aus Veto Nr. 3, Sommer 1983 – Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin (AGKT)
Frage: Wie kamen Sie zum Widerstand ?
Antwort: Durch Zufall gerät man rein, und dann steckt man drin und macht einfach weiter!
Diese Antwort gab uns Maria Gräfin von Maltzan in einem Gespräch, das wir als Frauengruppe jetzt im Juni mit ihr führten.
Daß es nicht nur Zufall war, der sie dazu brachte, im ab Februar 1943 als „judenfrei“ geltenden Berlin, Juden in ihrer und in anderen Wohnungen unterzubringen, sie über die Grenze zu führen, Informationen von den Nazis zu erschleichen, Lebensmittel zu verschieben, den Verhören der Gestapo zu widerstehen, Deserteure zu Kriegsende „erkranken“ zu lassen und kranke Untergetauchte ärztlich zu versorgen, das wollen wir versuchen zu beschreiben.
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Aufgewachsen auf dem Lande – jedoch nicht wie ich und du – sondern ihrer Herkunft entsprechend in einem Schloß in Mittelschlesien (Militsch an der Strecke Oels-Gnesen). In ihrer großen Familie fühlte sie sich schon von Kindheit an zu den Tieren mehr hingezogen als zu ihren Geschwistern. Ja auch mit ihrer Mutter, deren ganze Liebe und Fürsorge ihrem einzigen Sohn galt („Kronprinz…“), kam sie nicht zurecht.
Durch ihr uneingeschränktes Bemühen um die Tiere konkretisierte sich ihr Berufswunsch „Tierärztin“ immer mehr, bis es schließlich keine andere Alternative mehr für sie gab. („Für die Kreatur in Not absolut da sein.“)
Da die Familie ihr die Finanzierung des Tiermedizinstudiums verweigerte („…wenn schon Arzt, dann doch lieber Human-Arzt“), studierte sie zunächst Naturwissenschaften in Breslau und München, wo sie dann promovierte. Erst nach dem Tode der Eltern, als sie über eigenes Geld verfügte, begann sie in Berlin Tiermedizin zu studieren. „Meine Mutter starb 1934, da war der eine Widerstand weg – und mit 21 Jahren hatte ich eigenes Geld, denn mein Vater ist sehr früh gestorben.“
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Hier in Berlin hatten sich die Lebens- und Überlebensmöglichkeiten der Juden rapide verschlechtert. Ab Oktober ’40 wurden die ersten Gruppen von Juden deportiert; die „Verordnung zum Tragen des gelben Sterns“ im September ’41 zwang die Juden aus ihrer relativen Anonymität heraus, so daß sie in der Öffentlichkeit jetzt vor Diffamierungen und Denunziationen nicht mehr sicher waren. Die längst Enteigneten wurden in sogenannten „Judenhäusern“ zusammengefaßt – Sammelstellen zum Zwecke der Deportationen. In dieser Situation versuchten viele Verfolgte unterzutauchen.
Die Studentin von Maltzan quartierte im Februar 1942 ihren jüdischen Freund Hans Hirschel in ihrer Wohnung ein. Im Laufe der Zeit entwickelte sich diese Wohnung in der Detmolder Straße immer mehr zu einem Schlupfwinkel und Treffpunkt für viele Verfolgte; zeitweise übernachteten dort bis zu 20 Menschen.
Zusammen mit Mitgliedern der schwedischen Kirche organisierte Frau von Maltzan bis Kriegsende die Unterbringung oder die Flucht von Juden und politisch Verfolgten.
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Frage: Hatten sie eigentlich oft Angst – damals während des Krieges?
v. Maltzan: Eigentlich nicht. Dazu hatte ich gar keine Zeit. Denn wenn Sie anfangen, sich mit der Angst auseinanderzusetzen, dann hören Sie auf, logisch zu denken. Da ist der Moment, wo was passiert. Ich bin sowieso ein Mensch, der – sagen wir einmal – von Hause aus sehr unängstlich ist. In dem Moment, wo Sie Schrecksekunden und sowas haben, sind Sie ja viel gefährdeter, wie ein anderer. In dem Moment, wo Angst Sie beherrscht, sind sie ja jemand, der nicht mehr nüchtern denken kann.
