Das BST-Moratorium läuft zum Jahresende aus

von Anita Idel

aus Veto Nr. 36 – 1994, S. 42-43

rBST und die Wissenschaft

Seit Jahren werden „wissenschaftliche“ Versuche gemacht, die widerlegen sollen, daß rBST Kühe krank macht. Ohne Erfolg. Der Beipackzettel von POSILAC®, dem in den USA zugelassenen rBST von Monsanto, ist der vorläufig letzte Beweis dafür, daß BST sowohl innerhalb der Herden als auch bei der einzelnen Kuh Krankheiten provoziert. (Veto Nr. 35, S. 27).

Dichtung und Wahrheit

Daß das der Hormonlobby nicht paßt, verwundert nicht. Um Wahrheiten vergessen zu machen, hat sie sich in der Vergangenheit schon manch Wundersames einfallen lassen. So hieß es jahrelang: „Wachstumshormon ist kein Hormon, sondern ein Protein. “ Solch plumpe Verwirrspiele haben aber ihre Adressaten – die den Hormonen abgeneigten Konsumentlnnen – letztlich nicht überzeugen können. „Das hat soviel Wahrheitsgehalt wie: Eine Stachelbeere ist keine Beere, sondern eine Frucht“, so oder ähnlich lautete die Entgegnung auf mancher rBST-Veranstaltung.

Inzwischen lassen sich die Gesundheitsstörungen im Zusammenhang mit rBST nicht mehr unter die Kuh kehren. Zudem dürfte auf einem Beipackzettel die folgende Formulierung unter „General health“ wohl ein Novum darstellen: „Use of POSILAC® is associated with increased frequency of use of medication in cows for mastitis and other health problems. „

Nicht nur rBST macht krank

Wie sich die meisten Wissenschaftler aber um die grundsätzliche Kritik an rBST drücken, demonstriert beispielhaft Prof. Heeschen von der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel. Er tut sich schwer, rBST für erhöhte Krankheitsraten verantwortlich zu machen. Aber er wird gesprächig, wenn es um die negativen Auswirkungen der Leistungssteigerung auf die Tiergesundheit geht. Das ist Öl auf die Mühlen der Hormonlobby, die nun gebetsmühlenartig wiederholt: „Die Krankheitsprobleme sind keine Folgen des rBST, sondern der Leistungssteigerung.“ Eine offensichtlich geschickte Argumentation, fragen sich doch jetzt selbst nachdenkliche Geister in der Landwirtschaft, wie man denn hier differenzieren könne. Geschickt vor allem, weil darüber vergessen wird, worum es eigentlich geht.

Wir haben auch ohne rBST große Probleme mit der Tiergesundheit. Dies ist die Folge einseitiger Selektion auf Milchleistung: Die als zweiprozentiger Zuchtfortschritt pro Generation definierte Leistungssteigerung hat inzwischen zu einer Verdopplung der Milchleistung pro Laktation geführt, gleichzeitig aber zu einer drei- bis vierfach erhöhten Krankheitshäufigkeit bei Euterentzündungen, Stoffwechselentgleisungen und Fruchtbarkeitsstörungen. Jede neue oder zusätzliche Maßnahme muß sich deshalb daran messen lassen, ob sie zur Reduzierung der Krankheiten und damit auch des Medikamenteneinsatzes beiträgt. Eine Strategie, deren vorrangiges Ziel gar nicht darin liegt, etwas für die Tiergesundheit zu tun, disqualifiziert sich von vornherein selbst.

Kein Forschungsbedarf

Das wissenschaftliche Gerede darüber, wie krank rBST unsere Kühe denn nun genau macht (Angaben in Eiter und Pfennig), lenkt nur vom eigentlichen Problem ab. Auch Professor Pschorn, nunmehr Präsident der Bundestierärztekammer, glänzte Ende Juni mit der Äußerung, so einfach sei das ja gar nicht mit diesen ganzen rBST-Nebenwirkungen, da müsse noch einiges geforscht werden. Überraschend und wohltuend darauf die Entgegnung von Professor Grunert, dem Leiter der Gynäkologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover: Da brauche man gar nicht forschen. Wer wisse, wie es bereits heute um die Kühe bestellt sei, wisse auch schon, was bei rBST herauskomme.

