Neues zu einem alten Thema

Antibiotikaresistenzen

von Peter Plate

aus Veto 46 – 1998, S. 13-15

Das Problem:

Über die Problematik der Antibiotikaresistenzen, auch im Hinblick auf Leistungsförderer, ist wiederholt in dieser Zeitung berichtet worden (u.a. Nr. 23 u. 27). Seit den letzten Beiträgen zum Thema gibt es einige Neuigkeiten zu berichten:

  • die Entdeckung von Kreuzresistenzen zwischen dem humanmedizinischen Reserveantibiotikum Vancomycin und dem Leistungsförderer Avoparcin, was ein europaweites Verbot des letzteren zur Folge hatte
  • der EU-Beitritt Schwedens, das den Einsatz von Leistungsförderern seit 1986 verbietet, was intensive Diskussionen in der EU zur Folge hatte
  • verschärfte öffentliche Bedenken gegen den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung allgemein.

1. Avoparcin

Der Leistungsförderer Avoparcin, der seit Jahrzehnten in der Schweine- und Geflügelhaltung, in Großbritannien auch in der Milchviehhaltung, zugelassen war, ist ein Glykopeptid-Antibiotikum, von dem bis vor wenigen Jahren keinerlei Probleme bekannt waren (es wird enteral kaum resorbiert und eine Resistenzbildung war unbekannt).

In Krankenhäusern sind multiresistente Staphylococcus aureus-Stämme ein zunehmendes Problem: Patienten starben z.T. nach kleineren Eingriffen an Wundinfektionen und Septikämien; das Glykopeptid Vancomycin ist das einzig wirksame Antibiotikum gegen diese Stämme. Bei anderen Bakterien (Enterokokken) wurden Vancomycinresistenzen schon nachgewiesen. Eine befürchtete Übertragung dieser Resistenz auf multiresistente Staph.-aureus-Stämme wäre katastrophal. Ein kausaler Zusammenhang zwischen vancomycinresistenten Bakterien in Krankenhäusern und Avoparcineinsatz in der Tierhaltung wird kontrovers diskutiert: in den USA wird Avoparcin (legal) nicht eingesetzt, Vancomycinresistenzen sind hier jedoch auch ein Problem. Der Vancomycineinsatz in den Krankenhäusern ist jedoch höher als in Europa, und importiertes Fleisch kann aus Betrieben stammen, die Avoparcin einsetzen. Insbesondere aus Dänemark und Deutschland gibt es Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang nahelegen:

In Krankenhäusern der ehemaligen DDR wurden Anfang der 90er Jahre vancomycinresistente Enterokokken entdeckt, obwohl dieses Antibiotikum dort vor Öffnung der Grenze kaum eingesetzt wurde. Die Entdeckung vancomycinresistenter Enterokokken im Tau- und Waschwasser von Tiefgefrierhähnchen in der Krankenhausküche und die nachgewiesene Kreuzresistenz zwischen Avoparcin und Vancomycin machen den Herkunftsbestand als Resistenzquelle wahrscheinlich (KLARE et al. 1995). Somit war ein deutlicher Hinweis auf eine humanmedizinische Gefährdung durch den Einsatz von Leistungsförderern in der Tierhaltung erbracht, der auch durch vorhergehende Untersuchungen (BATES et al. 1993) unterstützt wird.

Für die Pharmaindustrie und Teile der Schweine- und Geflügelwirtschaft ist das Avoparcinverbot ein Alarmsignal, insbesondere, da es als Präzedenzfall das Verbot weiterer oder gar aller Leistungsförderer nach sich ziehen könnte. Es wird betont, daß das Verbot „wissenschaftlich unbegründet“ sei (Animal Pharm, Review 1997), wobei die Kosten und der Wettbewerbsnachteil angeführt werden, die durch eine verminderte Futterverwertung und Tageszunahmen entstehen. Die Antibiotikadiskussion ist z.Z. die größte Sorge der veterinärpharmazeutischen Industrie.