Frage: Aber Sie mußten doch auch lernen, mit der Angst zu leben?
v. Maltzan: Naja, natürlich! Es waren ja auch manchmal noch andere im Haus. Ich weiß, wir haben öfter wirklich einen Schreck gekriegt, wenn es an der Tür klopfte.
Frage: Nun hatten Sie ja aber auch sehr viel Glück.
v. Maltzan: Ja nun, natürlich hat man auch Glück, aber sehen Sie, es sind immer dieselben Leute, die Unglück haben, und dieselben Leute, die Glück haben – wenn Sie’s genau ansehen.
Ich finde, es gibt einen gewissen idiotischen Mut. Zum Beispiel, es gab im Krieg furchtbar tapfere Leute, und ich weiß nicht, wieviele von ihnen sich haben verheizen lassen – und andere mit verheizt haben.
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Daß Frau von Maltzan jahrelang unentdeckt illegal arbeiten konnte, verdankt sie sicher nicht nur dem Glück, sondern auch ihrer Cleverness und ihrem forschen und provokanten Auftreten den Behörden gegenüber.
Zur Frage der Taktik:
v. Maltzan: Ja nun, wissen Sie, wenn sie nie provozieren und immer Dünndruck machen, sind sie viel suspekter, als wenn Sie mal ganz unverschämt sind.
Also, z.B. wenn die Gestapo mich vorlud, was hin und wieder mal passierte, und sie sagten, ich müßte Montag kommen, dann rief ich die Gestapo an und sagte: „Montag kann ich nicht. Ich habe keine Zeit.“ Ich sagte, „Ich arbeite beim Tierschutz, Fleischbeschau, das geht nicht!“
„Können Sie Dienstag?“ „Nein!“ Dann ging ich Freitag. Einer mit Dreck am Stecken geht Montag, der will das hinter sich bringen. So denken die auch! Das sind einfach psychologische Momente, die man ein bißchen einbauen muß.
Ich will Ihnen etwas sagen, ich sehe immer die Komik in einem Moment.
Ich hatte einmal ein fürchterliches Verhör bei dem General von Oitmann, der mir sagte: „Gräfin von Maltzan, wir sprechen jetzt einmal unter vier Augen.“ Dieser Mann hatte nur eins. Im Grunde genommen saß bei mir nur die Heiterkeit im Nacken. Konnte er nicht sagen, „Wir reden unter drei Augen“? Sein blödes Glasauge wurde mit einbezogen.
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Wie sich für uns immer wieder zeigt, hat Frau von Maltzan ihren Humor während dieser bedrohlichen Zeit nicht verloren; ja sie hat sogar komische Situationen provoziert, um die Lächerlichkeit einzelner Nazis herauszustellen.
v. Maltzan: Einmal haben wir noch was Herrliches gemacht. Da waren wir bei Reich, das war unsere Stammkneipe am Nürnberger Platz. Ein Freund von mir, das war ein bekannter Keramiker, der gut geigte, und wir hatten kein Geld. Da sag ich: „Weißte was? Wir müssen jetzt Geld sammeln. Da drüben ist eine wahnsinnig elegante Bar – wir gehen da beide rein. Du spielst Geige und ich sammle dann.“ Da hab ich doch die Frechheit gehabt, mit diesem Hütchen rumzugehen und für die SPD zu sammeln (Anmerkung: Die SPD war seit 1933 verboten). Das fanden die Leute irre komisch – da war Partei da (NSDAP, Anm.) – sie fanden es großartig, und alle schmissen ihr Geld rein. So konnten wir ein paar Stunden weiterfeiern.