Gesundes Fieber

Aber die Hormonlobby hat noch einige Knackpunkte mehr auf Lager. Auf dem POSILAC®-Beipackzettel findet sich unter „Additional Veterinary Information“ folgende Formulierung: „Care should be taken to differentiate increased body temperature due to use of POSILAC® from an increased body temperature that may occur due to illness. „

Vorsichtiges Differenzieren ist also angesagt zwischen „gesunder“ und „kranker“ Temperaturerhöhung. Noch Fragen? Der Bundesverband für Tiergesundheit (der Interessensverband der Veterinärpharmaindustrie in Deutschland) bietet auch hier Antworten. Die Temperaturerhöhung sei Folge des erhöhten Stoffwechsels. Klingt nicht schlecht. Aber nach dieser Logik hätte die Durchschnittstemperatur unserer Hochleistungskühe in den vergangenen Jahrzehnten um einige Grade steigen müssen.

Alle sind dagegen – aber rBST kommt trotzdem?

Obwohl sich selbst die Bundestierärztekammer (ehem. Deutsche Tierärzteschaft), der Deutsche Bauernverband und Landwirtschaftsminister Borchert dagegen aussprechen, hat die Pharmaindustrie gute Karten für eine rBST-Zulassung. Denn der zuständige Tierarzneimittelausschuß hat rBST „Unbedenklichkeit“ bescheinigt und damit „grünes Licht“ für eine Zulassung nach Ende des Moratoriums im Dezember 1994 gegeben.

Grundlage für diese bereits 1993 gefällte Entscheidung war die EU-Tierarzneimittel-Richtlinie, nach der für eine Zulassung die gewünschten die unerwünschten (Neben)Wirkungen überwiegen müssen. Leistungssteigerer aber werden einzig aus ökonomischen Gründen, und das heißt vor allem ohne jegliche therapeutische Notwendigkeit verabreicht. Bereits 1989 hatte die EG-Kommission bemängelt, daß es für die Zulassung von Leistungssteigerern wie dem rBST gar keine rechtliche Grundlage gäbe. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Wenn nur alle sagen, daß sie dagegen sind, aber keiner etwas tut, wird rBST auch in der EU zugelassen werden. Die Deutschen können nun im Rahmen ihrer EU-Ratsführerschaft unter Beweis stellen, wie ernst ihnen ihr „Nein“ wirklich ist.

EIERLEGENDEWOLLMILCHSAU

von Anita Idel

aus Veto 50 – 2007, S. 6-8

Eine EIERLEGENDEWOLLMILCHSAU zierte das Cover der ersten Ausgabe der Veto. Sie war bereits mit Einfüllstutzen versehen für Hormone, Antibiotika und Cortisone. Damals – im Sommer 1982 – hatte der Zeichner Hans-Jörg Seilacher bereits die wichtigsten Zuchtziele im Visier:

bis 1984 – sechsspuriger Ausbau des Verdauungskanals und

bis 1987 – Einkreuzung von landwirtschaftlichem Pflegepersonal.

25 Jahre sind vergangen, und die Einfüllstutzen dienen der mit chronischer Routine betriebenen permanenten Schadensbegrenzung. Obwohl die Gesetzeslage den kranken Verhältnissen immer mehr angepasst worden ist, erlebt die Aufdeckung von Arzneimittelskandalen – auch mit illegalen Substanzen – immer wieder Höhepunkte. Mehr Milch, mehr Fleisch, mehr Eier und das in immer kürzerer Zeit – lautet die so alte wie auch immer wieder neue Devise. Hormone und Antibiotika sollen einen Teil der Produktivitätssteigerung erbringen, die mit der Gentechnik verheißen worden war.

Aber bis heute gibt es keine transgenen Tiere in der landwirtschaftlichen Praxis; denn eine steigende Zahl von Tierversuchen scheitert weiterhin an biologisch-technischen Problemen des Gentransfers bei landwirtschaftlich genutzten Tieren.

Nichts desto Trotz hat die Rechtslage die tierisch-technische Entwicklung überholt: In den USA ist es mittlerweile erlaubt, geklonte Tiere als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Neben produktivitätssteigernden (Wachtumshormon)-Genen waren große Hoffnungen auf Resistenz-Gene gegen die wirtschaftlich gravierendsten Krankheiten gesetzt worden: Seuchen, sowie Atem- und Darmwegserkrankungen. Aber bis heute ließen sich kaum Gene identifizieren, die als allein ursächlich für eine Resistenz angesehen werden könnten.

