Arzneimittelrecht und Irrsinn
Eigentlich sollten wir zufrieden sein. Alle Welt schreibt jetzt von Resistenzen, Arzneimittelmißbrauch, Rückstandsproblematiken und vielen anderen Stichworten mehr, mit denen wir uns seit Jahren beschäftigen, wie eine unendliche Geschichte von Artikeln in der VETO belegt (incl. Pharma-Sonderheft von 1985!). Neu ist die Problematik mitnichten, gehörte die Novellierung des Arzneimittelrechts doch schon vor 8 Jahren zum Standard der AVO Vorlesungen im Studium.
Die mittlerweile recht zügige Umsetzung dieser arzneimittelrechtlichen Bestimmungen, die schon ein paar Jahre alt sind, hat die Tierärzteschaft und die Öffentlichkeit in einige Verwirrung gestürzt. Therapienotstand schreien die einen – und meinen damit die erzwungene Abkehr von gewohnten Pfaden. Ein Verbot der Antibiotika in der Tiermast fordern andere, zuletzt die Agrarminister der Länder in Jena (wie die taz am 18.09.98 unter Berufung auf Bärbel Höhn, Ministerin für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen berichtete). Anlaß war der Tod einer Frau in Dänemark, die sich mit multiresistenten Salmonellen infiziert hatte. Solche Vorkommnisse wurden allerdings auch schon 1984 im New England Journal of Medicine berichtet.
„Rettet die armen Pferde“ fordert der Spiegel. Pferde sind lebensmittelliefernde Tiere, neben anderen gesellschaftlichen Funktionen als Statussymbol, Spielzeug, Sportgerät etc. Mithin greifen alle gesetzlichen Regelungen, die für die skandalträchtigen „Nutztiere“ – Schweinemastfabriken, Hormonkälber, Hühner-KZs, Puten als wandelnde Apotheken – gelten, auch bei ihnen. Und das ist schade, weil Pferde doch so schrecklich viel empfindsamer sind als Schweine. Es gibt in der Öffentlichkeit derzeit viele klare Forderungen nach klaren Regelungen, nur daß diese sich leider widersprechen.
Diese VETO ist der Versuch, ein wenig Licht ins Dunkel der widerstreitenden Ansprüche zu bringen. Damit ist sie einerseits bestrebt, scheinbar eindeutige Notwendigkeiten ihrer Eindeutigkeit zu berauben, andererseits versucht sie primär unüberbrückbare Gegensätze zu überbrücken – und nicht zu untertunneln wie es seit Jahren gängige Praxis ist. Die VETO kann dabei auf eine lange Geschichte der Aufklärungsversuche verweisen, die zeigen, daß die Problematik nicht neu ist und daß es auch jenseits romantischer „Heile Welt Szenarien“ durchaus Optionen für eine andere rationalere Tierhaltung und eine rationalere Arzneimitteltherapie gibt. Nur sind diese natürlich etwas schwieriger zu vermitteln als eindeutige Verbotsforderungen.
Wer über Arzneimitteleinsatz – rationalen, mißbräuchlichen und überflüssigen – diskutieren möchte, darf von verschiedenen anderen Dingen nicht schweigen. Von der Tierhaltung, von der Struktur der Landwirtschaft, von ökonomischen Zwängen, denen LandwirtInnen, TierärztInnen und die lebensmittelverarbeitende Industrie sich ausgesetzt sehen, vom Tierschutz, von zweierlei Maß bei Tieren, die als Lebensmittel dienen einerseits und solchen die zum Spaß oder als Sozialpartner gehalten werden andererseits. Nicht zuletzt von der Wechselwirkung zwischen humanmedizinischen Problemen und tiermedizinischen Problemen und wohl noch von vielem anderen mehr. Es sind diese Rahmenbedingungen, über die zu diskutieren ist. Die isolierte Diskussion über Buscopan compositum® bei der Kolik des Pferdes lenkt mehr vom Thema ab, als daß sie zu seiner Klärung beiträgt. Auch wenn das natürlich die Frage ist, an der sich die Gemüter erhitzen.
Der Segen der derzeitigen Probleme ist, daß sie offenkundig werden. Wenn Sportärzte bei Pferden feststellen, daß sie selbstredend bei ihren gängigen Therapien immer mit einem Bein im Gefängnis stehen, sollte uns das schon zu denken geben. Ist doch der Pferdesektor in den letzten Jahren, außer vielleicht im Rahmen von Tiertransporten, nie als skandalträchtig in Erscheinung getreten. Über die Auswirkungen der nun in Kraft getretenen Regelungen für die Pferdemedizin berichtet Viola Hebeler auf Seite18.
