Zur Begriffsdefinition: im folgenden verwende ich (hier und heute, nur für diesen Artikel) einen sowohl vereinfachenden als auch – wie ich behaupte – klärenden Vulgärbegriff der Gentechnik: er umfasst also sowohl zuarbeitende Methoden wie z.B. teilautomatisierte Sequenzierungstechniken oder PCR, als auch biotechnologische Methoden von in vitro-Fertilisation bis hin zur künstlichen Gebärmutter, als auch den Komplex der Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen, das Klonen von (noch) Tieren, die Gentherapie, rasse- und sozialhygienische Initiativen bis hin zur Eugenik ……..
Begründung: erstens ist zwar die Gentechnik im engeren Sinn ebenso „nur“ eine Technik wie andere Techniken auch, sie kann jedoch wegen der Auswirkungen auf den einzelnen Menschen und auf den Begriff des Menschlichen weniger als andere Techniken isoliert von ihren historischen gesellschaftlichen Bedingungen gesehen werden. Im Unterschied zur Atomkraft ist hier ja weniger eine Unfall-oder Mißbrauchsdiskussion zu führen, sondern vor allem eine Normalitäts- bzw. Gebrauchsdiskussion. In Bezug auf die Suche nach Krankheiten oder Normabweichungen im menschlichen Genom, auf das Bestreben nach Elimination dieser Faktoren aus diesem und – als nicht mehr sehr unwahrscheinlichem Szenario – dann eben auch aus der Menschheit besteht das Risiko der Gentechnik ja gerade nicht in ihrem Versagen, sondern in ihrem Gelingen.
Zweitens scheint mir die Herauslösung dieser Technologie aus ihrem kapitalistischen Umfeld – also der Versuch, sie jenseits aller Verwertungsbedingungen als neutrale Technik zu begreifen – nur dann akzeptabel, wenn gleichzeitig auch eine andere gesellschaftliche Verfassung ernsthaft mitdiskutiert würde. Dies sehe ich weder in der AGKT, noch in anderen veröffentlichten Diskussionen. Ich verweigere also so lange eine Trennung zwischen Technik und Anwendung, wie die Systemfrage nicht ernsthaft gestellt wird und halte dies auch für einen konstruktiven Vorschlag zur Verhinderung von Scheindebatten.
Aus dem gleichen Grund lehne ich auch eine Technikfolgenabschätzungsdebatte im engeren Sinn ab. Selbst bei optimaler Ausstattung, guter fachlicher Zusammensetzung und finanzieller Unabhängigkeit „kritischer Kontrollkommissionen“ wäre eine solche Debatte nur sinnvoll, wenn in der Zwischenzeit ein „Standstill“, ein Moratorium gelten würde. Nur dann gäbe es Zeit zur Abwägung anstatt des Zwangs zu ständigen Rückzugsdebatten. Zudem gehen die Befürworter dieser Vorgehensweise davon aus, daß es echte Steuerungsmechanismen gibt, was faktisch nicht stimmt. Kapitalistische Verwertungsinteressen, die Skrupellosigkeit der Machteliten, der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologien und die technischen Möglichkeiten der schnellen Umsetzung gerade noch erst diskutierter Entwicklungen verunmöglichen eine demokratische Entscheidung darüber, welche möglicherweise von „uns“ favorisierte Technik- oder Anwendungsbereiche denn kontrolliert zuzulassen oder zu fördern seien. Der Einsatz der Gentechnik ist eben nur sehr bedingt eine Abwägung zwischen richtig und falsch, sondern vor allem eine Machtfrage. Diesem Umstand sollte mensch auch Rechnung tragen.
„und wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol“
Fehlfarben: Monarchie und Alltag, 1980
Warum also der Versuch einer Neuformulierung der AGKT-Position?
die normative Kraft des Faktischen: An und für sich ja kein starkes Argument, wenn wir uns nicht zugestehen müssten, daß die Mehrheit der AGKTlerInnen eine Fundamentalablehnung vor sich selbst und anderen ( nicht ohne Gewissensnöte) nicht mehr aufrechterhalten kann oder will. Verschiedene Anläufe zur Vereinheitlichung des Diskussionsstandes in den letzten Jahren führten nicht zu einem neuen Konsens, sondern zum kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Sich-Nicht-Verhalten. Ich behaupte, daß vor allem deswegen die AGKT schon seit einiger Zeit nicht mehr zu einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet fähig ist.
Lebenswege und AGKT-Mehrheiten: Als Individuum vor die Frage gestellt, ob denn diese weit verbreitete diagnostische Methode oder jenes Experiment mit beachtlichem Erkenntnisgewinn oder jener gentechnologisch hergestellte Impfstoff denn durchgeführt bzw. angewendet werden dürfe, ist die Antwort für viele von uns schon des öfteren „ja, ich will“ gewesen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Parteiausschlußverfahren und die reine Lehre für die Verbleibenden oder die Suche nach einem neuen Kompromiss.
Der Spion, der aus der Kälte kam: auch wenn ich nicht der Ansicht bin, daß der kritische Dialog Gentechnnologie-Hardliner dazu bringen könnte, ihre Meinung zu ändern, scheint es mir doch notwendig, die Türe für Informationen offenzuhalten. Konkret muß darum geworben werden, daß einzelne in privaten oder öffentlichen Institutionen Forschende kritische Publikationen nutzen, um Interna oder auch ihnen fragwürdige Projekte zu veröffentlichen. Dies wird aber nur erfolgreich sein, wenn mensch um Informationen und Menschen wirbt.
Wahrheit und Handlungsfähigkeit: Die entscheidende Frage ist die, ob die reine Lehre eine politische oder nur eine moralische Kategorie ist. Andersherum gefragt: ist das Aufweichen von AGKT-Fundamentalpositionen das Ende einer politischen Opposition und der Verzicht auf Widerstand oder ist das Beharren auf der kategorischen Ablehnung aller gentechnischen Methoden und Anwendungsgebiete eine wohlfeile Haltung, die zwar auch nichts ändert, aber dem Individuum die Schuldfrage abnimmt?
Der AGKT-Doppelbeschluß
Aus der oben postulierten Falle führt meiner Ansicht nach nur ein Befreiungsschlag. Ein widerspruchsfreies Leben im Sinne einer totalen Verweigerung einzelner Diagnosetechniken oder Produkte ist nicht mehr möglich. Punkt. Fragezeichen? Die PCR zum Beispiel ist so weit verbreitet, daß ich – wenn ich denn konsequent sein wollte – zumindest meine Großtierpraxis mit meinem diagnostischen Ansatz zumachen könnte. Hab ich aber nicht vor. Wer da noch für sich eine Möglichkeit der Unschuld für sich sieht, dem empfehle ich erstens mal scharf nachzudenken und zweitens noch 2,3 Jahre zu warten. Wie immer, so auch hier: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“ (Benjamin).
Unterstellt also, ich komme in Einzelfragen nicht an der Gentechnik vorbei. Wieso aber sollte mich dies daran hindern, politisch offensiv gegen Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen vorzugehen? Ich beziehe auch Strom von der RWE und bin dennoch Gegner der Atomwirtschaft. Auch meine konventionellen Impfstoffe beziehe ich (zwangsläufig) von eben den Pharmariesen, denen ich als AGKT‚ler einseitig profitorientierte Forschung vorwerfe.
Was ich vorschlage, ist also ein AGKT-Doppelbeschluß, der – stark verkürzt – einerseits die alte AGKT-Totalablehnung aufhebt, um einzelne Techniken oder Anwendungsgebiete zu tolerieren, andererseits eine verstärkte politische Auseinandersetzung mit der „molekularen Sicht auf das Lebendige“ führt.
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Absolutionen für Sündenfälle zu geben. Angesichts der oben begründeten Ablehnung einer Technikfolgenabschätzungsdebatte geht es hier um das Ziehen etwas gröberer politischer Linien. Es nutzt aber überhaupt nichts, dies als moralisches Individuum zu tun. Ich möchte sehr wohl, daß die AGKT politikfähig ist, dies allerdings zu unseren Bedingungen. Das Ziehen der politischen Linien muß als kollektiver Prozess fast zwangsläufig “work in progress“ sein. Es genügt dabei nicht, gegen das Klonen von Menschen einzutreten, nur die wenigsten Vertreter des Befürworterkonglomerats aus Universitäten, politischer Macht und Pharmakonzernen sind ja bekennende Dr. Frankenstein-Nachfolger. Ein „pro bonum, contra malum“ ist also ein Allgemeinplatz, ein wenig schwieriger wird es schon werden. Ziel einer solchen Debatte kann keine glatte AGKT-Position sein, die elegant die bestehenden Widersprüche ausklammert oder zukleistert. Angesichts der Komplexität des Themas geht es zunächst vor allem um das eigene Denken. Das ist aber schon eine ganze Menge.
Die Anwendungsverbote bestimmter Medikamente bei lebensmittelliefernden Tieren nach der Verordnung EWG 2377/90 und die daraus für die Pferdepraxis resultierenden Konsequenzen sind seit Ende letzten Jahres bereits breit diskutiert worden. In allen Medien sind Pferdetierärzte/innen und Tierschützer/innen gegen die neuen Anwendungsverbote Sturm gelaufen. Einer der meistverbreitetsten Artikel und typisch für den Gesamttenor der Diskussion war dabei der Spiegelartikel im Heft 7/98, in dem geschickt Fakten und Stimmungsmache vermischt wurden. So wurden sachlich richtige Statements von Pferdepraktikern benutzt, um als Ursache der Misere „das sture Schubladendenken der europäischen Agrarbürokraten“ auszumachen. Daß die Pharmafirmen durch Investitionen in Rückstandstests diese Anwendungsverbote hätten verhindern können, fand im allgemeinen kaum Erwähnung. Es sei auch dahingestellt, ob es Sinn macht, von diesen Firmen anderes als marktwirtschaftliches Kalkül zu erwarten. Nichtsdestotrotz wurde dadurch, daß diese Fakten nicht zur Kenntnis genommen wurden, häufig sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die Aufweichung der angeblich zu strengen europäischen Rückstandsregelungen verlangt. Gerne stimmte die Pharmaindustrie in diesen Chor ein, würde es ihr doch viele Millionen sparen. (Zur Verteidigung der „großen“ Pharmafirmen sei allerdings gesagt, daß die „kleinen“, Generika vertreibenden Firmen gar nicht erst versuchten, durch Zusammenschluß die Kosten für die Ermittlung der MRL-Werte für z.B. Phenylbutazon, mit dem sie so viel Geld verdient hatten, zusammenzubringen. Damit bestätigten sie natürlich ihr Bild als „Trittbrettfahrer“ im Pharmageschäft.)
