Im Spiegel der Vetos der letzten 19 Jahre

Tierschutz und Tierhaltung in der AGKT

von Ute Knierim

aus Veto 50 – 2007, S.

“… Aufgrund der besonderen Stellung des Menschen in der Natur haben wir eine ethisch-moralische Verantwortung allen Lebewesen gegenüber. Neben dem Artenschutz, dem Schutz der Wild- und Heimtiere sowie der Versuchstiere bezieht sich diese auch auf eine am menschlichen Nahrungsmittelbedarf orientierte Tierzucht und Tierhaltung der Nutztiere, die den Bedürfnissen der Tiere weitgehend gerecht werden. Ziel unserer Tätigkeit darf es also nicht sein, die Folgen falscher Tierhaltung, -zucht und -ernährung durch die Anwendung immer neuer Pharmaka zu kurieren, sondern die Ursachen zu beseitigen und von der kurativen zu der prophylaktischen Tätigkeit zu gelangen. …”

So steht es zu lesen in der sogenannten Plattform der AGKT, in der Nullnummer der Veto (1982). Damit fing im Bereich Tierschutz und Tierhaltung in der AGKT alles an. In der Veto Nr. 1 wird dann von Gründungen der Arbeitskreise (AKs) “Massentierhaltung” und “Tierversuche” in Hannover berichtet. Wenn ich mich recht erinnere, kam der Arbeitskreis “Tierversuche” nie so sehr zur Blüte. Vielleicht, weil sich die Leute, die sich für das Thema interessierten, in ihren Auffassungen über die grundsätzliche Vertretbarkeit von Tierversuchen zu sehr unterschieden oder weil sich viele mit diesem heiklen Thema gar nicht auseinandersetzen mochten? Eigentlich erstaunlich, dass auch in den späteren Vetos kaum eine Diskussion dieses Themas stattfindet. Bei den Studierenden war ja eher noch ein Engagement bezüglich des Tötens von oder der Eingriffe an Tieren im Studium festzustellen (häufig unter der mindestens rechtlich unkorrekten Überschrift Tierversuche). Auch das findet sich in geringem Umfang in der Veto wieder, der letzte Artikel hierzu erscheint allerdings bereits 1992. Deutlich mehr Gewicht hat tatsächlich immer die Auseinandersetzung mit der Nutztierhaltung im weiteren Sinne gehabt (siehe Abb.). Als Themen des AK Massentierhaltung werden genannt: Industrialisierung der Tierhaltung, nicht artgerechte Haltungsformen, ethische Mißachtung des Tieres (Genmanipiulation, Militärforschung, Embryotransfer, Umwandlung von Milch zu Treibstoff), Qualität des Arbeitsplatzes, Rückstände, optische Qualitätskriterien, Futtermittelimporte aus der 3. Welt, Sozialkosten, Umweltprobleme, Abhängigkeit der Landwirte. Geradezu rührend finde ich, wie einfach damals noch die schlichte Aufzählung von Schlagworten als Meinungsäußerung fiel. Aber der damalige Rahmen war damit abgesteckt. Das Interesse lag zunächst bei den politischen Rahmenbedingungen und Konsequenzen der Nutztierhaltung, um Tierschutz ging es dabei oft nur sekundär. So wurden beispielsweise bei der Beschreibung der “Physiologischen Leistungen und ihre[n] Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit der Milchkuh” (Veto Nr. 10, 1985/86) zwar Aspekte wie abnehmende Lebensdauer oder erhöhte Krankheitsanfälligkeit aufgeführt, aber ohne die Folgen für das Tier selbst zu benennen. Dagegen machte sich die Kritik fest an hohen Sozialkosten, Hochtechnisierung und Umweltbelastung. 

Interessanterweise haben sich die Schwerpunkte im Laufe der Jahre verschoben. Immer mehr erfolgte eine Auseinandersetzung mit rein fachlichen Aspekten wie der Ethologie der Tiere, die nicht notwendigerweise mit einer politischen Beurteilung verbunden sein müssen. Einerseits sicher eine notwendige Entwicklung; wenn ich etwas ändern möchte, komme ich nicht umhin erst mal in die Fachmaterie einzusteigen. Andererseits ist es nur vor diesem Hintergrund zu verstehen, dass Studierende nach bereits längerem Engagement in AGKT-Arbeitskreisen mit gerunzelter Stirn fragten, ob es sein könnte, dass die AGKT mal eine linksgerichtete Organisation gewesen ist. Noch ein anderer Aspekt kommt hinzu. Die AGKTlerInnen wurden älter (und werden es unumgänglich immer noch), ein immer größerer Teil ging ins Berufsleben und zwar zum Teil in Bereiche ihrer AGKT-Aktivitäten. Das gilt zum Beispiel auch für mich. Und ich merke, dass ich gerade schon überlege, ob ich das, was ich geschrieben habe, wirklich schreiben sollte. Wer weiss, wer das alles lesen wird. In meiner beruflichen Tätigkeit muss ich mich politischer Stellungnahmen enthalten. Darüber hinaus empfinde ich es als durchaus angenehm, dass im Zuge der Auflösung des starken politischen Lagerdenkens der 80er und frühen 90er Jahre Gespräche und Diskussionen zwischen Leuten möglich sind, die sich vorher nicht angesehen hätten – und mensch darf nicht vergessen, dass auch manche Ansätze einer kleinen kritischen Minderheit Eingang gefunden haben in Mainstream-Organisationen wie Tierärztekammer, Verbraucherschutzministerium usw. 

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es auch mit einer teilweisen “Entpolitisierung” der AGKT zu tun hat, dass eigentlich erst ab den Neunzigern die Themen Heimtiere und Pferde auftauchten. Vielleicht hat es auch mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft und damit dem Arbeitsprofil in der Tiermedizin und dem Profil der Studierenden zu tun. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass in den Achtzigern, während meines Studiums in Hannover, sich kaum jemand meiner Bekannten oder Freunde für Kleintiere interessiert hat. Großtiere waren das Echte und Wahre. Jetzt stelle ich fest, dass die Studierenden, wiederum in Hannover, sich fast ausschließlich für Hunde und Pferde interessieren und nur in wenigen Fällen wissen, wie Nutztierhaltung aussieht und was dort vor sich geht. Wenn ich ihnen vorhersage, dass ein erheblicher Teil von Ihnen sich als AmtstierärztInnen mit diesem Bereich auseinandersetzen werden muss und dort Verantwortung für die Überwachung der Lebensmittelerzeugung übernehmen, ernte ich erschreckte und ungläubige Blicke. Erstaunlich, wie schnell sich der Wandel in den Berufswünschen und Lebensvorstellungen der Leute vollzieht.

Aber zurück zu den Veto-Inhalten: Ich habe in der Tabelle einfach mal aufgeführt, welche Artikel zum Thema Tierschutz und Tierhaltung in den Vetos zu finden sind – eine ganz schön beeindruckende Reihe von kürzeren und längeren, mehr und weniger tiefgehenden Einlassungen. Dabei ist die Abgrenzung gar nicht so einfach und willkürlich durch mich erfolgt, was wirklich dazugehört und was nicht. Überschneidungen gibt es zu Beiträgen zur ökologischen Landwirtschaft, Tiergesundheit, Tierzucht, zur Bio- einschließlich Gentechnik und Frage der Patentierung. Außerdem gibt es da noch das Heft zur AGKT-Fahrt in die Schweiz (siehe auch Veto 16, 1987/88), die Bände zu den Seminaren Ökologische Tierhaltung von 1990 bis 1994 und die Anforderungen an die artgerechte Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere von 1991.

Aus meiner Sicht war die AGKT ein Art Nährboden, der gut war für manchen Berufsweg, wie oben schon angedeutet, aber auch für weitere Aktivitäten. Während aus der AGKT aus gutem Grund nie ein Verein wurde, sind andere aus ihr hervorgegangen oder hatten zumindest wichtige personelle Verquickungen mit ihr. So berichteten die Wiener AGKTlerInnen 1987 in der Veto 15 von der bevorstehenden Vereinsgündung, um ein Eiervermarktungsprojekt starten zu können (siehe auch Veto 16). Wesentlich ausgeweitet und umorganisiert, inzwischen ohne direkte Verbindungen zur AGKT, gibt es diesen Verein heute als “Freiland – Verband für ökologisch-tiergerechte Nutztierhaltung und gesunde Ernährung”. 1989 wurde in der Veto 20 das Entstehen der Beratung Artgerechte Tierhaltung (BAT) e.v. mitgeteilt, in der Veto 22 die Gründung des Vereins Leben mit Tieren e.V. Die Gesellschaft für ökologische Tierhaltung e.V. gibt es seit 1992 (Veto 30), das Beratungs- und Schulungsinstitut für schonenden Umgang mit Zucht- und Schlachttieren seit 1993 (Veto 34).

Wie wird es nun mit der AGKT weitergehen, wenn es die Veto nicht mehr gibt? Der aktive Kreis der AGKT, also derjenigen, die zu unseren halbjährlichen Treffen kommen, ist relativ klein geworden, so grob 20 Leute. Studentischen Nachwuchs scheint es derzeit nicht zu geben und die “Alten” sind stark beansprucht von beruflichen, familiären und anderen Verpflichtungen. Ein Nährboden für neue Aktivitäten ist das nicht mehr so sehr. Aber ein Nährboden für Ideen und Gedanken schon noch, ein Forum für gute Diskussionen mit kritischen und klugen Leuten. Da die meisten von uns ja schon ausreichend aktiv sind, nun im beruflichen Bereich, ist das eigentlich genau das, was wir gut brauchen können, zumindest kann ich das für mich so sagen. Ich bin also gespannt auf unsere nächsten 20 Jahre und überzeugt, dass wir an veränderte Bedingungen angepasste Formen finden, bei den klassischen AGKT-Themen wie Tierschutz und Tierhaltung weiter mitzumischen.

Ute Knierim

Abbildung: Verschiedenen Tierschutzthemen im Laufe der Jahre in der Veto quantitativ gesehen

Tabelle: Liste der Beiträge zu den Themen Tierschutz und Tierhaltung in den Vetos der letzten 19 Jahre

JahrNr.Titel oder InhaltThemenbereich
19820Plattformallgemein
19832Moderne Tierhaltung und -gesundheitNutztiere
19833Grundsatzerklärung zu Tierversuchen vom Gießener AG-Treffen Tierversuche, Töten im Studium
19846Tierversuche in Lehre und ForschungTöten, Eingriffe i. Studium


Aktuelles zur Novellierung des Tierschutzgesetzesallgemein


Der MäusebunkerTierversuche

7Schächten und Tierschutz INutztiere

8Schächten und Tierschutz IINutztiere
19859Produktions- und Vermarktungsprobleme mit Eiern aus artgerechten HaltungssystemenNutztiere


Nutztierethologie und TierschutzNutztiere


Beurteilungskriterien für tiergerechte NutztierhaltungssystemeNutztiere

10Probleme bei der Erzeugung von Lebensmitteln tierischer HerkunftNutztiere
198714Kuhgerechtes MelkeNutztiere

15Wiener Aktion – Vermarktung von Eiern aus artgerechter HaltungNutztiere


Ethologie des Huhnes INutztiere


Verhalten und klinische TiergesundheitNutztiere


Die Entwicklung der Ethologieallgemein


Nutztierethologie, Tierhaltung im TierschutzgesetzNutztiere


Familienschweinestall zum AnfassenNutztiere

16Artgerechte Rinderhaltung, Milchkälber, MastrinderNutztiere


Wiener Eier – Statuten Verein Kritische TiermedizinNutztiere


Ethologie des Huhnes IINutztiere


Artgerechte Tierhaltung bei HauskaninchenNutztiere, Heimtiere
198817Kälberhaltung – zum Entwurf der KälberhatungsVONutztiere

18SchweinehaltungsVO kontra TierschutzgesetzNutztiere


Richtlinien für die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere, KontrollsystemNutztiere


