Desire to go

Tierschutz und Schlittenhundesport

von Wolfram Schön

aus Veto 48 – 2000, S. 42-45

Die Zucht hat aus dem Allroundtalent Wolf zahlreiche hochspezialisierte Gebrauchshunderassen entstehen lassen, die nicht nur von ihrem Exterieur sondern auch von ihrem Verhaltensmuster an die jeweilige Aufgabe angepaßt sind. Die artgerechte Haltung von Gebrauchshunden erfordert, daß auch diesen Bedürfnissen Rechnung getragen wird, indem ursprüngliche (z.B. Hütearbeit) oder zumindest vergleichbare Aufgaben (z.B. Agility) angeboten werden. 

Schlittenhunden sind Laufhunde, was sich auch in ihrer Verhaltensontogenese widerspiegelt. So sind Siberian Husky-Welpen erheblich früher als Welpen anderer Hunderassen bzw. Wolfswelpen zu koordinierten Bewegungsmustern fähig (ALTHAUS 1982). 

Dem Rassemerkmal Bewegungsbedürfnis („desire to go“) muß eine artgerechte Haltung Rechnung tragen. Die „normale“ Haltung als Begleithund, der zweimal am Tag an kurzer Leine zum nächsten Grünstreifen ausgeführt wird, führt bei Schlittenhunden nicht selten zu Verhaltensstörungen (v.a. destruktives Verhalten). Die Besitzer geben solche Tiere häufig im Alter von 8-12 Monaten ab, nicht selten mit der Endstation Tierheim. 

Zu den Schlittenhunden zählen die FCI-anerkannten Rassen Siberian Husky, Alaskan Malamute, Samojede und Grönlandshund, während der Kanadische Eskimohund ausschließlich vom Canadian Kennel Club anerkannt wird. Schlittenhunde haben ihre Funktion als Arbeitstiere der arktischen Subsistenzwirtschaft weitgehend verloren. Teilweise wurden auch die halbnomadischen Kulturen der Inuit oder der ostsibirischen Tschuktschen zerstört, sodaß dort die Basis der Hundezucht verloren gegangen ist. Jedoch sind Samojeden, Alaskan Malamutes, Siberian Huskies und Grönlandshunde als alte Haustierrassen Kulturgüter der Menschheit und damit erhaltenswert. 

Daneben gibt es Schlittenhunde ohne registrierte Zucht, die traditionell als Alaskan Huskies bezeichnet werden. Ursprünglich waren hiermit die Hunde der Ureinwohner gemeint (synonym: „Indian Dogs“), inzwischen wird der Begriff für die Gebrauchskreuzungen aus nordischen Hunden, Windhunden oder Jagdhundrassen verwendet, die eigens für den Schlittenhundesport gezüchtet werden. Deren Exterieur und Fellbeschaffenheit unterscheidet sich teilweise jedoch stark von den Hunden arktischer Herkunft. 

Schlittenhundesport 

Schlittenhunderennen sind keine Erfindung des weißen Mannes, sie wurden bereits von der Urbevölkerung Ostsibiriens durchgeführt. So wurde bei den Korjaken das unterlegene Team nach dem Rennen komplett den Göttern geopfert… Zu Beginn des 20. Jahrhunderts organisierten die Goldgräber in Alaska Schlittenhunderennen, und von dort breitete sich der Sport nach Kanada und die südlichen Staaten der USA aus. 

