Veto 38

Wir haben auch schon mal besser ausgesehen.

Von wegen Ende der Utopien! Kaum gehen die vielgescholtenen 90er Jahre in ihre zweite Runde, haben die Medien sich daran gemacht, einen neuen Aufbruch zu inszenieren. Und das in einem Land, das zwar immer noch und trotz allem auch unseres ist. Einem Land freilich, das damit beschäftigt zu sein scheint, seine ehedem agrarischen Nutzflächen in „Kulturbrache“, abgewickelten Fabriken in „Industriebrache“ und seine vormaligen Vorzeigeintellek­tuellen in eine völkisch-nationale Denkbrache zu entlassen. Die Revolution kehrt, hören wir sagen, zurück und ist vor allem anderen – vegan. Das Lebensgefühl der MTV-Kids, jener globalen Zapper und nach ihrem Selbstverständnis kulturellen Samples, ist clean. Blutlos und radikal zugleich. Auf Shampoo-Planet weiß jedes Kind, daß Haar, sprich performance und Outfit, wichtig, die Welt hoffnungslos zerstört und der Tod – zumindest von Artgenossen – spätestens seit „desert storm“ ein finales Medienereignis ist.

Das Lebensgefühl ist (oh sentiment!) vegan, der mystischaufgeladene Naturbegriff der 80er einem virtuell- technoiden gewichen Der objektive Widerspruch zwischen dem Mangel an „Natur“erfahrung auf der einen und der Sehnsucht nach einem harmonischen „Miteinander“ von Mensch und Umwelt auf der anderen Seite wird durch einen Rückzug in synthetische (Wahmehmungs-) Sphären offensiv aufgelöst.

Benutzerlnnnen von U-Bahnen und anderen großstädtischen Einrichtungen wissen mittlerweile, daß Milch gleich ’’Raubmord“ und Fleisch gleich „Mord“ ist. Veganische Fundis laufen mit einer ebenso kryptischen wie einprägsamen T-Shirt-Botschaft durch die Asphaltschluchten: Meat Is Shit.

Zuverlässige Umfragen auf der letzten Redaktionssitzung weisen „vegan“ als Reizwort des Wochenendes aus. Was von Fernsehen und Printmedien als „vegan revolution“ aufgeblasen wird, stellt sich beim ersten Hinsehen als Amalgam aus Fundamentalopposition und Konsumkritik dar. Was freilich erst noch zu überprüfen wäre. Die erste Runde unserer Auseinandersetzung mit dem Veganischen läuten wir deshalb auf S. 4 ein, weitere mögen folgen.

Der Zeitgeist ist auch „fit for fun”. Die Message dieser und anderer Hochglanzpostillen ist so simpel wie das ästhetizistische Body-posing ihrerModels: Gestrafftes Single-Fleisch als Garant für ein erfolgreiches Leben bis zum SanktNimmerlemstag. VETO hingegen räumt mit den modernen Gesundheitsmythen auf und empfiehlt – ganz unverkrampft anstelle eines vereinsamten Daseins als dünner Hering die fröhliche Eß- und Trinkgemeinschaft („Ich bin froh, daß ich kein Dicker bin“ auf S. 6).

Während das Europäische Parlament die Patent-Richtlinie vorerst gestoppt hat (S. 19), rückt mit der verabschiedungsfähigen Bioethik-Konvention eine biologistische Expertokratie in bedrohliche Nähe, wie auf S. 16 zu lesen ist. Und wie die Weichen für eine wie auch immer geartete Zukunft von den auserwählten Experten (seltenst -Innen) anhand der auch in kritischen Kreisen weithin akzeptierten Technikfolgenabschätzung je nach Geld und Gusto gestellt werden können, steht auf S. 26.

Schwerpunkt der kommenden VETO Nr. 39 ist das Thema „Ausbildung“, zur Anregung für sämtliche Autorinnen sei auf das Gießener Protokoll in VETO Nr. 37 verwiesen und schließlich noch darauf, daß wir durchaus nichts dagegen hätten, ein etwas dickeres Heft zu machen …

Die Redaktion

Inhalt der Veto 38

Tierschutz

Nix vom Tier – das lob‘ ich mir!
Von den Veganem 4

Lebensmittel

Ich bin froh, daß ich kein Dicker bin
Durch gesunde Ernährung zu einem langen Leben? 6

Alternative Heilmethoden

Professionelle Nadelarbeit
Bericht vom Akupunktur-Seminar II

Transport

Borchert zwischen Bonn und Brüssel
Versorgung beim int. Transport 12

Gentechnik

Die PATENTEN GENErationen
Der Mensch als Erfindung der Gentechnologie 14

Bioethik

Der Coup der Biokraten
Die Bioethikkonvention des Europarates 16

Gentechnik

Gentechnik aktuell 19

Vereine

Der alte Mann und das Schaf
Neues vom Verein „Leben mit Tieren“ 21 

Tierzucht

Spiel ohne Grenzen?
Die Tierzüchtung aus der Sicht der Physiologen 23 

Wissenschaft

Euer Fortschritt wird ein Schritt von der Menschheit fort sein
Zur Technikfolgenabschätzug 26

Berufsbild

„Ihr seid doch angestellt…“ 28

AG Interna

Freiländer – es kann nur einen geben 29

Agrartelegramm

Absurdistan

Buchbesprechung

Kühe wie Heuschrecken 
Das Imperium der Rinder 33

Ankündigungen und Anzeigen

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