Ei konkret – Wiener EierNutztiere


Neuland-ProjektNutztiere
198919Tierhaltung – Stand auf Grüner WocheNutztiere

20Neuland -Stand der DingeNutztiere

21Anforderungen an die Haltung von NutztierenNutztiere


Kommentar zum Tierschutzberichtallgemein

22Die Konsequenz – einer kämpft gegen TierversucheTöten, Eingriffe i. Studium


Altromin Skandalpreis für TierversucheTierversuche


Anforderungen an die Haltung von Kälbern, Mastrindern, Ammen- und MutterkühenNutztiere

Tabelle: Liste der Beiträge zu den Themen Tierschutz und Tierhaltung in den Vetos der letzten 19 Jahre (Fortsetzung)

JahrNr.Titel oder InhaltThemenbereich
199024Anforderungen an die SchweinehaltungNutztiere


Vom Zugviehpfleger – TierärztInnen und Tierschutzallgemein


Tierversuche – Das UrteilTöten, Eingriffe i. Studium


Berliner Anstöße – AGKT und Tierschutzallgemein
199125Von Nackthunden undanderen QualzüchtungenHeimtiere


Erlaubt ist, was gefällt (Katzenzucht)Heimtiere


Nur die Sehenden werden leben (Merle-Faktor)Heimtiere


HD: HüftgelenksdyplasieHeimtiere


HundezuchtHeimtiere


Exoten als HeimtiereHeimtiere
199228Ungestörtes Sozialspiel (Verhalten Hund)Heimtiere


Qualzucht oder QualitätszuchtHeimtiere


Töten männlicher KälberNutztiere


RassedispositionenHeimtiere


Tierschutz am SchlachthofNutztiere

29Das Schwein am HalsbandNutztiere


Stalleinrichtungen – RindviehaufstallungenNutztiere


Mensch-Kuh-Beziehung und TechnikNutztiere


Populationsgenetik bei HundenHeimtiere


Patente auf TiereTierversuche


Tierärzte-berufene Tierschützer?allgemein


Das anachronistische PraktikumTöten, Eingriffe i. Studium

30Transport und Schlachtung von NutztierenNutztiere
199331Hundekauf, HundezuchtHeimtiere

32Tierhaltung contra UmweltschutzNutztiere


Artgerechte KälbertränkeNutztiere


Die KrebsmausTierversuche
199434HundekaufHeimtiere


Transport exotischer TiereHeimtiere


Großtiertransporte-Das Elend von MillionenNutztiere


Anforderungen an das tierschutzgerechte Verladen, Transportieren, Betäuben und Schlachten von Rindern und SchweinenNutztiere


Bericht von der 9. IGN-TAgung in AppenzellNutztiere

35rBSTNutztiere

3610 Artikel zu Haltung, Zucht, Gesundheit, Ausbildung bei PferdenPferd


rBSTNutztiere


Bericht und Gedanken zu einem SPD- Tierschutz-Workshopallgemein

Tabelle: Liste der Beiträge zu den Themen Tierschutz und Tierhaltung in den Vetos der letzten 19 Jahre (Fortsetzung)

JahrNr.Titel oder InhaltThemenbereich
199537rBSTNutztiere


Das SchlachtmobilNutztiere


HundezuchtHeimtiere

38Versorgung der Tiere beim internationalen TransportNutztiere


Tierzüchtung aus Sicht der PhysiologieNutztiere

39Anforderungen an tiergerechte Haltung von Ratten Heimtiere


8-Stunden Begrenzung für Tiertransporte?Nutztiere


Lehr- und Forschungsgut der Tiho HannoverNutztiere


Bericht vom Seminar Pferdehaltung und -nutzungPferde
199641Der Hund-zu schützendes Tier des JahresHeimtiere


Anforderungen an die tiergerechte Haltung von WellensittichenHeimtiere

42Tiertranporte, Gesetzeslage, AusblickNutztiere


Anforderungen an die tiergerechte Haltung der Europäischen LandschildkröteHeimtiere
199743Betäubung vor ritueller SchlachtungNutztiere


Würde der Kreaturallgemein


Transport von RindernNutztiere


Tierschutz und politische Moralallgemein


Anforderungen tiergerechte Haltung von KanichenHeimtiere


Anforderungen an die Ausbildung des PferdesPferde

44Konventionelle, alternative HennenhaltungssystemeNutztiere


Grundsätzliche Anmerkungen zur GeflügelwirtschaftNutztiere


SchnabelkürzenNutztiere


Vom Leiden der KäfighühnerNutztiere


Tierbefreiung mit Selbstanzeige, Käfighühner und der Bundesverband der Tierversuchsgegner – Menschen für TierrechteNutztiere


Die Moschusente in der IntensivhaltungNutztiere


Putenmast in DeutschlandNutztiere


Anforderungen artgerechte Haltung von ZebrafinkenHeimtiere


Enthornung Milchkühe auch im Bioland-Betrieb?Nutztiere


Novellierung des Tierschutzgesetzesallgemein


Kommentar zur TierversuchsproblematikTierversuche
199845PutenhaltungNutztiere


Niedersächsische Empfehlungen für die Boden- und Freilandhaltung von LegehennenNutztiere

46Codex Veterinarius der TVTallgemein


Webseiten zu Ethologie und Tierhaltungallgemein
199947Tierschutzgerechtes Töten von TierenNutztiere


Novelliertes Tierschutzgesetz -TierversucheTierversuche
200048Tierschutz und SchlittenhundesportHeimtiere

Sechs Monate Leben

Über die Fütterung und Haltung von Mastkälbern

von Ursula Plath

aus Veto 49 -2001, S. 18-23

Mastkälber und ihr Fleisch

Wir geben dem Morgenkaffee einen Schuß Milch, essen zwischendurch einen Becher Joghurt und genießen Käse auf dem Brot. Wer denkt dabei schon an das Schicksal der zwei bis drei männlichen Kälber, denen man im Laufe seines Lebens durch einen durchschnittlichen Verzehr von Milchprodukten auf die Welt verhilft? Zwar ereilt nicht alle männlichen Kälber das Schicksal eines Mastkalbes, häufig werden sie auch zur Bullenmast aufgezogen, um dann nach etwa zwei Jahren geschlachtet zu werden. In Deutschland trifft es jährlich jedoch etwa 457 000 Kälber (ZMP – Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft GmbH, 2000) , das Leben eines Mastkalbes zu führen.

Kalbfleisch hat ein besonderes Image. Es gilt als besonders leicht bekömmlich und diätetisch wertvoll. Dieses Image beruht im wesentlichen auf der blassen Farbe des Fleisches. Die Fleischfarbe stellt bezüglich der Vermarktung von Kalbfleisch in Deutschland immer noch ein Hauptkriterium dar. Physiologischerweise haben Kälber natürlich kein blasses Fleisch. Erst eine fütterungsbedingte Eisenmangelanämie führt zu der typischen Blässe des Kalbfleisches (NEUMANN u. GRIEB, 1968). Zudem haben Untersuchungen bereits in den 60er Jahren nachgewiesen, dass Kalbfleisch hinsichtlich der ernährungsphysiologischen Bedeutung nicht besser zu bewerten ist als anderes Rindfleisch (GEBAUER, 1960; WEBSTER u. SAVILLE, 1981).

Haltungsbedingungen vor der Kälberhaltungsverordnung

Die Haltungsbedingungen von Mastkälbern haben sich in den letzen Jahren verändert. Vor Inkrafttreten der Kälberhaltungsverordnung 1992 waren die Haltungsbedingungen von Mastkälbern beinahe mittelalterlich schlecht. Die Kälber verbrachten ihre fünf- bis sechsmonatige Lebenszeit in 55 bis 80 cm breiten Einzelboxen auf Spaltenboden oder in Anbindehaltung. In den schmalen Buchten konnten die Kälber bereits in einem Alter von etwa zwei Monaten nicht mehr seitlich ausgestreckt liegen. Zudem war der Stall oft fensterlos, an elektrischem Licht wurde meist gespart. Im letzten Jahrhundert ging man davon aus, dass eine dunkle Umgebung die blasse Farbe des Fleisches hervorruft (BÜNGER, 1931), und es scheint, als sei dieser Irrglaube noch nicht ganz vergessen.

Aber nicht nur die Haltungsbedingungen entsprachen den Bedürfnissen der Mastkälber nur ungenügend, auch die Fütterung war und ist teilweise wenig artgerecht. Mastgrundlage stellte bis zum Inkrafttreten der Kälberhaltungsverordnung 1992 ausschließlich die Milchaustauschertränke dar. Rauh- und Kraftfutter wurde von den Mästern abgelehnt, da die Pansenentwicklung möglichst unterdrückt und das Labmagenvolumen stark gedehnt werden sollten. Auf diese Weise sollten eine höhere Tränkeaufnahme und infolgedessen höhere Zunahmen erreicht werden. Rauhfutter wurde aber auch wegen seines Eisengehaltes und der dadurch gefürchteten Rosafärbung des Kalbfleisches von den Mästern abgelehnt. Die Milchaustauschertränke wurde aus dem bloßen Eimer bzw. Trog ohne Saugmöglichkeit verabreicht. Trinkwasser wurde Mastkälbern üblicherweise nicht angeboten, denn die Mäster befürchteten, dass die Kälber durch eine zu hohe Trinkwasseraufnahme weniger Milchaustauschertränke aufnehmen und somit geringere Zunahmen zeigen würden.

Es ist offensichtlich, dass diese Haltungs- und Fütterungsbedingungen den Bedürfnissen junger Kälber nicht gerecht werden. Dies wird besonders deutlich, wenn man das Verhalten von Kälbern unter naturnahen Bedingungen, wie der Mutterkuhhaltung, untersucht. Auf der Weide leben Kälber innerhalb der Herde in sozialen Gruppen, den sogenannten Kindergärten, denen sie sich bereits im Alter von ein bis zwei Wochen anschließen (SAMBRAUS, 1978). Den überwiegenden Teil des Tages verbringen Kälber mit Ruhen und der Nahrungsaufnahme. Nahrungsaufnahme sind hier sowohl das Saugen an der Mutter, als auch die Aufnahme strukturierter Nahrung, die bereits im Alter von einer Woche beginnt (BOGNER et al., 1986). Insbesondere der Mangel an Rauhfutter führt bei Mastkälbern, die nur mit Flüssigfutter gemästet werden, zu übermäßigem Lecken und Knabbern an Artgenossen oder Stallgegenständen (KOOIJMAN et al., 1991). Die Folgen des intensiven Leckens und Knabberns der Kälber in Einzelhaltung fallen einem bei einem Besuch in einem konventionellen, älteren Kälbermastbetrieb sofort ins Auge. Die Holztrennwände der Einzelboxen sind stark durchlöchert und sehen insgesamt „abgelutscht“ aus. Das übermäßig häufige Auftreten von Leck- und Knabberaktivitäten an Stallgegenständen oder Artgenossen kann als Stereotypie eingeordnet werden (WIEPKEMA et al., 1987) und zeigt somit an, dass auf das Tier Bedingungen einwirken oder eingewirkt haben, die das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen oder beeinträchtigt haben (DUNCAN et al., 1993).

Haltungsbedingungen nach der Kälberhaltungsverordnung

Wie aber sehen die aktuellen Haltungsbedingungen von Mastkälbern aus? Seit 1991 liegt eine EU-Richtlinie (91/629/EWG) vor, die die Mindestanforderungen an die Haltung von Kälbern bis zu einem Alter von sechs Monaten festlegt. Im Dezember 1992 wurde in Deutschland diese Richtlinie in Form der Kälberhaltungsverordnung umgesetzt. Eine erste Veränderung der Verordnung ist seit 1997 in Kraft, ebenfalls auf einer EU-Richtlinie (97/2/EG) basierend. Die Umsetzung der Kälberhaltungsverordnung brachte einige wesentliche Verbesserungen, die Mastkälberhaltung und –fütterung kann insgesamt aber immer noch nicht als optimal bezeichnet werden.

