Schweine- und Geflügelwirtschaft ist das Avoparcinverbot ein Alarmsignal, insbesondere, da es als Präzedenzfall das Verbot weiterer oder gar aller Leistungsförderer nach sich ziehen könnte. Es wird betont, daß das Verbot „wissenschaftlich unbegründet“ sei (Animal Pharm, Review 1997), wobei die Kosten und der Wettbewerbsnachteil angeführt werden, die durch eine verminderte Futterverwertung und Tageszunahmen entstehen. Die Antibiotikadiskussion ist z.Z. die größte Sorge der veterinärpharmazeutischen Industrie.

Der Zusammenhang zwischen dem Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und Resistenzen bei Menschen ist jedoch keineswegs neu: der Swann-Report von 1969 war bereits Folge einer Epidemie multiresistenter Salmonellen. HOLMBERG et al. (1984) untersuchten Salmonelloseausbrüche bei Menschen in den USA von 1971-1983 und konnten resistente Salmonellen bis in den Rinderstall zurückverfolgen. Eine ausführliche Übersicht über diese Problematik insbesondere im Hinblick auf Leistungförderer geben RICHTER et al. (1996).

Es ist quantitativ kaum erfaßbar, welchen Anteil der Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin an der zunehmenden Resistenzproblematik in der Humanmedizin besitzt, was von der „animal health industry“ oft dazu verwendet wird, die Verantwortung v.a. der Humanmedizin zuzuweisen. Dazu sollte jedoch beachtet werden, daß Antibiotika in der Tierhaltung zum großen Teil aus rein ökonomischen Gründen eingesetzt werden (Leistungsförderung, „Einstallungsprophylaxe“ als Kompensation für nicht artgerechte Haltungs- oder Transportbedingungen sowie Zukauf aus mehreren Beständen). Die Argumentation, aus Tierschutzgründen eine Einschränkung des Antibiotikaeinsatzes abzulehnen (siehe Bayer Anzeige), ist daher nicht nachvollziehbar. Allein der stichhaltige Verdacht, daß Tier-Antibiotika einen Beitrag zu humanmedizinischen Resistenzen leisten könnten, sollte daher einen restriktiven Einsatz nach sich ziehen.

2. Die Situation in Schweden

Eine Übersicht über die Entwicklung in Schweden geben ROBERTSON und LUNDEHEIM (1994):

In den 80er Jahren gab es eine intensive Diskussion zu Tiergesundheit, Tierschutz und Fleischqualität, wobei u.a. die schwedische Fleischvermarktungsgesellschaft, der schwedische Bauernverband und die schwedische Gesellschaft für Tiermedizin stärkere Restriktionen beim Antibiotikaeinsatz forderten. Im Januar 1986 wurde daraufhin jeglicher Einsatz von antimikrobiell wirksamen Substanzen auf die Indikationen Vorbeuge, Erleichterung und Heilung von Krankheiten beschränkt (Leistungsförderer sind also ausgenommen) und der tierärztlichen Verschreibungspflicht unterstellt.

Der Einsatz von Antibiotika insgesamt ging daraufhin um ca. 35 % zurück. Detalliert untersucht wurden die weiteren Auswirkungen des Leistungsfördererverbotes im Hinblick auf die Ferkelerzeugung. Vor dem Verbot war dem gesamten kommerziell vertriebenen Ferkelfutter Olaquindox (50 mg/kg) zugesetzt, ein Leistungsförderer mit Breitbandwirkung u.a. gegen E. coli und den Dysenterieerreger, der damit als „Nebeneffekt“ eine prophylaktische Wirkung gegen Durchfälle beim Absetzen entfaltet. Zu Recht wird von der Pharmaindustrie angemerkt, daß direkt nach dem Verbot die Probleme zunahmen (insbesondere um mehr als 100% zunehmende Durchfälle beim Absetzen, verringerte Wachstumsraten und zunehmende Mortalität), und dadurch der Einsatz therapeutischer Antibiotika (u.a. Olaquindox in höherer Dosierung von 160 mg/kg) erhöht werden mußte. Somit blieb der Olaquindoxverbrauch von 1985-1987 konstant. Eine weitere negative Begleiterscheinung ist der vermehrte Einsatz von Zinkoxid als „Antibiotikaersatz“ im Ferkelfutter , der ökologisch problematisch ist. Die offensichtlichen Probleme nach dem Leistungsfördererverbot führten zu verstärkten Forschungsanstrengungen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen (Stallbau, Hygiene, Management) sowie der Fütterung. Eine Gruppe der Schwedischen Gesellschaft für Tiermedizin untersuchte Absetzprobleme und stellte strenge Richtlinien für den Einsatz von Fütterungsarzneimitteln auf. Danach müssen zunächst eine Untersuchung der Herde durchgeführt und prädisponierende Faktoren abgestellt werden, bevor Antibiotika verschrieben werden dürfen. Weiterhin sind vor dem Antibiotikaeinsatz diagnostische Untersuchungen durchzuführen. Der Schwedische Tiergesundheitsdienst verstärkte seine Anstrengungen, den Landwirten know-how und Leitlinien zu vermitteln.

Die Autoren beurteilen das „Schwedische Modell“ als erfolgreich, da es durch hohe Tierschutzstandards und das Fehlen eines routinemäßigen Antibiotikaeinsatzes gekennzeichnet ist. Leider liefern sie jedoch keine Zahlen, die belegen, wie erfolgreich sich die Beratungsprogramme im Hinblick auf die Tiergesundheit auswirkten.

Des weiteren ist das genaue Monitoring des Arzneimitteleinsatzes bemerkenswert. Daten zur Entwicklung z.B. der Olaquindoxmenge pro 10 000 Schweine, des Anteils der verschiedenen Antibiotika sowie der Resistenzsituation werden kontinuierlich erhoben und veröffentlicht. Interessant ist beispielsweise, daß das am häufigsten angewandte Antibiotikum Benzyl-Penicillin ist, welches die erste Wahl bei Eutererkrankungen der Kühe darstellt, und daß nur ca. 5 % der Staph.-aureus- Stämme bei Mastitiden Penicillinase bilden (Übersicht bei BJÖRNEROT et al. 1996).