Und damit zurück zum Titelbild der ersten Veto. Statt der „Einkreuzung von landwirtschaftlichem Pflegepersonal“ vergrößert sich der Aufwand der technischen Überwachung der Tiere immer mehr. So wird immer weniger Zeit mit dem Tier und stattdessen immer mehr Zeit vor dem Computer verbracht. Über die Gentechnik hinaus soll mittels einer weiteren Biotechnik tatsächlich landwirtschaftliches Pflegepersonal eingespart werden. Mit Tieren aus einem Klon pro Stall ließe sich beispielsweise die Berechnung des Futtermittelbedarfs auf ein Minimum reduzieren und die Fütterung dadurch erheblich vereinfachen, verlautbaren einschlägig Interessierte seit Mitte der 80er Jahre.

Mit der seit damals forcierten Klonforschung sollen die hohen Investitionen in die Genforschung trotz der schlechten Erfolgsquoten kompensiert werden: Wenn ein einzelnes transgenes Tier den Vorstellungen seiner Erzeuger entspricht, so die Idee, sollte es massenhaft vervielfältigt werden. Mit dem Schaf „Dolly“ wurde zwar 1997 der Durchbruch präsentiert, aber wieder stehen dem biologisch-technische Probleme entgegen, so dass statt des eigentlichen Ziels, der massenhaften Tierproduktion aus einem Guss, wiederum nur Unikate entstehen. Sollten aber „Dollys“ NachfolgerInnen eines Tages doch in Serie gehen, läge die Gefahr im Erfolg: Das bei allen einheitlich normierte Erbgut würde den Spielraum für individuelle Reaktionen – zum Beispiel Abwehr von Krankheitserregern – drastisch einschränken.

Auch aus dem für 1984 anvisierten „sechsspurigen Ausbau des Verdauungskanals“ ist bekanntlich nichts geworden. Aber neben der Einsparung von Arbeitskräften, der Beschleunigung des Wachstums, der Steigerung der Leistung und der Erhöhung der Besatzdichten ist das Futter die entscheidende Variable an den tierischen Produktionskosten. Die Futtermittelindustrie hat durch die Verwendung von Kadavern bis hin zu Dioxin-belasteten Energieträgern Millionen eingespart. Die Pervertierung des Recyclinggedankens nimmt als schlimmste Folge der Externalisierung von Kosten auch den Tod in Kauf. Wie die Verseuchung von Boden, Luft und Wasser sowie Antibiotika-resistente Bakterien uns oft nur schleichend und häufig unerkannt krank machen, ist auch die neuartige Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infolge des Verzehrs BSE-kranker Rinder Realität. Auch wenn wir die genauen Ursachen des Rinderwahns noch nicht abschließend verstehen, seine entscheidende Verbreitung erreichte er durch Zwangskannibalismus: die Verfütterung von Wiederkäuertiermehl an Wiederkäuer. Und schon ist sie wieder da: die Verheißung, mit dem Gen, hier: einem BSE-Resistenz-Gen, könne die Welt gerettet werden.

Der Wunsch nach einfachen Lösungen ist eine entscheidende Triebfeder des Glaubens an die Gentechnik. So wurde Jahrzehnte lang an der Vorstellung festgehalten, ein Gen bewirke die Bildung eines Proteins. Und auch der Glaube, ein Protein regele eine Eigenschaft, hielt sich lange. Nach Untersuchungen, deren Ergebnisse erst nach dem Milleniumswechsel veröffentlicht wurden, hat das Genom von Säugetieren mit 30 000 weit weniger Gene als die angenommenen 100 000.

Bezüglich der züchterischen Selektion kann somit in der Regel nur mit Näherungswerten gearbeitet werden. Die Marker gestützte Selektion versucht sich an Wahrscheinlichkeiten, mit denen ein Marker in der Nähe relevanter Gene lokalisiert ist. Mit FUGATO, der „Funktionelle(n) Genom Analyse im Tierischen Organismus“ gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung sollen die genetischen Grundlagen für Gentests erforscht werden. Die Ergebnisse übernimmt der gleichnamige Industrieverbund (www.FUGATO-Forschung.de); am Ende stehen jeweils patentierte Gentests, wobei im Einzelfall auch das analysierte Produkt, das Tier bzw. seine Verwendung, unter den Patentschutz fallen kann.

Mit der immer stärkeren Selektion erhöht sich auch die Inzucht und damit die Gefahr des Auftretens und der Verbreitung von Erbfehlern. Insbesondere sollen geeignete Bullenmütter identifiziert werden, deren Söhne dann als Anlageträger einzelne Gensequenzen massiv in der Population verbreiten sollen. Inzwischen gibt es Bullen mit mehr als einer Million Nachkommen.