Der Schlittenhundesport wird seit Anfang der siebziger Jahre auch in Europa betrieben. Innerhalb von etwa zwanzig Jahren sind die Rennen von Veranstaltungen weniger Enthusiasten zu Medienereignissen geworden, die von Futterfirmen oder auch Wintersportorten zu Werbezwecken genutzt werden. Die Rennen werden in verschiedenen Disziplinen durchgeführt (Sprint ca. 8-20 km, Middle Distance ca. 40 km, Longtrail 70km und mehr), gestartet wird in verschiedenen Klassen ( je nach Anzahl der Hunde). Eine Sonderform ist der Skandinaviersport, bei dem ein bis drei Hunde einen Lastenschlitten ziehen, gefolgt vom Musher (Hundeführer) auf Langlaufskiern. Nach dem Vorbild des Iditarod in Alaska werden auch in Europa mehrtägige Etappenrennen veranstaltet (z.B. TransThüringia, Scandream). Im Gegensatz zu den USA, wo z.T. fünfstellige Dollarbeträge als Preisgelder winken, haben die europäischen Rennen keinen kommerziellen Charakter. Weniger bekannt ist der Tourensport, der jedoch der ursprünglichen Verwendung der Hunde am nächsten kommt. Hier geht es um die Überwindung mittlerer Distanzen z.T. mit Lasten, jedoch ohne Wettkampfcharakter. Schneerennen sind bei uns, abhängig von der Wetterlage, nur in Mitteloder Hochgebirgslagen möglich, sodaß die Mehrzahl der Rennen mit speziellen Trainingswagen veranstaltet wird. Schlittenhundesportler sind in einer Vielzahl von Vereinen organisiert, wobei eine „offene“ und eine „reinrassige“ Szene unterschieden werden kann. 

Haltung 

Schlittenhunde werden meist in größerer Anzahl gehalten, wobei in Großzwingern Nordamerikas hundert Hunde und mehr zu finden sind. Ein Zwingerbau ist in den abgelegenen Regionen oft nicht möglich, auch kann eine Umzäunung infolge starker Schneefälle unwirksam werden. Dort hat sich eine Haltungsform etabliert, bei der der Hund an einem Pfahl mit Kette befestigt ist. Die Bewegungsmöglichkeit ist gering, wichtige soziale Körperkontakte zwischen den Tieren sind nicht möglich. Dennoch gab es in der Schlittenhundeszene Veröffentlichungen, die diese Haltungsform unkritisch befürworteten. 

Bei uns ist die Haltung von Schlittenhunden aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur in Zwingern möglich. Der Zwingerhaltung haftet ein schlechter Ruf an, da es z.B. bei der Einzelhaltung von Wachhunden zur sozialen Deprivation der Tiere kommen kann. Diese Gefahr ist jedoch bei einer Gruppenhaltung von Schlittenhunden nicht gegeben, da die Tiere ihre sozialen Verhaltensmuster ausleben können. 

Das mitteleuropäische Klima stellt für die Hunde kein Problem dar, erforderlich ist jedoch neben der vorgeschriebenen Hütte eine Teilüberdachung als Witterungsschutz (Schatten im Hochsommer!). Die Umzäunung muß Kletter- wie Untergrabeversuchen standhalten, da der Jagdtrieb freilaufender Schlittenhunde für Haus- oder Wildtiere gefährlich werden kann. Der Zwinger muß eine angemessene Größe haben, zusätzlich ist den Hunden eine Auslaufmöglichkeit zu bieten. 

Die Teilnahme an Schlittenhunderennen ist ein sehr kosten- und zeitintensives Hobby, besonders wenn man der Faszination eines großen Teams erlegen ist. Vereinzelt unterschätzen Musher dabei die hohen Folgekosten und den erheblichen Zeitbedarf. Hier kann es zu tierschutzrelevanten Bedingungen kommen, wenn etwa Unterbringungs- und/oder Transportmöglichkeiten der gestiegenen Hundezahl nicht mehr angemessen sind. Wenn die Versorgung eines großen Teams sämtliche verfügbare Zeit der Familie oder Lebensgemeinschaft beansprucht, führt jede Änderung der Lebenssituation z.B. durch berufliche Veränderung, Trennung etc. zu massiven Problemen und nicht selten dazu, daß ganze Teams abgegeben werden. 

Transport von Schlittenhunden 

Meist werden die Hunde in selbstgebauten Boxenaufbauten auf Kleinlastern, Pick-Ups bzw. Pkw-Anhängern zu den Rennen transportiert. Gesetzliche Anforderungen an den Transport bestehen nicht, da die Tierschutztransportverordnung nur für den gewerblichen Bereich gilt. In den Boxen müssen die Hunde aufrecht stehen können, jedes Tier muß ausreichend Platz zum Liegen haben. Wegen der größeren Verletzungsgefahr bei Notbremsungen bzw. Unfällen sollten die Boxen andererseits nicht zu groß bemessen sein. Der Boden muß rutschfest und griffig sein, damit Fahrzeugbewegungen abgefangen werden können. 