Die Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin hat sich auf dem letzten Gesamttreffen im Mai diesen Jahres mit diesem Thema beschäftigt und für eine vorrangige Behandlung des Verbraucherschutzes und eine Durchsetzung der Anwendungsverbote ausgesprochen. Hierbei wurde ganz richtig festgestellt, daß die zum Teil hysterisch geführte Diskussion über Therapielücken besonders in der Pferdemedizin am eigentlichen Problem vorbeigeht. Es kann nicht sein, daß mit den Argumenten des Tierschutzes der Verbraucherschutz geschwächt wird, wie dies bei einer Rücknahme der Anwendungsverbote zu befürchten wäre. Andererseits scheint es mir aber auch nicht angebracht, den Fakt, daß bestimmter Therapielücken tatsächlich bestehen, zu übergehen. Daher werde ich versuchen, an einzelnen Beispielen aufzuzeigen, wo die neuen und alten Anwendungsverbote die Therapie in der Pferdepraxis beeinflussen. Siehe hierzu Kasten 1 und 2.
Die Pferdemedizin stellt wirtschaftlich für die Pharmaindustrie im Vergleich zu den landwirtschaftlichen Nutztieren nur einen kleinen Sektor dar. Daher werden für viele Medikamente keine Zulassungen für Pferde beantragt. Ganz einschneidend konnte man dies nach der Einführung der tierartlich getrennten Zulassung für Arzneimittel und dem Verbot der Umwidmung im Jahr 1994 sehen. Die Einführung der MRL ist hierbei quasi als nächste Stufe der Reduktion der für Pferde zugelassenen Medikamente zu sehen.
Wer in der Pferdepraxis innovativ und an Forschungsergebnissen besonders der angelsächsischen Länder orientiert behandeln will, ist schon immer zu halbund illegalem Verhalten gezwungen worden. Das hat die im Sportbereich tätigen Pferdetierärzte/innen auch nach 1994 jedoch nicht an der Verwendung nicht zugelassener Medikamente gehindert, wenn durch ihren Einsatz ein deutlicher Therapievorteil erkennbar war. Ich persönlich empfinde es auch als empfindlichen Einschnitt in meine Freiheit bei der Berufsausübung, wenn ich zwischen 30 und 50 % aller meines Erachtens notwendigen Medikamente nicht benutzen darf. Es kann nicht sein, daß einer aufwendigen Diagnostik durch fundiertes Wissen und ausgefeilte Technik eine Pauschaltherapie mit nur einer Handvoll Medikamente gegenübersteht, bloß weil diese lukrativ genug sind, die Zulassungskosten wieder einzubringen. Eine qualifizierte Therapie kann offenbar nur durch illegales Verhalten erreicht werden. Die Analyse des Kollegen Dr. Cronau, langjähriger betreuender Tierarzt der deutschen Springreiterequipe und FEI-Veterinär, die „Tierärzte stehen immer mit einem Bein im Gefängnis“ ist somit völlig richtig.
Das Hauptproblem liegt bekanntermaßen an der Zuordnung der Pferde zu den lebensmittelliefernden Tieren. Dies ist aber nicht von den „sturen EU-Bürokraten“ in ihrem „Schubladendenken“ erfunden worden, sondern spiegelt nur die überwiegende Situation in der EU wieder. In Ländern wie Frankreich, Spanien, etc. wird traditionell viel Pferdefleisch gegessen. In Großbritannien hingegen ist dies gar nicht der Fall. Die Briten haben daher auch sofort Pferde zu nicht-Lebensmittel-liefernden Tieren erklärt und propagieren den weiteren Einsatz der verbotenen Medikamente. Dieser Einzelgang Großbritanniens war allerdings insofern nützlich, weil findige Köpfe sofort mit dem Reimport von in GB erlaubten und in der Rest-EU verbotenen Arzneimitteln drohten und damit das Bestreben um einen Kompromiß förderten. Ein EU-weiter Lösungsvorschlag von den verschiedensten Seiten einschließlich der Bundestierärztekammer zielt auf die dauerhafte Kennzeichnung der nicht zur Schlachtung bestimmten Pferde hin. Das ist gewiß die intelligenteste Lösung.
Ob die Kennzeichnung mit einem Mikrochip allerdings die praxisreifste Lösung ist, ist noch die Frage. Da die Bundestierärztekammer auch den Ersatz des Heißbrandes durch Mikrochips favorisiert, würde dies bedeuten, daß bei jedem Verkauf oder bei jeder anderen Identitätsprüfung mindestens einer der Anwesenden im Besitz eines Lesegerätes sein müßte. Beifall findet diese Lösung bislang nur bei den Herstellern und Vertreibern von Lesegeräten. Der unbestrittene Vorteil einer nachträglichen Kennzeichnung, wie z.B. mit dem Mikrochip, ist, daß nicht bereits bei der Geburt entschieden werden muß, ob ein Pferd geschlachtet werden kann oder nicht. Hätte ein deutsches Warmblutpferd nun anstelle des Heißbrandes bereits als Fohlen einen Mikrochip implantiert bekommen, würde bei der Applikation eines nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassenen Arzneimittels die Implantation eines zweiten Mikrochips fällig werden. Angenommen dieses Pferd würde aber Jahre später doch zur Schlachtung gelangen, woher soll der ordnungsgemäß die Mikrochips kontrollierende Schlachter wissen, nach wie vielen Chips er suchen muß?
Darüberhinaus würde die Kennzeichnung per Chip für mich als Pferdetierärztin bedeuten, daß ich jedesmal wenn ich ein solches Medikament verwenden will, vorher mit einem Lesegerät das betreffende Pferd kontrollieren müßte, um zu erkennen, ob es bereits „gechipt“ worden ist oder nicht. Vielleicht ist es nur Voreingenommenheit den modernen Techniken gegenüber, aber aus Gründen der Praktikabilität würde ich eine ohne Hilfsmittel erkennbare Kennzeichnung wie z.B. eine Tätowierung bevorzugen. Bei der Verabreichung von Medikamenten, bei denen eine sichere Ausscheidung innerhalb mehrerer Wochen feststeht, könnte das Pferd auch durch Rasur einer definierten Stelle gekennzeichnet werden. Nach Ablauf der Zeit, in der die Haare wieder völlig nachgewachsen sind, könnte das Pferd rückstandsfrei geschlachtet werden.
Trotz all dieser Schwierigkeiten sollte man selbstverständlich dem Verbraucherschutz oberste Priorität einräumen. Aber wenn man seit vielen Jahren mit der oben beschriebenen Situation auf dem Arzneimittelsektor in der Pferdemedizin arbeiten muß, fällt es manchmal schon schwer, den nötigen Ernst zu bewahren.
Phenylbutazon Phenylbutazon hat zwei Vorteile gegenüber den Konkurrenzpräparaten. Es ist relativ gut verträglich und preiswert. Das immer als Ersatz genannte Flunixin-Meglumin ist weder das eine noch das andere. Es ist ein hervorragendes Präparat für die Behandlung akuter Lahmheiten. Für den Einsatz bei Pferden mit chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen ist es dagegen nicht verwendbar, da es maximal 5 Tage angewendet werden soll. Vedaprofen, das unter dem Markennamen Quadrisol und dem Motto „statt Phenylbutazon“ zur Zeit stark beworben wird, ist erheblich teurer. Pferde halten aber nicht nur Leute, bei denen Geld keine Rolle spielt. Ich kenne viele Pferde, die unter niedriger Phenylbutazontherapie noch jahrelang freizeitmäßig geritten werden konnten. Ich selbst habe bei entsprechender Situation, wenn das Pferd nicht mehr sportlich genutzt werden konnte und bei dauernder Lahmheit getötet werden sollte, diese Therapieform als lebensverlängernde Maßnahme eingesetzt, vorausgesetzt ich war davon überzeugt, daß überlegene Therapieformen wegen Geldmangels tatsächlich nicht in Frage kamen. Dem Phenylbutazon überlegen durch seine knorpelanabole Wirkung ist von den nichtsteroidalen Antiphlogistika lediglich das Carprofen, das es für Pferde aber nur in den USA gibt. Hier würde ich durch den Therapievorteil eine Verteuerung für vertretbar halten.
Griseofulvin Für Griseofulvin wurde wegen mangelnden wirtschaftlichen Interesses bis 1.1.1996 gar nicht erst eine MRL-Festsetzung beantragt. Griseofulvin kann meines Wissensstandes gar nicht ersetzt werden. Sollten äußerliche Antimykotika wirkungslos sein, kann die Behandlung mit Trichophytie-Vakzine versucht werden. Bei Vorliegen von anderen als Trichophytieinfektionen entfällt diese Möglichkeit natürlich.
Strophantin Auch Strophantin entfiel, weil keine MRL-Festsetzung beantragt wurde. Mit dem Verbot der Umwidmung von Digoxin aus der Humanmedizin gibt es nunmehr kein Herzglykosid mehr, das man bei diagnostizierter Herzinsuffizienz legal verwenden könnte. Der Absatz von Crataegus-Präparaten stieg sprunghaft an.