3. Weitere öffentliche Bedenken gegen den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung

Als Quelle weiterer Bedenken der Öffentlichkeit gegen den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung sei beispielhaft das (nicht als industriefeindlich bekannte) britische House of Lords angeführt: Der siebte Bericht des „Select Committee on Science and Technology“ enthält zahlreiche interessante Fakten und Stellungnahmen zum Thema:

Es wird geschätzt, daß – auf Großbritannien bezogen – etwa die Hälfte der antibiotisch wirksamen Substanzen im „nicht-humanen Bereich“ eingesetzt werden. Der Public Health Laboratory Service (PHLS) betont auf Anfrage, daß die Geschichte von Salmonelloseausbrüchen eng mit dem Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verbunden ist. Der Swann Report von 1969 war Konsequenz einer Epidemie multiresistenter S. typhimurium – Stämme (DT29) bei Rindern und Menschen. Nachdem infolge des Swann Reports einige Antibiotika (wie Chloramphenicol) als Leistungsförderer verboten wurden, ging die Epidemie zurück.

1975 wurde der Nachweis erbracht, daß Apramycin aus der Kälberhaltung für gentamicinresistente S. typhimurium – Stämme beim Menschen verantwortlich ist. (Anmerkung: Apramycin wird in GB immer noch umfangreich angewendet, während Gentamicin nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassen ist.)

Bayer Anzeige

Nach der Zulassung von Fluorchinolonen für Tiere, insbesondere von Enrofloxacin im Jahre 1993, wurde ein Anstieg von Resistenzen bei verschiedenen humanmedizinisch bedeutsamen Salmonellen gegen das Fluorchinolon Ciprofloxacin beobachtet. Ein kausaler Zusammenhang wird von verschiedenen Seiten vermutet.

Nachdem der (britische) PHLS die amerikanische Zulassungsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) per Telefon über die Ciprofloxacinresistenzen informiert hatte, wurden in den USA keine Fluorchinolone mehr zugelassen, und der illegale Einsatz bei lebensmittel liefernden Tieren wird von den Aufsichtsbehörden aktiv verfolgt. Großbritannien setzt wie andere europäische Länder die Zulassung von Fluorchinolonen für Tiere jedoch fort, zuletzt von Marbofloxacin auch für laktierene Kühe. In Deutschland wurde in diesem Jahr ein Fluorchinolon für die Trinkwassermedikation bei Broilern zugelassen, mit einem Tag Wartezeit. In Großbritannien sind nicht Salmonellen-, sondern Campylobacter-Infektionen die häufigste Ursache von Lebensmittelvergiftungen. Nach einem WHO-Report gab es nach der Zulassung von Fluorchinolonen für Geflügel einen dramatischen Anstieg von resistenten Campylobacter jejuni-Stämmen, die von Geflügel, Geflügelfleisch und erkrankten Menschen isoliert wurden. Vor deren Einsatz beim Geflügel wurden diese Stämme ausschließlich bei mit Fluorchinolonen behandelten Menschen isoliert. Resistente C. jejuni-Stämme werden mit Therapieversagern in Verbindung gebracht.

4. Schlußfolgerungen

Angesichts dieser Hinweise erscheint die Bemerkung absurd, daß „erst noch umfangreich geforscht werden müsse“, um restriktivere Regelungen in Kraft zu setzen. Tierschutz wird von Teilen der Industrie als „Antibiotika-Verkaufsargument“ genutzt. Die Situation in Schweden unmittelbar nach dem Leistungsfördererverbot wird dabei als abschreckendes Beispiel dargestellt, wobei der zweite Schritt, die nachfolgende Verbesserung der Haltungsbedingungen, sowie die vorbildlichen Leitlinien zum Antibiotikaeinsatz verschwiegen werden. Zahlreiche Markenfleischprogramme in Deutschland kommen sehr gut ohne Leistungsförderer aus. Das bestätigt den Verdacht, daß der ökonomische Nutzen der Leistungsförderer vor allem unter suboptimalen Bedingungen zum Tragen kommt. In der Tierärzteschaft verschiedener Länder bricht „Therapienotstandspanik“ aus, als wolle die Öffentlichkeit uns die Penicillinspritze, mit der wir das leidende Tier retten wollen, aus der Hand reißen. Erforderlich ist jedoch – und das ist gesundheitspolitisch vordringlicher als die Rückstandsproblematik – eine klare Strategie, um den (wahrscheinlichen) Beitrag der tierischen Lebensmittelerzeugung zur Resistenzproblematik zu senken oder zu eliminieren. Hierzu können die Antibiotika in drei Kategorien eingeteilt werden:
Leistungsförderer – ein generelles Verbot dieser Stoffe ist wissenschaftlich ausreichend begründbar und auch marktpolitisch sinnvoll, wenn bei Importen auf dieselben Standards geachtet wird. Gerade handelspolitisch wird gegen ein Leistungsfördererverbot insbesondere von der Geflügelwirtschaft argumentiert (Wettbewerbsnachteile auf dem Weltmarkt u.s.w.). Als Gegenbeispiel sei der australische Rindfleischexport in die EU angeführt: Hormoneinsatz zur Leistungssteigerung ist in Australien erlaubt, Betriebe, die für den EU-Export produzieren, wenden diese jedoch nicht an. Strenge EU-Kontrollen auf Hormonrückstände mit dem ständig drohenden totalen Importstop sichern strenge Kontrollen in Australien und die Einhaltung des Hormonverbotes für die entsprechenden Betriebe. Ähnliches ist auch für Leistungsförderer denkbar, sofern der Weg vom Herkunftsbetrieb zum Importeur nachvollziehbar bleibt. Die Kontrollen könnten im Suchen nach bestimmten Resistenzgenen bestehen.

