aus Veto Nr. 33 – 1993, S. 16-17
Die EG-Agrarkommission hat ein siebenjähriges Moratorium für das gentechnisch produzierte Rinder-Wachstumshormon (BST) in der EG verfügt. Chance oder Risiko für die VerbraucherInnen?
Kleine Geschichte des BST
1993 ist das verflixte siebente Jahr für die Hersteller des gentechnischen Rinder-Wachstumshormons. Seit 1986 versuchen sie, ihr Hormon in den USA und in der EG auf den Markt und an die Kuh zu bringen. Dabei wechseln die Werbeaussagen so häufig wie die Krawatten ihrer Pharmavertreter.
Für die Herstellung des Rinder-Wachstumshormons werden Bakterien mit dem entsprechenden Gen aus Rinderembryonen manipuliert. Das von den Bakterien gebildete Hormon wird Kühen gespritzt, damit sie noch mehr Milch geben.
40% mehr Milch pro Kuh und Jahr durch BST hieß es 1986. In den USA war aber gerade eine Verordnung zur Bekämpfung der Milchüberschüsse in Kraft getreten. Danach sollten innerhalb eines Jahres 1,5 Millionen (!) Kühe geschlachtet werden oder ihren Besitzer wechseln (die Besitzer sollten die Milchproduktion an den Nagel hängen und dafür sozial entschädigt werden). Aufgrund der naheliegenden Schlußfolgerung, mehr Leistung pro Tier erhöhe die Überschüsse, und weil die extremen Ergebnisse nur von vier Tieren stammten, betonte die Pharmaindustrie in der Folge, so extrem sei die Leistungssteigerung ja gar nicht. Vielmehr ließe sich BST als Instrument zur „Feinabstimmung“ der Leistung einsetzen.
Das Rinder-Wachstumshormon gelangte indes auf die Titelblätter US-amerikanischer Zeitungen. Insbesondere Keith Schneider von der New York Times hatte die Zeichen der Zeit erkannt: den geplanten Einstieg der Gentechnik in den Tierstall via Rinder-Wachstumshormon.
Was dort (USA) lauthals propagiert wurde, sollte hier (EG) klandestine die Zulassungsbehörden passiert haben, ehe es auch nur einE VerbraucherIn bemerkt hätte.
Aber damals begannen sich in Europa und in den USA Kontakte zu knüpfen zwischen kritischen Organisationen in den Bereichen Landwirtschaft, Tier-, Umwelt-, Verbraucher- und Naturschutz. Besonders die WisconsinFamily-Farmers, die in ihren mittelständig strukturierten Betrieben über 30% des US-amerikanischen Milchaufkommens ermelken, suchten Verbündete. „Nur gemeinsam sind wir stark“, war Erkenntnis und Gebot der Stunde.
Das hatte auch die Pharmaindustrie erkannt. Und die rivalisierenden Multis Monsanto, Eli Lilly, Upjohn und Cyanamid verpflichteten gemeinsam den größten amerikanischen Werbekonzern für eine BST-Kampagne: Hill und Knowlton. Einen profimäßigen Eindruck machte die Argumentation aber auch weiterhin nicht, – wohl aber das Beharrungsvermögen!
Während sich bei BST-Testkühen Hinweise auf Fruchtbarkeits- und Stoffwechselstörungen sowie Eutererkrankungen häuften, stand die Pharmaindustrie wie ein Mann: Gesundheitliche Probleme für Mensch und Tier bestünden nicht.
Große durchrationalisierte Betriebe sollten umworben werden, indem sie als Gewinner eines BST-Einsatzes hingestellt wurden. Aber kleine und mittlere Betriebe wurden verschreckt durch Aussagen, wie sie top agrar in einer Überschrift dokumentierte: „Nur die Großen werden profitieren“. Sogleich reagierten die flexiblen Werbemacher: Besonders kleine Betriebe hätten mit BST ein Mittel zur Betriebsplanung in der Hand. Bei einer Senkung der Importfuttermittelpreise könnte BST gespritzt werden und so mit billigem Energieinput günstig Milch produziert werden. Eine Antwort auf die Frage, wieso sich das besonders für kleinere Betriebe lohnen sollte, blieben sie schuldig. Und woher sie den Glauben nahmen, die Leistung von Kühen ließe sich durch BST quasi „anschalten“ wie bei Maschinen, verrieten sie auch nicht. Tatsächlich reagieren die Kühe auf die Hormonspritzen sehr unterschiedlich: von enormer Leistungssteigerung bis zu einem Rückgang der Milchleistung.