Halothan Das am breitesten eingesetzte Inhalationsnarkotikum hatte noch nie eine Zulassung zur Anwendung bei Pferden. Es wurde und wird illegal eingesetzt.
Acetylcystein Acetylcystein ist in der Humanmedizin inzwischen als das überlegene Sekretolytikum anerkannt. Es wird auch in der Pferdemedizin mit Erfolg eingesetzt. Besonders bei der Therapie der Chronisch Obstruktiven Bronchitis ist es in Kombination mit Clenbuterol das Mittel der Wahl. Es war noch nie für Pferde zugelassen. Es wurde und wird illegal eingesetzt. Selbiges gilt für Augensalben, Dopamin, Digoxin, Ringerlösung, Bikarbonatlösung, Theophyllin, Röntgenkontrastmittel und andere mehr.
Dimetridazol Dimetridazol ist wegen seiner mutagenen Wirkung verboten worden. Allerdings scheint es nach neueren Untersuchungen der Universität Edinburgh (McGoran 1996) als einziges Medikament gegen die fast immer tödlich verlaufende Colitis X des Pferdes zu wirken. Bei 16 erkrankten Pferden überlebten in der mit Dimetridazol behandelten Gruppe 8 von 8 Pferden. In der konventionell behandelten Gruppe starben 5 von 7 Pferden. Der lange erwartete Durchbruch in der Therapie dieser gefürchteten Erkrankung kommt zu spät.
Isoxsuprin Isoxsuprin fällt unter das Verbot ß-2-sympathomimetischer Substanzen. Auf dem Tierärztetag 1996 wurde von einem die EU beratenden Pharmakologen vehement die Wirksamkeit dieser Substanz bei chronisch degegenerativen Gelenkserkrankungen wie Podotrochlose abgestritten. Unzweifelhaft ist eine selektive Wirkungsweise dieses Medikamentes an den distalen Gliedmaßen wie es immer wieder zu hören war schlicht Mumpitz. Unbestritten ist unter Pferdetierärzten/innen jedoch auch die Wirksamkeit gerader dieser Substanz. Ob dies auf die gefäßerweiternde Wirkung oder einer noch nicht erforschten analgetischen Nebenwirkung beruht, sei dahingestellt. Tatsache ist jedoch, daß mit Isoxsuprin behandelte Pferde wieder anfingen zu lahmen, wenn das Medikament abgesetzt wurde. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Ausnahmen zur Anwendung als Tokolytikum auf die Behandlung von Lahmheiten beim Pferd auszudehnen wie dies beim Clenbuterol und den Atemwegserkrankungen des Pferdes geschah. Statt dessen wurde diese Anwendung explizit verboten. Wenn man bedenkt, wie viele Arzneimittel mit ungesicherter Wirkung zugelassen sind, war die ungehaltene Reaktion der in der Pferdemedizin tätigen auf das Verbot auch dieses Medikamentes verständlich.
Clenbuterol Auch Clenbuterol fällt unter das unter 8. genannte Verbot. Es ist dankenswerterweise zur Behandlung von Atemwegserkrankungen erhalten geblieben. Eine Verwendung beim Pferd für andere Indikationen ist explizit verboten. (Die Firma Boehringer, Ingelheim hat extra Aufkleber auf ihren Ventipulmindosen, auf denen auf dieses Verbot separat hingewiesen wird.) Es steht nur zu hoffen, daß eines der wichtigsten Therapeutika nicht durch die neuesten Kälberskandale doch noch in der Illegalität verschwindet.
Xylazin Wenn nicht bis zum Jahr 2000 die Auflagen zur Festsetzung eines MRL erfüllt werden, läuft die Zulassung für Xylazin aus. Xylazin ist ein ähnlicher Fall wie Phenylbutazon. Schon seit geraumer Zeit beherrschen die preisgünstigen Generika den Markt. Die „großen“ Pharmafirmen haben kein Interesse an weiteren Investitionen. Ein ähnliches Konkurrenzprodukt wie dies beim Phenylbutazon das Flunixin ist, steht auch hier schon bereit. Detomidin (Domosedan) ist erheblich teurer und hat zudem den entscheidenden Nachteil, daß die Sicherheit der Sedation vom Kopf zum Schwanz hin abfällt. Ist das Domosedan das Mittel der Wahl, will man Manipulationen am Kopf durchführen, so ist vom Gebrauch bei Manipulationen am Hinterteil des Pferdes abzuraten. Es kann zu unkontrollierten Abwehrbewegungen kommen und zwar auch bei Pferden, die sonst lammfromm sind. Ich selbst habe so einen Fall gesehen, und ich würde nur ausgesprochen ungern im nächsten Jahrtausend auf den Einsatz von Xylazin zur Sedation verzichten. Alle anderen bereits eingeführten Sedativa sind entweder von der sedativen oder der analgetischen Kompetenz dem Xylazin unterlegen.
Thiobarbiturate Wenn nicht bis zum 1.1.2000 ein MRL festgesetzt werden kann, entfällt auch die Zulassung von Thiobarbituraten (Standardtherapeutikum zum Ablegen von Pferden, kann heutzutage durch Xylazin/Ketamin ersetzt werden), Vitamin A, Vitamin D und Cortisol.
Metamizol Metamizol gehört erfreulicherweise (noch) nicht in diese Aufzählung. Zwar sollte es mangels MRL-Wertes ebenfalls verboten werden, aufgrund einer fehlerhaften Deklaration wurde dieses Verbot jedoch nicht wirksam. Metamizol ist zur Kolikbehandlung beim Pferd besonders geeignet, weil es eine analgetische und spasmolytische Wirkung hat, ohne wie das Parasympatholytikum N-Butylscopolamin (Buscopan) eine völlige Ruhigstellung des Darmes zur Folge zu haben. Es ist für alle Kolikformen einzusetzen. Bei Verstopfungskoliken und mit Einschränkungen auch bei Gaskoliken können unter der abschirmenden Wirkung des Metamizols milde darmanregende Wirkstoffe zur Therapie verwendet werden. Diese würden durch N-Butylscopolamin neutralisiert werden. Auch Flunixin-Meglumin (Finadyne) ist kein Ersatz. Flunixin fehlt die spasmolytische Wirkung. Die analgetische Wirkung ist dagegen so stark, daß bei anderer als „low-dose“ Therapie, Symptome eines Ileus überdeckt werden können. Darüberhinaus verursacht Flunixin erheblich leichter Läsionen an der Darmschleimhaut, was in der Kolikbehandlung natürlich unerwünscht ist.
von Bernd-Alois Tenhagen, Wolfram Schön, Anita Idel, Matthias Wolfschmidt
aus Veto Nr. 40 – 1996, S. 6-7
Was tun mit Ochsen, die so gar keinen maskulinen Habitus annehmen wollen, einfach nur langbeinig und knochig werden? Die für Suppenfleisch erzielten Preise sind so toll nicht. Nicht kastrieren ist auch nicht so schön weil dann zum maskulinen Habitus die mannhafte Streitbarkeit kommt und zahm sollen sie ja schon sein.
Kein Problem eigentlich. Die pharmazeutische Industrie hält für dieses Problem diverse Lösungen bereit. Nur daß diese Lösungen, „natürliche“ und synthetische Steroidhormone, bisher in der BRD und der gesamten EU verboten sind, oder vielleicht waren? Es gibt da nämlich ein Problem. Die EG (damals hieß sie noch so) hat 1988 den Einsatz dieser Stoffe als Masthilfsmittel verboten. Vordergründig aus gesundheitlichen, d.h. verbraucherschützerischen Gründen. Zu unterstellen, daß mit dem Verbot des Einsatzes dieser Stoffe auch die teilweise Abschottung Europas gegen Rindfleischimporte aus Drittstaaten (nicht EG-Staaten) bezweckt war, setzt nur mittelmäßige Boshaftigkeit voraus.
Das sehen diese Drittstaaten (nicht zuletzt die Leute von der Shiloh Ranch, USA) auch so. Sie halten das Verbot für ein nicht-tarifäres Handelshemmnis und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind igittigitt. 1989 reagierten sie schlicht mit Strafzöllen auf europäische Agrarprodukte, die auch heute noch erhoben werden. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wenn sich ein paar Cowboys über europäischen VerbraucherInnenschutz ärgern. Sollen sie doch. Das ging ja auch fast 8 Jahre gut (seit 1988 eben).
Jetzt soll das anders werden. Nicht tarifäre Handelshemmnisse sind nicht nur igittigitt, sie sind seit einem GATT-Abkommen von 1993 (GATT=General agreement on tarifs and trade) verboten und justitiabel. Eben darauf beruft sich die amerikanische Regierung, die natürlich liebend gern Rindfleisch im großen Stil auf den europäischen Markt bringen möchte. Wenn die EU sich dagegen wehrt, so sicherlich nicht nur aus moralischen Gründen. Schließlich hieß der Verein zu Beginn Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.
Nichtsdestotrotz ist zu fragen: Was hat es auf sich mit dem Verbot der „Stoffe mit pharmakologischer Wirkung“ (so der Titel der in der BRD gültigen Rechtsverordnung zum Thema)? Was, außer handelspolitischen Gründen, spricht für die Beibehaltung des Verbots?
Vordergründig geht es in dem Streit zwischen EU und USA nur um das Verbot der Einfuhr dieses Fleisches. Wenn aber erlaubt wird, solches Fleisch einzuführen, wird es schwierig, das Verbot des Einsatzes in der EU noch zu rechtfertigen.
In der Öffentlichkeit wird vorwiegend mit gesundheitspolitischen Gründen argumentiert. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, denn die Vorstellung über ein saftiges Steak sein Geschlechtsleben nachhaltig zu beeinflussen, schreckt gleichermaßen diejenigen, die diesen Bereich tabuisieren, wie diejenigen, die es zu einem nicht eben unwichtigen Bereich ihrer Persönlichkeit zählen. So fällt das Schüren von Sorge bis hin zur Panik nicht sonderlich schwer.