Ein anderes Mal erschien mal die SA bei uns in der Kneipe. Und mit ihrem „Sieg Heil. Sieg Heil!“, das ging uns maßlos auf die Nerven. Und bei uns war immer der Zeichner, der Schäfer-Ast. Da sag ich, „Weißt Du, jetzt machen wir folgendes: wenn der Schäfer-Ast reinkommt, dann stehn wir alle auf und schreien „Schäfer-Ast. Schäfer-Ast!“. Naja, die ganze Formation steht auf und schreit „Schäfer-Ast!“ … Arg bedrückte Gesichter … Dann kam ein Parlamentär an unseren Tisch: das ginge nicht! Dann haben sie mich als Parlamentär zurückgeschickt, und dann sag ich: „Hören sie mals zu, das ist kein Plagiat. Wenn einer plagiert, dann sind Sie es. Wir machen das schon seit 1912!“ Und das glaubte der mir noch! 1912 war ich drei!
Ich meine, das sind ja auch Sachen, die ganz heiter sind, nicht?
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Frau von Maltzan gelang es auch, durch ihre humorvoll-freches Auftreten bestimmten lästigen Anordnungen zu entgehen.
Eines Tages wurde die Anordnung erlassen, daß alle Bediensteten (sie war zu der Zeit neben ihrer Arbeit noch der Briefzensur zugeteilt), Heeresmasken ständig bei sich führen sollten. Als erstes brachte sie einen Haken unter der Platte des Bürotisches an und hing die Gasmaske dort auf. „Da konnte sie prachtvoll ruhen! So gut macht keiner sauber, daß er sie findet“. Morgens vor dem Dienstgebäude fragte Leutnant R. nach ihrer Gasmaske. Frau von Maltzan hatte den Gepäckträger ihres Rades vorher so präpariert, daß durch die Befestigung eines Drahtes der Deckel etwas hoch stand. Sie tat, als nähme sie die Maske heraus und legte die – nicht vorhandene – Maske über die Schulter und ging. Leutnant R. schaute ihr verblüfft nach. Keine zehn Minuten später war Gasmasken-Appell! Frau von Maltzan konnte ihre Gasmaske stolz vorweisen.
Nach Dienstschluß wartete Leutnant R. wieder auf sie und verlangte, die Gasmaske zu sehen. Sie zeigte auf ihre Schulter, auf der sich nichts befand, ging zum Rad und befestigte „nichts“ auf dem Gepäckträger.
Dieses Spiel ging eine Woche lang, dann wurde sie zum Major befohlen, der sie fragte, wie sie ihre Gasmaske befördere. Frau von Maltzan: „Über der Schulter wie jeder!“ Der Major wandte ein: „Herr R. sieht sie nicht!“ Sie: „Dafür kann ich nicht!“. Danach kam Herr R. zu ihr: „Vertrauen Sie mir doch einmal an, was Sie mit der Maske machen“. Ernst, ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte Frau von Maltzan: „Sehen Sie, ich komme aus einer sehr alten Familie. In der wird eine Tarnkappe für Gegenstände vererbt!“.
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Aber auch die uniformierten Frauen hatten es nicht leicht, mit der direkten Art der Gräfin zurecht zu kommen.
v. Maltzan: Ich war ja, ehe ich studierte, beim Roten Kreuz, und wir trugen ja Uniformen damals. Und ich hatte also eine Vorgesetzte, die ewig auf mich wütend war, und eines Tages brach es aus ihr heraus: „Ich weiß nicht, Ihre Blusen und Ihre Schlipse! Das sieht alles so gut aus! Das kann ich nicht verstehen, können Sie mir nicht sagen, warum?“
Da hab ich in meiner Unverschämtheit gesagt: „Das ist gottgewollt“ Der Schlips liegt senkrecht bei mir und bei Ihnen sitzt er waagerecht – wie ein Hering zwischen zwei Wellen. Das sieht nicht gut aus“
Das hat sie furchtbar übel genommen. Ich wurde dann auch versetzt.