Seit 1995 dürfen über acht Wochen alte Kälber nicht mehr einzeln gehalten werden. Auch die Anbindehaltung ist seit 1999 verboten. Die Mindestboxenbreite für jüngere Kälber in Einzelhaltung wurde auf 100 cm bzw. 90 cm, falls die Seitenwände nicht bis zum Boden reichen, erweitert. Spaltenboden ist weiterhin erlaubt und in der Praxis üblicherweise auch vorzufinden. Ein besonderer Nachteil des Spaltenbodens in der Kälbermast ist seine starke Rutschigkeit. Diese entsteht aufgrund des sehr weichen bis flüssigen Kotes der Kälber sowie der hohen Urinproduktion, beides bedingt durch die überwiegende Flüssigfütterung. Allerdings werden die Argumente des weichen Kotes und des hohen Urinanfalles auch von den Mästern gegen die Stroheinstreu hervorgebracht, da diese sich nachteilig auf die Qualität und Isolationseigenschaften der Einstreu auswirken können (VAN PUTTEN, 1987). Wahrscheinlich bedeutet Stroheinstreu bei Mastkälbern tatsächlich mehr Arbeitsanfall als bei anderen Kälbern. Beispielsweise in der Schweiz werden jedoch alle Kälber auf Stroh gemästet, so dass dieses Problem arbeitstechnisch bewältigbar scheint.

Eine weitere Verbesserung der Haltungsbedingungen liegt im vorgeschriebenen Wasserangebot zur freien Aufnahme, sowie in einer Mindestbeleuchtungsstärke von 80 Lux, die für mindestens zehn Stunden im Stall erreicht werden muß. Ein Problem liegt hier jedoch in der Durchführung, da allein das Vorhandensein eines Lichtschalters sowie einiger Kabel und Glühbirnen nicht garantiert, dass jemand den Lichtschalter auch betätigt. Es ist in der Praxis nach eigenen Erfahrungen verbreitet, dass der Stall lediglich während der Fütterung beleuchtet ist. Die Beleuchtungsmöglichkeit reicht für das Bestehen einer amtlichen Überprüfung aus. Fensterflächen sind nach der Kälberhaltungsverordnung leider nicht vorgeschrieben.

Das Problem der Fütterung wird durch die Kälberhaltungsverordnung nur halbherzig gelöst. Nach der Kälberhaltungsverordnung ist für über eine Woche alte Kälber eine Mindestmenge an Rauhfuttergabe oder der Gabe an „sonstigem rohfaserreichen strukturiertem Futter“ vorgeschrieben, die für Kälber im Alter bis zu acht Wochen mindestens 100 g, im Alter von mehr als acht Wochen mindestens 250 g täglich vorsieht. Immerhin ist diese Regelung deutlich tiergerechter, als in der EU-Richtlinie gefordert, nach der eine Mindestrauhfuttergabe bei der „Haltung von Kälbern zur Erzeugung von hellem Kalbfleisch“ nicht vorgesehen ist. Aber auch die deutschen Mengen sehen eher nach einem Kompromiss aus.

Nach eigenen Beobachtungen nehmen Mastkälber bereits im Alter von fünf bis sechs Wochen eine 100 g Heumahlzeit innerhalb etwa elf Minuten vollständig auf. Auf der Weide grasen bereits drei Wochen alte Kälber für etwa drei Stunden täglich (GODFREY, 1961). Mastkälber, denen die gesetzliche Mindestmenge an Heu angeboten wird, lecken noch immer sehr häufig an der Stalleinrichtung (PLATH, 1999). Es kann davon ausgegangen werden, dass das Bedürfnis nach Aufnahme strukturierter Nahrung durch die gesetzlich festgelegten Mindestmengen nicht ausreichend befriedigt ist. Zudem ist das Problem in der Praxis wahrscheinlich noch größer, da den Kälbern bevorzugt Maissilage als Rauhfutter angeboten wird. Maissilage besitzt aber bekannterweise einen deutlich geringeren Rohfaseranteil als Heu (Maissilage: 6,5 g Rfa/100g untersuchte Substanz; Heu: 23,8 g Rfa/100g untersuchte Substanz). Die Mäster favorisieren Maissilage vorwiegend aus diesem Grund. Eigene Erfahrungen in konventionellen Betrieben sprechen dafür, dass etliche Mastkälber auch diese 100 g Maissilage pro Tag nicht angeboten bekommen. Oft wird lediglich ein kleines Silo Maissilage für die amtlichen Kontrollen auf dem Hof gelagert, das tatsächliche Verfüttern kann aber niemand kontrollieren. Immer noch stehen die alten Befürchtungen einer zu raschen Pansenentwicklung und einer unkontrollierten Rosafärbung des Fleisches der ausreichenden Rauhfutterfütterung entgegen.

Eine zu starke Anämie der Kälber wird hingegen inzwischen auch von den Mästern gefürchtet, da diese oft mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit (BÜNGER et al., 1986) und geringeren Zunahmen (BÜNGER et al., 1987; GYGAX et al., 1994) verbunden ist. Einige Mäster grosser Bestände führen zweimalige Blutuntersuchungen des gesamten Bestandes während einer Mastperiode durch, um anhand des Serumeisengehaltes eine wohldosierte Eisenapplikation durchzuführen. Zudem wird nach der ersten Veränderung der Kälberhaltungsverordnung von 1997 eine Mindestgehalt von 6 mmol Hb/l Blut gefordert, der durch amtliche Kontrollen überprüft wird. Der festgelegte Wert liegt allerdings bereits an der Grenze zum präanämischen Bereich und ist somit zu gering (BOSTEDT et al., 2000). Besser wäre ein Mindestwert von 7,5 mmol Hb /l, bei dem Kälber eisennormalversorgt sind (BOSTEDT et al., 2000). In der früheren Fassung der Kälberhaltungsverordnung wurde lediglich ein Mindestgehalt Eisen im Tränkepulver gefordert. Dies führte zu trickreichen Lösungen, wie beispielsweise der Zufütterung grösserer Mengen Kupfer, das die Eisenresorption im Darm herabsetzt. Die Angst vor einer zu starken Pansenentwicklung aufgrund der Rohfaserfütterung und damit verbundenen geringeren Zunahmen scheint irreal, da einige Untersuchungen zeigten, dass Mastkälber, denen rohfaserreicheres Rauhfutter angeboten wird, deutlich höhere Zunahmen gegenüber flüssiggemästeten Mastkälbern zeigen (TER WEE et al., 1991; EGGER, 1995).

Die Fütterungstechnik bei der Milchaustauschertränke wird durch die Kälberhaltungsverordnung nicht geregelt. Noch immer werden die Kälber überwiegend aus dem bloßen Eimer bzw. Trog ohne Saugmöglichkeit getränkt. Trotz dieser Tränketechnik, die das Saugbedürfnis der Kälber nicht befriedigt ist das Problem des gegenseitigen Besaugens in der Gruppenhaltung der über acht Wochen alten Kälber geringer als befürchtet. Von den Mästern, die vor der Inkrafttretung der Kälberhaltungsverordnung grosse Bedenken gegenüber der Gruppenhaltung aufgrund der Saugproblematik einbrachten, wird inzwischen überraschend positiv über die Erfahrungen mit der Gruppenhaltung der über acht Wochen alten Kälber berichtet. Häufig tritt jedoch gegenseitiges Belecken und Beknabbern der Kälber in der Gruppenhaltung auf. Auch dies kann, ebenso wie gegenseitiges Besaugen, Zeichen eines unbefriedigten Saugbedürfnisses bei einer ungeeigneten Tränketechnik sein (VEISSIER et al., 1998).

Was läßt sich tun

Wie aber lassen sich die bestehenden Bedingungen in Deutschland verbessern? Eine wesentliche Verbesserung könnte allein dadurch erreicht werden, wenn die Vermarktung von Kalbfleisch unabhängig von der hellen Fleischfarbe wäre. Gesetzliche Bestimmungen gibt es in Deutschland nicht, bei den einzelnen Abnehmern (Westfleisch, Brüninghoff etc.) ist das Merkmal der blassen Fleischfarbe aber ein wichtiges Vermarktungskriterium.

Die einzelnen Abnehmer unterscheiden sich hinsichtlich der Toleranz der Fleischfarbe, abhängig von den Vermarktungsmöglichkeiten. Einige tolerante Abnehmer akzeptieren bis zu 10% „rote“ Kälber in einer Charge. Diese Kälber sind meist sogenannte „Pansentrinker“, die die Milchtränke fehlverdauen und deshalb nur mit Kraft- und Rauhfutter gemästet werden konnten. Nach Aussagen der Kälbermäster werden diese häufig als „Biokälber“ vermarktet, die artgerecht gefüttert wurden. Diese Kälber wurden freilich unter ansonsten gleichen Haltungsbedingungen gehalten wie die herkömmlich vermarkteten Mastkälber. Wird der vom Abnehmer akzeptierte Anteil „roter“ Kälber überschritten, kommt es zu Abzügen für den Mäster, die nicht unerheblich sind. Meist wird das Fleisch dann als Kuhfleisch klassifiziert, was einen Wertverlust von etwa der Hälfte bis zu zwei Dritteln bedeutet. Aber nicht jedes rosa Kalbfleisch entstammt derartigen seltsamen Vermarktungszweigen. Es gibt auch Marketingkonzepte, wie beispielsweise von Biopark e. V. in Mecklenburg-Vorpommern, die rosa Kalbfleisch aus Mutterkuhhaltung anbieten.

Ein Hauptstein im Weg zur besseren Mastkälberhaltung scheint die Akzeptanz der VerbraucherInnen zu sein. Zum einen schwirren in den Köpfen noch immer die Assoziationen der besseren, gesünderen und leicht bekömmlichen Qualität des Kalbfleisches, zum anderen läßt sich blasses Fleisch auf einfache Weise eindeutig als Kalbfleisch identifizieren. Das Vertrauen muss gross sein, wenn für das rote Fleisch direkt neben dem roten, billigen Suppenfleisch von der Kuh dreimal mehr bezahlt werden soll, nur weil es angeblich von einem Kalb stammt. Zudem glauben viele Verbraucher, dass Kalbfleisch einfach normalerweise blass ist, weil die Tiere noch so jung sind. In der Vergangenheit hat es schon einige Aufklärungskampagnen über den Hintergrund des Kalbfleisches gegeben, mit nur einem geringen Erfolg.

Erfolge in der Schweiz

Ein Beispiel aus der Schweiz zeigt aber, dass konsequente, qualifizierte Tierschutzarbeit in dieser Hinsicht doch einiges Bewirken kann.

Die schweizerischen Tierschutzorganisationen, insbesondere der Schweizer Tierschutz (STS), führten über mehrere Jahre umfangreiche Aufklärungskampagnen in der Öffentlichkeit durch. Ende des Jahres 1998 riefen der STS und die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) bundesweit für eine Woche zum Boykott von Kalbfleisch auf (LID Mediendienst). Die Folgen des Boykotts und die zunehmende Aufgeklärtheit der Kunden bezüglich der Fleischfarbe führte dazu, dass seit 1999 die Schweizerische Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung (GSF) auf Abzüge beim Aufkauf dunkler gefärbten Kalbfleisches für die Erzeuger verzichtete. Auch die Mäster begrüßten diesen Schritt, da auch sie, vermutlich aufgrund der höheren Zunahmen durch eine Rauhfutterfütterung, den Kälber gern Rauhfutter anbieten wollten. Dabei muß hinzugefügt werden, dass auch vor diesem Entschluß die Haltungsbedingungen der Mastkälber in der Schweiz nicht so schlecht waren, da sie, wie bereits erwähnt, alle auf Stroh gehalten wurden. Sie hatten jedoch häufig keinen Zugang zu zusätzlichem Rauhfutter (EGGER, 1995).

Verbesserung der Verordnung

Neben der Verbraucheraufklärung wären auch Verbesserungen im gesetzlichen Bereich wünschenswert. Insbesondere die Haltung der Kälber auf Stroh und das Verabreichen der Milchaustauschertränke über Sauger sind Maßnahmen, die das Wohlbefinden der Mastkälber deutlich steigern können. Zudem sollte der Gesetzgeber den geforderten Mindest-Hämoglobin-Wert erhöhen, um eine Anämie der Kälber sicher auszuschließen. Eine strengere Verordnung in Deutschland birgt jedoch die Gefahr, dass durch innereuropäische Wettbewerbsnachteile das Problem der wenig tiergerechten Kälbermast lediglich in andere, kälbermastintensivere Länder wie die Niederlande, Frankreich oder Italien verlagert wird. In diesen Ländern sind zum einen die gesetzlichen Forderungen nicht so weitreichend, zum anderen ist die Lobby der Kälbermäster dort noch stärker ausgeprägt. Aufgrund dessen ist eine Verbesserung der rechtlichen Grundlagen auf EU-Ebene notwendig.