Die große Bedeutung der Fortentwicklung weiterer Biotechniken kommt aber erst in der Kombination der Marker gestützten Selektion mit Fortpflanzungs- und Vervielfältigungstechniken zum Tragen: In-vitro- Fertilisation, Kryokonservierung, Ovum Pick up, In- vitro-Reifung, Intra-zytoplasmatische Spermieninjektion sowie die Verbesserung der Nährmedien.

Die Komplexität genomischer Interaktionen und der Epigenetik ist ein hochspannendes Forschungsfeld. Aber ihre Erforschung krankt – wie so vieles – am Erkenntnisinteresse: Verstehen wollen – einzig, um gewinnsteigernd manipulieren zu können.

Presseresonanz bis zur Praline nach AGKT Stand auf der Grünen Woche 1989

Natürlich war die EIERLEGENDEWOLLMILCHSAU nie gewollt sondern die extrem einseitige Nutzung. In den über 20 Jahren seit der ersten Veto hat diese Spezialisierung weiter dramatisch zugenommen. Die gewünschten züchterischen Erfolge stellen zugleich Durchbrüche auf der Privatisierungsebene dar: Die biotechnischen Möglichkeiten zur züchterischen Spezialisierung führen zu einem weiteren Verlust von Agrobiodiversität durch die reduzierte genetische Basis innerhalb und zwischen den Rassen. Damit verbunden sind (privat-)rechtliche und somit auch soziale Folgen durch die immer geringere öffentliche Verfügbarkeit von Zuchttieren überhaupt. Und speziell von Tieren, die für züchterische Ansätze für weniger intensive Haltungssysteme und die Freilandhaltung geeignet sind – kurz: Die Entwicklung einer ökologischen Tierzucht, orientiert auf Tiergesundheit und nachhaltige Landnutzung.

Hormonpolitik – Neue Debatte auf EU Ebene

von Bernd-Alois Tenhagen, Wolfram Schön, Anita Idel, Matthias Wolfschmidt

aus Veto Nr. 40 – 1996, S. 6-7

Was tun mit Ochsen, die so gar keinen maskulinen Habitus annehmen wollen, einfach nur langbeinig und knochig werden? Die für Suppenfleisch erzielten Preise sind so toll nicht. Nicht kastrieren ist auch nicht so schön weil dann zum maskulinen Habitus die mannhafte Streitbarkeit kommt und zahm sollen sie ja schon sein.

Kein Problem eigentlich. Die pharmazeutische Industrie hält für dieses Problem diverse Lösungen bereit. Nur daß diese Lösungen, „natürliche“ und synthetische Steroidhormone, bisher in der BRD und der gesamten EU verboten sind, oder vielleicht waren? Es gibt da nämlich ein Problem. Die EG (damals hieß sie noch so) hat 1988 den Einsatz dieser Stoffe als Masthilfsmittel verboten. Vordergründig aus gesundheitlichen, d.h. verbraucherschützerischen Gründen. Zu unterstellen, daß mit dem Verbot des Einsatzes dieser Stoffe auch die teilweise Abschottung Europas gegen Rindfleischimporte aus Drittstaaten (nicht EG-Staaten) bezweckt war, setzt nur mittelmäßige Boshaftigkeit voraus.

Das sehen diese Drittstaaten (nicht zuletzt die Leute von der Shiloh Ranch, USA) auch so. Sie halten das Verbot für ein nicht-tarifäres Handelshemmnis und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind igittigitt. 1989 reagierten sie schlicht mit Strafzöllen auf europäische Agrarprodukte, die auch heute noch erhoben werden. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wenn sich ein paar Cowboys über europäischen VerbraucherInnenschutz ärgern. Sollen sie doch. Das ging ja auch fast 8 Jahre gut (seit 1988 eben).

Jetzt soll das anders werden. Nicht tarifäre Handelshemmnisse sind nicht nur igittigitt, sie sind seit einem GATT-Abkommen von 1993 (GATT=General agreement on tarifs and trade) verboten und justitiabel. Eben darauf beruft sich die amerikanische Regierung, die natürlich liebend gern Rindfleisch im großen Stil auf den europäischen Markt bringen möchte. Wenn die EU sich dagegen wehrt, so sicherlich nicht nur aus moralischen Gründen. Schließlich hieß der Verein zu Beginn Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Nichtsdestotrotz ist zu fragen: Was hat es auf sich mit dem Verbot der „Stoffe mit pharmakologischer Wirkung“ (so der Titel der in der BRD gültigen Rechtsverordnung zum Thema)? Was, außer handelspolitischen Gründen, spricht für die Beibehaltung des Verbots?