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Ihre Arbeit auf dem Berliner Schlachthof, zu der sie neben der Arbeit im Tierheim Lankwitz dienstverpflichtet wurde, brachte ihr nicht nur Geld, sondern auch die Möglichkeit, an ein so begehrtes und rar gewordenes Lebensmittel wie Fleisch heranzukommen. Dabei kam ihr ihr gutes und kollegiales Verhältnis zu den Schlachtern zur Hilfe. („… das war eine gute Rote Zelle!“).
v. Maltzan: Und da hatten wir einmal einen riesen Posten Schweine geschlachtet – für die SS. Und ich meuterte schon die ganze Zeit. Und da sagte der eine: „Halt doch mal die Klappe. Die sind doch noch gar nicht abgegangen!“ Und da hatten wir sieben Waggons Speck gepackt. Das war am Freitag oder Samstag.
Ich komm am Montag auf den Schlachthof, da ist die Gestapo und die Kriminalpolizei. Ich will da rein gehen. „Sie dürfen da nicht rein!“ „Ich muß hier rein, ich arbeite hier!“
…… Und ich hatte einen Stempler Kurt, der einer der besten Diebe war, die ich je gesehen hatte. Der ist nie erwischt worden. Ich weiß nicht, ich habe mich gewundert.
„Frau Doktor, ich muß klauen. Ich hab zu Hause einen Kerzenladen und Kerzen kann man nicht fressen!“
Ich fand das einleuchtend – und Seife schmeckt ja auch nicht sehr ……
Ich sag: „Kurt, was ist passiert?“ „Die sieben Waggons Speck sind verschwunden.“
Und das im Jahre ’44! Die sind nie wiedergefunden worden.
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Frage: Mich wundert immer noch, daß Sie doch relativ unentdeckt da raus gekommen sind – wo es doch für alle offensichtlich war.
v. Maltzan: Ja und nein, nicht? Man war ja schon vorsichtig. Nun konnte ich ja den Leuten beweisen, daß ich auch gar keine Zeit hatte. Morgens war ich an der Universität, bin dann auch abends noch an die Uni arbeiten gegangen. Was meinen Sie, wann ich das gemacht haben soll? Das war doch sehr überzeugend, nicht? Daß ich manchmal 20 Stunden auf den Beinen waren, das glaubte keiner.
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Frage: Während der ganzen Zeit, wo Sie Biologie studiert haben, war da wirklich klar, daß Sie anschließend Tiermedizin machen? War das sicher?
v. Maltzan: Hier in Berlin? Ja, aber natürlich, das war ganz selbstverständlich.
Frage: Stimmt es, daß mit dem Aufkommen der Nazis sehr bald den Frauen die Zulassung zum Veterinär-Studium verwehrt wurde?
v. Maltzan: Hier in Berlin nicht.
Frage: Aber an den anderen Fakultäten?
v. Maltzan: Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Frage: Wie haben die Professoren darauf reagiert, daß sie als Frau ein zweites Studium anfingen? Da gibt es doch auch so Argumente: „Sie heiraten doch sowieso.“ usw.
v. Maltzan: Ich weiß noch, der eine Professor, der mich fragte: „Warum sind Sie nicht verheiratet?“ Sag ich: „Meine Jahrgänge liegen in Rußlands Erde!“
Das ist natürlich eine peinliche Antwort.
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Frage: Sie haben während des Krieges auch Abtreibungen gemacht?
v. Maltzan: Ja. Na selbstverständlich, also das war damals sehr gefragt!
Dann hat mich nach dem Kriege doch ein Stinkstiefel angezeigt. Da hatte ich einen Gerichtsgang. Und hatten einen alten Richter, der fragte: „Haben Sie’s getan?“ Sag ich: „Ja“.