LITERATUR:

BOGNER, H., G. PRANCKH u. A. GRAUVOGL (1986): Die Verwendung von Grobfutter bei der Mast von Kälbern mit Flüssigmilch aus der Sicht der Ethologie. Tierärztl. Umsch. 41, S. 834-836.

BOSTEDT, H., R. HOSPES, A. WEHREND u. P. SCHRAMEL (2000): Auswirkungen einer parenteralen Eisenzufuhr auf den Eisenversorgungsstatus in der frühen postnatalen Entwicklungsperiode beim Kalb. Tierärztl. Umsch. 55, S. 305-315.

BÜNGER, H. (1931): Die Kälbermast. Verlag Paul Parey, Berlin (Anleitungen der Dt. Gesell. für Züchtungskunde. Nr. 16)

BÜNGER, U., P. SCHMOLDT u. J. PONGÉ (1986): Orale und parenterale Eisenmangelbekämpfung in Beziehung zum Ablauf von Erkrankungen bei Tränkekälbern aus verschiedenen Herkunftsbetrieben. Mh. Vet.-Med. 41, S. 302-306.

BÜNGER, U., K.A. SCHLAEFER u. U. GRAETSCH (1987): Bekämpfung des Eisenmangels bei Kälbern sowie Auswirkungen auf Pneumonie- bzw. Durchfallerkrankungen und Lebendmassezuwachs. Mh. Vet.-Med. 42, S. 357-363.

DUNCAN, I.J.H., J. RUSHEN u. A.B. Lawrence (1993): Conclusions and implications for welfare. In: A.B. LAWRENCE u. J. RUSHEN (Hrsg.):Stereotypic animal behaviour: Fundamentals and applications to animal welfare. Verlag CAB International, Wallingford, S. 193-206

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ZMP (Informationsdienst für die Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft Nachrichten) (2000): Kälbermast lohnt sich kaum. Jahrg. 38, Nr. 39 (http://www.Zmp.de/presse/nachrichten/zmpnac49.htm#no1)

LID Mediendienst; Nr. 2393 vom 17.12.1998
(http://www.lid.ch/altpd/Mediendienst98/md2393/seite6.html)

RECHTSTEXTE

Verordnung zum Schutz von Kälbern bei Stallhaltung (Kälberhaltungsverordnung) vom 1. Dezember 1992, Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 55, S. 1977-1980

Erste Verordnung zu Änderung der Kälberhaltungsverordnung vom 22. Dezember 1997, Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 88, S. 3326-3327

Richtlinie 91/629/EWG des Rates vom 19. November 1991 über Mindestanforderungen für den Schutz von Kälbern, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. L 340, S. 28-30

Richtlinie 97/2/EG des Rates vom 20. Januar 1997 zur Änderung der Richtlinie 91/629/EWG über Mindestanforderungen für den Schutz von Kälbern, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. L 25, S. 24-25

Fortsetzungsgeschichte

Eine Woche im Veterinäramt

aus Veto 47 – 1999, S. 27-29

Montag

Telefon: Herr A. erklärt, sein West-Highland-Terrier hätte gestern ein Kind gebissen (der Hund war natürlich unschuldig), leider sei die letzte Tollwutimpfung 2 Jahre her. Die Eltern des Kindes sind besorgt und wollen wissen, ob ihr Kind nun geimpft werden muß. Herr und Hund werden sofort ins Veterinäramt bestellt, um festzustellen, ob der Hund Anzeichen einer Tollwuterkrankung aufweist.

Post aus dem Fach mitnehmen: Unzählige Aktennotizen, Lebensmittelberichte, Zeitschriften, Erlasse, Verordnungen, Mitteilungen aus dem Europäischen Amtsblatt usw., sollte alles jeder lesen. Faktisch unmöglich, oder es bliebe keine Zeit, überhaupt noch etwas selbst zu arbeiten. Wichtig ist, die Aktennotizen der Kollegen zu lesen, um mitzubekommen, was im Kreis passiert, und um bei Fragen von Betroffenen weiterhelfen zu können.

Der Besitzer mit dem tollwutverdächtigen Hund ist da. Das Tier läuft neugierig herein, springt an der Sekretärin hoch, diese streichelt ihm über den Rücken, und schwupps, schnappt der Hund zu. Zum Glück nicht weiter schlimm, aber immerhin so, daß es leicht blutet. Bis auf die Tatsache, daß das Tier zu fett und völlig unerzogen ist, bestätigt sich der Tollwutverdacht nicht. Der Hund wird für die nächsten zehn Tage unter amtliche Beobachtung gestellt (d.h. kein Kontakt zu anderen Personen und Tieren, kein freies Umherlaufen, auf keinen Fall Impfung, Achten auf Anzeichen einer Tollwuterkrankung).

Nach zehn Tagen muß der Hund erneut vorgestellt werden, ist das Tier weiterhin unverdächtig, wird die amtliche Beobachtung aufgehoben. (Dieser Besitzer hält es nicht für nötig, nach zehn Tagen wieder zu erscheinen, woraufhin er schriftlich kostenfrei erinnert wird.)

Grundsätzlich kann nach der TollwutVO auch anders verfahren werden, da aber diese Region tollwutfrei ist und es sich hier nicht um einen jagdlich geführten Hund handelte, konnte ich so verfahren, mit dem Ergebnis, daß der Hundebesitzer das Ganze überhaupt nicht ernst nahm. Da wir in Bezug auf die Impfung des Kindes aufgrund ‚Nichtzuständigkeit‘ keine Auskunft geben dürfen, verweisen wir immer an das Hospital (beraten aber intern schon).

In der Post: Berichtanforderung durch das Regierungspräsidium: Wieviele Tierheime und Tierpensionen sind im Kreis; Rückmeldung innerhalb einer Woche. Bekannt ist nur ein größeres Tierheim. Grundsätzlich benötigen solche Einrichtungen eine Genehmigung nach dem Tierschutzgesetz (§11), da aber auch z.B. jeder Züchter eine §11 Genehmigung benötigt, sind alle ausgestellten Genehmigungen in mehreren Ordnern zusammengefaßt. Also alle Ordner durchgehen. Das Nachlesen in den Gelben Seiten befördert außerdem völlig neue und interessante Einrichtungen zu Tage. Nach Kontaktaufnahme mit den Besitzern dieser Tierpensionen zeigt sich, daß diese das schon immer so machen, von einer Genehmigungspflicht nichts wissen, aber wir natürlich gerne einmal vorbeikommen können … . Die Adressen werden aufgeschrieben und so bald wie möglich die Haltungen kontrolliert.

Nachkontrolle bei einem Schäferhundehalter: Die Schäferhunde werden einzeln und ohne Sichtkontakt in völlig kahlen Zwingern gehalten. Laut Besitzer kommen sie einzeln tagsüber in den Garten. Er versteht nicht, was gegen seine Hundehaltung einzuwenden ist, die Tiere hätten es doch gut und er würde schließlich sehr viel mehr von Schäferhundezucht verstehen als wir.

Die Hoffnung, ihn bei der letzten Kontrolle überzeugt zu haben, die Haltung zu verbessern, schwindet. Bis auf die Möglichkeit, die Einhaltung der Vorschriften der HundehaltungsVO einzufordern (Schutzhütte etc.), gibt das Tierschutzrecht nichts her; Kettenhunde müssen täglich eine Stunde frei laufen können, Zwingerhunde nicht (mal abgesehen von der Unmöglichkeit, dies überhaupt zu kontrollieren).

Wenn der Züchter mit mehr als drei Hündinnen züchtet, braucht er eine §11 Genehmigung (Sachkunde, artgerechte Unterbringungsmöglichkeiten, Zuverlässigkeit). Angeblich tut er dies nicht (hat aber gleichzeitig Welpen aus vier verschiedenen Würfen da). Mein Vorschlag, ihm eine Buchführungspflicht aufzuerlegen, um festzustellen, mit wievielen Hunden er züchtet, wird aufgrund mangelnder Rechtsgrundlage von der Verwaltung abgelehnt (alle Verwaltungsakte, die den Rechtsunterworfenen belasten, brauchen eine rechtliche Grundlage). Der Vorteil einer Genehmigung wäre gewesen, diese mit bestimmten Haltungsauflagen zu verbinden.

Zurück im Amt: Anruf einer Tierschützerin; vor dem Supermarkt stehen Zirkusleute mit einem Esel und betteln, ist denn so etwas erlaubt?! Antwort: Ja (Tierschützerin mit dieser Auskunft sehr unzufrieden)

Dienstag

Abfassen der Verfügung an den Schäferhundezüchter, um wenigstens die Einhaltung der Vorschriften der HundehaltungsVO zu fordern. Nach Diskussionen mit Kollegen und Verwaltung einigen wir uns darauf, daß er den momentanen Tierbestand dokumentieren muß und wir so bei Nachkontrollen, evtl. anhand der Zuchtbücher, auf die tatsächliche Wurfzahl kommen.

Anruf von einem Bürgermeister: Es werden Schafe an der Straße mit Elektrodraht eingezäunt gehalten. Mehrere Mütter hätten angerufen, ihre Kinder könnten auf dem Schulweg diesen Elektrodraht anfassen und einen Schlag bekommen. Frage: Gibt es eine Vorschrift, daß am Zaun ein Schild ‚Vorsicht Elektrozaun‘ angebracht sein muß? Antwort: Nein, zumindest nicht von unserer Zuständigkeit her, da Schafe im Allgemeinen nicht lesen könnten (kurzes Schweigen, brüllendes Gelächter).

Der Computer hat sich per E-mail einen Virus eingefangen: Der Vormittag ist gelaufen, aber immerhin wird ab jetzt ein Virensuchprogramm vom Landratsamt zur Verfügung gestellt, was wir vorher angeblich ja nicht brauchten.

Post durcharbeiten

Termin mit Landwirt B.: Überprüfung der Rinderkennzeichnung: Das Veterinäramt hat eine Liste von zufällig ausgewählten viehhaltenden Betrieben erhalten, bei denen die Kennzeichnung der Tiere und das Bestandsregister überprüft werden müssen. Die Betriebsinhaber sollen von der Überprüfung nicht informiert werden. Nach kurzer Diskussion einigen wir uns im Amt darauf, uns bei den Betrieben zwei Tage vorher anzukündigen, um ihnen so die Möglichkeit zu geben,
das Bestandsregister zu aktualisieren.

Das Ziel soll letztlich die Einhaltung der Vorschriften der Viehverkehrsverordnung sein, und wenn dies mit Hilfe einer Ankündigung erreicht werden kann, spart sich das Amt müßige Nachkontrollen und die Verärgerung der Landwirte. In diesem Fall fährt Herr B. mit mir zu seinen sechs Scottish-Highländern auf die Weide: das Bestandsregister ist vorbildlich, es ist nur etwas schwierig, an die Tiere nahe genug heranzukommen, um die Ohrmarke ablesen zu können (außerdem haben sie viel zu lange Haare an den Ohren). Aber mit Geduld und Fernglas geht es schließlich. Termin mit Landwirt C., ebenfalls Überprüfung der Rinderkennzeichnung: Herr C. hat kein Verständnis für ‚das Geschiss mit der Rinderkennzeichnung‘, er habe anderes zu tun und kennzeichne seine Rinder nicht wie vorgeschrieben mit spätestens dreißig Tagen, sondern wann ihm es paßt. Da ein vernünftiges Gespräch mit ihm nicht möglich ist (und er auch von früheren Gelegenheiten dem Veterinäramt gut bekannt ist), bekommt er es eben nochmals schriftlich plus Bußgeld und Zwangsgeldandrohung.