Vordergründig geht es in dem Streit zwischen EU und USA nur um das Verbot der Einfuhr dieses Fleisches. Wenn aber erlaubt wird, solches Fleisch einzuführen, wird es schwierig, das Verbot des Einsatzes in der EU noch zu rechtfertigen.

In der Öffentlichkeit wird vorwiegend mit gesundheitspolitischen Gründen argumentiert. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, denn die Vorstellung über ein saftiges Steak sein Geschlechtsleben nachhaltig zu beeinflussen, schreckt gleichermaßen diejenigen, die diesen Bereich tabuisieren, wie diejenigen, die es zu einem nicht eben unwichtigen Bereich ihrer Persönlichkeit zählen. So fällt das Schüren von Sorge bis hin zur Panik nicht sonderlich schwer.

Neue Munition hat diese Sorge sicherlich auch noch mal durch die ins Gerede geratenen „Pillen“ erhalten. Hormone beeinflussen nicht nur unsere Geschlechtlichkeit, sie sind auch noch gefährlich.

Natürlich argumentieren die Vertreter der Hormonlobby (schöner Kampfbegriff) dagegen. Das sei alles nicht so schlimm. Die Dosierung der Hormone sei so gering, daß eine Beeinflussung der Konsumentinnen auszuschließen sei. Daß die Firmen dabei auf den „ordnungsgemäßen Gebrauch“ der Stoffe abheben und dieser längst nicht immer zu gewährleisten ist, kompliziert die Sache nicht unerheblich. Aber auch die FDA (Food and Drug Administration, US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde) und das Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), halten die Gefährdung im Normalfall für gering. Auf UN-Ebene wurde beschlossen im „Codex Alimentarius“ Grenzwerte1 für die Hormone festzulegen. Dies unterstellt daß es eine Untergrenze für die Konzentration gibt, unter der Hormone keine (unerwünschte) Wirkung entfalten. Unterstützung in der Wissenschaft zu finden, fällt ihnen nicht sonderlich schwer, und das nicht nur aus ökonomischen Gründen (Wessen Brot ich ess….), sondern auch, weil der Nachweis von Nebenwirkungen relativ kompliziert ist, verglichen mit Wirkungen, weil die Fragestellung unpräziser ist. Gerade bei Hormonen die schon in kleinen Mengen in ein kompliziertes System von Regelmechanismen eingreifen, läßt sich der Nebenwirkungsnachweis schwer führen (s.a. VETO 34 und 35., Kronfeld 1994, Bultmann u. Schmithals 1994). Wissenschaftlerlnnen können aber nur solche Nebenwirkungen als gegeben annehmen, die sich auch nachweisen und einem Wirkstoff zuordnen lassen. „Es wurden keine Nebenwirkungen festgestellt“ heißt also in erster Linie, daß keine nachgewiesen wurden, nicht, daß es sicher keine gibt. Das kann eigentlich niemand definitiv sagen.

Allerdings kann mehr oder weniger intensiv nach ihnen geforscht werden. Und da hat es wohl in den USA bei der FDA eine gewisse Großzügigkeit bei der Zulassung der synthetischer Präparate gegeben (Hapke 1989). Wohlgemerkt, daß keine ausreichenden gentoxikologischen Studien zu diesen Medikamenten vorlagen, heißt nicht notwendigerweise, daß sie gentoxisch sind, sondern einfach nur, daß es (zumindest offiziell) niemand hinreichend genau weiß. 

Das ist ein Problem.

Ein anderes Problem ist, wie bei allen Wachstumsförderern, ein politisches: Wie wollen wir Lebensmittel erzeugen? Wollen wir Leistung um jeden Preis? Wie wirkt sich der Einsatz der Hormone auf die Landwirtschaftsstruktur und die soziale Lage der Bäuerlnnen aus. Wie auf die Tiergesundheit? Bei anderen Wachstumsförderern ist schon darauf hingewiesen worden, daß sie die beste Wirksamkeit unter suboptimalen Haltungs- und Fütterungsbedingungen entfalten. Aber selbst wenn Steroidhormone auch unter optimalen Bedingungen noch zu einer deutlichen Steigerung der „Leistung“ fahren – wollen wir diese Steigerung? Auf Fleischberge und volle Kühlhäuser bei gleichzeitig stark rückläufigem Fleischkonsum zu verweisen, mag ein Allgemeinplatz sein und Marktfetischistlnnen – vielleicht nicht zu Unrecht – argumentieren, der Markt werde das schon regeln … Nur: für wen? Fest steht: eine gesellschaftliche Notwendigkeit (z.B. wegen Mangel an Fleisch) für Turbomast besteht nicht. Die Notwendigkeit kann aber betriebswirtschaftlich für die Mäster durchaus entstehen, nämlich dann, wenn sich der Einsatz der Hormone ökonomisch rechnet.