„Ja Sie wissen doch, daß es verboten war.“ Sag ich: „Ja Herr Richter, aber ich sage Ihnen eines bindend: in der gleichen Situation, wo Frauen gefährdet waren, ins KZ zu kommen, würde ich es jederzeit wieder tun. Ich habe nicht das geringste Gewissen dafür.“
Er hat mich dann freigesprochen. Er hat gesagt; „Es ist einfach sozusagen ein Notstand – in dem Moment.“
Frage: Das mit dem KZ verstehe ich nicht?
v. Maltzan: Wir wußten ganz genau, daß, wenn eine schwanger ins KZ kam, daß sie die Geburt nicht überstand – oder, wenn sie sie überstand, hinterher starb.
Eine Freundin ist im KZ gewesen. Die hat ein Kind gekriegt – in Ravensbrück. Da kriegte sie eben ein Bündel „Völkischer Beobachter“ untern Arm und wurde in die Toilette gesperrt, bis sie fertig war. Hat sich kein Mensch drum gekümmert, nicht?
Sie ist dann auch hinterher gestorben.
Frage: Es haben ja bestimmt viele Leute Abtreibungen gemacht, die heute aber nicht mehr dazu stehen.
v. Maltzan: Ich habe in dem Sinne keine Abtreibungen gemacht; ich hab die Einleitungen gemacht, und wenn die schweren Blutungen kamen, das haben wir dann so arrangiert, daß ein normaler Arzt die Ausschabung machte.
Frage: Aber das war dann einer, den Sie kannten?
v. Maltzan: Jaja, da mußte man ja ein bißchen vorsichtig sein. Das kostete ja den Kopf!
Man lief ja eigentlich mit dem Kopf in der Aktentasche spazieren.
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Frage: Und nach dem Kriege gingen Sie nach Westdeutschland und machten Vertretungen?
v. Maltzan: Ja, in Großtierpraxen – als vertretender Tierarzt. Da war ich zum Teil ganz oft und sehr gern in Ostfriesland.
Frage: Und wie kamen Sie denn so mit den Bauern zurecht?
v. Maltzan: Da kam ich gut hin, ich bin ja im Bäuerlichen aufgewachsen.
Die Ostfriesen waren zuerst recht skeptisch. Ich kam in den Stall, die Kuh stank nach Aceton, da sag ich: „Da machen wir das und das!“ Da sagte der Bauer: „Nein!“ Da sag ich: „Denn nicht!“ Dann nahm ich mein Köfferchen. Ein ostfriesischer Bauer hat noch nie so schnell Schlußlichter gesehen. Da hat er angerufen bei dem Praxisbesitzer: „Ob die wohl wiederkommt? Es geht der Kuh schlecht!“ Da sagt der Tierarzt: „Ich würde Euch raten, der nicht dumm zu kommen. Die fährt sofort weg!“ Und das hatte sich sehr gut rumgesprochen.
Frage: Ja, und dann hatten Sie auch wohl Erfolg?
v. Maltzan: Ja, nun mache ich gute Geburten. Frauen machen meistens gute Geburten, weil sie nicht gegen die Wehen arbeiten. Da erleben Sie auf dem Lande feine Sachen.
Frage: Aber Sie haben niemals den Gedanken gehabt, sich irgendwo als Großtierpraktikerin festzusetzen?
v. Maltzan: Nein, denn irgendwann wird einer Frau in der Großtierpraxis eher die Grenze gesetzt als in einer Kleintierpraxis.
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In den 50er Jahren fuhr Frau von Maltzan für lange Zeit bei einem Zirkus mit. Es war Zufall, der sie dorthin brachte oder besser gesagt: eine Tigermutter, die ihre Jungen nicht annahm. Diese zog Frau von Maltzan groß und wurde dadurch in Zirkuskreisen bekannt.
Obwohl die Arbeit als Zirkustierärztin sehr hart war, war diese Zeit für sie auch sehr schön:
„Wenn Sie in den Zirkus integriert sind und die Leute mögen, ist es ein großartiges Zusammenarbeiten und Zusammensein.“
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Frage: Wollten Sie eigentlich nicht noch mal Kinder haben?
v. Maltzan: Ich hab einen Sohn geboren – im Krieg. Und nach dem Krieg waren wir wirklich ausgehungert, da sich die Kinder einem aus dem Bauch gefallen. Ich hätte gern Kinder gehabt – selbstverständlich.