Was liegt näher als von der Überregulierung zu sprechen, von der Regelungswut der Eurokraten, von überzogenem Verbraucherschutz, der die Therapie kranker Tiere unmöglich mache. Matthias Link hat schon in der letzten VETO (VETO 45, S. 19) darauf hingewiesen, daß viele Arzneimittel nicht vom Markt verschwinden, weil sie gesundheitliche Risiken bergen, sondern weil es ökonomisch für die Hersteller dieser Arzneimittel keinen Sinn macht, diesen eine neue Zulassung zu verschaffen. Die Kosten dieses Zulassungsverfahrens trüge nach geltendem Recht
einer, den Nutzen hätten aber alle anderen auch. Da läßt sich wohlfeil auf die böse gewinnsüchtige Industrie schimpfen, aber das ist ihre Funktion in dieser Gesellschaft.
Aber nicht nur bei der Nachzulassung von Arzneimitteln spielen ökonomische Zwänge eine erhebliche Rolle, auch beim Einsatz zugelassener Arzneimittel. Damit sich nämlich die Investitionen für die Zulassung so richtig lohnen, muß das Arzneimittel nach der Zulassung auch im großen Stil eingesetzt werden. So wird das neue, zunächst hochwirksame Antibiotikum gegen alles und jedes propagiert und ist im konkreten Fall auch immer eine gute Wahl, denn mit Kanonen kann man in Spatzenschwärmen Verheerungen anrichten. Dummerweise steigt aber mit dem massiven Einsatz – auch nach erfolgtem Antibiogramm – das Risiko der Resistenzausbildung bei den Erregern, selbst im hypothetischen Fall eines lege artis Einsatzes. Damit wird das Antibiotikum dann irgendwann nicht mehr das Mittel der Wahl sein. Im günstigen Fall fällt dies mit dem Ablauf des Patentschutzes zusammen.
Ob die neuen Regelungen zu einem Strukturwandel im Tierarzneimittelsektor führen werden, bleibt abzuwarten. Mitleid mit den „kleinen“, die den Markt mit preisgünstigen Generika erfreuen, ist kaum geboten, hinderte sie doch niemand daran, ihrerseits als Zusammenschluß die Nachzulassung dieser Stoffe zu betreiben.
Rationale Arzneimitteltherapie
Rationale Arzneimitteltherapie heißt nicht nur, immer brav einen Resistenztest zu machen, wenn Antibiotika eingesetzt werden und immer brav lange genug mit ausreichender Dosierung zu behandeln, um der Ausbildung von Resistenzen entgegenzuwirken. Allein das scheint nicht unerhebliche Anteile der Tierärzteschaft schon zu überfordern. Einzig die nicht betroffene Gruppe der Veterinäre im öffentlichen Dienst hat mit der konsequenten Durchsetzung dieser Regel keine Probleme.
Rationale Arzneimitteltherapie heißt darüber hinaus ständige Suche nach Alternativen, eine stärkere Betonung des Zusammenspiels von Erreger, Wirt und Umwelt. Ob man dies nun die „Einbeziehung epidemiologischer Aspekte“, „systemisches Denken“ oder den „ganzheitlichen Ansatz“ nennt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Diese Suche nach Alternativen darf nicht am Hoftor haltmachen, sondern betrifft klar auch den Handel von Tieren und die regionale Struktur der Produktion. Da tun sich dann die Öffentlichen schon etwas schwerer, während die meisten Praktiker völlig kapitulieren, weil sie das vermeintlich nichts angeht.
Rationale Arzneimitteltherapie heißt darüberhinaus, ständig das Wechselspiel zwischen veterinär- und humanmedizinischen Belangen im Auge zu haben. Wer Antibiotika, die in der Humanmedizin als Reserveantibiotika gehandelt werden, für die orale Verabreichung an Nutztiere zuläßt, mag sich gesetzestreu verhalten, zeigt aber, daß er von Public health gerade mal weiß, wie man’s schreibt.