Der Zusammenhang zwischen dem Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und Resistenzen bei Menschen ist jedoch keineswegs neu: der Swann-Report von 1969 war bereits Folge einer Epidemie multiresistenter Salmonellen. HOLMBERG et al. (1984) untersuchten Salmonelloseausbrüche bei Menschen in den USA von 1971-1983 und konnten resistente Salmonellen bis in den Rinderstall zurückverfolgen. Eine ausführliche Übersicht über diese Problematik insbesondere im Hinblick auf Leistungförderer geben RICHTER et al. (1996).

Es ist quantitativ kaum erfaßbar, welchen Anteil der Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin an der zunehmenden Resistenzproblematik in der Humanmedizin besitzt, was von der „animal health industry“ oft dazu verwendet wird, die Verantwortung v.a. der Humanmedizin zuzuweisen. Dazu sollte jedoch beachtet werden, daß Antibiotika in der Tierhaltung zum großen Teil aus rein ökonomischen Gründen eingesetzt werden (Leistungsförderung, „Einstallungsprophylaxe“ als Kompensation für nicht artgerechte Haltungs- oder Transportbedingungen sowie Zukauf aus mehreren Beständen). Die Argumentation, aus Tierschutzgründen eine Einschränkung des Antibiotikaeinsatzes abzulehnen (siehe Bayer Anzeige), ist daher nicht nachvollziehbar. Allein der stichhaltige Verdacht, daß Tier-Antibiotika einen Beitrag zu humanmedizinischen Resistenzen leisten könnten, sollte daher einen restriktiven Einsatz nach sich ziehen.

2. Die Situation in Schweden

Eine Übersicht über die Entwicklung in Schweden geben ROBERTSON und LUNDEHEIM (1994):

In den 80er Jahren gab es eine intensive Diskussion zu Tiergesundheit, Tierschutz und Fleischqualität, wobei u.a. die schwedische Fleischvermarktungsgesellschaft, der schwedische Bauernverband und die schwedische Gesellschaft für Tiermedizin stärkere Restriktionen beim Antibiotikaeinsatz forderten. Im Januar 1986 wurde daraufhin jeglicher Einsatz von antimikrobiell wirksamen Substanzen auf die Indikationen Vorbeuge, Erleichterung und Heilung von Krankheiten beschränkt (Leistungsförderer sind also ausgenommen) und der tierärztlichen Verschreibungspflicht unterstellt.

Der Einsatz von Antibiotika insgesamt ging daraufhin um ca. 35 % zurück. Detalliert untersucht wurden die weiteren Auswirkungen des Leistungsfördererverbotes im Hinblick auf die Ferkelerzeugung. Vor dem Verbot war dem gesamten kommerziell vertriebenen Ferkelfutter Olaquindox (50 mg/kg) zugesetzt, ein Leistungsförderer mit Breitbandwirkung u.a. gegen E. coli und den Dysenterieerreger, der damit als „Nebeneffekt“ eine prophylaktische Wirkung gegen Durchfälle beim Absetzen entfaltet. Zu Recht wird von der Pharmaindustrie angemerkt, daß direkt nach dem Verbot die Probleme zunahmen (insbesondere um mehr als 100% zunehmende Durchfälle beim Absetzen, verringerte Wachstumsraten und zunehmende Mortalität), und dadurch der Einsatz therapeutischer Antibiotika (u.a. Olaquindox in höherer Dosierung von 160 mg/kg) erhöht werden mußte. Somit blieb der Olaquindoxverbrauch von 1985-1987 konstant. Eine weitere negative Begleiterscheinung ist der vermehrte Einsatz von Zinkoxid als „Antibiotikaersatz“ im Ferkelfutter , der ökologisch problematisch ist. Die offensichtlichen Probleme nach dem Leistungsfördererverbot führten zu verstärkten Forschungsanstrengungen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen (Stallbau, Hygiene, Management) sowie der Fütterung. Eine Gruppe der Schwedischen Gesellschaft für Tiermedizin untersuchte Absetzprobleme und stellte strenge Richtlinien für den Einsatz von Fütterungsarzneimitteln auf. Danach müssen zunächst eine Untersuchung der Herde durchgeführt und prädisponierende Faktoren abgestellt werden, bevor Antibiotika verschrieben werden dürfen. Weiterhin sind vor dem Antibiotikaeinsatz diagnostische Untersuchungen durchzuführen. Der Schwedische Tiergesundheitsdienst verstärkte seine Anstrengungen, den Landwirten know-how und Leitlinien zu vermitteln.