Frage: Und Sie meinen, Sie hätten die auch untergebracht – in dem Beruf?
v. Maltzan: Ja, alles. Selbstverständlich, denn wenn Sie arbeiten, dann können Sie es sich auch leisten, jemanden zu bezahlen, der tagsüber auf die Kinder aufpaßt – und es gibt ja auch Kindergärten.
Frage: Sie meinten vorhin, daß wir Frauen schon einigermaßen Persönlichkeiten sein müssen, um uns durchzusetzen?
v. Maltzan: Ja, das ist ja nun eigentlich in jedem Beruf. Im Grunde genommen wird in dem gleichen Beruf von der Frau immer mehr verlangt wie vom Mann. Noch ist es so!
Frage: Wenn sie sagen „Noch ist es so“, sehen Sie da eine Entwicklung?
v. Maltzan: Das kommt auf die Generation der kommenden Frauen an. Nicht auf uns.
Frage: Und in der Zeitspanne, die Sie jetzt gesehen haben – als Frau?
v. Maltzan: Ja wissen Sie, ich will Ihnen was sagen. Eine gewisse männliche Arroganz wird ja den meisten Jungen von den Eltern eingeimpft.
Frage: Die Frauen schaffen es ja auch, z.T. aus ihrer Rolle herauszukommen.
v. Maltzan: Wissen Sie, das ist immer eine Frage der eigenen Persönlichkeit. Das ist wohl immer so, nicht?
Frage: Bedingt dadurch, daß einfach keine Männer da waren im Kriege und in der Nachkriegszeit, da waren viele Frauen ziemlich selbständig.
v. Maltzan: Ja sicher!
Frage: Wie erklären Sie sich dann, daß das dann wieder so umgeschlagen ist?
v. Maltzan: Das liegt an den Frauen selber.
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Frage: Waren Sie eigentlich damals, oder sind Sie heute in einer politischen Partei oder Gruppierung?
v. Maltzan: Ich bin nie in einer Partei gewesen. Ach wissen Sie, diese Parteiabende! Da wird so fürchterlich dummes Zeug geredet – da bin ich so ungeeignet für.
Frage: Was machen Sie heute?
v. Maltzan: Ich bin im Januar mit meiner Praxis von Charlottenburg nach Kreuzberg übergesiedelt. Und es gefällt mir da recht gut.
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Und dann erzählt die heute 74-jährige Begebenheiten aus ihrer „besetzten“ Nachbarschaft: „Möbel raus, Möbel rein! So gehen die (die Polizei, Anm.) heute mit Steuergeldern um!“
Und was macht sie sonst so?
Na, im Moment wird sie viel eingeladen, Fernsehen, Radio, schreibende Presse, bekommt aufgrund der Veröffentlichung des Buches (siehe unten) viel Post, die sie auch beantworten muß und will.
Und ab und zu besucht sie, ihren Affen auf der Schulter, den Mastino „Blümchen“ an der Leine, den alternativen Bauernhof an der Mauer und erfreut sich an den Hängebauchschweinen.
Maria Gräfin von Maltzan 1983
Leonard Gross
Versteckt
Wie Juden in Berlin die Nazi-Zeit überlebten
„Während der Arbeit an diesem Buch“, schreibt der Autor,
„ist mir klargeworden, daß kaum ein größeres Wunder denkbar ist,
als das Überleben eines Juden während der letzten Jahre
des Zweiten Weltkrieges in Berlin“.
Rowohlt, 1983, 380 S.; 36,- DM
TERROR gegen die Juden
15.09.35 Reichsparteitag der NSDAP. Der Reichstag beschließt auf einer Sondersitzung die anti-semitischen „Nürnberger Gesetze“, das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Sie sind die Grundlage für die Ausschaltung der Juden aus allen öffentlichen Arbeitsverhältnissen und für die Deklassierung der jüdischen Bürger in ihren politischen Rechten.