Antibiotikagruppen, die der Humanmedizin vorbehalten sind. Hierzu sollten z.B. Glykopeptide und Fluorchinolone gehören. Diskussionswürdig sind Ausnahmeregelungen für Einzeltiere: die eine euterkranke Kuh oder das an Pneumonie verendende Kalb wird kaum die humanmedizinische Resistenzsituation verschärfen, wenn sie/es mit Baytril behandelt wird, und eine strenge Regelung (ähnlich dem Betäubungsmittelrecht) mit Begründung jedes Einzelfalles erscheint denkbar. Eine solche Regelung würde jedoch die Überwachung bedeutend erschweren und zum Mißbrauch („schon wieder 25 Einzelkälber mit Pneumonie“) geradezu einladen.
Antibiotika, die der Tiermedizin zugänglich sind. Hier sollten die schwedischen Leitlinien als Vorbild dienen, insbesondere der prophylaktische Einsatz bei Tiergruppen ist auf strenge Indikationen zu begrenzen und schrittweise durch besseres Management zu ersetzen (geschlossene Systeme, optimale Haltungs- und Klimabedingungen etc.)

Fortsetzungsgeschichte

Eine Woche im Veterinäramt

aus Veto 47 – 1999, S. 27-29

Montag

Telefon: Herr A. erklärt, sein West-Highland-Terrier hätte gestern ein Kind gebissen (der Hund war natürlich unschuldig), leider sei die letzte Tollwutimpfung 2 Jahre her. Die Eltern des Kindes sind besorgt und wollen wissen, ob ihr Kind nun geimpft werden muß. Herr und Hund werden sofort ins Veterinäramt bestellt, um festzustellen, ob der Hund Anzeichen einer Tollwuterkrankung aufweist.

Post aus dem Fach mitnehmen: Unzählige Aktennotizen, Lebensmittelberichte, Zeitschriften, Erlasse, Verordnungen, Mitteilungen aus dem Europäischen Amtsblatt usw., sollte alles jeder lesen. Faktisch unmöglich, oder es bliebe keine Zeit, überhaupt noch etwas selbst zu arbeiten. Wichtig ist, die Aktennotizen der Kollegen zu lesen, um mitzubekommen, was im Kreis passiert, und um bei Fragen von Betroffenen weiterhelfen zu können.

Der Besitzer mit dem tollwutverdächtigen Hund ist da. Das Tier läuft neugierig herein, springt an der Sekretärin hoch, diese streichelt ihm über den Rücken, und schwupps, schnappt der Hund zu. Zum Glück nicht weiter schlimm, aber immerhin so, daß es leicht blutet. Bis auf die Tatsache, daß das Tier zu fett und völlig unerzogen ist, bestätigt sich der Tollwutverdacht nicht. Der Hund wird für die nächsten zehn Tage unter amtliche Beobachtung gestellt (d.h. kein Kontakt zu anderen Personen und Tieren, kein freies Umherlaufen, auf keinen Fall Impfung, Achten auf Anzeichen einer Tollwuterkrankung).

Nach zehn Tagen muß der Hund erneut vorgestellt werden, ist das Tier weiterhin unverdächtig, wird die amtliche Beobachtung aufgehoben. (Dieser Besitzer hält es nicht für nötig, nach zehn Tagen wieder zu erscheinen, woraufhin er schriftlich kostenfrei erinnert wird.)

Grundsätzlich kann nach der TollwutVO auch anders verfahren werden, da aber diese Region tollwutfrei ist und es sich hier nicht um einen jagdlich geführten Hund handelte, konnte ich so verfahren, mit dem Ergebnis, daß der Hundebesitzer das Ganze überhaupt nicht ernst nahm. Da wir in Bezug auf die Impfung des Kindes aufgrund ‚Nichtzuständigkeit‘ keine Auskunft geben dürfen, verweisen wir immer an das Hospital (beraten aber intern schon).

In der Post: Berichtanforderung durch das Regierungspräsidium: Wieviele Tierheime und Tierpensionen sind im Kreis; Rückmeldung innerhalb einer Woche. Bekannt ist nur ein größeres Tierheim. Grundsätzlich benötigen solche Einrichtungen eine Genehmigung nach dem Tierschutzgesetz (§11), da aber auch z.B. jeder Züchter eine §11 Genehmigung benötigt, sind alle ausgestellten Genehmigungen in mehreren Ordnern zusammengefaßt. Also alle Ordner durchgehen. Das Nachlesen in den Gelben Seiten befördert außerdem völlig neue und interessante Einrichtungen zu Tage. Nach Kontaktaufnahme mit den Besitzern dieser Tierpensionen zeigt sich, daß diese das schon immer so machen, von einer Genehmigungspflicht nichts wissen, aber wir natürlich gerne einmal vorbeikommen können … . Die Adressen werden aufgeschrieben und so bald wie möglich die Haltungen kontrolliert.

Nachkontrolle bei einem Schäferhundehalter: Die Schäferhunde werden einzeln und ohne Sichtkontakt in völlig kahlen Zwingern gehalten. Laut Besitzer kommen sie einzeln tagsüber in den Garten. Er versteht nicht, was gegen seine Hundehaltung einzuwenden ist, die Tiere hätten es doch gut und er würde schließlich sehr viel mehr von Schäferhundezucht verstehen als wir.

Die Hoffnung, ihn bei der letzten Kontrolle überzeugt zu haben, die Haltung zu verbessern, schwindet. Bis auf die Möglichkeit, die Einhaltung der Vorschriften der HundehaltungsVO einzufordern (Schutzhütte etc.), gibt das Tierschutzrecht nichts her; Kettenhunde müssen täglich eine Stunde frei laufen können, Zwingerhunde nicht (mal abgesehen von der Unmöglichkeit, dies überhaupt zu kontrollieren).