Ungeachtet der Frage der Sinnhaftigkeit des Hormoneinsatzes stellt sich die nach der Durchsetzbarkeit des Verbotes d.h. nach den Kräften, die für eine Zulassung oder doch zumindest Aufweichung des Verbotes sind und denen, die eben dies verhindern wollen.

Beide Gruppen sind heterogen. Auf der Seite der Hormonbefürworter findet sich aus verständlichen Gründen der Bundesverband für Tiergesundheit (hinter diesem NewspeakTerminus verbirgt sich die Pharmazeutische Industrie), die schon genannten Leute von der Shiloh-Ranch, aber auch Teile der westeuropäischen Fleischrinderproduzenten, besonders jene, die Fleisch unter extensiven (Weidehaltung) Bedingungen produzieren (Großbritannien, Irland, Frankreich). Sie erwarten sich von der Zulassung ökonomische Vorteile oder doch zumindest die Vermeidung von Nachteilen, wenn das Importverbot fällt.

Auf der Seite der Gegner finden sich neben der Agraropposition auch die Lobbyisten der kontinentalen Landwirtschaft, die natürlich die harte Konkurrenz der amerikanischen Feedots fürchten, die aber auch die Sensibilität der Verbraucherlnnen kennen, die allemal für verschiedene Boykottaktionen gut sind. Das internationale Handelsrecht ist auf Seiten der Amerikaner. Seine demokratische Legitimation ist zwar fraglich das ändert aber nichts an seiner Schlagkraft. Die Prüfung möglicher Zulassungsgründe, d.h. der Nachweis der Gesundheitsgefährdung wird nicht sehr einfach sein und Zeit brauchen. Als kleine Pikanterie am Rande wäre mit der Zulassung der Steroidhormone natürlich auch das rBST-Moratorium der EG in Frage gestellt (s. VETO 37), um das in der Öffentlichkeit so lange gestritten wurde, denn dieses unterliegt den selben gesetzlichen Bestimmungen. rPST, das Wachstumshormon für Schweine steht schon in den Startlöchern und auch andere Regelungen (Gen-Food, Pflanzenschutzmittel, technische Mindeststandards für Geräte und vieles andere mehr) müßten mittelfristig dem Primat der Weltökonomie weichen, wenn die schärferen Nonnen wissenschaftlich nicht einwandfrei zu rechtfertigen sind.

1 Grenzwerte sind politische Werte. Sie besagen nicht, wann ein Stoff keine Wirkung entfaltet, sondern welche Konzentrationen eines Stoffes politisch zu tolerieren sind. Einen interessanten Grenzwert-Poker gab es nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, als plötzlich die Grenzwerte für die maximale radioaktive Belastung von Lebensmitteln nach oben korrigiert wurden. Andere Beispiele sind die Werte der Milchgüteverordnung (Zellzahl und Keimzahl).

1:O für uns! Über rBST und über rBST hinaus

von Anita Idel

aus Veto Nr. 37 – 1995, S. 10-11

rBST ist derzeit in der EU politisch nicht durchsetzbar. Am 14.12.1994 stieg weißer Rauch aus dem Tagungsgebäude der Agrarminister: ein Moratorium, ein Anwendungsverbot bis zum 31.12.1999. Keine Jahrhundertentscheidung, aber ein schmerzhafter Pfahl im Fleisch der Hormonlobby. Zum entgangenen Gewinn durch jede bisher nicht verkaufte Spritze (zu 6.50 $) kommen die nicht amortisierten Entwicklungskosten, die mit 500 Millionen bis eine Milliarde Dollar beziffert werden, von den Werbungskosten für die Akzeptanz ganz zu schweigen.

Widerstand kann sich lohnen

Es blieb spannend. Und ohne die hartnäckige Präsenz der Kampagne gegen rBST vor Ort in Brüssel bis zum letzten Augenblick wäre das Moratorium sicher nicht so lange ausgefallen. Recht hatte behalten, wer die Entscheidung bis zuletzt für verhandelbar gehalten hatte. Die widersprüchlichen Gerüchte aus dem unmittelbaren Umfeld des Ministerrates – von sofortiger Zulassung über ein zweijähriges Moratorium bis hin zum Anwendungsverbot bis zum Jahr 2000 – waren beredter Ausdruck der herrschenden Konfusion.