Die Autoren beurteilen das „Schwedische Modell“ als erfolgreich, da es durch hohe Tierschutzstandards und das Fehlen eines routinemäßigen Antibiotikaeinsatzes gekennzeichnet ist. Leider liefern sie jedoch keine Zahlen, die belegen, wie erfolgreich sich die Beratungsprogramme im Hinblick auf die Tiergesundheit auswirkten.

Des weiteren ist das genaue Monitoring des Arzneimitteleinsatzes bemerkenswert. Daten zur Entwicklung z.B. der Olaquindoxmenge pro 10 000 Schweine, des Anteils der verschiedenen Antibiotika sowie der Resistenzsituation werden kontinuierlich erhoben und veröffentlicht. Interessant ist beispielsweise, daß das am häufigsten angewandte Antibiotikum Benzyl-Penicillin ist, welches die erste Wahl bei Eutererkrankungen der Kühe darstellt, und daß nur ca. 5 % der Staph.-aureus- Stämme bei Mastitiden Penicillinase bilden (Übersicht bei BJÖRNEROT et al. 1996).

3. Weitere öffentliche Bedenken gegen den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung

Als Quelle weiterer Bedenken der Öffentlichkeit gegen den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung sei beispielhaft das (nicht als industriefeindlich bekannte) britische House of Lords angeführt: Der siebte Bericht des „Select Committee on Science and Technology“ enthält zahlreiche interessante Fakten und Stellungnahmen zum Thema:

Es wird geschätzt, daß – auf Großbritannien bezogen – etwa die Hälfte der antibiotisch wirksamen Substanzen im „nicht-humanen Bereich“ eingesetzt werden. Der Public Health Laboratory Service (PHLS) betont auf Anfrage, daß die Geschichte von Salmonelloseausbrüchen eng mit dem Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verbunden ist. Der Swann Report von 1969 war Konsequenz einer Epidemie multiresistenter S. typhimurium – Stämme (DT29) bei Rindern und Menschen. Nachdem infolge des Swann Reports einige Antibiotika (wie Chloramphenicol) als Leistungsförderer verboten wurden, ging die Epidemie zurück.

1975 wurde der Nachweis erbracht, daß Apramycin aus der Kälberhaltung für gentamicinresistente S. typhimurium – Stämme beim Menschen verantwortlich ist. (Anmerkung: Apramycin wird in GB immer noch umfangreich angewendet, während Gentamicin nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassen ist.)

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Nach der Zulassung von Fluorchinolonen für Tiere, insbesondere von Enrofloxacin im Jahre 1993, wurde ein Anstieg von Resistenzen bei verschiedenen humanmedizinisch bedeutsamen Salmonellen gegen das Fluorchinolon Ciprofloxacin beobachtet. Ein kausaler Zusammenhang wird von verschiedenen Seiten vermutet.

Nachdem der (britische) PHLS die amerikanische Zulassungsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) per Telefon über die Ciprofloxacinresistenzen informiert hatte, wurden in den USA keine Fluorchinolone mehr zugelassen, und der illegale Einsatz bei lebensmittel liefernden Tieren wird von den Aufsichtsbehörden aktiv verfolgt. Großbritannien setzt wie andere europäische Länder die Zulassung von Fluorchinolonen für Tiere jedoch fort, zuletzt von Marbofloxacin auch für laktierene Kühe. In Deutschland wurde in diesem Jahr ein Fluorchinolon für die Trinkwassermedikation bei Broilern zugelassen, mit einem Tag Wartezeit. In Großbritannien sind nicht Salmonellen-, sondern Campylobacter-Infektionen die häufigste Ursache von Lebensmittelvergiftungen. Nach einem WHO-Report gab es nach der Zulassung von Fluorchinolonen für Geflügel einen dramatischen Anstieg von resistenten Campylobacter jejuni-Stämmen, die von Geflügel, Geflügelfleisch und erkrankten Menschen isoliert wurden. Vor deren Einsatz beim Geflügel wurden diese Stämme ausschließlich bei mit Fluorchinolonen behandelten Menschen isoliert. Resistente C. jejuni-Stämme werden mit Therapieversagern in Verbindung gebracht.