Wenn der Züchter mit mehr als drei Hündinnen züchtet, braucht er eine §11 Genehmigung (Sachkunde, artgerechte Unterbringungsmöglichkeiten, Zuverlässigkeit). Angeblich tut er dies nicht (hat aber gleichzeitig Welpen aus vier verschiedenen Würfen da). Mein Vorschlag, ihm eine Buchführungspflicht aufzuerlegen, um festzustellen, mit wievielen Hunden er züchtet, wird aufgrund mangelnder Rechtsgrundlage von der Verwaltung abgelehnt (alle Verwaltungsakte, die den Rechtsunterworfenen belasten, brauchen eine rechtliche Grundlage). Der Vorteil einer Genehmigung wäre gewesen, diese mit bestimmten Haltungsauflagen zu verbinden.

Zurück im Amt: Anruf einer Tierschützerin; vor dem Supermarkt stehen Zirkusleute mit einem Esel und betteln, ist denn so etwas erlaubt?! Antwort: Ja (Tierschützerin mit dieser Auskunft sehr unzufrieden)

Dienstag

Abfassen der Verfügung an den Schäferhundezüchter, um wenigstens die Einhaltung der Vorschriften der HundehaltungsVO zu fordern. Nach Diskussionen mit Kollegen und Verwaltung einigen wir uns darauf, daß er den momentanen Tierbestand dokumentieren muß und wir so bei Nachkontrollen, evtl. anhand der Zuchtbücher, auf die tatsächliche Wurfzahl kommen.

Anruf von einem Bürgermeister: Es werden Schafe an der Straße mit Elektrodraht eingezäunt gehalten. Mehrere Mütter hätten angerufen, ihre Kinder könnten auf dem Schulweg diesen Elektrodraht anfassen und einen Schlag bekommen. Frage: Gibt es eine Vorschrift, daß am Zaun ein Schild ‚Vorsicht Elektrozaun‘ angebracht sein muß? Antwort: Nein, zumindest nicht von unserer Zuständigkeit her, da Schafe im Allgemeinen nicht lesen könnten (kurzes Schweigen, brüllendes Gelächter).

Der Computer hat sich per E-mail einen Virus eingefangen: Der Vormittag ist gelaufen, aber immerhin wird ab jetzt ein Virensuchprogramm vom Landratsamt zur Verfügung gestellt, was wir vorher angeblich ja nicht brauchten.

Post durcharbeiten

Termin mit Landwirt B.: Überprüfung der Rinderkennzeichnung: Das Veterinäramt hat eine Liste von zufällig ausgewählten viehhaltenden Betrieben erhalten, bei denen die Kennzeichnung der Tiere und das Bestandsregister überprüft werden müssen. Die Betriebsinhaber sollen von der Überprüfung nicht informiert werden. Nach kurzer Diskussion einigen wir uns im Amt darauf, uns bei den Betrieben zwei Tage vorher anzukündigen, um ihnen so die Möglichkeit zu geben,
das Bestandsregister zu aktualisieren.

Das Ziel soll letztlich die Einhaltung der Vorschriften der Viehverkehrsverordnung sein, und wenn dies mit Hilfe einer Ankündigung erreicht werden kann, spart sich das Amt müßige Nachkontrollen und die Verärgerung der Landwirte. In diesem Fall fährt Herr B. mit mir zu seinen sechs Scottish-Highländern auf die Weide: das Bestandsregister ist vorbildlich, es ist nur etwas schwierig, an die Tiere nahe genug heranzukommen, um die Ohrmarke ablesen zu können (außerdem haben sie viel zu lange Haare an den Ohren). Aber mit Geduld und Fernglas geht es schließlich. Termin mit Landwirt C., ebenfalls Überprüfung der Rinderkennzeichnung: Herr C. hat kein Verständnis für ‚das Geschiss mit der Rinderkennzeichnung‘, er habe anderes zu tun und kennzeichne seine Rinder nicht wie vorgeschrieben mit spätestens dreißig Tagen, sondern wann ihm es paßt. Da ein vernünftiges Gespräch mit ihm nicht möglich ist (und er auch von früheren Gelegenheiten dem Veterinäramt gut bekannt ist), bekommt er es eben nochmals schriftlich plus Bußgeld und Zwangsgeldandrohung.

Mittwoch

Unterricht an der Landwirtschaftsschule: Während des Winterhalbjahres dürfen die Tierärzte 10 Unterrichtsstunden an der Landwirtschaftsschule geben, inhaltlich sollten dabei die Bereiche übertragbare Krankheiten, Seuchenhygiene und Tierschutz abgedeckt werden. Trotz Vorbereitung fällt es mir nicht leicht, innerhalb von 2 Stunden die Begriffe im Tierschutzgesetz zu erläutern und die einzelnen Verordnungen anzusprechen, bzw. überhaupt ein Bewußtsein für bestimmte Bedürfnisse von Tieren zu schaffen. Frage: Was macht ihr denn mit euren Kümmerern? Antwort: Na, erschlagen natürlich, was denn sonst! Kälber ab dem 8. Lebenstag Rauhfutter geben? Das Fleisch nimmt uns doch kein Metzger mehr ab, erst wenn auch die Franzosen… (Insgesamt hat es aber viel Spaß gemacht und auf den Boden der Realität zurückgeholt)

Kälbermarkt: Im Rahmen der Marktüberwachung (ViehverkehrsVO) werden die Näbel der Kälber kontrolliert und bei der Versteigerung dann alle Veränderungen bekanntgegeben. Seit Kälber im Alter unter 14 Tagen nicht mehr transportiert werden dürfen, ist eine enorme Geburtenzunahme genau 14 Tage vor dem Stattfinden des Kälbermarktes zu verzeichnen. Theoretisch müßten alle Besitzer von Kälbern mit nicht abgeheilten oder entzündeten Näbeln angezeigt werden… .