Neue Munition hat diese Sorge sicherlich auch noch mal durch die ins Gerede geratenen „Pillen“ erhalten. Hormone beeinflussen nicht nur unsere Geschlechtlichkeit, sie sind auch noch gefährlich.
Natürlich argumentieren die Vertreter der Hormonlobby (schöner Kampfbegriff) dagegen. Das sei alles nicht so schlimm. Die Dosierung der Hormone sei so gering, daß eine Beeinflussung der Konsumentinnen auszuschließen sei. Daß die Firmen dabei auf den „ordnungsgemäßen Gebrauch“ der Stoffe abheben und dieser längst nicht immer zu gewährleisten ist, kompliziert die Sache nicht unerheblich. Aber auch die FDA (Food and Drug Administration, US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde) und das Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), halten die Gefährdung im Normalfall für gering. Auf UN-Ebene wurde beschlossen im „Codex Alimentarius“ Grenzwerte1 für die Hormone festzulegen. Dies unterstellt daß es eine Untergrenze für die Konzentration gibt, unter der Hormone keine (unerwünschte) Wirkung entfalten. Unterstützung in der Wissenschaft zu finden, fällt ihnen nicht sonderlich schwer, und das nicht nur aus ökonomischen Gründen (Wessen Brot ich ess….), sondern auch, weil der Nachweis von Nebenwirkungen relativ kompliziert ist, verglichen mit Wirkungen, weil die Fragestellung unpräziser ist. Gerade bei Hormonen die schon in kleinen Mengen in ein kompliziertes System von Regelmechanismen eingreifen, läßt sich der Nebenwirkungsnachweis schwer führen (s.a. VETO 34 und 35., Kronfeld 1994, Bultmann u. Schmithals 1994). Wissenschaftlerlnnen können aber nur solche Nebenwirkungen als gegeben annehmen, die sich auch nachweisen und einem Wirkstoff zuordnen lassen. „Es wurden keine Nebenwirkungen festgestellt“ heißt also in erster Linie, daß keine nachgewiesen wurden, nicht, daß es sicher keine gibt. Das kann eigentlich niemand definitiv sagen.
Allerdings kann mehr oder weniger intensiv nach ihnen geforscht werden. Und da hat es wohl in den USA bei der FDA eine gewisse Großzügigkeit bei der Zulassung der synthetischer Präparate gegeben (Hapke 1989). Wohlgemerkt, daß keine ausreichenden gentoxikologischen Studien zu diesen Medikamenten vorlagen, heißt nicht notwendigerweise, daß sie gentoxisch sind, sondern einfach nur, daß es (zumindest offiziell) niemand hinreichend genau weiß.
Das ist ein Problem.
Ein anderes Problem ist, wie bei allen Wachstumsförderern, ein politisches: Wie wollen wir Lebensmittel erzeugen? Wollen wir Leistung um jeden Preis? Wie wirkt sich der Einsatz der Hormone auf die Landwirtschaftsstruktur und die soziale Lage der Bäuerlnnen aus. Wie auf die Tiergesundheit? Bei anderen Wachstumsförderern ist schon darauf hingewiesen worden, daß sie die beste Wirksamkeit unter suboptimalen Haltungs- und Fütterungsbedingungen entfalten. Aber selbst wenn Steroidhormone auch unter optimalen Bedingungen noch zu einer deutlichen Steigerung der „Leistung“ fahren – wollen wir diese Steigerung? Auf Fleischberge und volle Kühlhäuser bei gleichzeitig stark rückläufigem Fleischkonsum zu verweisen, mag ein Allgemeinplatz sein und Marktfetischistlnnen – vielleicht nicht zu Unrecht – argumentieren, der Markt werde das schon regeln … Nur: für wen? Fest steht: eine gesellschaftliche Notwendigkeit (z.B. wegen Mangel an Fleisch) für Turbomast besteht nicht. Die Notwendigkeit kann aber betriebswirtschaftlich für die Mäster durchaus entstehen, nämlich dann, wenn sich der Einsatz der Hormone ökonomisch rechnet.
Ungeachtet der Frage der Sinnhaftigkeit des Hormoneinsatzes stellt sich die nach der Durchsetzbarkeit des Verbotes d.h. nach den Kräften, die für eine Zulassung oder doch zumindest Aufweichung des Verbotes sind und denen, die eben dies verhindern wollen.
Beide Gruppen sind heterogen. Auf der Seite der Hormonbefürworter findet sich aus verständlichen Gründen der Bundesverband für Tiergesundheit (hinter diesem NewspeakTerminus verbirgt sich die Pharmazeutische Industrie), die schon genannten Leute von der Shiloh-Ranch, aber auch Teile der westeuropäischen Fleischrinderproduzenten, besonders jene, die Fleisch unter extensiven (Weidehaltung) Bedingungen produzieren (Großbritannien, Irland, Frankreich). Sie erwarten sich von der Zulassung ökonomische Vorteile oder doch zumindest die Vermeidung von Nachteilen, wenn das Importverbot fällt.
Auf der Seite der Gegner finden sich neben der Agraropposition auch die Lobbyisten der kontinentalen Landwirtschaft, die natürlich die harte Konkurrenz der amerikanischen Feedots fürchten, die aber auch die Sensibilität der Verbraucherlnnen kennen, die allemal für verschiedene Boykottaktionen gut sind. Das internationale Handelsrecht ist auf Seiten der Amerikaner. Seine demokratische Legitimation ist zwar fraglich das ändert aber nichts an seiner Schlagkraft. Die Prüfung möglicher Zulassungsgründe, d.h. der Nachweis der Gesundheitsgefährdung wird nicht sehr einfach sein und Zeit brauchen. Als kleine Pikanterie am Rande wäre mit der Zulassung der Steroidhormone natürlich auch das rBST-Moratorium der EG in Frage gestellt (s. VETO 37), um das in der Öffentlichkeit so lange gestritten wurde, denn dieses unterliegt den selben gesetzlichen Bestimmungen. rPST, das Wachstumshormon für Schweine steht schon in den Startlöchern und auch andere Regelungen (Gen-Food, Pflanzenschutzmittel, technische Mindeststandards für Geräte und vieles andere mehr) müßten mittelfristig dem Primat der Weltökonomie weichen, wenn die schärferen Nonnen wissenschaftlich nicht einwandfrei zu rechtfertigen sind.
1 Grenzwerte sind politische Werte. Sie besagen nicht, wann ein Stoff keine Wirkung entfaltet, sondern welche Konzentrationen eines Stoffes politisch zu tolerieren sind. Einen interessanten Grenzwert-Poker gab es nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, als plötzlich die Grenzwerte für die maximale radioaktive Belastung von Lebensmitteln nach oben korrigiert wurden. Andere Beispiele sind die Werte der Milchgüteverordnung (Zellzahl und Keimzahl).
rBST ist derzeit in der EU politisch nicht durchsetzbar. Am 14.12.1994 stieg weißer Rauch aus dem Tagungsgebäude der Agrarminister: ein Moratorium, ein Anwendungsverbot bis zum 31.12.1999. Keine Jahrhundertentscheidung, aber ein schmerzhafter Pfahl im Fleisch der Hormonlobby. Zum entgangenen Gewinn durch jede bisher nicht verkaufte Spritze (zu 6.50 $) kommen die nicht amortisierten Entwicklungskosten, die mit 500 Millionen bis eine Milliarde Dollar beziffert werden, von den Werbungskosten für die Akzeptanz ganz zu schweigen.
Widerstand kann sich lohnen
Es blieb spannend. Und ohne die hartnäckige Präsenz der Kampagne gegen rBST vor Ort in Brüssel bis zum letzten Augenblick wäre das Moratorium sicher nicht so lange ausgefallen. Recht hatte behalten, wer die Entscheidung bis zuletzt für verhandelbar gehalten hatte. Die widersprüchlichen Gerüchte aus dem unmittelbaren Umfeld des Ministerrates – von sofortiger Zulassung über ein zweijähriges Moratorium bis hin zum Anwendungsverbot bis zum Jahr 2000 – waren beredter Ausdruck der herrschenden Konfusion.
Für die deutsche Kampagne führten wir am 12.12.94 ein halbstündiges Gespräch mit Bundeslandwirtschaftsminister Borchert und übergaben ihm über 35000 Postkarten mit Unterschriften gegen rBST. Wie schon zuvor in Münster und Luxemburg betonte er, in Deutschland seien wir ums ja einig, das Problem seien die Länder, in denen es keinen Widerstand gebe. Wenige Stunden später konnten wir ihn eines besseren belehren: Mit der vier Meter hohen, aufblasbaren Turbo-Kuh der Europäischen Bauernkoordination (CPE) boten wir mit VertreterInnen zehn weiterer EU-Länder Ministern und Medien zu Beginn der Agrarministerratskonferenz einen (un)willkommmenen Blickfang. Mensch muß sie gesehen haben. Und wurde der Kompressor für die Druckluft mal für einige Minuten abgeschaltet, um unser Megafon nicht zu übertönen, sank ihr Kopf in der Manier des sterbenden Schwans – ein ebenso ungeplantes wie drastisches Sinnbild dessen, was der Tiergesundheit mit rBST angetan wird…
Während wir den von Borchert „eingeforderten“ internationalen Widerstand verkörperten, waren sich die übrigen Verantwortlichen in ihrer Sichtweise der Manifestation mitnichten einig: Pöbel, Polittourismus oder mündige BürgerInnen? So spitzte sich auch die Auseinandersetzung mit der Polizei – erweitert um eine dem Bundesgrenzschutz vergleichbare Einheit – zu. Letztlich wurde aber unserer Forderung, die Straße vor dem Ratsgebäude erst freizugeben, wenn wir einen weiteren offiziellen Gesprächstermin zu rBST erhielten, stattgegeben. Der entpuppte sich dann allerdings als Lehrstück politischer (Un)Sittengeschichte: Der Vertreter des Rates war der Meinung, es sei völlig unnütz, sich gegen eine Zulassung von rBST zu engagieren, denn es sei unmöglich, den illegalen Einsatz zu kontrollieren…
Das war dann doch noch mal eine derbe Herausforderung unseres Galgenhumors – weiterhin war alles offen. Derweil tagte immer noch der Veterinärausschuß, in dem die Hormonlobbyisten mit einem „Kompromiß“ – um zwei Jahre verlängertes Moratorium, derweil flächendeckende Freilandversuche – einen möglichst nahen Zulassungstermin durchzusetzen suchten.
