Hormonpolitik – Neue Debatte auf EU Ebene

von Bernd-Alois Tenhagen, Wolfram Schön, Anita Idel, Matthias Wolfschmidt

aus Veto Nr. 40 – 1996, S. 6-7

Was tun mit Ochsen, die so gar keinen maskulinen Habitus annehmen wollen, einfach nur langbeinig und knochig werden? Die für Suppenfleisch erzielten Preise sind so toll nicht. Nicht kastrieren ist auch nicht so schön weil dann zum maskulinen Habitus die mannhafte Streitbarkeit kommt und zahm sollen sie ja schon sein.

Kein Problem eigentlich. Die pharmazeutische Industrie hält für dieses Problem diverse Lösungen bereit. Nur daß diese Lösungen, „natürliche“ und synthetische Steroidhormone, bisher in der BRD und der gesamten EU verboten sind, oder vielleicht waren? Es gibt da nämlich ein Problem. Die EG (damals hieß sie noch so) hat 1988 den Einsatz dieser Stoffe als Masthilfsmittel verboten. Vordergründig aus gesundheitlichen, d.h. verbraucherschützerischen Gründen. Zu unterstellen, daß mit dem Verbot des Einsatzes dieser Stoffe auch die teilweise Abschottung Europas gegen Rindfleischimporte aus Drittstaaten (nicht EG-Staaten) bezweckt war, setzt nur mittelmäßige Boshaftigkeit voraus.

Das sehen diese Drittstaaten (nicht zuletzt die Leute von der Shiloh Ranch, USA) auch so. Sie halten das Verbot für ein nicht-tarifäres Handelshemmnis und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind igittigitt. 1989 reagierten sie schlicht mit Strafzöllen auf europäische Agrarprodukte, die auch heute noch erhoben werden. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wenn sich ein paar Cowboys über europäischen VerbraucherInnenschutz ärgern. Sollen sie doch. Das ging ja auch fast 8 Jahre gut (seit 1988 eben).

Jetzt soll das anders werden. Nicht tarifäre Handelshemmnisse sind nicht nur igittigitt, sie sind seit einem GATT-Abkommen von 1993 (GATT=General agreement on tarifs and trade) verboten und justitiabel. Eben darauf beruft sich die amerikanische Regierung, die natürlich liebend gern Rindfleisch im großen Stil auf den europäischen Markt bringen möchte. Wenn die EU sich dagegen wehrt, so sicherlich nicht nur aus moralischen Gründen. Schließlich hieß der Verein zu Beginn Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Nichtsdestotrotz ist zu fragen: Was hat es auf sich mit dem Verbot der „Stoffe mit pharmakologischer Wirkung“ (so der Titel der in der BRD gültigen Rechtsverordnung zum Thema)? Was, außer handelspolitischen Gründen, spricht für die Beibehaltung des Verbots?

Vordergründig geht es in dem Streit zwischen EU und USA nur um das Verbot der Einfuhr dieses Fleisches. Wenn aber erlaubt wird, solches Fleisch einzuführen, wird es schwierig, das Verbot des Einsatzes in der EU noch zu rechtfertigen.

In der Öffentlichkeit wird vorwiegend mit gesundheitspolitischen Gründen argumentiert. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, denn die Vorstellung über ein saftiges Steak sein Geschlechtsleben nachhaltig zu beeinflussen, schreckt gleichermaßen diejenigen, die diesen Bereich tabuisieren, wie diejenigen, die es zu einem nicht eben unwichtigen Bereich ihrer Persönlichkeit zählen. So fällt das Schüren von Sorge bis hin zur Panik nicht sonderlich schwer.

Neue Munition hat diese Sorge sicherlich auch noch mal durch die ins Gerede geratenen „Pillen“ erhalten. Hormone beeinflussen nicht nur unsere Geschlechtlichkeit, sie sind auch noch gefährlich.

Natürlich argumentieren die Vertreter der Hormonlobby (schöner Kampfbegriff) dagegen. Das sei alles nicht so schlimm. Die Dosierung der Hormone sei so gering, daß eine Beeinflussung der Konsumentinnen auszuschließen sei. Daß die Firmen dabei auf den „ordnungsgemäßen Gebrauch“ der Stoffe abheben und dieser längst nicht immer zu gewährleisten ist, kompliziert die Sache nicht unerheblich. Aber auch die FDA (Food and Drug Administration, US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde) und das Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), halten die Gefährdung im Normalfall für gering. Auf UN-Ebene wurde beschlossen im „Codex Alimentarius“ Grenzwerte1 für die Hormone festzulegen. Dies unterstellt daß es eine Untergrenze für die Konzentration gibt, unter der Hormone keine (unerwünschte) Wirkung entfalten. Unterstützung in der Wissenschaft zu finden, fällt ihnen nicht sonderlich schwer, und das nicht nur aus ökonomischen Gründen (Wessen Brot ich ess….), sondern auch, weil der Nachweis von Nebenwirkungen relativ kompliziert ist, verglichen mit Wirkungen, weil die Fragestellung unpräziser ist. Gerade bei Hormonen die schon in kleinen Mengen in ein kompliziertes System von Regelmechanismen eingreifen, läßt sich der Nebenwirkungsnachweis schwer führen (s.a. VETO 34 und 35., Kronfeld 1994, Bultmann u. Schmithals 1994). Wissenschaftlerlnnen können aber nur solche Nebenwirkungen als gegeben annehmen, die sich auch nachweisen und einem Wirkstoff zuordnen lassen. „Es wurden keine Nebenwirkungen festgestellt“ heißt also in erster Linie, daß keine nachgewiesen wurden, nicht, daß es sicher keine gibt. Das kann eigentlich niemand definitiv sagen.