Für die deutsche Kampagne führten wir am 12.12.94 ein halbstündiges Gespräch mit Bundeslandwirtschaftsminister Borchert und übergaben ihm über 35000 Postkarten mit Unterschriften gegen rBST. Wie schon zuvor in Münster und Luxemburg betonte er, in Deutschland seien wir ums ja einig, das Problem seien die Länder, in denen es keinen Widerstand gebe. Wenige Stunden später konnten wir ihn eines besseren belehren: Mit der vier Meter hohen, aufblasbaren Turbo-Kuh der Europäischen Bauernkoordination (CPE) boten wir mit VertreterInnen zehn weiterer EU-Länder Ministern und Medien zu Beginn der Agrarministerratskonferenz einen (un)willkommmenen Blickfang. Mensch muß sie gesehen haben. Und wurde der Kompressor für die Druckluft mal für einige Minuten abgeschaltet, um unser Megafon nicht zu übertönen, sank ihr Kopf in der Manier des sterbenden Schwans – ein ebenso ungeplantes wie drastisches Sinnbild dessen, was der Tiergesundheit mit rBST angetan wird…

Während wir den von Borchert „eingeforderten“ internationalen Widerstand verkörperten, waren sich die übrigen Verantwortlichen in ihrer Sichtweise der Manifestation mitnichten einig: Pöbel, Polittourismus oder mündige BürgerInnen? So spitzte sich auch die Auseinandersetzung mit der Polizei – erweitert um eine dem Bundesgrenzschutz vergleichbare Einheit – zu. Letztlich wurde aber unserer Forderung, die Straße vor dem Ratsgebäude erst freizugeben, wenn wir einen weiteren offiziellen Gesprächstermin zu rBST erhielten, stattgegeben. Der entpuppte sich dann allerdings als Lehrstück politischer (Un)Sittengeschichte: Der Vertreter des Rates war der Meinung, es sei völlig unnütz, sich gegen eine Zulassung von rBST zu engagieren, denn es sei unmöglich, den illegalen Einsatz zu kontrollieren…

Das war dann doch noch mal eine derbe Herausforderung unseres Galgenhumors – weiterhin war alles offen. Derweil tagte immer noch der Veterinärausschuß, in dem die Hormonlobbyisten mit einem „Kompromiß“ – um zwei Jahre verlängertes Moratorium, derweil flächendeckende Freilandversuche – einen möglichst nahen Zulassungstermin durchzusetzen suchten.

Das bestmögliche

Daran gemessen, ist die Entscheidung für das Moratorium bis zum Jahr 2000 die weitestgehende unter den derzeit denkbaren Varianten. 1:0 für uns, aber eben nur ein Etappensieg. Die Auseinandersetzung geht ohne Pause in die nächste Runde. Die Zeiten, in denen sich ein Agrarminister, aus Brüssel zurückkehrend, für ein Moratorium in Sachen rBST feiern lassen konnte, sind vorbei. Denn wer auch nach acht Jahren nicht für das einzig sinnvolle – ein endgültiges Verbot – entscheidet, ist nicht ausreichend gegen rBST. Verschoben ist nicht aufgehoben, ganz im Gegenteil: Diese Entscheidung bedeutet das Offenhalten der Hormonoption, ist letztlich zeitlich begrenzte Symptomkuriererei und Lichtjahre von einer grundsätzlichen, richtigen Weichenstellung entfernt. Wo anderenorts das St. Floriansprinzip blüht, ist die Kampagne gegen rBST lebendiger Ausdruck des Gegenteils: Was 1987 beim „Aachener Appell“ mit dem Zusammenschluß von Organisationen aus der Landwirtschaft, der Dritten Welt und dem Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz begann, bildet heute als Agrarbündnis den harten Kern auch im Kampf gegen rBST und hat sich einmal mehr bewährt. Hinzu kommt die wachsende internationale Verflechtung – auf EU-Ebene organisiert insbesondere durch die CPE und darüber hinaus mit der Pure Food Campaign in den USA. Das Engagement gegen rBST geht derweil weit über diese genannten Organisationen hinaus. Aber während Jochen Borchert demonstrative Aktionen forderte, waren kein Bauernverband, keine Tierärzteschaft, keine Partei und eben auch keine der staatlichen Verbraucherorganisationen vor Ort zu sehen. Letztlich sind aber phantasievolle, mitunter spektakuläre Entscheidungen vonnöten, um solche Entscheidungen zu beeinflussen.