Mittwoch

Unterricht an der Landwirtschaftsschule: Während des Winterhalbjahres dürfen die Tierärzte 10 Unterrichtsstunden an der Landwirtschaftsschule geben, inhaltlich sollten dabei die Bereiche übertragbare Krankheiten, Seuchenhygiene und Tierschutz abgedeckt werden. Trotz Vorbereitung fällt es mir nicht leicht, innerhalb von 2 Stunden die Begriffe im Tierschutzgesetz zu erläutern und die einzelnen Verordnungen anzusprechen, bzw. überhaupt ein Bewußtsein für bestimmte Bedürfnisse von Tieren zu schaffen. Frage: Was macht ihr denn mit euren Kümmerern? Antwort: Na, erschlagen natürlich, was denn sonst! Kälber ab dem 8. Lebenstag Rauhfutter geben? Das Fleisch nimmt uns doch kein Metzger mehr ab, erst wenn auch die Franzosen… (Insgesamt hat es aber viel Spaß gemacht und auf den Boden der Realität zurückgeholt)

Kälbermarkt: Im Rahmen der Marktüberwachung (ViehverkehrsVO) werden die Näbel der Kälber kontrolliert und bei der Versteigerung dann alle Veränderungen bekanntgegeben. Seit Kälber im Alter unter 14 Tagen nicht mehr transportiert werden dürfen, ist eine enorme Geburtenzunahme genau 14 Tage vor dem Stattfinden des Kälbermarktes zu verzeichnen. Theoretisch müßten alle Besitzer von Kälbern mit nicht abgeheilten oder entzündeten Näbeln angezeigt werden… .

Termin bei Landwirt D.: Er bekommt wöchentlich Mastschweine aus einem Gebiet, das auf Grund von Wildschweinepest reglementiert ist. Ein Tierarzt kontrolliert die Gesundheit der Schweine bei der Abfahrt und verplombt den Anhänger. Wir müssen uns jeweils schriftlich einen Tag vor der Anlieferung damit einverstanden erklären, daß Schweine aus diesem Gebiet in unserem aufgestallt werden dürfen. Bei Ankunft der Schweine müssen wir den
Transporter entplomben und die Gesundheit und Anzahl der Tiere überprüfen (bis auf den Umstand, daß die meisten Ferkel angeknabberte Ohren haben, sind sie soweit gesund). Nach 14 Tagen ist eine Abschlußuntersuchung notwendig. Leider bin ich auf die
dumme Idee gekommen, die Körpertemperatur zu messen … und nun?!

Verfügung an Landwirt C.: Um seine Rinderkennzeichnung zukünftig sicherzustellen.

Post durcharbeiten.

Anruf des Tierschutzvereines: Sie hätten einen Hund gefunden mit einem Teletaktgerät um den Hals. Die Besitzer hätten sich inzwischen gemeldet und ihren Hund wieder abgeholt, aber sie wollten uns doch Bescheid sagen, damit wir etwas gegen das Teletaktgerät unternehmen. Telefongespräch mit den Besitzern: Nein, sie würden das Teletakt nie und auf gar keinen Fall benützen, ihr Halsband sei kaputtgegangen und da hätten sie halt dies umgelegt … .

Reisekostenabrechnung: Ein privater PKW wird für Dienstfahrten vorausgesetzt. Alle Dienstfahrten müssen mit Datum, Uhrzeit, Ort, Kilometerangabe und vor allen Dingen dem entsprechenden Titel angegeben werden. D.h. auf den einen Zettel alle im Bereich Tierseuchen gefahrenen Kilometer, auf dem nächsten die für den Tierschutz und ebenso für Schlachthof/Lebensmittel. Wurden die Bereiche aus Kostenersparnis miteinander verknüpft, muß man halt etwas schummeln (genauso wie beim Schätzen der Arbeitszeiten für die einzelnen Bereiche).

Donnerstag

Post durchsehen.

Anruf eines Schweinehalters: Er möchte gerne 50 Mastschweine im Freien halten, was es denn da in Zukunft zu beachten gäbe? Hätte ich mich nicht zufällig privat mit der neuen SchweinehaltungshygieneVO befaßt, wäre es wieder ein typisches Beispiel von: Bitte geben Sie mir ihre Telefonnummer, ich rufe Sie zurück.

Lebensmittelkontrolle: Wie war das mit dem Hackfleisch?! Die Herstellung von Geflügelgeschnetzeltem ist nach der HackfleischVO verboten. Macht der Metzger sich jetzt strafbar, wenn der Kunde ihn bittet, das sozusagen bereits gekaufte Geflügelteil klein zu schneiden? Fragen Sie ihren Sachverständigen! Nach der neuen Lebensmittelhygiene VO müssen Betriebe für alle abzugebenden Lebensmittel eine Gefahrenanalyse durchführen, d.h. sie müssen herausfinden, wodurch ihr Lebensmittel so nachteilig beeinflußt werden kann, daß die Gefahr der Schädigung der menschlichen Gesundheit besteht (Verstanden?). Zu diesem Thema gibt es unzählige Veröffentlichungen, Fortbildungen usw.. Entfernt hat es etwas mit
HACCP (Hazard Analyses of Critical Control Points) zu tun, ein inzwischen fast überall verhaßtes Schlagwort bei jeder Lebensmittelkontrolle und Besprechung. Durch falsche Übersetzung und fehlerhafte Interpretation entstanden unzählige und überflüssige Papieransammlungen, in denen ohne Sinn und Verstand alles Mögliche gemessen und dokumentiert wird. Konkret geht selbst bei uns im Amt jeder mit der Umsetzung der neuen LebensmittelhygieneVO sehr unterschiedlich um, je nach eigenem Wissen, Verständnis und individueller Präferenz.
Das Thema auch nur anzusprechen, ist meist in kleinen Betrieben gar nicht möglich, da keine Grundvoraussetzungen bestehen. Z.B., wenn nach 10 Minuten ausführlicher Erläuterungen über Grundhygiene, Histamingehalt in warm gelagertem Thunfisch etc. der Betriebsinhaber sagt: „Ich mache halt Pizza, wo ist euer Problem?“ und ich genau weiß, daß spätestens in einem halben Jahr ein anderer Pizza- oder Gyrosstand hier sein wird, und ich froh sein kann, wenn sprach-
lich überhaupt eine Kommunikation möglich ist.

Unbefriedigende Diskussion im Amt, wie ab Januar die Umsetzung der KälberhaltungsVO erfolgen soll (Anbindeverbot von Kälbern). Anscheinend ist es unmöglich, sich darüber überregional zu verständigen (schon die Regierungspräsidiums-Ebene wird angezweifelt), da ja jedes Amt örtlich zuständig ist und daher nach eigenem Ermessen handelt.

Freitag

Termin mit Landwirt D.: Nach der Brucellose- und Leukose-Verordnung muß regelmäßig überprüft werden, ob ein Rinderbestand frei von diesen Krankheiten ist. Bei milchliefernden Betrieben ist dies über Tankmilchproben möglich, schwieriger wird es bei Mutterkuhhaltungen, an die Blutproben zu kommen.

Ein Teil wird von den Hoftierärzten genommen, überall dort, wo es komplizierter wird und keine Fangeinrichtungen vorhanden sind, dürfen die Amtstierärzte ihr Glück versuchen. Dieser Landwirt hat für seine ‚Scottish Highland‘-Rinder nun endlich eine Fangeinrichtung gebaut, in der die langen Hörner nicht hängenbleiben können und es läuft einigermaßen glücklich ab.

Post durcharbeiten.
Einschalten des Anrufbeantworters.

Wochenende

(2-3 x tägliches Abhören des Anrufbeantworters, ob irgendeine Seuche ausgebrochen ist, Lebensmittel vergiftet oder Tiere gequält wurden)

eine Amtstierärztin

24 SCHLACHTTAGE

von Christoph Then

aus Veto 22 – 1989/90, S. 3-8

1. Tag

Ich gehöre wohl zu den Auserwählten, den Glücklichen. Deswegen, weil ich auserwählt bin, auserwählt, in den Gedärmen zu wühlen und auf Schweineaugen auszurutschen, will ich berichten.

Wie ich die Schlachter zum ersten Mal sah: Ich glaube nun, daß beim Töten, beim Entbluten vielleicht, aus dem Dampf der Eingeweide oder aus den letzten Ausdünstungen der Haut – ich meine vor allem bei den Schweinen – (vielleicht ist es auch der Anblick der sauber und unschuldig gewaschenen Schlachtkörper) – ich glaube, daß hier irgendwo so etwas wie ein Seelchen, ein Miniseelchen entschlüpft, vielleicht sind es auch die Opiate, die in den letzten Augenblicken ausgeschüttet werden und die jetzt aufsteigen, sich aufs Gemüt schlagen -. . . .

Sanftmut ist das richtige Wort. Benebelnde Sanftmut, eine ungeheuerliche Sanftmut, eine rotbäckige, dickbäuchige, lachhafte Sanftmut, die sich auf das Gemüt der Schlachter legt. Herzensgute Menschen.

Bei den Rindern ist gerade Schlachtpause. Eines der Tiere steht bereits in dem Eisenverschlag, in dem ihm später der Bolzen an die Stirn gesetzt wird. Daneben stehen angebunden zwei kleine Kälbchen, so als ob die frisch geborenen Zwillinge zusammen mit ihrer Mutter zum Schlachten geführt würden; gerade erst ins Leben getreten, ein, zwei Wochen alt, warten sie hier zum letzten Mai. Darauf, daß die Frühstückspause zu Ende geht. Die Kuh hebt ihren Blick kurz über den Rand der Metallwände, große, etwas hervorquellende Augen, die nach uns glotzen. Ich bin der Tod. Der Herr Dingsbums, der mich herumführt, ist der Tod, diese Augen unterscheiden die Schlächter nicht.

An diesem Tag interessiert mich nicht mehr viel. Nur wie lange sich die Schweine noch bewegen und daß es keine Reflexe sein können, wenn ein Schwein versucht, den Kopf zu heben, um zu sehen, wo dieses Loch sitzt, wo in der Brust, wo all dieses Blut herkommt, diese Rotweinquelle, diese rotglühende Lebenslava, dieser seltsame Fruchtsaft, ob er noch einmal anhält, natürlich nicht, vielleicht hat das Schwein das Loch wahrgenommen, wie es da hängt, die Beine nach oben, elektrisch betäubt soll es sein, doch im Tod hellwach, bis Blut und Körper endgültig getrennt sind.

Von diesem Sterben verraten die Schweinebabies nichts mehr, die im Kühlraum hängen, nur vier Stück, ein wenig abseits von den anderen, dadurch räumlich betont, ihre Marzipanfarbe, ihr Porzellantod, ihre Kinderleichenhaut, aufbewahrt, als handle es sich um etwas Unvergängliches, etwas, das in seiner Frische, seiner Zartheit nicht vergehen darf.

2. Tag

Schon heute der Eindruck der Banalität. Die Unmöglichkeit, dem Tod, der Routine des Tötens etwas entgegenzusetzen. Eine Sprache, Worte, die über das Beschreiben, die Oberfläche hinausgehen.

Die Beschreibung der Oberfläche:

Die Haut, die von schweren Ketten und Gewichten gezogen sich langsam vom Körper löst, unterstUtzt von zwei Arbeitern auf einer kleinen Hebebühne, die mit runden K1ingen zwischen Fett und Unterhaut eine neue Grenze ziehen: die des nackten Fleisches.

Ich versuche, meine EindrUcke zu systematisieren. Nach dem Bolzenschuß fällt das Rind, das vorher noch wild um sich geschlagen hat, in sich zusammen. Mit einem halbelastischen Kunststoffschlauch, der durch das Einschußloch geführt wird, stochert der Schlachter nach dem Ruckenmarkskana1. Das Tier wird von heftigen Zuckungen geschUttelt, die so gespenstisch wirken, weil es vorher schon wie tot auf dem Boden lag. Sobald er ihn wieder herauszieht, sieht der Körper wie eine leere Hülle aus. Dann öffnet sich eine der Metalltüren nach der Seite und das Tier fällt auf den Boden vor das Förderband. Für einen kurzen Moment kann man in den Augen der Bullen erkennen, daß sie ihren Tod bis zuletzt erlebt haben. Kein Erstaunen oder Verstehen ist es; die letzten Momente haben zu einem Stillstand gefUhrt, das plötzliche Nicht-mehr-weiter. Die zuletzt erkannte Ausweglosigkeit, das bis zuletzt anhaltende Glotzen. Daß diese Empfindungen nicht einfach eine Sekunde früher beendet sein konnten; sie dauerten bis zuletzt, vielleicht sehen diese Augen noch jetzt, verdammt bis zum letzten, allerletzten Nervenzucken, Nervenimpuls.