Das bestmögliche
Daran gemessen, ist die Entscheidung für das Moratorium bis zum Jahr 2000 die weitestgehende unter den derzeit denkbaren Varianten. 1:0 für uns, aber eben nur ein Etappensieg. Die Auseinandersetzung geht ohne Pause in die nächste Runde. Die Zeiten, in denen sich ein Agrarminister, aus Brüssel zurückkehrend, für ein Moratorium in Sachen rBST feiern lassen konnte, sind vorbei. Denn wer auch nach acht Jahren nicht für das einzig sinnvolle – ein endgültiges Verbot – entscheidet, ist nicht ausreichend gegen rBST. Verschoben ist nicht aufgehoben, ganz im Gegenteil: Diese Entscheidung bedeutet das Offenhalten der Hormonoption, ist letztlich zeitlich begrenzte Symptomkuriererei und Lichtjahre von einer grundsätzlichen, richtigen Weichenstellung entfernt. Wo anderenorts das St. Floriansprinzip blüht, ist die Kampagne gegen rBST lebendiger Ausdruck des Gegenteils: Was 1987 beim „Aachener Appell“ mit dem Zusammenschluß von Organisationen aus der Landwirtschaft, der Dritten Welt und dem Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz begann, bildet heute als Agrarbündnis den harten Kern auch im Kampf gegen rBST und hat sich einmal mehr bewährt. Hinzu kommt die wachsende internationale Verflechtung – auf EU-Ebene organisiert insbesondere durch die CPE und darüber hinaus mit der Pure Food Campaign in den USA. Das Engagement gegen rBST geht derweil weit über diese genannten Organisationen hinaus. Aber während Jochen Borchert demonstrative Aktionen forderte, waren kein Bauernverband, keine Tierärzteschaft, keine Partei und eben auch keine der staatlichen Verbraucherorganisationen vor Ort zu sehen. Letztlich sind aber phantasievolle, mitunter spektakuläre Entscheidungen vonnöten, um solche Entscheidungen zu beeinflussen.
Der Kampf gegen die chemische Keule geht weiter
Es ist der Druck der Straße, den die Politiker immer noch enorm fürchten. Daß diese Entscheidung das verhängte Moratorium auf eine weitgehend populistische Attitüde reduziert, verdeutlicht nur den aktuellen Handlungsbedarf gegen die weiterhin drohende Hormonstrategie. Der Bekanntheitsgrad der Droge konnte zweifellos durch die aktuelle Kampagne noch einmal enorm gesteigert werden. Eine gute Voraussetzung für die weitere Arbeit.
Während Kühe und Menschen in der EU noch einmal eine rBST-freie Atempause erhalten haben, ist in Kanada noch alles offen. „Empfindliche Dokumente“ über Zahlungen in Millionen-Dollar-Höhe von Monsanto an zulassungsinvolvierte Kreise waren dort bekanntgeworden, als eine Zulassung gerade greifbar nahe erschien.
Bereits im Frühjahr 1994 ist in Australien rPST, das Schweinewachstumshormon, zugelassen worden. Bei dieser Entscheidung stand die Akzeptanz auf den Hauptabsatzmärkten im Vordergrund. Mit expansiver Exportpolitik sollen Japan und die USA für australische Schweinereien gewonnen werden. Beide Länder äußerten gegenüber rPST keine Bedenken.
Bereits Mitte der achtziger Jahre sind vom BML geförderte rPST-Versuche in der Bundesrepublik durchgeführt worden. Wer darin längst verjährte Jugendsünden sieht, muß sich durch aktuelle rPST-Forschung in Dummerstorf bei Rostock eines besseren belehren lassen. Der Preis für das fünfjährige rBST-Moratorium sind Freilandversuche, die nun jedes EU-Mitgliedsland nach eigenem Gutdünken durchführen kann. Die Ergebnisse sollen dann in einen bis zum 31.7.1998 zu erstellenden Kommissionsbericht münden. „Kein Stoff ist so gut untersucht wie rBST“, kommentiert Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf die wissenschaftliche Unsinnigkeit dieser Entscheidung.
„Die EU-Agrarminister sollen sich endlich um ein praktikables Nachweisverfahren kümmern, statt über Feldversuche die Bevölkerung durch die Hintertür an die GentecHormonmilch gewöhnen zu wollen“, kritisierte das Agrarbündnis in seiner vorerst letzten Presseerklärung zu rBST. Es gibt noch viel zu tun, damit der weiße Rauch von vorgestern nicht zum Schnee von gestern wird.
Erziehung zum „idealen Tierarzt“ – eine Sozialstudie
– zunächst einmal nicht nur von männlichen Tierärzten, wie der Titel nahelegt; ich habe auch nicht zum Ende meines Studiums jedes feministische Bewußtsein praktischerweise abgestreift: Vielmehr wird im folgenden gezeigt, daß die Sozialisation zum „idealen Tierarzt“ auch eine zur „als männlich definierten Lebensform“ ist. Nicht zufällig lauten Stellenangebote: „Verheirateter deutscher Tierarzt gesucht…“
Abschnitt I beschreibt die ganz besondere Qualität unserer Ausbildung. Wozu werden wir ausgebildet und wie geschieht das?
Abschnitt II überprüft, ob diese anerzogenen tierärztlichen Qualitäten seitens der AGKT erwünscht sein können und entwickelt ein kritisches Gegenmodell.
In Abschnitt III schließlich wird gefragt, welche Rolle die AGKT in diesem Spiel übernimmt.
Wie bin ich überhaupt auf die Idee dieses Forschungsthemas „Sozialisation zum Tierarzt“ gekommen? Vor nunmehr 12 Jahren, während meiner Ausbildung zur Tierarzthelferin, habe ich die ersten Praktikantinnen erlebt: ahnungslos, unsicher (dabei von Hause aus durchaus zupackend und mit Tieren vertraut), jedoch gewiß eifrig im Studium und verdammt geschlaucht davon. In der folgenden Praxis wiederholte sich dieser Eindruck mit den „fertigen“ Anfangsassistentinnen: allesamt ausgelaugt und zermürbt, aber in den (für mich) einfachsten und wichtigsten Dingen nicht bewandert, welche sie dann im Crashkurs beigebracht bekamen. – Mag sein, daß ich damals beschloß, ich könne dann wohl auch studieren… So erschien mir’die Ausbildung an tierärztlichen Hochschulen rätselhaft ineffektiv, dabei aber gleichzeitig Energie und Menschen verschleißend.
In vielfältiger politischer Arbeit habe ich gelernt, bei unerklärlichen Irrationalitäten wie Rüstungswahnsinn, FCKW-Produktion trotz Ozonloch, usw. immer zu fragen: „Wem nützt das? Wer verdient daran?“ und noch jedesmal fand sich eine logische Erklärung. Es gilt immer die eiserne Regel: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.
Wem also nützt die bestehende Art der Ausbildung von Tiermedizinerinnen?
– den Praktikern? Meine Chefs waren sich mit mir über die Unzulänglichkeit der Fähigkeiten der Tierärztinnen einig, viel zu wenig Handwerk beherrschten diese. Und ich bin sicher, daß das keine vorgeschobene Begründung war, um Assis schlecht bezahlen zu können: Bei der heutigen Marktlage gibt es auch „Gute“ billig, zu sehr haben die Studis inhaliert, die eigene Ausbildung immer dann hoch einzuschätzen, wenn sie sich nicht genug dafür krumm machen, und niedrig, wenn es für die absolvierte Ausbildung Geld geben soll.
– der Industrie? Weiß Göttin, die sucht doch vor allem nach formbaren Persönlichkeiten ohne jede Erwartung des Soforteinsatzes; das für die dortige Tätigkeit nötige Wissen besorgen die hauseigenen Kurse. Da jammern die potentiellen Arbeitgeber seit Jahren an unserem Studium rum.
– der Wissenschaft gar? Die schätzt die eigene Ausbildung immerhin so realistisch ein (Es fehlt die Basis. Wissenschaftliches Arbeiten wird nicht beherrscht.), daß der Nachwuchs für geistige Weihen erst noch ein Aufbaustudium in Elitekleingruppen durchlaufen soll, bevor er für verwendbar befunden wird.
Inwieweit unser Studium uns besonders zu deutschen Beamten prädestiniert, wage ich nicht einzuschätzen.
Ich fand einfach keine Antwort auf meine drängenden Fragen. So bediente ich mich einer Forschungsmethode, die zunächst in Basisgruppen verfochten wurde: „Ich rede hier als Fachfrau, denn ich beschreibe, wo ich lebe, wo ich aufgewachsen bin, wovon ich wirklich etwas weiß.“ Und diese Methode ist spätestens seit Jane von Lawick Goodall wissenschaftlich hoffähig geworden: Ich begab mich zum Direktstudium sozialer Abläufe mitten in die Gorillagruppe, will sagen, ich begann 1986 das Studium der Veterinärmedizin. Es hat sich gelohnt, nach spätestens eineinhalb Jahren hatte ich die große Erkenntnis: Ich habe dieser Ausbildung Unrecht getan. Fazit ist:
in dem, was unverzichtbar wichtig ist, egal ob für Praxis, Industrie, Wissenschaft, werden wir hervorragend ausgebildet, danach werden wir selektiert und darin werden wir systematisch trainiert:
– eine ganz bestimmte Einstellung zu Arbeit, Zeit und Leben.