Termin bei Landwirt D.: Er bekommt wöchentlich Mastschweine aus einem Gebiet, das auf Grund von Wildschweinepest reglementiert ist. Ein Tierarzt kontrolliert die Gesundheit der Schweine bei der Abfahrt und verplombt den Anhänger. Wir müssen uns jeweils schriftlich einen Tag vor der Anlieferung damit einverstanden erklären, daß Schweine aus diesem Gebiet in unserem aufgestallt werden dürfen. Bei Ankunft der Schweine müssen wir den
Transporter entplomben und die Gesundheit und Anzahl der Tiere überprüfen (bis auf den Umstand, daß die meisten Ferkel angeknabberte Ohren haben, sind sie soweit gesund). Nach 14 Tagen ist eine Abschlußuntersuchung notwendig. Leider bin ich auf die
dumme Idee gekommen, die Körpertemperatur zu messen … und nun?!

Verfügung an Landwirt C.: Um seine Rinderkennzeichnung zukünftig sicherzustellen.

Post durcharbeiten.

Anruf des Tierschutzvereines: Sie hätten einen Hund gefunden mit einem Teletaktgerät um den Hals. Die Besitzer hätten sich inzwischen gemeldet und ihren Hund wieder abgeholt, aber sie wollten uns doch Bescheid sagen, damit wir etwas gegen das Teletaktgerät unternehmen. Telefongespräch mit den Besitzern: Nein, sie würden das Teletakt nie und auf gar keinen Fall benützen, ihr Halsband sei kaputtgegangen und da hätten sie halt dies umgelegt … .

Reisekostenabrechnung: Ein privater PKW wird für Dienstfahrten vorausgesetzt. Alle Dienstfahrten müssen mit Datum, Uhrzeit, Ort, Kilometerangabe und vor allen Dingen dem entsprechenden Titel angegeben werden. D.h. auf den einen Zettel alle im Bereich Tierseuchen gefahrenen Kilometer, auf dem nächsten die für den Tierschutz und ebenso für Schlachthof/Lebensmittel. Wurden die Bereiche aus Kostenersparnis miteinander verknüpft, muß man halt etwas schummeln (genauso wie beim Schätzen der Arbeitszeiten für die einzelnen Bereiche).

Donnerstag

Post durchsehen.

Anruf eines Schweinehalters: Er möchte gerne 50 Mastschweine im Freien halten, was es denn da in Zukunft zu beachten gäbe? Hätte ich mich nicht zufällig privat mit der neuen SchweinehaltungshygieneVO befaßt, wäre es wieder ein typisches Beispiel von: Bitte geben Sie mir ihre Telefonnummer, ich rufe Sie zurück.

Lebensmittelkontrolle: Wie war das mit dem Hackfleisch?! Die Herstellung von Geflügelgeschnetzeltem ist nach der HackfleischVO verboten. Macht der Metzger sich jetzt strafbar, wenn der Kunde ihn bittet, das sozusagen bereits gekaufte Geflügelteil klein zu schneiden? Fragen Sie ihren Sachverständigen! Nach der neuen Lebensmittelhygiene VO müssen Betriebe für alle abzugebenden Lebensmittel eine Gefahrenanalyse durchführen, d.h. sie müssen herausfinden, wodurch ihr Lebensmittel so nachteilig beeinflußt werden kann, daß die Gefahr der Schädigung der menschlichen Gesundheit besteht (Verstanden?). Zu diesem Thema gibt es unzählige Veröffentlichungen, Fortbildungen usw.. Entfernt hat es etwas mit
HACCP (Hazard Analyses of Critical Control Points) zu tun, ein inzwischen fast überall verhaßtes Schlagwort bei jeder Lebensmittelkontrolle und Besprechung. Durch falsche Übersetzung und fehlerhafte Interpretation entstanden unzählige und überflüssige Papieransammlungen, in denen ohne Sinn und Verstand alles Mögliche gemessen und dokumentiert wird. Konkret geht selbst bei uns im Amt jeder mit der Umsetzung der neuen LebensmittelhygieneVO sehr unterschiedlich um, je nach eigenem Wissen, Verständnis und individueller Präferenz.
Das Thema auch nur anzusprechen, ist meist in kleinen Betrieben gar nicht möglich, da keine Grundvoraussetzungen bestehen. Z.B., wenn nach 10 Minuten ausführlicher Erläuterungen über Grundhygiene, Histamingehalt in warm gelagertem Thunfisch etc. der Betriebsinhaber sagt: „Ich mache halt Pizza, wo ist euer Problem?“ und ich genau weiß, daß spätestens in einem halben Jahr ein anderer Pizza- oder Gyrosstand hier sein wird, und ich froh sein kann, wenn sprach-
lich überhaupt eine Kommunikation möglich ist.

Unbefriedigende Diskussion im Amt, wie ab Januar die Umsetzung der KälberhaltungsVO erfolgen soll (Anbindeverbot von Kälbern). Anscheinend ist es unmöglich, sich darüber überregional zu verständigen (schon die Regierungspräsidiums-Ebene wird angezweifelt), da ja jedes Amt örtlich zuständig ist und daher nach eigenem Ermessen handelt.

Freitag

Termin mit Landwirt D.: Nach der Brucellose- und Leukose-Verordnung muß regelmäßig überprüft werden, ob ein Rinderbestand frei von diesen Krankheiten ist. Bei milchliefernden Betrieben ist dies über Tankmilchproben möglich, schwieriger wird es bei Mutterkuhhaltungen, an die Blutproben zu kommen.

Ein Teil wird von den Hoftierärzten genommen, überall dort, wo es komplizierter wird und keine Fangeinrichtungen vorhanden sind, dürfen die Amtstierärzte ihr Glück versuchen. Dieser Landwirt hat für seine ‚Scottish Highland‘-Rinder nun endlich eine Fangeinrichtung gebaut, in der die langen Hörner nicht hängenbleiben können und es läuft einigermaßen glücklich ab.

Post durcharbeiten.
Einschalten des Anrufbeantworters.