Während die Skepsis eher zunahm, tingelte ein eigens von Monsanto für ein sechsstelliges Jahreseinkommen eingestellter Werbemann mit einer „Statistik“ durch die Lande, nach der über 70% der Bauern in der EG BST anwenden wollten. Daß lediglich 360 Bauern befragt worden waren, verschwieg er ebenso wie die Auswahlkriterien und die Auftraggeber der Erhebung, die Pharmaindustrie.
Aufwendiges Hormon-Lobbying hatte 1985 nicht verhindern können, daß der EG-Ministerrat eine Richtlinie mit einem EG-weiten Verbot von Hormonen in der Tiermast erließ. Doch für BST gilt das Hormonverbot nicht. Dies war der Erfolg des Engagements der FEDESA in Brüssel, einem seit Jahren bestehenden Zusammenschluß der auf dem europäischen Markt vertretenen Pharmaindustrie. In Sachen BST wurde auch schon mal der gesamte Agrarausschuß des Europaparlaments in die USA zu Eli Lilly eingeladen.
Aber zu einer endgültigen Zulassung konnte sich die zuständige EG-Agrarkommission auch nach sieben Jahren nicht durchringen: Erst halbjährlich, dann jährlich, zuletzt um zwei Jahre war die Zulassungsentscheidung in der EG hinausgeschoben worden. Dabei hatte die Kommission schon längst die Argumentation der Pharmaindustrie übernommen, nach der gesundheitliche Gefahren für Mensch und Tier auszuschließen seien.
Einzig der Verbraucherakzeptanz galt ihr Interesse. Um diese zu untersuchen, wurden in den letzten Jahren beachtliche EG-Gelder für Studien aufgewendet. „Trinken sie’s oder trinken sie’s nicht“, das war hier die Frage. Schließlich sind Millionen in die Entwicklung des gentechnischen Hormons und in die Werbung dafür investiert worden. Aber die jahrelangen Informations- und Protestkampagnen der GenkritikerInnen zeigten Wirkung: Eine eindeutig positive Antwort blieben die VerbraucherInnen offensichtlich schuldig. Nun soll die Zeit für das Hormon und seine Hersteller arbeiten:
Im Juni 1993 beschloß der US-Senat ein vorerst 14monatiges Moratorium für die Anwendung des Hormons in den USA.
Und im Juli 1993 überraschte Brüssel mit einem siebenjährigen BST-Moratorium für die EG.
Derweil sollen Lebensmittel aus dem Genlabor die Supermarktregale und die VerbraucherInnenmägen erobern: Käse und Champagner, die gentechnisch beschleunigt reifen, Bier und Brot, deren Produktion durch genmanipulierte Hefen ergiebiger wird, Säfte mit genmanipulierten Enzymen für Haltbarkeit und Geschmack, Joghurt mit genmanipulierten lebenden und vermehrungsfähigen Bakterien, sogenannten Starterkulturen…
Wenn diese sich zunehmend in unseren Mägen tummeln, so die Strategie, wird auch die Hemmschwelle für gentechnische Hormone und genmanipulierte Tiere fallen.
Die genkritischen Organisationen werden einen langen Atem haben müssen, damit die nächsten sieben Jahre keine mageren für sie werden und das Jahr 2000 nicht zum verflixten siebenten Jahr für den Verbraucherschutz wird.
Wer mehr wissen will: VETO Nr 15 S.33, VETO Nr 16 S.20-26, VETO Nr 17 S.13-14, VETO Nr 18 S.14, VETO Nr 19 S.16-17, VETO Nr 21 S.18-19, VETO Nr 23 S. 16-18, VETO Nr 24 S.8-10, VETO Nr 25 S.31