Ich habe diese faszinierend irrationale Grundhaltung ebenfalls bereits während meiner Helferinnenzeit immer wieder beobachtet. Ich habe sie bei Alten, Macht- und Geldgierigen ebenso gefunden wie -erschreckenderweise- bei Jungen, Netten, Rotgrünen aus dem AGKT- Umfeld.
Workoholics, das sind die, die wie doof immer schneller im Laufrad rennen, und wenn sie das Grundtempo einigermaßen bewältigen oder das Laufrad stoppt, in Nachtschicht sofort ein neues bauen (dabei macht es keinen Unterschied, ob das dann aus Naturholz und ohne Lösungsmittel gewachst ist), die, die zu jeder Zeit noch auf Besuche fahren, nie Verantwortung abgeben oder gar Assistenten einstellen können, egal ob sie selbst schon 90 Stunden pro Woche knechten und weiß Gott genug zum Leben haben. Und die beschränken sich nicht auf die freie Praxis.
Anerkennung für diese, als „normale“ Lebensweise geförderte, wird einem in der tiermedizinischen Welt überall zuteil: So hießt es in einer Todesanzeige eines Dr. med. vet., Leiter eines Labors: „Seine Arbeit war sein Leben… Wir werden in seinem Sinne Weiterarbeiten.“
Wir können das Motto auch christlich ausdrücken: „Unser Leben währet 70 Jahre, und wenns hoch kommt, so sinds 80 Jahre, und wenns köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. „(Psalm 90,10).
Wir finden diese Grundhaltung ebenso im Beruf (beim Praktiker, der auf einer ruhigen einsamen Insel, auf die er so gerne wollte, sofort verzweifelt und nach Hause jettet) wie bei Studierenden (die nach Abschluß des Staatsexamens in ein oft alkoholgetränktes Nachprüfungsloch fallen, wenn sie sich nicht sofort dem Jobstreß unterziehen).
Wie gesagt, es dauerte 1 bis 2 Jahre, bis mir der Zusammenhang zwischen unserer Ausbildung und diesem Phänomen deutlich wurde. Es erhebt sich die wissenschaftlich interessante Frage: Wie werden solche Menschen gemacht? Wieso lassen sie es mit sich machen?
Nun, auch ich habe zu Beginn das Studium als hinter mich zu bringendes Übel eingeschätzt. Ich hatte einfach nicht einkalkuliert, daß etwas so Sinnloses eine durchaus intelligente Frau wie mich so vereinnahmen könnte. Was also lernte ich, wie alle Zöglinge, gleich in den ersten Semestern? Unter anderem
Abu Bekrs Verhaltensmaßregeln für Tierärzte aus dem 14. Jahrhundert, zitiert nach Schebitz-Brass (S.24): „Die erst Lehre, die die Tierärzte und Pferdezüchter zu beobachten haben, ist, ihrem Lehrer Achtung zu erweisen, seinen guten Diensten Verständnis und Wertschätzung entgegenzubringen, ihm Dank zu haben für seinen Unterricht, seine Mühen zu belohnen und Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten in Ehrerbietung in allen Lebenslagen.“
Die Tiermedizin spricht: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“
„Mit Antritt dieses Studiums haben sie das Anrecht auf ein freies Wochenende verloren!“(Originalzitat Prof. Stöber)
Und diese Leitsätze bedingen einander in Wechselwirkung.
Die 1000 sinnlosen Testate in den ersten zwei Jahren sind eben nicht sinnlos: Via Angst werden die gesamten Gedanken und die gesamte Zeit des Zöglings besetzt. Da er noch ausbruchsgefährdeter Neuling ist (leckt mich doch am Arsch! – Mach‘ ich eben langsamer.), sind einige besondere Mechanismen nötig:
Wir betonen die Auserwähltheit, das Studieren-Dürfen – „Es warten so viele draußen…“
Wir bauen den Herdentrieb oder Gruppenzwang mit ein = Testate werden gemeinsam oder gar nicht bestanden, und Mensch will ja die anderen nicht hängenlassen. (Für die, die einfach nicht mitkommen, erfolgt hier übrigens die erste Selektion.)
Wir nutzen das Vorphysikum sozusagen als Aufwärmtraining für die nunmehr jährlichen Angstwochen.
Zur Eingewöhnung gewähren wir danach noch einige Wochen Ferien.
Die nächste unglaubliche Steigerung des Lemdruckes ist das Physikum. Es ist in vieler Hinsicht übrigens den Initiationsriten vergleichbar, wie wir sie von „Naturvölkern“ kennen. Da fragt sich auch jedeR: „Warum tut sich jemand so etwas an?“ Von außen ist die idiotische Freude, endlich
„Gummistiefel tragen zu dürfen“, einfach nicht nachvollziehbar. Es ist wie bei jeder verschworenen Gemeinschaft. Spezifische Bonusse werden nur wertgeschätzt in einer in sich abgeschlossenen Welt. Realistisch betrachtet wirken sie als das, was sie sind: völlig albern und die Qual nicht wert.
Dennoch machen die Studierenden das Spiel mit, scheinbar freiwillig. Wir kennen ein ähnliches Phänomen bei „Leistungstumkindern“, meist Mädchen ab Grundschulalter, die wie besessen jeden Tag zwei bis vier Stunden trainieren, und um nichts in der Welt davon abzubringen sind. Ihre Turnriege ist ihr Lebensinhalt, ein Leben jenseits davon nicht vorstellbar. Inwieweit hier noch von freier Entscheidung gesprochen werden kann, ist inzwischen unter Fachleuten keine Streitfrage mehr.
Nach dem Physikum, im 5. Semester, locken wir nunmehr die Zöglinge, nach dem Motto: „Du darfst jetzt endlich ans Tier..“, entsprechend der Erlaubnis zum Training im Bundesleistungszentrum, um bei der Parallele zu den Turnkindern zu bleiben. Und solch eine Chance nimmt mensch natürlich auch sonntags wahr, in diesem Fall z.B. die Mitarbeit in den Kliniken.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Punkt ist das Training, bzw. die Selektion des Umfeldes. Wir brauchen nicht nur Workoholics, sondern auch Workoholic-Angehörige.
Zum einen also die Beziehung: In den ersten beiden Semestern erweist sie sich als genügend „belastbar“, oder sie läßt’s eben, d.h. die meisten der mitgebrachten Liebschaften erledigen sich bis zum Vorphysikum. Hierbei fiel bei der Studie meines Umfeldes als random sample auf, daß Männer ihre (weibl.) Beziehung öfter behielten. Frauen sind offensichtlich mitleidensbereiter.
Zum nächsten das Umfeld: Die Freunde von früher müssen eben akzeptieren, daß der Studienstreß immer Vorrang hat. Freundschaften schlafen ein oder werden einseitig sporadisch gepflegt. Die WG akzeptiert den fremd- wie selbstgemachten Dauerstress der/des Mitwohnis, oder der Zögling braucht eine neue WG, besser noch Einzelwohnung. Interessanterweise scheinen Fachfremde durch unseren Lerneifer beeindruckbarer als die eigenen Leute. Zumindestens verlangt das tiermedizinisch dominierte Schwesternhaus von ALLEN das basisdemokratisch langwierige Abstimmen über Flurfarben und Kapellenfetenlautstärke. (Hier wirkt die allseitige Betroffenheit als Korrektiv gegen die Rolle des/der einzig Überlasteten und daher von Trivialitäten Freizustellenden.)
Insgesamt wird folgendes Verhalten eingeübt: Immer ist da der Streß als Grund, sich nicht auseinandersetzen zu müssen, weder mit anderen noch mit sich selbst. Es folgt der Verlust der Fähigkeit, sich zusammen- bzw. auseinanderzusetzen. Im Endstadium ist dauernder Streß nötig, um sich nicht auseinandersetzen zu müssen. Dies wird wahlweise durch Prüfungen oder Großtierpatienten, abzugebende Veröffentlichungen oder hustende Kätzchen bewerkstelligt. Zwangsläufig verbleibt Kontakt nur mit den Leuten, die das mitmachen und diese Lebensweise nicht in Frage stellen. Unser Zögling erfährt also nur Anerkennung für ihre/seine abstruse asoziale Lebensweise. Die Belohnung ist der Aufstieg in der vet. med. Hierarchie: Frau/Man kann jetzt mitleidig auf die „Kleinen“ runtergucken („bringt das erstmal hinter Euch, dann könnt ihr mitreden…11). Dies ist übrigens eine Denkweise, die wir später in den herabsetzenden Äußerungen über Laienkommentare wiederfinden. „Unbelastet von jeder Sachkenntnis…“ wird die unbequeme Kritik von Nichttiermedizinerlnnen genannt.
Das heißt, bereits nach zwei Jahren sind die Studiosi selektiert und vorerzogen. Ihr Umfeld ist angepaßt oder ausgewechselt. Und sie haben derart viel Energie in ihr sklavisches Studium gesteckt, daß sie es allein schon deshalb gut finden müssen, sozusagen aus Selbstschutz – jahrelang Tag und Nacht nur Sinnloses getan, wer mag und kann das vor sich zugeben?