Wochenende

(2-3 x tägliches Abhören des Anrufbeantworters, ob irgendeine Seuche ausgebrochen ist, Lebensmittel vergiftet oder Tiere gequält wurden)

eine Amtstierärztin

Chips und Pferde

Konsequenzen der bereits bestehenden und noch geplanten Anwendungsverbote in der Pferdepraxis

von Viola Hebeler

aus Veto 46 – 1998, S. 18-20

Die Anwendungsverbote bestimmter Medikamente bei lebensmittelliefernden Tieren nach der Verordnung EWG 2377/90 und die daraus für die Pferdepraxis resultierenden Konsequenzen sind seit Ende letzten Jahres bereits breit diskutiert worden. In allen Medien sind Pferdetierärzte/innen und Tierschützer/innen gegen die neuen Anwendungsverbote Sturm gelaufen. Einer der meistverbreitetsten Artikel und typisch für den Gesamttenor der Diskussion war dabei der Spiegelartikel im Heft 7/98, in dem geschickt Fakten und Stimmungsmache vermischt wurden. So wurden sachlich richtige Statements von Pferdepraktikern benutzt, um als Ursache der Misere „das sture Schubladendenken der europäischen Agrarbürokraten“ auszumachen. Daß die Pharmafirmen durch Investitionen in Rückstandstests diese Anwendungsverbote hätten verhindern können, fand im allgemeinen kaum Erwähnung. Es sei auch dahingestellt, ob es Sinn macht, von diesen Firmen anderes als marktwirtschaftliches Kalkül zu erwarten. Nichtsdestotrotz wurde dadurch, daß diese Fakten nicht zur Kenntnis genommen wurden, häufig sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die Aufweichung der angeblich zu strengen europäischen Rückstandsregelungen verlangt. Gerne stimmte die Pharmaindustrie in diesen Chor ein, würde es ihr doch viele Millionen sparen. (Zur Verteidigung der „großen“ Pharmafirmen sei allerdings gesagt, daß die „kleinen“, Generika vertreibenden Firmen gar nicht erst versuchten, durch Zusammenschluß die Kosten für die Ermittlung der MRL-Werte für z.B. Phenylbutazon, mit dem sie so viel Geld verdient hatten, zusammenzubringen. Damit bestätigten sie natürlich ihr Bild als „Trittbrettfahrer“ im Pharmageschäft.)

Die Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin hat sich auf dem letzten Gesamttreffen im Mai diesen Jahres mit diesem Thema beschäftigt und für eine vorrangige Behandlung des Verbraucherschutzes und eine Durchsetzung der Anwendungsverbote ausgesprochen. Hierbei wurde ganz richtig festgestellt, daß die zum Teil hysterisch geführte Diskussion über Therapielücken besonders in der Pferdemedizin am eigentlichen Problem vorbeigeht. Es kann nicht sein, daß mit den Argumenten des Tierschutzes der Verbraucherschutz geschwächt wird, wie dies bei einer Rücknahme der Anwendungsverbote zu befürchten wäre. Andererseits scheint es mir aber auch nicht angebracht, den Fakt, daß bestimmter Therapielücken tatsächlich bestehen, zu übergehen. Daher werde ich versuchen, an einzelnen Beispielen aufzuzeigen, wo die neuen und alten Anwendungsverbote die Therapie in der Pferdepraxis beeinflussen. Siehe hierzu Kasten 1 und 2.

Die Pferdemedizin stellt wirtschaftlich für die Pharmaindustrie im Vergleich zu den landwirtschaftlichen Nutztieren nur einen kleinen Sektor dar. Daher werden für viele Medikamente keine Zulassungen für Pferde beantragt. Ganz einschneidend konnte man dies nach der Einführung der tierartlich getrennten Zulassung für Arzneimittel und dem Verbot der Umwidmung im Jahr 1994 sehen. Die Einführung der MRL ist hierbei quasi als nächste Stufe der Reduktion der für Pferde zugelassenen Medikamente zu sehen.

Wer in der Pferdepraxis innovativ und an Forschungsergebnissen besonders der angelsächsischen Länder orientiert behandeln will, ist schon immer zu halbund illegalem Verhalten gezwungen worden. Das hat die im Sportbereich tätigen Pferdetierärzte/innen auch nach 1994 jedoch nicht an der Verwendung nicht zugelassener Medikamente gehindert, wenn durch ihren Einsatz ein deutlicher Therapievorteil erkennbar war. Ich persönlich empfinde es auch als empfindlichen Einschnitt in meine Freiheit bei der Berufsausübung, wenn ich zwischen 30 und 50 % aller meines Erachtens notwendigen Medikamente nicht benutzen darf. Es kann nicht sein, daß einer aufwendigen Diagnostik durch fundiertes Wissen und ausgefeilte Technik eine Pauschaltherapie mit nur einer Handvoll Medikamente gegenübersteht, bloß weil diese lukrativ genug sind, die Zulassungskosten wieder einzubringen. Eine qualifizierte Therapie kann offenbar nur durch illegales Verhalten erreicht werden. Die Analyse des Kollegen Dr. Cronau, langjähriger betreuender Tierarzt der deutschen Springreiterequipe und FEI-Veterinär, die „Tierärzte stehen immer mit einem Bein im Gefängnis“ ist somit völlig richtig.

Das Hauptproblem liegt bekanntermaßen an der Zuordnung der Pferde zu den lebensmittelliefernden Tieren. Dies ist aber nicht von den „sturen EU-Bürokraten“ in ihrem „Schubladendenken“ erfunden worden, sondern spiegelt nur die überwiegende Situation in der EU wieder. In Ländern wie Frankreich, Spanien, etc. wird traditionell viel Pferdefleisch gegessen. In Großbritannien hingegen ist dies gar nicht der Fall. Die Briten haben daher auch sofort Pferde zu nicht-Lebensmittel-liefernden Tieren erklärt und propagieren den weiteren Einsatz der verbotenen Medikamente. Dieser Einzelgang Großbritanniens war allerdings insofern nützlich, weil findige Köpfe sofort mit dem Reimport von in GB erlaubten und in der Rest-EU verbotenen Arzneimitteln drohten und damit das Bestreben um einen Kompromiß förderten. Ein EU-weiter Lösungsvorschlag von den verschiedensten Seiten einschließlich der Bundestierärztekammer zielt auf die dauerhafte Kennzeichnung der nicht zur Schlachtung bestimmten Pferde hin. Das ist gewiß die intelligenteste Lösung.