Dann das eigentliche Schlachten. Das Blut läuft wie aus einem umgeschütteten Eimer. In dem Moment, wo sich das Messer zwischen Halswirbelsäule und Hinterhaupt schiebt, geht ein deutlicher Ruck durch den ganzen Körper. Der Schlachter wartet auf diesen Moment. Er hält kurz inne, ein angedeutetes Zögern, dann vollendet das Messer den Rundschnitt.

Die Sprache ist viel zu schnell. Sie verkürzt die Unendlichkeit des Sterbens auf ein paar Sätze, die später wie Eingemachtes wirken. Ich stehe direkt neben dem Mann mit dem Bolzenschußapparat; Ein Bulle wendet seinen Kopf kurz nach ihm um. Im nächsten Moment schlägt er schon wieder wild um sich. Ein Augenblick, als ob das Töten angehalten werden könnte. Die Geschichte und ihr gutes Ende. Ich spüre Panik in mir aufsteigen. Ein aufkommendes Chaos. Die sich sofort einstellende Angst vor der Unkontrollierbarkeit der eigenen Situation überspielt den Moment des Todes. Was fUr das Tier mit dem Tod endet, bleibt eine Episode.

Es sei denn, man könnte, einmal nur, den schon sicheren Tod verhindern. Die Situation umkehren. Wenn der Fleiß des Tötens gestört würde, könnte sich das, was jetzt eine kurze Episode ist, bei den Männern festsetzen. Eine eigene Dynamik entwickeln. Wenn Stille eintreten würde, die Stille, in der das Fließband angehalten wird, wäre sie unerträglich. Die Stille mitten im Schlachten wäre nicht auszuhalten.

3. Tag

„Früher, als Lehrling, da haben mir die kleinen Kälbchen leid getan. Aber wenn ich das zu meinem Meister gesagt hätt*, da hätt‘ i glei a Fotzen drin g’habt … mei, da muß man sie halt dran g’wohna.“

4. Tag

Die Schweine werden in kleinen Gruppen zum Schlachten getrieben. Zur Betäubung werden sie mit der elektrisch geladenen Zange im Genick gefaßt. Manchmal mitten im Laufen angehalten, werden sie auf der Stelle stocksteif, die Hintergliedmaßen kontrahieren sich, über die ganze Haut breitet sich eine Rötung, an Rüsselscheibe und an der Hintergliedmaße am intensivsten, als ob sich das Blut aus der Mitte des Körpers in die außersten Winkel flüchten würde. Die anderen Schweine versuchen durch Gruppenbildung dem Einzelschicksal zu entgehen. Ein Treiber schlägt mit einem umgedrehten Fleischerhaken auf sie ein, urn sie auseinander zu treiben. Die Schlachter arbeiten zu zweit. Jeder von ihnen hält eine der Vordergliedmaßen, der eine eröffnet die Halsschlagadern an der Stelle, wo sie aus dem Brustkorb treten. Der andere fängt mit einem Blechschälchen, das seltsamerweise viel zu klein ist, das Blut auf. Den Inhalt kippt er in ein großes Faß, in dem sich langsam ein Rotor bewegt. Ist das Faß voll, wird es in mehrere kleine Fässer umgefüllt. Ein dunkler Wein, der auf der Oberfläche viele kleine Bläschen bildet, die einen zusammenhängenden Schaumteppich bilden, der an Johannisbeermarmelade erinnert, an Himbeertorte oder an Badeschaum. Die Tiere, die bis zum „Stich“ ruhig hingen oder nur unkontro11ierte Muske1zuckungen zeigten, scheinen zum Teil wieder aufzuwachen. Die Bewegungen mit der freien Hinterhand erscheinen gezielt, teilweise versuchen sie, den Kopf zu heben. Die Augen sind geöffnet, der Blick erscheint klar und nach außen gerichtet. Das Blut läuft wie durch einen großen Wasserhahn aus ihrer Vorderbrust. Durch die Bewegung ihres Körpers und der Körper der dicht folgenden anderen Tiere in Pendelbewegungen versetzt, schaukeln sie langsam in den Tod. Der Blutstrom wird schwächer. Manche öffnen den Mund, als ob sie noch einmal tief Luft holen könnten. Die Augen fallen in die Höhlen zurück. Die Tiere hängen ruhiger, werden langsam auf das Brühwasser zubewegt.

5. Tag

In der Direktion hängt ein Schildchen mit einem Spruch von einem ehemaligen Schlachthausdirektor: „Die Schlachthäuser sind Tempel der Naturwissenschaft…“

6. Tag

Der Tod ist banal. Er ereignet sich täglich, stündlich; alle paar Minuten, noch öfter. So vollzieht sich der Tod der anderen, unser eigener; jeder Tag ist gepflastert mit unauffälligen Toden. Was wir dem Tod entgegenzusetzen haben, ist unsere Phantasie: Nur sie kann den geistigen Totschlag, die gefühllose Leere durch die Normalität, die Gewöhnung verhindern. Meine Phantasie ist schwach. Ich muß sie anstoßen, damit sie etwas zu meinem täglichen Sterben äußert: Ironie, einen Satz Schwermut, gallige Melancholie.

7. Tag

Angesichts des täglichen Todes wird die Psyche tief bis in die Schichten des Unterbewußten getroffen. Dort öffnen sich Kanäle, aus denen eine fundamentale, antagonistische Lebensfreude aufsteigt. Die Menschen am Schlachtband erleben den Tod und die Freude am Leben aus erster Hand. Das macht sie zu glücklichen, ahnungslosen Kindern.

8. Tag

Angesichts des täglichen Todes wird die Psyche tief bis in die Schichten des Unterbewußten getroffen. Dort öffnen sich Kanäle, aus denen eine fundamentale, antagonistische Lebensfreude aufsteigt. Die Menschen am Schlachtband erleben den Tod und die Freude am Leben aus erster Hand. Das macht sie zu glücklichen, ahnungslosen Kindern.
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Gegen meine Beobachtung, daß manche Schweine wahrend des Ausblutens noch einmal aus ihrer Betäubung erwachen, spricht nach Auskunft des Tierarztes („und da gibt es Uberhaupt keine Diskussion“):

  1. Es ist ein erprobtes Verfahren.
  2. Die Elektriker überprüfen jede Woche die Greifzähne der Zange.
  3. Würde dort schlecht gearbeitet, gäbe es MuskeIblutungen. „Muskelblutungen?“ „Ja, die entstehen, wenn der Stromfluß unterbrochen wird, beim Nachfassen der Zange.“ Aha.
  4. „Bei uns werden in der Minute etwa drei Schweine gestochen, die Narkose halt aber 2,5 Minuten.“ Wenn man das Schwein während der Narkose in ein weiches Bett legt, hält sie vielleicht auch eine halbe Stunde. Aber was ist mit Schweinen, die an den Hintergliedmaßen aufgehangt werden und durch Ausbluten getötet werden?
  5. „Wenn man einem Hahn den Kopf abschlägt…“

9. Tag

Tiere der besonderen Art: im Ansatz abgetrennte Kuhschwänze: Eidechsenkörper, Fischleiber, Schlangengetier. Vor mir am Haken zappelt ein Schwanz ohne Anhang, zittert, von einzeinen Muske1gruppen erregt. Manchmal schwingt der ganze Schwanz, als wären Fliegen zu verscheuchen. Daneben die archaische Form des Rinderschäde1s, umrahmt von Esophagus und Trachea. Darunter hängt die Lunge, an ihren Enden quergeteilt, dadurch in ihrer Form zersetzt, zerstückelt; dann die dunkle FIäche der Leber, glatt, das Licht absorbierend, neben dem Fischschuppenkörper der Milz, vor dem Muskelblutrot des nächsten Kopfes. Da hängen etwa ein Dutzend Köpfe nebeneinander, genauso viele Lungen, Schlund- und Luftröhren, dazwischen das Komma der Milz; alles zerstörte, angefressene Formen, Fetzen, Fragmente, jedes anders, abgewandelt, das vorangegangene wiederholend, die unendlichen Variationen des erkaltenden Lebens. Dazwischen das Herz. Durch fachgerechte Schnitte völlig entformt, ein dunkler Lappen am Ansatz der Lunge.

10. Tag

Das Detail ist warm, feucht und klebrig. Manchmal schaumstoffweich, badeschwammartig, kornig-griesig, aber immer feucht und klebrig. In dpr Blechwanne vor mir liegen Magen und Darm. Ich bin auf der Suche nach dem Pankreas, um es herauszuschneiden und es zu den anderen zu werfen, die in einer anderen Wanne in Fußhöhe liegen. Caramellfarben, amorph. Greife den Magen, den konturlosen Sack, der seine Form verändert wie Wabbelpudding; der sehr schwer erscheint, weil ihn die Därme zurückhalten, dieser konturlose Gehirnbrei, die Gewebesuppe. Ohne Halt geht das Laufband seinen Weg, ich setze Schritt für Schritt nach und lasse am Ende des Bandes den Magen zurückfallen in das Gemenge. Entschlußlos. Das nächste Mal schneide ich zu: Dort, wo ich eben noch die Bauchspeicheldrüse vermutete, in einer Verdichtung des Organnebels: Ich schneide den Darm an, die Nase meldet meinen Fehlschnitt schneller als die Augen.

Ich verfolge die Lunge, das Herz, die Leber, die Luft- und die Speiseröhre, ich taste, fühle und schneide, schneide nochmal, aus der Lunge rinnt blutiger Schaum, das Herz beinhaltet warmen Himbeersaft: die Farbe der Lunge ist manchmal anthrazit, manchmal erdbeercremefarben, sie hat ein Muster, dunkle Flächen, die schneide ich weg, das geht tiefer, da schneide ich nach, da fasse ich zu, da klatscht der Lungenlappen auf den Boden, da bildet sich Schweiß auf der Haut, die Finger vergraben im Gewebeschaum, blutig berührt von der Nacktheit der Organe. In die Trachea breche ich ein, durch die Abwehr der Knorpelspangen, ein seltsam trockenes Gefühl in dieser feuchten Weichheit und Glätte in der Trachea, Knorpel um Knorpel öffnend nach oben, auf den Schlund zu, da liegt dunkelrot die Manschette der Huskulatur, durch die bohrt sich das Messer ins Freie, taucht auf, zerteilt die Muskeln von innen.

Das Herz ist schwer anzuschneiden. Seine Rundung läßt das Messer nur raten, ob es die Kammern so trifft, daß sich der Muskel zur Seite hin öffnet wie die Seiten eines Wandkalenders, der sich entfaltet; so gibt es die hellen Verästelungen preis, die unglaublich genau arbeiten konnten und jetzt aussehen wie zufällliges Spangenwerk.
Erstaunlich immer die Leber: schwer, glatt, massives Dunkel, hängt sie als Abschluß zu unterst, pralle Wölbung, geschmeidige Glätte, in der Krankheiten ihre Zeichen mit weißer Farbe hinterließen, ein ahnungsvolles Weiß, das durch Tiefe und Oberflächlichkeit, durch die Art seines Glanzes, die Größe seiner Ausdehnung, das Ausmaß seiner Vermischung mit dem dunklen Gewebe, auf den Grad der Krankheit hinweist.

Ich brauche zu lange. Noch damit beschäftigt, einen Teil der Lunge zu entfernen, ist das Band wieder schneller als ich, ziehe ich an einem Ende der Lunge das ganze Geschlinge vom Haken, fällt es schwer über meinen Unterarm, klatscht es gegen die Schürze, warm, schwer, tropfend, ein häßliches Kind.

11. Tag

Morgens vorbei an den wie steifgefrorenen Schweinekörpern, die einfach an den Rand der Schlachthalle geworfen wurden; rötlich-blau verfärbt, zu früh gestorbene, die Beine steif gestreckt gegen den Himmel, zur Seite; an einer Stelle liegen drei ineinander geratene Schweine, Puppenkörper, vergessen in einer Ecke des Kinderzimmers.