Nun sind die Zöglinge auch weit genug präpariert, um sie das Wort „Ferien“ durch „spannende Praktika, wo mensch viel machen darf“ ersetzen zu lassen und für die nächsten drei Jahre endgültig aus ihrer Vorstellung zu streichen. Entspanntes Überlegen: „Was will ich jetzt tun?“ oder Feiern aus einer ruhigen lustvollen Kraft heraus sind bereits ausgetauscht worden durch einen zynischen Galgenhumor, gegen die Fähigkeit, völlig übermüdet tierisch die Nächte durchzufeten. „Der Schlafmangel zusätzlich macht’s auch nicht mehr.“ Und für vier bis zehn Tage nach j.w.d. in den Urlaub zu jetten (jede Minute ausnutzend), diese Fähigkeit ist im Sinne der Prägung zum idealen Tierarzt nicht zu unterschätzen, gibt sie doch die Illusion, gleichzeitig das anstrengende Studium/die Arbeit rund um die Uhr zu bewältigen UND am Leben teilzuhaben: (Wir sind so tolle Hechte. Wir verpassen nix. Wir schaffen beides.) Später werden diese Menschen nach einem 14-stündigen Arbeitstag noch auf die dörfliche Hochzeitsfete oder auf das Schützenfest eilen und bis zur nächsten Geburt durchfeiern. Sie werden ohne jedes schlechte Gewissen übers Wochenende nach fernen Inseln fliegen. („Wenn man schon mal wegkommt!“)
Während des 3. und 4. Studienjahres, des ersten und zweiten Staatsexamens, tauchen frau und man noch tiefer in die tiermedizinische Welt ein. Gewiß, wir wissen theoretisch, daß die meisten Menschen keine Vet.med’s sind, daß sie ohne jede Beschäftigung damit und ohne jedes Wissen darüber leben. Es gibt sogar solche, die sich auch unsere ständigen Erzählungen über widerliche Sektionen, Praktika und Prüfungen verbitten (und über anderes zu reden fällt uns nicht zufällig immer schwerer). Aber mindestens 95% unserer Zeit widmen wir eben diesen Dingen. Ständig sind wir von tiermedizinisch Tätigen/Lernenden umgeben.
Bewußt, sozusagen mit Händen greifbar und verinnerlicht ist also etwas ganz anderes. Längst lesen wir das Mitteilungs- und Klatschblatt der veterinärmedizinischen Familie: „wer mit wem, wo als Assi, wer gestorben, welche wohin berufen?“ – den Grünen Heinrich. Auch die sozialen Bedürfnisse werden also, mehr oder weniger befriedigend, durch die Tiermedizin abgedeckt. Ja, in ausgeprägten Fällen suchen die korrekt Konditionierten selbst ihr Liebesglück nur noch in dieser abgesicherten Welt mit Hilfe oben genannter Zeitschrift und ihrer Rubrik „Bekanntschaften“…
Soziale Bezugsgruppen innerhalb der Tiermedizin: Auch da ist das fortschreitende Studium eine Vorbereitung auf das später Übliche. Das heißt, wir suchen uns Zweckbündnisse, passende Prüfungsgruppen. Das edle Team vom Anatomietisch, das geschlossen durchfällt oder besteht, ist ersetzt worden durch in Gruppen startende Einzelkämpferlnnen, durch den unterschwelligen Wettstreit um den besseren Praktikumsplatz, um das Übungstier in der Propädeutik, um den Job als Bremserin und um den guten Eindruck zwecks Erlangen einer evtl, bezahlten Doktorarbeit.
Wie sieht es währenddessen mit der Teilnahme an der übrigen Welt aus? Nach dem Physikum wird noch stolz!!! erzählt, mensch habe seit Wochen keine Zeitung mehr gelesen. Später ist dies eher die Regel und nicht mehr erwähnenswert. Vielmehr wird die Ausnahme: „Du, ich hab‘ da letztens in der Zeit was über Salmonellen gelesen… „(natürlich von ahnungslosen Laien geschrieben und daher skeptisch zu beurteilen) „…war gar nicht schlecht!“ diese Ausnahme extra verbalisiert, was sie als solche kenntlich macht.
Einbrüche in der fortschreitenden Dressur (in Form von ungehörigen Ausbruchsgedanken) kommen durchaus vor, nun aber kann bereits das Mittel „wo Du Dich soweit gequält hast, wär’s doch jammerschade…“ greifen. Jede durchgestandene Folter macht nur leidensbereiter für die nächste… Die Krone des Ganzen bildet der 3.Teil, sozusagen Meisterstück und Prüfstein der Prägung zum masochistischen Workoholic.
Wir backen uns zwei Tierärztinnen Rezept 80 kg möglichst trockene Bücher mit 30 kg faden Skripten gut vermengen und unter Zusatz von reichlich Adrenalin zermörsern. Mit der so gewonnenen Grundmasse übergieße man zwei menschliche Gehirne mittlerer Kapazität und entziehe ihnen Licht und Sonne. Auf kleiner Stufe gut fünf Monate durchziehen lassen, bis sie mürbe werden. Wichtig: Zwischendurch mehrmals prüfen!! Die fertigen Tierärztinnen serviere man mit Sekt und Luftballons.
Würde man normale intelligente Menschen diesem zermürbenden Schwachsinn aussetzen, sie würden’s zurecht verweigern und ob der demütigenden Psychofolter eine sehr begründete Dienstaufsichtsbeschwerde beim Kultusministerium einreichen. Aber unserer mittlerweile etwas älterer Zögling ist ja präpariert: Sie/er hat gut gelernt, auf keinen Fall innezuhalten und sich zu fragen: „Was tu‘ ich da eigentlich und wofür?“ Alternativen sind längst nicht mehr vorstellbar (Motto: Augen zu und durch, andere habens’s ja auch geschafft). Dazu ist folgendes anzumerken: In den letzten Jahren verstärkt sich der Druck nicht erst im 3. Teil, sondern weit früher. Zum Teil ist diese Steigerung direkt benennbar (Wegfall der Ausgleichbarkeit, Wichtigerwerden der Noten bei drohender Arbeitslosigkeit,…).
Teils ist sie subtil, bedingt durch das auch den Lehrkörper ergreifende Gefühl, einen Großteil der Scholaren für die Arbeitsamtwarteschlange auszubilden. Da greift die alte Drohung „Wenn Sie erstmal in der Praxis stehen“ nicht mehr.
Eine parallele Situation gab es mit eintretender Lehrerarbeitslosigkeit an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten. Ich zitiere im folgenden eine Beschreibung des damaligen Klimas aus „Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden“: „Die wirtschaftliche Depression hatte auch im Lehrkörper tiefe Spuren hinterlassen, besonders dort, wo die Stellen am unsichersten waren. Die Profs spürten manchmal wie wir Studenten: Da stimmt etwas nicht mehr. Die Behauptungen, unter denen der Universitätsbetrieb veranstaltet wurde, trafen nicht mehr zu… Manche Ordinarien, die nun nicht mehr so genannt wurden, reagierten auf die Deklassierung der Hochschulen mit dem trotzigen Ausbau ihrer Hofhaltung. …Je weniger wichtig ihre Arbeit draußen genommen wurde, desto wichtiger machten sie sich selbst durch erdachte Rituale und kultische Handlungen, die sie ihren wissenschaftlichen Messdienern auferlegten…. Sie hofften, mit strengeren Anforderungen ihr Renomee retten zu können… Sie forderten höheres __ Niveau. Damit ließ sich zwar nicht die Sinnkrise von Instituten lösen, deren Absolventen auf überhaupt keinem Niveau mehr bezahlte Arbeit fanden, aber es verschaffte dem eigenen Amt zumindest kurzzeitig eine Aura von Verantwortung.“
Das heißt, der Druck steigt, die unberechenbaren Schikanen ebenso. So gerät das Ganze immer mehr in die Nähe eines Selbsterfahrungsmarathons, jedoch ohne Netz und doppelten Boden, ohne jedwede pädagogisch-therapeutische Betreuung. Kluge Lehrende stellen mit mir die Frage: „Warum bringen sich nicht mehr Leute einfach um?“ (da ein Leben ohne Tiermedizin in diesem Stadium nicht mehr vorstellbar ist.) Ich habe dafür zumindest eine These und das ist die des unbenannten, aber stets vorhandenen Sozialdarwinismus innerhalb diese Systems. Das „Hier wird selektiert, und wenn Du nicht mitkommst, hast Du eben nicht genügt.“ ist Naturwissenschaftlerlnnen eine sehr vertraute Denkweise. Zumindest unbewußt spürt sie jedeR. Soviele Tiermedizinstudierende sind in psychologischer Behandlung, Hannovers Therapeutinnen können das Wort „Testat“ nicht mehr hören. Aber das darf keineR wissen. Nach außen wird stets ein strahlendes „hart, aber das schaffen wir schon“ vermittelt.
So meint jedeR, er/sie sei der/die Einzige. Und an wem kann das nur liegen, wenn doch alle anderen offensichtlich irgendwie klarkommen? Eine Freundin, um die ich wegen ihrer Prüfungsschwierigkeiten arge Angst hatte, sagt später: „Selbstmord? Das kam nicht in Frage. Klar war: Es kann mir noch so dreckig gehen, irgendwo weiß ich genau, wenn ich jetzt den Löffel abgebe, wird’s nur heißen…na ja die hatte schon immer Schwierigkeiten, war dem Ganzen wohl nicht gewachsen, wie wäre die erst draußen klargekommen…“. (Jeder Gedanke der Schuldzuweisung an die eigene Art der Lehre, bei den Lehrenden, jede Furcht, es könnte sie ja dann auch betreffen, bei den Lernenden, muß systematisch verdrängt und durch die Erklärung der Individualschuld gedeckt werden.) „und wie gesagt, noch ganz ganz unten war das letzte, was mich weitermachen ließ, dieses: Den Triumph gönnst Du denen nicht…“.
So überlebten es denn erstaunlich viele, und da haben wir sie, die gewünschten Produkte: fertig in jedem Sinne behaftet mit der Illusion, jetzt würde alles anders. Nie mehr lernen! Und dabei wird doch nur die dauernde Beschäftigung mit Skripten, Büchern und Fragenkatalogen ersetzt durch die mit Mastitiskühen, Yorkshirebauchschmerzen, der Hypothek auf der Praxis, der neuen Konkurrentin im Nachbarort, der für eine Anstellung nötigen Zahl von Veröffentlichungen oder den für die Firma gewonnenen Aufträgen bzw. das durchgestandene Referendariat. Das Strickmuster bleibt das gleiche. Und die Person wird diesem Muster folgen um jeden Preis (Unterbezahlung), hat sie doch nie gelernt, selbst zu entscheiden, was sie eigentlich möchte.