Ob die Kennzeichnung mit einem Mikrochip allerdings die praxisreifste Lösung ist, ist noch die Frage. Da die Bundestierärztekammer auch den Ersatz des Heißbrandes durch Mikrochips favorisiert, würde dies bedeuten, daß bei jedem Verkauf oder bei jeder anderen Identitätsprüfung mindestens einer der Anwesenden im Besitz eines Lesegerätes sein müßte. Beifall findet diese Lösung bislang nur bei den Herstellern und Vertreibern von Lesegeräten. Der unbestrittene Vorteil einer nachträglichen Kennzeichnung, wie z.B. mit dem Mikrochip, ist, daß nicht bereits bei der Geburt entschieden werden muß, ob ein Pferd geschlachtet werden kann oder nicht. Hätte ein deutsches Warmblutpferd nun anstelle des Heißbrandes bereits als Fohlen einen Mikrochip implantiert bekommen, würde bei der Applikation eines nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassenen Arzneimittels die Implantation eines zweiten Mikrochips fällig werden. Angenommen dieses Pferd würde aber Jahre später doch zur Schlachtung gelangen, woher soll der ordnungsgemäß die Mikrochips kontrollierende Schlachter wissen, nach wie vielen Chips er suchen muß?

Darüberhinaus würde die Kennzeichnung per Chip für mich als Pferdetierärztin bedeuten, daß ich jedesmal wenn ich ein solches Medikament verwenden will, vorher mit einem Lesegerät das betreffende Pferd kontrollieren müßte, um zu erkennen, ob es bereits „gechipt“ worden ist oder nicht. Vielleicht ist es nur Voreingenommenheit den modernen Techniken gegenüber, aber aus Gründen der Praktikabilität würde ich eine ohne Hilfsmittel erkennbare Kennzeichnung wie z.B. eine Tätowierung bevorzugen. Bei der Verabreichung von Medikamenten, bei denen eine sichere Ausscheidung innerhalb mehrerer Wochen feststeht, könnte das Pferd auch durch Rasur einer definierten Stelle gekennzeichnet werden. Nach Ablauf der Zeit, in der die Haare wieder völlig nachgewachsen sind, könnte das Pferd rückstandsfrei geschlachtet werden.

Trotz all dieser Schwierigkeiten sollte man selbstverständlich dem Verbraucherschutz oberste Priorität einräumen. Aber wenn man seit vielen Jahren mit der oben beschriebenen Situation auf dem Arzneimittelsektor in der Pferdemedizin arbeiten muß, fällt es manchmal schon schwer, den nötigen Ernst zu bewahren.