Hundetransporter. Bild: Wolfram Schön.

Doppelte oder isolierte Außenwände sind notwendig, um die Kondensation der Luftfeuchtigkeit zu verhindern. Die Boxen müssen ausreichend, aber zugfrei belüftet werden, dabei dürfen Feuchtigkeit oder Abgase nicht eindringen. Die Trennwände zwischen den Boxen sollten geschlossen sein, um Zugluft und sozialen Streß durch Rangdruck zu vermeiden. Da die Hunde am Rennplatz zeitweise auch in den Boxen untergebracht werden, ist eine Sichtmöglichkeit nach außen notwendig. 

Ein Gebrauch von Lieferfahrzeugen mit Transportregalen, die zur Mitte offen sind, ist als tierschutzwidrig abzulehnen, da die Hunde z.T. mit kurzen Anbindeketten fixiert werden. Damit besteht keinerlei Bewegungsmöglichkeit und eine erhebliche Verletzungsgefahr (bis hin zur Strangulation) bei Notbremsungen oder Unfällen. 

Durchführung von Schlittenhunderennen 

Am Rennort werden die Hunde meist an einem „StakeOut“ untergebracht. Dies ist eine zwischen zwei Pflöcken befestigte Kette oder ein Stahlseil, mit kurzen Seitenketten in regelmäßigen Abständen, an denen die Hunde per Halsband angebunden sind. Ketten haben den Vorteil, daß sie im Gegensatz zu Stahlseilen keine Schlaufen bilden, die sich leicht um Gliedmaßen der Hunde wickeln können.Wird das „Stake-Out“ direkt am Fahrzeug befestigt, können oftmals nur sehr kurze Einzelketten verwendet werden, die diese Bedingungen nicht erfüllen.Die Länge der Einzelketten am Stake-Out müssen so bemessen sein, daß die Hunde unbehindert stehen, liegen und Kontakt zum Nachbartier aufnehmen können. Das Reglement sieht eine tierärztliche Kontrolle vor, bei dem kranke oder leistungsgeschwächte Hunde vom Start ausgeschlossen werden können. Jegliche Zwangsmittel sind bei Rennen verboten. Wenn Hunde aus dem Rennen genommen werden müssen, werden sie auf dem Schlitten zum Ziel zurückgebracht. Steigt die Außentemperatur auf 15° Celsius, sind die Rennen abzubrechen, um der Gefahr einer Überhitzung der Hunde zu entgehen. Wie in jeder Sportart mit Tieren, kann falscher Ehrgeiz dazu führen, daß an Rennen teilgenommen wird, auf die die Tiere nicht entsprechend vorbereitet wurden. 

Stake-Out. Bild: Wolfram Schön.

Tierrechtler 

Eine Gruppe von Tierrechtlern lehnt den Schlittenhundesport grundsätzlich ab und versucht auf großen Rennen Aufmerksamkeit durch Flugblatt- oder Störaktionen zu erreichen. Ihre Publikationen versuchen bei den Besuchern den Eindruck zu erwecken, daß die Unterbringung am Rennort in Boxen bzw. Stake-Out (Kettenhunde!) der ständigen Haltung der Tiere entspricht. Auch würden die Hunde nur durch Zwang zum Laufen gebracht, ein Vorwurf, der kaum nachvollziehbar ist, wenn man einmal die Ungeduld von Hundeteams am Start erlebt hat. Diese Positionen beeinflußten einen Bericht in dem ARD-Magazin REPORT (Mai 98) unter dem Titel „Formel eins auf vier Pfoten“. Dort wurde per verdecktem Interview von tierschutzrelevanten Trainingsmethoden (angeblich auf Laufbändern im Keller bzw. mit Teletakt) berichtet, wobei diese Hunde aber nicht auf Rennen zum Einsatz kämen. Für welchen Zweck sie dann eigentlich trainiert werden, blieb offen. Auch wurde beklagt, daß Alaskan Huskies auf einem Rennen angeblich vor Kälte zittern, während der Renntierarzt von Problemen mit Überhitzung berichtete. Diese und etliche andere Ungereimtheiten lassen erhebliche Zweifel an der journalistischen Qualität des Berichtes aufkommen. Auch wenn die angeführten Behauptungen leicht zu widerlegen sind, kann der Schlittenhundesport diese Kritik nicht einfach ignorieren. 