Wie sagte Arnold Gehlen in den 60er Jahren: Institutionen sind nicht nur Lebendigkeitsverhinderer, sie haben auch „Entlastungsfunktion“: Ich muß nicht in jeder Lebensminute und bei jedem Schritt, den ich zu tun gedenke, neu überlegen und neu entscheiden; denn eine ganze Reihe von mehr oder weniger verbindlichen Vorschriften nimmt mir die Qual der Wahl ab. Ebensowenig hat die Person gelernt – revolutionärster aller Gedanken – ein gut bezahltes befriedigendes Leben zu beanspruchen. „Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden“ beschreibt die Einwände der Konservativen gegen die damalige Bildungsreform so: „Wenn jeder etwas Sinnvolles lernen würde, gaben sie zu bedenken, wolle nachher auch jeder etwas Sinnvolles arbeiten, und wer würde dann die Straße fegen? SIE WARNTEN, DAß ES SYSTEMVERÄNDERND SEI, DEN ANSPRUCH AUF GLÜCK ZU FÖRDERN.“
(Der 2. Teil dieses auf dem Gießener Treffen gehaltenen Vortrags folgt in der nächsten VETO)
Literatur: Die Bibel; Der Grüne Heinrich; „Allgemeine Chirurgie” von Schebitz-Brass; Die Wechselwirkung 8/92; „Geld Macht Liebe“ von Christel Dormagen; „Frauen im Laufgitter“ von Iris von Roten; „Das ganz normale Chaos der Liebe“ von Beck und Gernsheim; „Recht auf Faulheit“ von Paul Lafargue; Hannoversche Allgemeine Zeitung; taz; Neue Presse; die Textesammlung „Lob der Faulheit“ aus den 50em; Goethes „Faust“; „Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden(!);
Die EG-Agrarkommission hat ein siebenjähriges Moratorium für das gentechnisch produzierte Rinder-Wachstumshormon (BST) in der EG verfügt. Chance oder Risiko für die VerbraucherInnen?
Kleine Geschichte des BST
1993 ist das verflixte siebente Jahr für die Hersteller des gentechnischen Rinder-Wachstumshormons. Seit 1986 versuchen sie, ihr Hormon in den USA und in der EG auf den Markt und an die Kuh zu bringen. Dabei wechseln die Werbeaussagen so häufig wie die Krawatten ihrer Pharmavertreter.
Für die Herstellung des Rinder-Wachstumshormons werden Bakterien mit dem entsprechenden Gen aus Rinderembryonen manipuliert. Das von den Bakterien gebildete Hormon wird Kühen gespritzt, damit sie noch mehr Milch geben.
40% mehr Milch pro Kuh und Jahr durch BST hieß es 1986. In den USA war aber gerade eine Verordnung zur Bekämpfung der Milchüberschüsse in Kraft getreten. Danach sollten innerhalb eines Jahres 1,5 Millionen (!) Kühe geschlachtet werden oder ihren Besitzer wechseln (die Besitzer sollten die Milchproduktion an den Nagel hängen und dafür sozial entschädigt werden). Aufgrund der naheliegenden Schlußfolgerung, mehr Leistung pro Tier erhöhe die Überschüsse, und weil die extremen Ergebnisse nur von vier Tieren stammten, betonte die Pharmaindustrie in der Folge, so extrem sei die Leistungssteigerung ja gar nicht. Vielmehr ließe sich BST als Instrument zur „Feinabstimmung“ der Leistung einsetzen.
Das Rinder-Wachstumshormon gelangte indes auf die Titelblätter US-amerikanischer Zeitungen. Insbesondere Keith Schneider von der New York Times hatte die Zeichen der Zeit erkannt: den geplanten Einstieg der Gentechnik in den Tierstall via Rinder-Wachstumshormon.
Was dort (USA) lauthals propagiert wurde, sollte hier (EG) klandestine die Zulassungsbehörden passiert haben, ehe es auch nur einE VerbraucherIn bemerkt hätte.
Aber damals begannen sich in Europa und in den USA Kontakte zu knüpfen zwischen kritischen Organisationen in den Bereichen Landwirtschaft, Tier-, Umwelt-, Verbraucher- und Naturschutz. Besonders die WisconsinFamily-Farmers, die in ihren mittelständig strukturierten Betrieben über 30% des US-amerikanischen Milchaufkommens ermelken, suchten Verbündete. „Nur gemeinsam sind wir stark“, war Erkenntnis und Gebot der Stunde.
Das hatte auch die Pharmaindustrie erkannt. Und die rivalisierenden Multis Monsanto, Eli Lilly, Upjohn und Cyanamid verpflichteten gemeinsam den größten amerikanischen Werbekonzern für eine BST-Kampagne: Hill und Knowlton. Einen profimäßigen Eindruck machte die Argumentation aber auch weiterhin nicht, – wohl aber das Beharrungsvermögen!
Während sich bei BST-Testkühen Hinweise auf Fruchtbarkeits- und Stoffwechselstörungen sowie Eutererkrankungen häuften, stand die Pharmaindustrie wie ein Mann: Gesundheitliche Probleme für Mensch und Tier bestünden nicht.
Große durchrationalisierte Betriebe sollten umworben werden, indem sie als Gewinner eines BST-Einsatzes hingestellt wurden. Aber kleine und mittlere Betriebe wurden verschreckt durch Aussagen, wie sie top agrar in einer Überschrift dokumentierte: „Nur die Großen werden profitieren“. Sogleich reagierten die flexiblen Werbemacher: Besonders kleine Betriebe hätten mit BST ein Mittel zur Betriebsplanung in der Hand. Bei einer Senkung der Importfuttermittelpreise könnte BST gespritzt werden und so mit billigem Energieinput günstig Milch produziert werden. Eine Antwort auf die Frage, wieso sich das besonders für kleinere Betriebe lohnen sollte, blieben sie schuldig. Und woher sie den Glauben nahmen, die Leistung von Kühen ließe sich durch BST quasi „anschalten“ wie bei Maschinen, verrieten sie auch nicht. Tatsächlich reagieren die Kühe auf die Hormonspritzen sehr unterschiedlich: von enormer Leistungssteigerung bis zu einem Rückgang der Milchleistung.
Während die Skepsis eher zunahm, tingelte ein eigens von Monsanto für ein sechsstelliges Jahreseinkommen eingestellter Werbemann mit einer „Statistik“ durch die Lande, nach der über 70% der Bauern in der EG BST anwenden wollten. Daß lediglich 360 Bauern befragt worden waren, verschwieg er ebenso wie die Auswahlkriterien und die Auftraggeber der Erhebung, die Pharmaindustrie.
Aufwendiges Hormon-Lobbying hatte 1985 nicht verhindern können, daß der EG-Ministerrat eine Richtlinie mit einem EG-weiten Verbot von Hormonen in der Tiermast erließ. Doch für BST gilt das Hormonverbot nicht. Dies war der Erfolg des Engagements der FEDESA in Brüssel, einem seit Jahren bestehenden Zusammenschluß der auf dem europäischen Markt vertretenen Pharmaindustrie. In Sachen BST wurde auch schon mal der gesamte Agrarausschuß des Europaparlaments in die USA zu Eli Lilly eingeladen.
Aber zu einer endgültigen Zulassung konnte sich die zuständige EG-Agrarkommission auch nach sieben Jahren nicht durchringen: Erst halbjährlich, dann jährlich, zuletzt um zwei Jahre war die Zulassungsentscheidung in der EG hinausgeschoben worden. Dabei hatte die Kommission schon längst die Argumentation der Pharmaindustrie übernommen, nach der gesundheitliche Gefahren für Mensch und Tier auszuschließen seien.
Einzig der Verbraucherakzeptanz galt ihr Interesse. Um diese zu untersuchen, wurden in den letzten Jahren beachtliche EG-Gelder für Studien aufgewendet. „Trinken sie’s oder trinken sie’s nicht“, das war hier die Frage. Schließlich sind Millionen in die Entwicklung des gentechnischen Hormons und in die Werbung dafür investiert worden. Aber die jahrelangen Informations- und Protestkampagnen der GenkritikerInnen zeigten Wirkung: Eine eindeutig positive Antwort blieben die VerbraucherInnen offensichtlich schuldig. Nun soll die Zeit für das Hormon und seine Hersteller arbeiten:
Im Juni 1993 beschloß der US-Senat ein vorerst 14monatiges Moratorium für die Anwendung des Hormons in den USA.
Und im Juli 1993 überraschte Brüssel mit einem siebenjährigen BST-Moratorium für die EG.
Derweil sollen Lebensmittel aus dem Genlabor die Supermarktregale und die VerbraucherInnenmägen erobern: Käse und Champagner, die gentechnisch beschleunigt reifen, Bier und Brot, deren Produktion durch genmanipulierte Hefen ergiebiger wird, Säfte mit genmanipulierten Enzymen für Haltbarkeit und Geschmack, Joghurt mit genmanipulierten lebenden und vermehrungsfähigen Bakterien, sogenannten Starterkulturen…
Wenn diese sich zunehmend in unseren Mägen tummeln, so die Strategie, wird auch die Hemmschwelle für gentechnische Hormone und genmanipulierte Tiere fallen.
Die genkritischen Organisationen werden einen langen Atem haben müssen, damit die nächsten sieben Jahre keine mageren für sie werden und das Jahr 2000 nicht zum verflixten siebenten Jahr für den Verbraucherschutz wird.
Wer mehr wissen will: VETO Nr 15 S.33, VETO Nr 16 S.20-26, VETO Nr 17 S.13-14, VETO Nr 18 S.14, VETO Nr 19 S.16-17, VETO Nr 21 S.18-19, VETO Nr 23 S. 16-18, VETO Nr 24 S.8-10, VETO Nr 25 S.31
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