  1. Phenylbutazon
    Phenylbutazon hat zwei Vorteile gegenüber den Konkurrenzpräparaten. Es ist relativ gut verträglich und preiswert. Das immer als Ersatz genannte Flunixin-Meglumin ist weder das eine noch das andere. Es ist ein hervorragendes Präparat für die Behandlung akuter Lahmheiten. Für den Einsatz bei Pferden mit chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen ist es dagegen nicht verwendbar, da es maximal 5 Tage angewendet werden soll. Vedaprofen, das unter dem Markennamen Quadrisol und dem Motto „statt Phenylbutazon“ zur Zeit stark beworben wird, ist erheblich teurer. Pferde halten aber nicht nur Leute, bei denen Geld keine Rolle spielt. Ich kenne viele Pferde, die unter niedriger Phenylbutazontherapie noch jahrelang freizeitmäßig geritten werden konnten. Ich selbst habe bei entsprechender Situation, wenn das Pferd nicht mehr sportlich genutzt werden konnte und bei dauernder Lahmheit getötet werden sollte, diese Therapieform als lebensverlängernde Maßnahme eingesetzt, vorausgesetzt ich war davon überzeugt, daß überlegene Therapieformen wegen Geldmangels tatsächlich nicht in Frage kamen.
    Dem Phenylbutazon überlegen durch seine knorpelanabole Wirkung ist von den nichtsteroidalen Antiphlogistika lediglich das Carprofen, das es für Pferde aber nur in den USA gibt. Hier würde ich durch den Therapievorteil eine Verteuerung für vertretbar halten.
  2. Griseofulvin
    Für Griseofulvin wurde wegen mangelnden wirtschaftlichen Interesses bis 1.1.1996 gar nicht erst eine MRL-Festsetzung beantragt. Griseofulvin kann meines Wissensstandes gar nicht ersetzt werden. Sollten äußerliche Antimykotika wirkungslos sein, kann die Behandlung mit Trichophytie-Vakzine versucht werden. Bei Vorliegen von anderen als Trichophytieinfektionen entfällt diese Möglichkeit natürlich.
  3. Strophantin
    Auch Strophantin entfiel, weil keine MRL-Festsetzung beantragt wurde. Mit dem Verbot der Umwidmung von Digoxin aus der Humanmedizin gibt es nunmehr kein Herzglykosid mehr, das man bei diagnostizierter Herzinsuffizienz legal verwenden könnte. Der Absatz von Crataegus-Präparaten stieg sprunghaft an.
  4. Halothan
    Das am breitesten eingesetzte Inhalationsnarkotikum hatte noch nie eine Zulassung zur Anwendung bei Pferden. Es wurde und wird illegal eingesetzt.
  5. Acetylcystein
    Acetylcystein ist in der Humanmedizin inzwischen als das überlegene Sekretolytikum anerkannt. Es wird auch in der Pferdemedizin mit Erfolg eingesetzt. Besonders bei der Therapie der Chronisch Obstruktiven Bronchitis ist es in Kombination mit Clenbuterol das Mittel der Wahl. Es war noch nie für Pferde zugelassen. Es wurde und wird illegal eingesetzt.
    Selbiges gilt für Augensalben, Dopamin, Digoxin, Ringerlösung, Bikarbonatlösung, Theophyllin, Röntgenkontrastmittel und andere mehr.
  6. Dimetridazol
    Dimetridazol ist wegen seiner mutagenen Wirkung verboten worden. Allerdings scheint es nach neueren Untersuchungen der Universität Edinburgh (McGoran 1996) als einziges Medikament gegen die fast immer tödlich verlaufende Colitis X des Pferdes zu wirken. Bei 16 erkrankten Pferden überlebten in der mit Dimetridazol behandelten Gruppe 8 von 8 Pferden. In der konventionell behandelten Gruppe starben 5 von 7 Pferden. Der lange erwartete Durchbruch in der Therapie dieser gefürchteten Erkrankung kommt zu spät.
  7. Isoxsuprin
    Isoxsuprin fällt unter das Verbot ß-2-sympathomimetischer Substanzen. Auf dem Tierärztetag 1996 wurde von einem die EU beratenden Pharmakologen vehement die Wirksamkeit dieser Substanz bei chronisch degegenerativen Gelenkserkrankungen wie Podotrochlose abgestritten. Unzweifelhaft ist eine selektive Wirkungsweise dieses Medikamentes an den distalen Gliedmaßen wie es immer wieder zu hören war schlicht Mumpitz. Unbestritten ist unter Pferdetierärzten/innen jedoch auch die Wirksamkeit gerader dieser Substanz. Ob dies auf die gefäßerweiternde Wirkung oder einer noch nicht erforschten analgetischen Nebenwirkung beruht, sei dahingestellt. Tatsache ist jedoch, daß mit Isoxsuprin behandelte Pferde wieder anfingen zu lahmen, wenn das Medikament abgesetzt wurde. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Ausnahmen zur Anwendung als Tokolytikum auf die Behandlung von Lahmheiten beim Pferd auszudehnen wie dies beim Clenbuterol und den Atemwegserkrankungen des Pferdes geschah. Statt dessen wurde diese Anwendung explizit verboten. Wenn man bedenkt, wie viele Arzneimittel mit ungesicherter Wirkung zugelassen sind, war die ungehaltene Reaktion der in der Pferdemedizin tätigen auf das Verbot auch dieses Medikamentes verständlich.
  8. Clenbuterol
    Auch Clenbuterol fällt unter das unter 8. genannte Verbot. Es ist dankenswerterweise zur Behandlung von Atemwegserkrankungen erhalten geblieben. Eine Verwendung beim Pferd für andere Indikationen ist explizit verboten. (Die Firma Boehringer, Ingelheim hat extra Aufkleber auf ihren Ventipulmindosen, auf denen auf dieses Verbot separat hingewiesen wird.) Es steht nur zu hoffen, daß eines der wichtigsten Therapeutika nicht durch die neuesten Kälberskandale doch noch in der Illegalität verschwindet.
  9. Xylazin
    Wenn nicht bis zum Jahr 2000 die Auflagen zur Festsetzung eines MRL erfüllt werden, läuft die Zulassung für Xylazin aus. Xylazin ist ein ähnlicher Fall wie Phenylbutazon. Schon seit geraumer Zeit beherrschen die preisgünstigen Generika den Markt. Die „großen“ Pharmafirmen haben kein Interesse an weiteren Investitionen. Ein ähnliches Konkurrenzprodukt wie dies beim Phenylbutazon das Flunixin ist, steht auch hier schon bereit. Detomidin (Domosedan) ist erheblich teurer und hat zudem den entscheidenden Nachteil, daß die Sicherheit der Sedation vom Kopf zum Schwanz hin abfällt. Ist das Domosedan das Mittel der Wahl, will man Manipulationen am Kopf durchführen, so ist vom Gebrauch bei Manipulationen am Hinterteil des Pferdes abzuraten. Es kann zu unkontrollierten Abwehrbewegungen kommen und zwar auch bei Pferden, die sonst lammfromm sind. Ich selbst habe so einen Fall gesehen, und ich würde nur ausgesprochen ungern im nächsten Jahrtausend auf den Einsatz von Xylazin zur Sedation verzichten. Alle anderen bereits eingeführten Sedativa sind entweder von der sedativen oder der analgetischen Kompetenz dem Xylazin unterlegen.
  10. Thiobarbiturate
    Wenn nicht bis zum 1.1.2000 ein MRL festgesetzt werden kann, entfällt auch die Zulassung von Thiobarbituraten (Standardtherapeutikum zum Ablegen von Pferden, kann heutzutage durch Xylazin/Ketamin ersetzt werden), Vitamin A, Vitamin D und Cortisol.
  11. Metamizol
    Metamizol gehört erfreulicherweise (noch) nicht in diese Aufzählung. Zwar sollte es mangels MRL-Wertes ebenfalls verboten werden, aufgrund einer fehlerhaften Deklaration wurde dieses Verbot jedoch nicht wirksam. Metamizol ist zur Kolikbehandlung beim Pferd besonders geeignet, weil es eine analgetische und spasmolytische Wirkung hat, ohne wie das Parasympatholytikum N-Butylscopolamin (Buscopan) eine völlige Ruhigstellung des Darmes zur Folge zu haben. Es ist für alle Kolikformen einzusetzen. Bei Verstopfungskoliken und mit Einschränkungen auch bei Gaskoliken können unter der abschirmenden Wirkung des Metamizols milde darmanregende Wirkstoffe zur Therapie verwendet werden. Diese würden durch N-Butylscopolamin neutralisiert werden. Auch Flunixin-Meglumin (Finadyne) ist kein Ersatz. Flunixin fehlt die spasmolytische Wirkung. Die analgetische Wirkung ist dagegen so stark, daß bei anderer als „low-dose“ Therapie, Symptome eines Ileus überdeckt werden können. Darüberhinaus verursacht Flunixin erheblich leichter Läsionen an der Darmschleimhaut, was in der Kolikbehandlung natürlich unerwünscht ist.