4. Schlußfolgerungen

Angesichts dieser Hinweise erscheint die Bemerkung absurd, daß „erst noch umfangreich geforscht werden müsse“, um restriktivere Regelungen in Kraft zu setzen. Tierschutz wird von Teilen der Industrie als „Antibiotika-Verkaufsargument“ genutzt. Die Situation in Schweden unmittelbar nach dem Leistungsfördererverbot wird dabei als abschreckendes Beispiel dargestellt, wobei der zweite Schritt, die nachfolgende Verbesserung der Haltungsbedingungen, sowie die vorbildlichen Leitlinien zum Antibiotikaeinsatz verschwiegen werden. Zahlreiche Markenfleischprogramme in Deutschland kommen sehr gut ohne Leistungsförderer aus. Das bestätigt den Verdacht, daß der ökonomische Nutzen der Leistungsförderer vor allem unter suboptimalen Bedingungen zum Tragen kommt. In der Tierärzteschaft verschiedener Länder bricht „Therapienotstandspanik“ aus, als wolle die Öffentlichkeit uns die Penicillinspritze, mit der wir das leidende Tier retten wollen, aus der Hand reißen. Erforderlich ist jedoch – und das ist gesundheitspolitisch vordringlicher als die Rückstandsproblematik – eine klare Strategie, um den (wahrscheinlichen) Beitrag der tierischen Lebensmittelerzeugung zur Resistenzproblematik zu senken oder zu eliminieren. Hierzu können die Antibiotika in drei Kategorien eingeteilt werden:
Leistungsförderer – ein generelles Verbot dieser Stoffe ist wissenschaftlich ausreichend begründbar und auch marktpolitisch sinnvoll, wenn bei Importen auf dieselben Standards geachtet wird. Gerade handelspolitisch wird gegen ein Leistungsfördererverbot insbesondere von der Geflügelwirtschaft argumentiert (Wettbewerbsnachteile auf dem Weltmarkt u.s.w.). Als Gegenbeispiel sei der australische Rindfleischexport in die EU angeführt: Hormoneinsatz zur Leistungssteigerung ist in Australien erlaubt, Betriebe, die für den EU-Export produzieren, wenden diese jedoch nicht an. Strenge EU-Kontrollen auf Hormonrückstände mit dem ständig drohenden totalen Importstop sichern strenge Kontrollen in Australien und die Einhaltung des Hormonverbotes für die entsprechenden Betriebe. Ähnliches ist auch für Leistungsförderer denkbar, sofern der Weg vom Herkunftsbetrieb zum Importeur nachvollziehbar bleibt. Die Kontrollen könnten im Suchen nach bestimmten Resistenzgenen bestehen.

Antibiotikagruppen, die der Humanmedizin vorbehalten sind. Hierzu sollten z.B. Glykopeptide und Fluorchinolone gehören. Diskussionswürdig sind Ausnahmeregelungen für Einzeltiere: die eine euterkranke Kuh oder das an Pneumonie verendende Kalb wird kaum die humanmedizinische Resistenzsituation verschärfen, wenn sie/es mit Baytril behandelt wird, und eine strenge Regelung (ähnlich dem Betäubungsmittelrecht) mit Begründung jedes Einzelfalles erscheint denkbar. Eine solche Regelung würde jedoch die Überwachung bedeutend erschweren und zum Mißbrauch („schon wieder 25 Einzelkälber mit Pneumonie“) geradezu einladen.
Antibiotika, die der Tiermedizin zugänglich sind. Hier sollten die schwedischen Leitlinien als Vorbild dienen, insbesondere der prophylaktische Einsatz bei Tiergruppen ist auf strenge Indikationen zu begrenzen und schrittweise durch besseres Management zu ersetzen (geschlossene Systeme, optimale Haltungs- und Klimabedingungen etc.)

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