12. Tag

Vor der Schlachthalle stehen heute einige Viehhänger, mit Kälbern beladen. Etwas steif stehen sie da, eng an eng, als mußten sie sich für das Leben erst noch warm1aufen. Sie wirken beunruhigt, aber nicht wirklich ängst1ich. Sie werden seitlich vom Schlachtband angebunden, eines neben dem anderen. Kälber können ihre Angst nicht zeigen. Sie konnen nicht blaß werden. Sie wissen nichts, als immer stiller zu werden, ihre letzte Hoffnung in die Nähe des Nächsten zu setzen, die Kopfe zusammenzustecken. Beim Bolzenschuß schrecken die Tiere zusammen. Das geschossene Tier wird an den Hinterbeinen hochgezogen. So sieht man gleich, daß es für das Schlachtband viel zu klein ist, wie es so hoch oben hängt. Anders als den erwachsenen Rindern wird bei ihnen der Ansatz des Rückenmarks nicht zerstort. Das Kalb schlägt, mit dem Kopf nach unten hängend, in der Luft wild um sich. Sobald mehrere nebeneinander hängen, schlagen ihre Klauen gegen den Körper des Nachbarn, ein hilflos zappelndes Kälberbündel. Der Mann
mit dem Hesser, der den Schnitt führt durch die Gurgel und um den Nacken herum, muß sich vor den schlagenden Beinen in acht nehmen. Erst später, wenn die Köpfe schon ihre typische Seitwärtsstellung eingenommen haben, da sie nur noch an einem Fetzen Haut hängen, werden die Körper ruhiger, schlingern noch leicht, das Blut tropft aus Muskeln und Haaren, während das Band seinen Weg fortsetzt, langsam, tödlich, stetig.

13. Tag

Am Band sind heute auffallend viele gelbe Regenmäntel, kapuzentragende Seefahrer, blutbespritzte Wichtelzwerge… Dazwischen auf einmal zwei amerikanische Soldaten in Kampfanzügen. Breitbeinig. Sie sehen zu, wie die Schweine ausgeblutet werden. Im Hinausgehen tätscheln sie einen der Schlachtkörper, vertraut, freundschaftlich.

14. Tag

Mit dem Messer immer weg von der Hand schneiden! Ich schneide mich in den Daumen und bekomme ein Pflaster, damit wir das Blut nicht sehen müssen.

15. Tag

Heute werden Schweine von einem Hänger aus abgeladen, dessen Fläche sich etwa 1,70 m über dem Boden befindet, über eine Rampe, die steiler als 45 Grad steht. Zwei Treiber mit Stöcken, die auf die Schweine einschlagen: abgleitende, rutschende, stürzende Korper. . . In der Tageszeitung wieder Berichte aus der Türkei: Hungernde Bürgerrechtler, die Blut spucken, weil sie gefoltert werden, die im Koma liegen, die z.T. nur noch dem Namen nach leben, deren Sterben niemand beobachten darf. Es geht nicht um einen Vergleich der Bilder, das Abzählen der Toten, darüber können wir nicht wirklich erschrecken. Erschrecken konnen wir nur über uns selbst. Über dieses Etwas in unserer Persönlichkeit, das sich an alles gewöhnt, das keine Grenze findet; wir sind zu allem fähig. Erschrecken über die Nutzlosigkeit und die Wiederholbarkeit dieser Erkenntnis.

16. Tag

Kurzer Versuch über das Unbewußte

  1. Als der Sitz des Unbewußten gilt in der Anatomie das limbische System. Eine Intensivstation unser genetisch veranlagten Instinkte, die Maschine, die uns überleben läßt, seit es Menschen gibt (und länger).
  2. Das Unbewußte (Unterbewußte) wird in der Psychologie als seelische Qualitat gehandhabt: Verdrängtes, Gewünschtes, Geträumtes…
  3. Irgendwo im naturwissenschaftlichen Denken treffen sich die Anatomie und die Psychologie und dann gilt, daß den genannten „seelischen“ Qualitäten ein anatomischer Ort zugeordnet wird: Unsere Gefühle entstehen genau hier, genau dort werden sie hervorgerufen. So blicken wir auf eine relativ formlose, teigige Masse und verbinden damit unser Innenleben. Dieser Teil des Gehirns erzeugt in mir Gefühle und Träume und dieser andere Teil nimmt sie wahr, macht sie mir bewußt. Das ist Bewußtsein und Unterbewußtsein, getrennt und definiert durch anatomische Orte. Der übrige Körper ist sozusagen das motorische Beiwerk, der Bewegungs-, Verdauungs-, Geschlechts- APPARAT. Er ist weder bewußt noch unbewußt. Er existiert, er ist; er ist unser Außen, während das Gehirn unser Innen ist. Zerstöre ich das Zentrum, das Innere, so ist der Körper immer noch (das Haar wächst, der Muskel zuckt, die Beine schlagen nach dem Schlachter, das Auge öffnet
    sich, das Auge schließt sich) aber weder bewußt noch unbewußt. Rein existent.
  4. In der Biologie gibt es einen Bereich, der das Unbewußte genannt wird. Darunter werden
    lebendige Strukturen ohne „Reflexionsvermögen“ subsummiert: alle Pflanzen und Tiere,
    auch die Menschen haben Anteil an diesem Begriff. Dieser Bereich korreliert nicht mit dem Gebiet des Unbewußten, das ein umschriebenes Areal in unserer Hirnsubstanz darstellt. Pflanzen z.B. kann kein Organ zugeordnet werden, in dem das Unbewußte lokalisiert wäre. Hier entsteht die Versuchung, Unbewußtes als einen Begriff zu verstehen, der von den Inhalten des „Unterbewußten“ (das dann anatomisch zu definieren wäre) grundlegend verschieden ist. Pflanzen haben nach allgemeiner Ansicht auch nichts mit Traumen und Wünschen zu tun. Doch gibt es Zweige der Wisssenschaft, die etwas Ähnliches gerade für Pflanzen behaupten: Daß sie nämlich für ihre „Besitzer“ Zu- oder Abneigung empfinden und äußern können. Da dieser Zweig der Wissenschaft innerhalb der Naturwissenschaft anerkannt ist (Reproduzierbarkeit der Versuche, Signifikanz der Aussagen), halte ich fest: Es gibt innerhalb der Naturwissenschaft ein Unbewußtes, das an einen Ort gebunden ist, lokalisiert ist und ein Unbewußtes, das ohne ein spezielles Organ der belebten Struktur zugeordnet werden kann; dabei können wichtige Unterschiede festgehalten werden, ohne daß eine grundsätzliche Unvereinbarkeit der Begriffe behauptet wird.
  5. Es ist eine bekannte Geschichte, die von dem Mediziner erzählt, der eine Leiche öffnet, um die Seele zu finden. Der am geöffneten Körper steht und nach genauer Untersuchung bewiesen hat, daß es keine Seele gibt. Die Schicht des Unterbewußten, von dem hier die Rede ist (die Seele), spielt in der Naturwissenschaft weiter keine Rolle. Sie ware ein Equivalent zu dem oben beschriebenen Unbewußten, das dem Leben zugeordnet ist, ohne an ein bestimmtes Organ gebunden zu sein. Es gibt also in unserer allgemeinen Vorstellungswelt auch einen Begriff des Unbewußten, der dem vorher beschriebenen sehr ähnlich ist, aber von der Naturwissenschaft nicht reflektiert wird.
  6. Daß die Pflanzen keinen Ort haben, der dem Unbewußten zugeordnet werden kann, kann mit der Stufe der Evolution begründet werden, auf der sie sich befinden. Auf dieser „Stufe“ ist ein Gehirn noch nicht vorgesehen. Folglich ist das Unbewußte nicht (existentiell) evolutionsabhängig.. Das Gehirn sehr wohl. Die Verknüpfung (Gleichsetzung) frag1ich. Die Frage stelIt sich, was die Vernichtung des Gehirns fur den Korper bedeutet; Auslöschung des Bewußtseins, des Unterbewußtseins, das jetzt
    scheinbar nicht mehr dem Begriff des Unbewußten gleichgesetzt werden kann… Was bedeutet also: Ein Körper „existiert?
  7. Es gibt eine östliche Meditationstechnik, die darin besteht, einen Körper solange in einer bestimmten Stellung innezuhalten, bis alle Bereiche des Unterbewußten, der verdrängten Wünsche, der Begierden, an die Oberfläche treten: Sie verspannen die Muskulatur, führen zu unertraglichem Juckreiz, lassen die FUße schmerzen… Der Meditierende erlebt sein Unterbewußtes (=Unbewußtes) auf die Ebene des körperlichen Empfindens projiziert. Der Körper, der sonst dem Primat des Bewußtseins untergeordnet ist, beginnt sein Eigenleben. Vom normalen Tagbewußtsein befreit, wird jede Zelle zu einem Träger des Unbewußten. Erst wenn die WUnsche, Begierden und Engste in jeder Zelle des Körpers überwunden sind, ist es dem Meditierenden gelungen, sein DASEIN in seiner Vollständigkeit zu erfassen.
  8. Welche Wahrnehmung ihres Daseins (ob Wahrnehmung überhaupt) sogenannte gehirntote Menschen haben, ist strittig. Für die Medizin, die das Bewußtsein und das Unbewußte organischen Orten zuordnet, stellt sich die Frage in Form der Meßbarkeit von Gehirnströmen. Im Verhalten vieler ÄrztInnen und teilweise des Pflegepersonals zeigt sich aber, daß auch Menschen, die schon seit Wochen „gehirntot“ im Koma liegen, noch eine Empfindungsfähigkeit zugesprochen wird. Z.B. wird an ihrem Bett nicht laut Uber ihren Zustand gesprochen. Zumindest wird spontan angenommen, daß einem Menschen, der sich zwischen Tod und Leben in einem körperlichen Zwischenstadium befindet (in dem seine Großhirnrinde als klinisch tot gelten muß), noch eine Erfahrung dieses Zustandes möglich ist. Ein „Wissen“ um seine Situation, das mit unserem täglich gebrauchten Wissen nur den Namen gemein hat.
  9. Diese Sätze könnten den Eindruck erwecken, ich wollte aus vielen Einzelbeobachtungen, deren Inhalt zum Teil nicht ausreichend überprUfbar ist oder deren Verknüpfung fragwürdig ist, präzise Aussagen Uber das Unbewußte treffen. Das will ich nicht. Ich bin der Meinung, daß der Begriff des Unbewußten nur dazu taugt, Randbereiche des Lebens (das Sterben) anzusprechen, nicht aber zu erklären.
  10. Unter diesem Vorbehalt möchte ich das Unbewußte so charakterisieren: Das Unbewußte durchdringt belebte Strukturen bis in die einzelne Zelle. Es ist nicht an eine bestimmte “ Evolutionsstufe“ gebunden, sondern ist wie das „Leben“ eine Eigenschaft, die für alle Lebewesen grundsätzlich dieselbe ist. So betrachtet ist das Unbewußte die reflexionslose Empfindung des Daseins. Jedes Leben, Dasein, ist an diese Empfindung gebunden. Dies gilt fur alles Leben bis in die einzelne Zelle.
  11. Das Denken, das Bewußtsein, ist nur eine kleine schwimmende Insel auf dem Meer des Unbewußten. Es ist nicht in der Lage, die Ubergänge vom Leben zum Tod wirklich zu beschreiben.

17. Tag

Die Rinder traben munter den Treibgang zum Schlachter, dort macht es kurz „bumm“ und das Tier ist tot, kann schon bald lecker zubereitet werden. Die Tiere haben sich vermutlich durch jahrhundertelange Übung an das Schlachten gewöhnt. Da gibt es nichts Neues.