Initiativen im Bereich von Schlittenhundesport und – haltung 

Nicht immer ist die Haltung von Schlittenhunden artgerecht: Ursache dafür ist sowohl der Einzelhundebesitzer, der sich mit einem blauäugigen Husky als schickem Accessoire schmückt, wie auch der Hundesportler, der in seinen Tieren so etwas wie belebte Sportgeräte sieht. Die letztgenannte Grundhaltung ist nicht „schlittenhundespezifisch“, sondern in ähnlicher Weise überall dort zu finden, wo Sport mit Tieren betrieben wird. Hier sind die Sport- und Zuchtverbände gefordert. Ungeachtet der Tatsache, daß ungerechtfertigte Kritik zurückzuweisen ist, genügt in den übrigen Fällen keinesfalls der Hinweis auf die berühmten „Schwarzen Schafe“. Die Verbände werden daran gemessen werden, welche Maßnahmen sie konkret ergreifen, um tierschutzwidrigen Zuständen zu begegnen. 

Tierschutzarbeit im Bereich des Schlittenhundesportes kann nur erfolgreich sein, wenn sie zwei Aufgaben ernst nimmt: Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung über die ethologischen Bedürfnisse von Schlittenhunden, sowie Sanktionsmöglichkeiten. Ein Rennreglement, das irgendwo und unverbindlich das „tierschutzgerechte Auftreten des Mushers“ fordert, ist als unzulänglich einzustufen. Aber auch ausgeklügelte Tierschutzbestimmungen allein schaffen keine besseren Zustände, wenn ihre Bedeutung nicht auch nach außen vermittelt wird. Insofern ist bei der Durchsetzung Sachverstand und kein „Zollstocktierschutz“ gefragt. Letzterer hätte eine fatale Auswirkung auf die notwendige Einsicht unter den Schlittenhundesportlern. Wer jedoch Tierschutzanforderungen in gravierender Weise mißachtet, muß auch mit einem Startverbot rechnen. Ebenso genügt es nicht, Mindestanforderungen an die Haltung in Zuchtzwingern zu verabschieden, wenn diesen nicht durch entsprechende Sanktionen gegen unwillige Mitglieder auch Nachdruck verliehen werden kann. 

ISDVMA 

Die International Sled Dog Veterinarian Medical Association sammelt und verbreitet veterinärmedizinische und andere wissenschaftliche Erkenntnisse, die für den Schlittenhundesport relevant sind. Dies geschieht durch regelmäßige Publikationen, wie auch durch Fortbildungsveranstaltungen für Tierärzte. Tierärzte der ISDVMA stellen bei den großen Rennen in Alaska (Iditarod) die medizinische Versorgung in den Checkpoints sicher und haben das Recht, Hunde aus dem Rennen zu nehmen. 

Mush with P.R.I.D.E. 

Nach amerikanischem Vorbild entstand diese Initiative der großen Schlittenhundesportverbände (DSSV, AGSD, TCE) und des SHC. Sie hat eine Tierschutzbroschüre (Verantwortungsbewußt leben mit Schlittenhunden) herausgegeben, die sowohl Grundinformationen für Zuschauer bei Rennen bietet, wie auch detaillierte Tierschutzanforderungen beschreibt. Dabei nehmen Transport, Haltung am Rennort sowie das Rennen selbst einen breiten Raum ein. Aber auch Haltung, Sozialansprüche, Erziehung und Gesundheitsvorsorge werden behandelt. Auch Fortbildungsveranstaltungen für Schlittenhundesportler werden organisiert. Als ersten Erfolg hat die ESDRA die Broschüre zum Teil ihres Rennreglements gemacht. Die ESDRA hat darüber hinaus eigene „Animal Welfare Judges“ ausgebildet, die auf den Rennen die Einhaltungen der Tierschutzbedingungen überwachen sollen. Die Anforderungen von Mush with P.R.I.D.E. müssen als verbindlicher Teil des Reglements durchgesetzt und auch nach außen vermittelt werden. Da nicht wenige Rennen internationale Beteiligung haben und auch hier ein einheitliches Niveau des Tierschutzes unabdingbar ist, müssen die Anforderungen über die nationalen Verbände zu deren Mitgliedern transportiert werden. 