14.11.35 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz: Aberkennung des Wahlrechts und der öffentlichen Ämter; Entlassung aller jüdischen Beamten, einschließlich aller Frontkämpfer. Definition des „Juden“.
1. Verordnung zum Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre:
Verbot der Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden. Die Arbeitsmöglichkeiten für Juden werden auf ganz wenige Berufszweige eingeengt.
Jüdische Kinder dürfen bald mit anderen Kindern nicht mehr denselben Sportplatz oder die Umkleidekabinen benutzen.
05.10.38 Verordnung über Reisepässe: Einziehung der Pässe und (erschwerte) Neuausgabe mit Kennzeichen „J“.
9./10.11.38 Reichspogrom-Nacht: Staatlich organisierter Pogrom gegen die Juden in Deutschland: Zerstörung von Synagogen, Geschäften, Wohnhäusern. Verhaftung von über 26.000 männlichen Juden und Einweisung in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen. Mindestens 91 Juden werden getötet.
28.11.38 Polizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit; Einschränkung der Bewegungsfreiheit etc.
03.12.38 Einziehung der Fahrerlaubnisse. Schaffung eines „Judenbanns“ in Berlin.
17.01.39 Verordnung über das Erlöschen der Zulassung von jüdischen Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern.
30.01.39 Hitler prophezeit vor dem Reichstag für den Fall eines Krieges „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“.
01.09.39 Deutscher Angriff auf Polen: Beginn des Zweiten Weltkrieges. Zahlreiche Pogrome in Polen.
In Deutschland Ausgangsbeschränkungen für Juden (im Sommer ab 21 Uhr, im Winter ab 20 Uhr).
23.09.39 Beschlagnahme der Rundfunktgeräte bei Juden.
31.07.41 Göring beauftragt Heydrich mit der Evakuierung aller europäischen Juden. Beginn der „Endlösung“.
01.09.41 Polizeiverordnung über Einführung des Judensterns im Reich ab 19.9. für alle Juden vom 6. Lebensjahr an.
23.10.41 Verbot der Auswanderung von Juden.
25.11.41 Verordnung über Einziehung jüdischen Vermögens bei Deportation.
20.01.42 „Wannsee-Konferenz“ über die Deportation und Ausrottung des europäischen Judentums („Endlösung“).
24.04.42 Verbot der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch Juden im Reich. Ausnahmen für Zwangsarbeiter nur, wenn der Arbeitsplatz mehr als 7 km vom Wohnort entfernt ist. Sitzen in den Verkehrsmitteln verboten.
(Weitere Einschränkungen im Laufe des Krieges: Es war Juden u.a. verboten, sich öffentlicher Fernsprecher und Fahrkartenautomaten zu bedienen, sich auf Bahnhöfen aufzuhalten und Gaststätten zu besuchen; Wälder und Grünanlagen zu betreten; sich Hunde, Katzen, Vögel oder andere Haustiere zu halten; an „arische“ Handwerksbetriebe Aufträge zu geben; Zeitungen und Zeitschriften aller Art zu beziehen. Entschädigungslos abgeliefert werden mußten elektrische und optische Geräte, Fahrräder, Schreibmaschinen, Pelze und Wollsachen. Juden erhielten keine Fischwaren, Fleischkarten, Kleiderkarten, Milchkarten, Raucherkarten, kein Weißbrot, kein Obst oder Obstkonserven, keine Süßwaren und keine Rasierseife).
30.06.42 Schließung der jüdischen Schulen im Deutschen Reich.
26.05.42 Bekanntmachung über die Kennzeichnung jüdischer Wohnungen im Deutschen Reich.
04.10.42 Die deutschen Konzentrationslager werden „judenfrei“: alle jüdischen Häftlinge werden nach Auschwitz geschickt.
18.10.42 Das Reichsjustizministerium überträgt die Verantwortung für Juden und Ostbürger im Reich der Gestapo.