18. Tag

Aus dem Wasserhahn mit dem Sprühkopf strömt das Wasser kalt, klar, kühlend. Fasse ich danach ins Lungengewebe, ist Wärme fühlbar wie dicke Watte. Ein längeres Gespräch mit dem Mann, der die Lymphknoten anschneidet. Die Zeit vergeht etwas schneller. Eine Minute, in der zwei Tiere getötet werden können, ist ewig lang. Nach dem Tod eines Tieres stellt sich keine Erleichterung ein, da der Tod weiter kommen muß, die Tätigkeit des Tötens fortgesetzt werden muß, von der so unglaublich viel in eine Minute paßt. Die Eindrücke können nicht verarbeitet werden. Vielmehr werden die Eindrücke an einem Haken befestigt am Band mitgeführt, ohne Unterlaß im Kreis, eine schraubende Bewegung, solange, bis das Messer angesetzt werden kann. Die Schwanzspitze springt davon, dem Fell hinterher, die Leber klatscht in die Wanne, die zu einer Kordel verdrehten Gefühle geben dem Andrang des Messers nach. Wie befreit lÖsen sie sich von der Schwere der Person, laufen eine Zeit mit dem Band weiter, geraten außer Sichtweite.

Langsam löst sich das Fell unter dem Zug einer elektrischen Winde vom Körper. Jede Faser bäumt sich noch einmal gegen den Zug, das Zerreißen, auf, gibt die Nacktheit des Fleisches nur zögernd frei, diesen weiß-roten Klumpen. Dunkel und feucht, unter dem lauten Rasseln der Ketten, die das Fell führen, fällt es von oben in eine Plastikwanne, dunkel, feucht, klatschend, ein unförmiger Schatten wie eine dunkle Seele, ein Nachtschatten, eine abgelöste Erscheinung, ein ausgetriebener Teufel.

19. Tag

Der Mann, der das Messer führt zum Rundschnitt durch Gurgel, Hals, Rückenmark, der mit der Plastikschürze, die rot-schwärzlich sich einfärbt, der über und über im Blut steht, der kundige Schlächter, dieser Mann hat Pause. Das Band steht. Er steht am Band und sieht auf die mit Metall ausgeschlagene Wanne, in der das Blut zusammen läuft, das aus den Halsstümpfen der rUckwärts erhängten Rinder strömt, das schwarz-rot klebrige Blutmeer. Das Band steht. Seine Schürze ist nicht blutverschmiert. Es hängen keine ausblutenden Körper am Band. Die Wanne ist leer, silbrig ausgewaschen, einige helle Blutspuren, wässrig verdünnt. Der Mann steht. Die Hände hat er in seiner Schürze eingehakt. Das Messer steckt in seinem Koppel. Der Blick des Mannes liegt unbeweglich auf dem Silber der ausgewaschenen Blutwanne. Unbeweglich steht der Mann, der Blick unbeirrbar, starrt durch das Metall der Blutwanne hindurch, bis er unter dem Boden der Wanne, dort, wo andere den Beton vermuten, tief eintaucht in den See des Blutes, der hier unbemerkt zusammengelaufen ist. Auf diesem See stehen die Mauern des Schlachthofes, leise wankend.

Das Rauschen der Wellen erfüllt den Raum, Ohren betäubend, das Gehirn anfüllend mit dem stetig in sich schlagenden bewegten See, dessen Wellen schwerer schlagen als die Wellen anderer Seen, weil sie in ihrer Bewegung, bei jeder Berührung, aneinander zu kleben beginnen. Es ist ein stickig-klebriger Sumpf und seine aufsteigenden Gasblasen füllen die Hallen des Schlachthofes mit ohrenbetäubendem Rauschen. Die oberste Schicht des Sumpfes ist schwarzrot dunkel verfestigt. Gallertig. Darauf ruhen die Mauern des Schlachthofes, leise wankend.

Dort vorne, am anderen Ende des Bandes, kippt der Boden jedoch allmählich weg, sinkt nach unten und zieht die Mauer, das Rauschen, das Metall der Blutwanne hinter sich her. Dann ist der Schlachthof versunken. Der Mann hat seinen Blick erhoben und blickt nun von unten gegen das Metall der Blechwanne, bis er durch sie hindurch auf den See schauen kann, der sich unbemerkt über ihr gebildet hat. Die Brust, die zwischen seinen eingehakten Armen auf und ab geht, füllt sich mit einem tiefen Atemzug. In der Kantine sitzen die anderen frohlich beim Bier.

20. Tag

Das Gewicht eines Rinderkopfes steht im Gleichgewicht mit der Kraft meiner Arme. Der Daumen der linken Hand faßt in die Hinterhauptsöffnung, dort, wo das Rückenmark austritt, dringt tief ein in die weiche Hirnsubstanz. Der vordere Winkel des Unterkiefers wurde für die Krümmung des Fleischerhakens geschaffen. Das Gewicht des Rinderkopfes findet hier seinen Halt. Dort, wo die auseinandergebrochenen Äste des Zungenbeins hervorragen, setze ich das Messer an. Hier geht es tief hinein, die Klinge verschwindet vollständig, sinkt ein, dringt endlich auf Knochen. Die Mandeln, der lymphatische Rachenring, sind eine widerspenstige Ansammlung unförmiger Klößchen, amorph, verschieblich. Da ihre Entfernung die meiste Zeit in Anspruch nimmt bei der Beschau des Rinderkopfes, werden sie zu hervorstechenden Merkmalen: Irgendwo zwischen Zunge und Gurgel hängen diese lose verknüpften Fleischfetzen, Grießklößchen…

Ich bin müde. Die Rinderköpfe sind schwer. Durch die Müdigkeit sehe ich die Rinder, die draußen vor der Schlachthalle warten, nicht mehr im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit. Sie verlangt alle Aufmerksamkeit, Konzentration, will wertfrei sein, nur der Aufgabe gehorchend alle Grießklößchen zu entfernen. Dreimal nachgeschnitten und noch immer ein paar halbe Lymphknoten am Zungengrund. Die unsichtbare Grenze, über die diese Tiere gehen, wird mir immer unfaßbarer. Ich kann mir nicht mehr vorstelleh, daß diese Tiere ihren Tod überhaupt irgendwie empfinden. Komm, du blöder Bulle, stell dich nicht so an. Schließlich habe ich hier andere Probleme. Ich muß diesen seltsamen Kopfgebilden die Grießklößchen aus der Gurgel schneiden.

21. Tag

Ein großer brauner Berg. Eine fellige Hügellandschaft. Er liegt so, daß er den Durchgang neben dem Schlachtband vollständig ausfüllt. Jemand steigt über den Fleischberg hinweg. Das Fleisch zittert unter den Gummistiefeln. Ein ausgewachsener Buile, zu groß fUr das Band. An den Hinterbeinen emporgezogen, hängt sein Kopf zu tief. Das Band läuft an, der Kopf knickt zur Seite, rutscht über den Rand der Blutwanne. Taucht ein in das Blut, der Kopf bis zu den Augen, verschwindet der Nasenspiegel, die großen Nasenöffnungen, der Mund, aus dem seitwärts die Zunge quillt. Büffelkopf, das Blut seiner Artgenossen trinkend. Sein Blut läßt den Blutsee weiter ansteigen, unmerklich vermischt sich sein Blut mit dem der anderen. Am Ende der Blutschüssel taucht der Kopf, an der Kante schräggestelIt, wieder auf. Die Nüstern, die Haare um das Maul , mit dickem rotem Blutgerinsel bedeckt, die Haare rot gefärbt bis unter die Augen. Der Büffel, der vom Blut seiner Nachkommen trank. Der Urahn, der das Blut vermehrt, die Tode vermehrt, das Sterben erfüllt, die Blutwanne tränkt.

22. Tag

Es geht den Weg, den alle Gewohnheit geht. Reflexionslos, stumm. Achtlos gehe ich die Treppe hinauf, drücke mich durch die hängenden Tierkörper auf die andere Seite des Bandes. Der Schnitt ins Rinderherz gelingt immer. Neben dem Gewühl der Vormagen schwimmt der einkaufstaschengroße Uterus mit dem tastbaren Foetus..

„Gefällt dir dein Job?“
„Nee, immer Arbeit…“
„Ist meines auch nicht, der Schlachthof.“
„Warum, der ist doch schön… Rinder, Schweine…“
„Mag ich lebend lieber.“
„Ach, ich mag keine Tiere.“

Alles ist vorstellbar. Es ist nur eine Frage der Gewöhnung, der selektiven Wahrnehmung.

23. Tag

Das kalte Wasser aus der Druckleitung am Ende des Bandes nimmt die Wärme der frischen Organe mit sich. Die Hände werden kalt, frisch, als ob sie nie zwischen pappig weichen Lungenflügeln gewühlt hätten. Unerträglich wäre diese Wärme ohne die kalte Dusche zwischendurch.

24. Tag

Unsere Gesellschaft verdrängt den Tod so weit, daß sogar die, die täglich mit ihm umgehen, nur noch einen technischen Umgang haben. Der Tod selbst tritt nicht in Erscheinung, mit keinem Gedanken oder Wort. Vielleicht auch deswegen, weil die Schlachtkörper noch so warm sind. Man weiß eigentlich gar nicht, ob das Fleisch noch lebt oder schon tot zu nennen ist. Der Tod, der menschliche Tod, der Tod des Individuums, der Tod als Gegensatz des Lebens, als Verwandlung des Lebens, ist hier nur eine Frage der Bandgeschwindigkeit, der Schlachtkörperbeurteilung, der Kasse des Metzgers. Dieser Tod ist in jede Mark hinein berechenbar. Das nimmt ihm jede Tiefe. Das Fleisch wandelt sich nur: vom unreifen, lebendigen Tier zum reifen, eßbaren, vermarktbaren Endprodukt. Der Tod ist keine Schwelle, keine andere Dimension, sondern ein technisches Hilfsmittel der Wurstwarenherstellung. „Tiere werden halt dafür gehalten, daß sie geschlachtet werden.“ Der Tod wird begleitet von einer völligen Bewußtlosigkeit. Die Schlächter, die Träger des Todes, die Ausführenden, die todbringenden Menschen, sind nicht hereit sich einzugestehen, daß sie nicht eine Tätigkeit wie jede andere ausführen. Sie wollen ein „normales Leben“ führen. Die Ächtung, die mit dem Wort „Schlächter“ verbunden ist, sitzt tief bei ihnen. Das Wort „Schlächter“ ist das Wort, mit dem ihre Tätigkeit von außen beurteilt wird. Sie wollen keine Äußerlichkeit in ihren Hand1ungen. Sie wollen nicht, daß Fragen gestellt und Probleme aufgeworfen werden, die über das Problem technischer Problemstel1ungen hinausgehen. Nicht die Konfrontation, die unerträgliche, mit dem täglichen Zwang zum Töten, sondern nur Fragen wie ‚Geht die Sau noch zum Metzger oder nur zum Abdecker?‘ dürfen in ihr Bewußtsein dringen. Mit solchen täglichen, technischen Problemen sichert sich ihr Verstand dagegen ab, einen entscheidenden Schritt zu tun in die Bewußtwerdung ihrer Situation: Mein Beruf ist die Beendigung des Lebens. Ich töte um zu leben. Nicht um mein Leben zu verteidigen Oder weil ich ein spezielles Interesse habe. Ich stehe hier und töte, weil mich die Gesellschaft damit beauftragt hat. Ich bin die Institution des Todes. Der gesellschaftliche Ort des sanktionierten Todes. Die Gesellschaft braucht sich über den Tod keine Rechenschaft zu geben, weil ich hier stehe und töte und mir selbst keine Rechenschaft geben kann. Ich stehe hier und töte, unabhängig, ob Bedarf existiert, Not, ein Bedürfnis. Irgendwo wachsen die Fleischberge und ich stehe hier, weil meine Bezahlung gleich bleibt. Die Preise fallen. Die Wohlstandsbäuche wachsen. Die Menschen essen so viel Fleisch, daß sie davon krank werden. Ich stehe hier, weil die Gesellschaft mich bezahlt. Für eine Gesellschaft, die ohne Not und Bedürftigkeit tötet. Die den Tod als selbstverständliches Recht fur sich beansprucht.

Was immer die Gesellschaft über den Tod beschließt, sie wird die Leute, die den Tod ausführen, zu bezahlen wissen.

Niemand macht sich über den Tod Gedanken. Auch ich nicht. Er hat keine Qualität mehr. Nichts Unbekanntes. Nichts mehr, worüber Leute noch nachdenken müßten. Der Tod ist alltaglich, gewöhnlich. Er ist in unser Leben hineingewachsen; ohne daß wir ihn bemerkt hätten, hat er sich breit gemacht. Mein Leben ist der Tod.