Wer die Lösung in der Entwicklung immer neuer Antibiotika für den Einsatz bei Tieren sucht, läßt sich auf einen sicherlich lukrativen Wettlauf ein, der im Falle der Humanmedizin auch sinnvoll erscheint. Im Falle der Veterinärmedizin stellt dies indirekt den Versuch dar, den humanmedizinischen Läufern entweder ein Bein zu stellen bin schon da, sagt die Resistenz – oder aber sie zu immer schnellerem Tempo anzuspornen.
Die Forderung nach Deregulierung und Markt geht dabei völlig an der Problematik vorbei. Das Problem ist nicht eine Überregulierung des Arzneimittel- und Veterinärwesens sondern eine nicht an die Notwendigkeiten angepaßte. Das Problem sind nicht selten auch Vollzugsdefizite bestehender Regelungen, die nicht nur einer Kumpanei zwischen Veterinärbehörden und Agrobusiness geschuldet sind. Der Staat darf sich hier nicht aus seiner Verantwortung für öffentliche Gesundheitsbelange und auch die Struktur der Landwirtschaft und Tierhaltung stehlen, sondern muß diese offensiv wahrnehmen, wie dies z.B. in den Niederlanden nach dem letzten Schweinepestzug geschehen ist. Die Struktur der Veterinärverwaltung muß auf ihre Effektivität und Rationalität geprüft werden. Internationale Tiertransporte lassen sich auf Kreisebene schwerlich effektiv kontrollieren.
Die Probleme sind vielschichtig und nicht unkompliziert, damit natürlich wenig medientauglich. Immerhin sickert langsam durch, daß es nicht nur der illegale Einsatz von Arzneimitteln ist, der ein Problem darstellt, sondern auch der ganz legale. Risikofrei ist auch der lege artis Einsatz von Arzneimitteln nicht. Allerdings ist dieser Satz weder als Begründung für ein völliges Verbot des Arzneimitteleinsatzes in der Tierhaltung zu verstehen noch als eine Legitimation für „Weiter so, Europa“. Es kommt darauf an, die widerstrebenden Interessen offenzulegen und dann zu entscheiden, welche den Vorrang haben. Daß das Ergebnis dieses Diskurses auch eine Machtfrage ist und nie abschließend entschieden werden kann, liegt in der Natur der Sache. Wenn aber schon mal öffentlich über die entscheidenden Fragen diskutiert würde und tierärztliches „weiter so“ durch ein wenig mehr Kompetenz ersetzt, wäre das ein Fortschritt, der derzeit noch schwer vorstellbar erscheint.
Diese VETO soll uns auf diesem Weg ein Stück weiterführen.
Die Redaktion
Inhaltsverzeichnis der Veto Nr. 46
Inhalt & Impressum ………………………….. 2
Editorial ………………………………………… 3
Schwerpunkt Arzneimittel
Wieso, weshalb, warum
Arzneimittelrechtliche Ursachen und Nebenwirkungen…………………………… 5
Antibiotikaresistenz, die basics
Mechanismen der Resistenzbildung ………… 11
Antibiotikaresistenzen
Neues zu einem alten Thema ……………….. 13
Coli-Mastitis und Antibiotika,
eine komplizierte Beziehung ………………… 16
Chips und Pferde
Konsequenzen der Anwendungsverbote in der Pferdepraxis ……………………………. 18
Schutz des Verbrauchers durch Lebensmittelüberwachung
Much more work has to be done in this field ……………………………………. 21
Arzneimittelabgabe
Mycoplasmen-Impfstoffabgabe
Genehmigt wird nicht ……………………….. 24
Arzneimitteleinsatz I
Was tun?
Resistenzentwicklungen aus praktischer Sicht …………………………. 26
Presseerklärung
Rationale Therapie statt Gießkannenmedikation
in der Veterinärmedizin …………………… 29
Arzneimitteleinsatz II
Arzneimitteleinsatz in Biolandbetrieben
Kommentierte Auszüge aus den Bioland-Richtlinien ………………………… 30
Weitere Themen
Interview
Zuschuß für Arbeit statt Subvention für Raps ………………………. 35
Vorstellung
Codex Veterinarius
Ethik-Leitlinien der TVT………………….. 37
AGKT-Treffen
Photos vom Treffen in Görde…………….. 40
Aus dem Netz
Hart am Wind
Surfenswerte Webseiten zu Ethologie und Tierhaltung ……………….. 41
AGKT online
Email-Adressen …………………………….. 41
Anzeigen ……………………………………. 42
Kontaktadressen ……………………………. 43
Ankündigung
AGKT-Treffen in Bretzfeld-Rappach ………………………….. 44