Die Frage ist, welche Auswirkungen der Schlittenhundesport, ungeachtet der Faszination für den Menschen, auf die Hunde hat. Da Schlittenhunde (v.a. Siberian Huskies) in größerer Zahl in Deutschland verbreitet sind, muß auch eine artgemäße Beschäftigung für diese Hunde geschaffen werden. Zu ihren typischen Eigenschaften gehört jedoch nicht nur ihr charakteristisches Exterieur, sondern auch die Fähigkeit, angepaßt an ihren Lebensraum, für den Menschen eine Arbeitsleistung erbringen zu können. Wird diese als gleichrangiges Zuchtziel gesehen, findet zudem eine Selektion auf Vitalität statt. 

Daher sind Zuchtfehler, wie z.B. die Hüftgelenksdysplasie, bei Schlittenhunden wesentlich seltener als bei anderen Rassen. Um diese Arbeitsfähigkeit zu erhalten, gibt es zum Renn- oder Tourensport keine Alternative. Nicht zuletzt deshalb haben Zuchtverbände Leistungsprüfungen als Teil der Zuchtzulassung etabliert. 

Der Schlittenhundesport bedarf jedoch intensiver Tierschutzaktivitäten der Verbände. Es wäre jedoch zu wünschen, daß sich alle Organisationen daran beteiligen. Nur so kann der notwendige hohe Standard flächendeckend erreicht werden. 

Abkürzungsverzeichnis 

FCI – Federation Canine International
SHC – Siberian Husky Club
AGSD – Arbeitsgemeinschaft Schlittenhundesport Deutschland
DSSV – Dt. Schlittenhundesportverband
ESDRA – European Sleddog Racing Association
TCE – Trail Club of Europe
Mush with P.R.I.D.E – Providing Responsible Information on a Dogs Environment 

Hormonpolitik – Neue Debatte auf EU Ebene

von Bernd-Alois Tenhagen, Wolfram Schön, Anita Idel, Matthias Wolfschmidt

aus Veto Nr. 40 – 1996, S. 6-7

Was tun mit Ochsen, die so gar keinen maskulinen Habitus annehmen wollen, einfach nur langbeinig und knochig werden? Die für Suppenfleisch erzielten Preise sind so toll nicht. Nicht kastrieren ist auch nicht so schön weil dann zum maskulinen Habitus die mannhafte Streitbarkeit kommt und zahm sollen sie ja schon sein.

Kein Problem eigentlich. Die pharmazeutische Industrie hält für dieses Problem diverse Lösungen bereit. Nur daß diese Lösungen, „natürliche“ und synthetische Steroidhormone, bisher in der BRD und der gesamten EU verboten sind, oder vielleicht waren? Es gibt da nämlich ein Problem. Die EG (damals hieß sie noch so) hat 1988 den Einsatz dieser Stoffe als Masthilfsmittel verboten. Vordergründig aus gesundheitlichen, d.h. verbraucherschützerischen Gründen. Zu unterstellen, daß mit dem Verbot des Einsatzes dieser Stoffe auch die teilweise Abschottung Europas gegen Rindfleischimporte aus Drittstaaten (nicht EG-Staaten) bezweckt war, setzt nur mittelmäßige Boshaftigkeit voraus.

Das sehen diese Drittstaaten (nicht zuletzt die Leute von der Shiloh Ranch, USA) auch so. Sie halten das Verbot für ein nicht-tarifäres Handelshemmnis und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind igittigitt. 1989 reagierten sie schlicht mit Strafzöllen auf europäische Agrarprodukte, die auch heute noch erhoben werden. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wenn sich ein paar Cowboys über europäischen VerbraucherInnenschutz ärgern. Sollen sie doch. Das ging ja auch fast 8 Jahre gut (seit 1988 eben).