Allerdings kann mehr oder weniger intensiv nach ihnen geforscht werden. Und da hat es wohl in den USA bei der FDA eine gewisse Großzügigkeit bei der Zulassung der synthetischer Präparate gegeben (Hapke 1989). Wohlgemerkt, daß keine ausreichenden gentoxikologischen Studien zu diesen Medikamenten vorlagen, heißt nicht notwendigerweise, daß sie gentoxisch sind, sondern einfach nur, daß es (zumindest offiziell) niemand hinreichend genau weiß. 

Das ist ein Problem.

Ein anderes Problem ist, wie bei allen Wachstumsförderern, ein politisches: Wie wollen wir Lebensmittel erzeugen? Wollen wir Leistung um jeden Preis? Wie wirkt sich der Einsatz der Hormone auf die Landwirtschaftsstruktur und die soziale Lage der Bäuerlnnen aus. Wie auf die Tiergesundheit? Bei anderen Wachstumsförderern ist schon darauf hingewiesen worden, daß sie die beste Wirksamkeit unter suboptimalen Haltungs- und Fütterungsbedingungen entfalten. Aber selbst wenn Steroidhormone auch unter optimalen Bedingungen noch zu einer deutlichen Steigerung der „Leistung“ fahren – wollen wir diese Steigerung? Auf Fleischberge und volle Kühlhäuser bei gleichzeitig stark rückläufigem Fleischkonsum zu verweisen, mag ein Allgemeinplatz sein und Marktfetischistlnnen – vielleicht nicht zu Unrecht – argumentieren, der Markt werde das schon regeln … Nur: für wen? Fest steht: eine gesellschaftliche Notwendigkeit (z.B. wegen Mangel an Fleisch) für Turbomast besteht nicht. Die Notwendigkeit kann aber betriebswirtschaftlich für die Mäster durchaus entstehen, nämlich dann, wenn sich der Einsatz der Hormone ökonomisch rechnet.

Ungeachtet der Frage der Sinnhaftigkeit des Hormoneinsatzes stellt sich die nach der Durchsetzbarkeit des Verbotes d.h. nach den Kräften, die für eine Zulassung oder doch zumindest Aufweichung des Verbotes sind und denen, die eben dies verhindern wollen.

Beide Gruppen sind heterogen. Auf der Seite der Hormonbefürworter findet sich aus verständlichen Gründen der Bundesverband für Tiergesundheit (hinter diesem NewspeakTerminus verbirgt sich die Pharmazeutische Industrie), die schon genannten Leute von der Shiloh-Ranch, aber auch Teile der westeuropäischen Fleischrinderproduzenten, besonders jene, die Fleisch unter extensiven (Weidehaltung) Bedingungen produzieren (Großbritannien, Irland, Frankreich). Sie erwarten sich von der Zulassung ökonomische Vorteile oder doch zumindest die Vermeidung von Nachteilen, wenn das Importverbot fällt.

Auf der Seite der Gegner finden sich neben der Agraropposition auch die Lobbyisten der kontinentalen Landwirtschaft, die natürlich die harte Konkurrenz der amerikanischen Feedots fürchten, die aber auch die Sensibilität der Verbraucherlnnen kennen, die allemal für verschiedene Boykottaktionen gut sind. Das internationale Handelsrecht ist auf Seiten der Amerikaner. Seine demokratische Legitimation ist zwar fraglich das ändert aber nichts an seiner Schlagkraft. Die Prüfung möglicher Zulassungsgründe, d.h. der Nachweis der Gesundheitsgefährdung wird nicht sehr einfach sein und Zeit brauchen. Als kleine Pikanterie am Rande wäre mit der Zulassung der Steroidhormone natürlich auch das rBST-Moratorium der EG in Frage gestellt (s. VETO 37), um das in der Öffentlichkeit so lange gestritten wurde, denn dieses unterliegt den selben gesetzlichen Bestimmungen. rPST, das Wachstumshormon für Schweine steht schon in den Startlöchern und auch andere Regelungen (Gen-Food, Pflanzenschutzmittel, technische Mindeststandards für Geräte und vieles andere mehr) müßten mittelfristig dem Primat der Weltökonomie weichen, wenn die schärferen Nonnen wissenschaftlich nicht einwandfrei zu rechtfertigen sind.

1 Grenzwerte sind politische Werte. Sie besagen nicht, wann ein Stoff keine Wirkung entfaltet, sondern welche Konzentrationen eines Stoffes politisch zu tolerieren sind. Einen interessanten Grenzwert-Poker gab es nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, als plötzlich die Grenzwerte für die maximale radioaktive Belastung von Lebensmitteln nach oben korrigiert wurden. Andere Beispiele sind die Werte der Milchgüteverordnung (Zellzahl und Keimzahl).

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