Jetzt soll das anders werden. Nicht tarifäre Handelshemmnisse sind nicht nur igittigitt, sie sind seit einem GATT-Abkommen von 1993 (GATT=General agreement on tarifs and trade) verboten und justitiabel. Eben darauf beruft sich die amerikanische Regierung, die natürlich liebend gern Rindfleisch im großen Stil auf den europäischen Markt bringen möchte. Wenn die EU sich dagegen wehrt, so sicherlich nicht nur aus moralischen Gründen. Schließlich hieß der Verein zu Beginn Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Nichtsdestotrotz ist zu fragen: Was hat es auf sich mit dem Verbot der „Stoffe mit pharmakologischer Wirkung“ (so der Titel der in der BRD gültigen Rechtsverordnung zum Thema)? Was, außer handelspolitischen Gründen, spricht für die Beibehaltung des Verbots?

Vordergründig geht es in dem Streit zwischen EU und USA nur um das Verbot der Einfuhr dieses Fleisches. Wenn aber erlaubt wird, solches Fleisch einzuführen, wird es schwierig, das Verbot des Einsatzes in der EU noch zu rechtfertigen.

In der Öffentlichkeit wird vorwiegend mit gesundheitspolitischen Gründen argumentiert. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, denn die Vorstellung über ein saftiges Steak sein Geschlechtsleben nachhaltig zu beeinflussen, schreckt gleichermaßen diejenigen, die diesen Bereich tabuisieren, wie diejenigen, die es zu einem nicht eben unwichtigen Bereich ihrer Persönlichkeit zählen. So fällt das Schüren von Sorge bis hin zur Panik nicht sonderlich schwer.

Neue Munition hat diese Sorge sicherlich auch noch mal durch die ins Gerede geratenen „Pillen“ erhalten. Hormone beeinflussen nicht nur unsere Geschlechtlichkeit, sie sind auch noch gefährlich.

Natürlich argumentieren die Vertreter der Hormonlobby (schöner Kampfbegriff) dagegen. Das sei alles nicht so schlimm. Die Dosierung der Hormone sei so gering, daß eine Beeinflussung der Konsumentinnen auszuschließen sei. Daß die Firmen dabei auf den „ordnungsgemäßen Gebrauch“ der Stoffe abheben und dieser längst nicht immer zu gewährleisten ist, kompliziert die Sache nicht unerheblich. Aber auch die FDA (Food and Drug Administration, US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde) und das Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), halten die Gefährdung im Normalfall für gering. Auf UN-Ebene wurde beschlossen im „Codex Alimentarius“ Grenzwerte1 für die Hormone festzulegen. Dies unterstellt daß es eine Untergrenze für die Konzentration gibt, unter der Hormone keine (unerwünschte) Wirkung entfalten. Unterstützung in der Wissenschaft zu finden, fällt ihnen nicht sonderlich schwer, und das nicht nur aus ökonomischen Gründen (Wessen Brot ich ess….), sondern auch, weil der Nachweis von Nebenwirkungen relativ kompliziert ist, verglichen mit Wirkungen, weil die Fragestellung unpräziser ist. Gerade bei Hormonen die schon in kleinen Mengen in ein kompliziertes System von Regelmechanismen eingreifen, läßt sich der Nebenwirkungsnachweis schwer führen (s.a. VETO 34 und 35., Kronfeld 1994, Bultmann u. Schmithals 1994). Wissenschaftlerlnnen können aber nur solche Nebenwirkungen als gegeben annehmen, die sich auch nachweisen und einem Wirkstoff zuordnen lassen. „Es wurden keine Nebenwirkungen festgestellt“ heißt also in erster Linie, daß keine nachgewiesen wurden, nicht, daß es sicher keine gibt. Das kann eigentlich niemand definitiv sagen.

Allerdings kann mehr oder weniger intensiv nach ihnen geforscht werden. Und da hat es wohl in den USA bei der FDA eine gewisse Großzügigkeit bei der Zulassung der synthetischer Präparate gegeben (Hapke 1989). Wohlgemerkt, daß keine ausreichenden gentoxikologischen Studien zu diesen Medikamenten vorlagen, heißt nicht notwendigerweise, daß sie gentoxisch sind, sondern einfach nur, daß es (zumindest offiziell) niemand hinreichend genau weiß. 

Das ist ein Problem.

Ein anderes Problem ist, wie bei allen Wachstumsförderern, ein politisches: Wie wollen wir Lebensmittel erzeugen? Wollen wir Leistung um jeden Preis? Wie wirkt sich der Einsatz der Hormone auf die Landwirtschaftsstruktur und die soziale Lage der Bäuerlnnen aus. Wie auf die Tiergesundheit? Bei anderen Wachstumsförderern ist schon darauf hingewiesen worden, daß sie die beste Wirksamkeit unter suboptimalen Haltungs- und Fütterungsbedingungen entfalten. Aber selbst wenn Steroidhormone auch unter optimalen Bedingungen noch zu einer deutlichen Steigerung der „Leistung“ fahren – wollen wir diese Steigerung? Auf Fleischberge und volle Kühlhäuser bei gleichzeitig stark rückläufigem Fleischkonsum zu verweisen, mag ein Allgemeinplatz sein und Marktfetischistlnnen – vielleicht nicht zu Unrecht – argumentieren, der Markt werde das schon regeln … Nur: für wen? Fest steht: eine gesellschaftliche Notwendigkeit (z.B. wegen Mangel an Fleisch) für Turbomast besteht nicht. Die Notwendigkeit kann aber betriebswirtschaftlich für die Mäster durchaus entstehen, nämlich dann, wenn sich der Einsatz der Hormone ökonomisch rechnet.

Ungeachtet der Frage der Sinnhaftigkeit des Hormoneinsatzes stellt sich die nach der Durchsetzbarkeit des Verbotes d.h. nach den Kräften, die für eine Zulassung oder doch zumindest Aufweichung des Verbotes sind und denen, die eben dies verhindern wollen.

Beide Gruppen sind heterogen. Auf der Seite der Hormonbefürworter findet sich aus verständlichen Gründen der Bundesverband für Tiergesundheit (hinter diesem NewspeakTerminus verbirgt sich die Pharmazeutische Industrie), die schon genannten Leute von der Shiloh-Ranch, aber auch Teile der westeuropäischen Fleischrinderproduzenten, besonders jene, die Fleisch unter extensiven (Weidehaltung) Bedingungen produzieren (Großbritannien, Irland, Frankreich). Sie erwarten sich von der Zulassung ökonomische Vorteile oder doch zumindest die Vermeidung von Nachteilen, wenn das Importverbot fällt.

Auf der Seite der Gegner finden sich neben der Agraropposition auch die Lobbyisten der kontinentalen Landwirtschaft, die natürlich die harte Konkurrenz der amerikanischen Feedots fürchten, die aber auch die Sensibilität der Verbraucherlnnen kennen, die allemal für verschiedene Boykottaktionen gut sind. Das internationale Handelsrecht ist auf Seiten der Amerikaner. Seine demokratische Legitimation ist zwar fraglich das ändert aber nichts an seiner Schlagkraft. Die Prüfung möglicher Zulassungsgründe, d.h. der Nachweis der Gesundheitsgefährdung wird nicht sehr einfach sein und Zeit brauchen. Als kleine Pikanterie am Rande wäre mit der Zulassung der Steroidhormone natürlich auch das rBST-Moratorium der EG in Frage gestellt (s. VETO 37), um das in der Öffentlichkeit so lange gestritten wurde, denn dieses unterliegt den selben gesetzlichen Bestimmungen. rPST, das Wachstumshormon für Schweine steht schon in den Startlöchern und auch andere Regelungen (Gen-Food, Pflanzenschutzmittel, technische Mindeststandards für Geräte und vieles andere mehr) müßten mittelfristig dem Primat der Weltökonomie weichen, wenn die schärferen Nonnen wissenschaftlich nicht einwandfrei zu rechtfertigen sind.

1 Grenzwerte sind politische Werte. Sie besagen nicht, wann ein Stoff keine Wirkung entfaltet, sondern welche Konzentrationen eines Stoffes politisch zu tolerieren sind. Einen interessanten Grenzwert-Poker gab es nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, als plötzlich die Grenzwerte für die maximale radioaktive Belastung von Lebensmitteln nach oben korrigiert wurden. Andere Beispiele sind die Werte der Milchgüteverordnung (Zellzahl und Keimzahl).