Der Kampf gegen die chemische Keule geht weiter

Es ist der Druck der Straße, den die Politiker immer noch enorm fürchten. Daß diese Entscheidung das verhängte Moratorium auf eine weitgehend populistische Attitüde reduziert, verdeutlicht nur den aktuellen Handlungsbedarf gegen die weiterhin drohende Hormonstrategie. Der Bekanntheitsgrad der Droge konnte zweifellos durch die aktuelle Kampagne noch einmal enorm gesteigert werden. Eine gute Voraussetzung für die weitere Arbeit.

Während Kühe und Menschen in der EU noch einmal eine rBST-freie Atempause erhalten haben, ist in Kanada noch alles offen. „Empfindliche Dokumente“ über Zahlungen in Millionen-Dollar-Höhe von Monsanto an zulassungsinvolvierte Kreise waren dort bekanntgeworden, als eine Zulassung gerade greifbar nahe erschien.

Bereits im Frühjahr 1994 ist in Australien rPST, das Schweinewachstumshormon, zugelassen worden. Bei dieser Entscheidung stand die Akzeptanz auf den Hauptabsatzmärkten im Vordergrund. Mit expansiver Exportpolitik sollen Japan und die USA für australische Schweinereien gewonnen werden. Beide Länder äußerten gegenüber rPST keine Bedenken.

Bereits Mitte der achtziger Jahre sind vom BML geförderte rPST-Versuche in der Bundesrepublik durchgeführt worden. Wer darin längst verjährte Jugendsünden sieht, muß sich durch aktuelle rPST-Forschung in Dummerstorf bei Rostock eines besseren belehren lassen. Der Preis für das fünfjährige rBST-Moratorium sind Freilandversuche, die nun jedes EU-Mitgliedsland nach eigenem Gutdünken durchführen kann. Die Ergebnisse sollen dann in einen bis zum 31.7.1998 zu erstellenden Kommissionsbericht münden. „Kein Stoff ist so gut untersucht wie rBST“, kommentiert Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf die wissenschaftliche Unsinnigkeit dieser Entscheidung.

„Die EU-Agrarminister sollen sich endlich um ein praktikables Nachweisverfahren kümmern, statt über Feldversuche die Bevölkerung durch die Hintertür an die GentecHormonmilch gewöhnen zu wollen“, kritisierte das Agrarbündnis in seiner vorerst letzten Presseerklärung zu rBST. Es gibt noch viel zu tun, damit der weiße Rauch von vorgestern nicht zum Schnee von gestern wird.

Ein Schuß für 6.50 Dollar

POSILAC, ein Hormon macht krank

von Anita Idel

aus Veto Nr. 35 – 1994, S. 27

Im Juli 1993 hatte die Europäische Kommission mit einem Votum für ein 7jähriges BST-Moratorium für die EG überrascht. Während die Bestätigung dieser Entscheidung durch den EG-Agrarministerrat noch ausstand, erteilte die in den USA zuständige Behörde, die „Food and Drug Administration“ (FDA) am 4. November eine BST-Zulassung für den 4. Februar 1994. Dies dürfte die EG-Agrarminister nicht unberührt gelassen haben: zum ersten Mal übergingen sie den Vorschlag ihrer Kommission und beschränkten sich auf die Verlängerung des BST-Moratoriums um ein Jahr.

Der Beipackzettel mit den möglichen „Neben“-Wirkungen des nun in den USA vermarkteten BST (Markenname Posilac) der Firma Monsanto liest sich wie ein bösartiges Pamphlet von Genkritikern:

erhöhtFruchtbarkeitsstörungen
vermehrtZysten
verkürztTrächtigkeitsdauer
verringertGeburtsgewichte
vermehrtZwillingsgeburten
vermehrtNachgeburtsverhalten
vermehrtklinische Mastitiden
vermehrtsubklinische Mastitiden
vermehrtsomatische Zellen in der Milch
erhöhtKörpertemperatur
vermehrtGelenkserkrankungen
reduziertFutteraufnahme

Bei allen genannten Störungen handelt es sich um Erkrankungen, die heute schon durch jahrelange einseitige Selektion auf Hochleistung große Probleme und Kosten in der Milchproduktion verursachen. Das einzig für die Ökonomie und den Tier- und Verbraucherschutz vertretbare Ziel muß also sein, durch gesunde Zuchtziele den Medikamenteneinsatz zu reduzieren und letztlich zu gesünderen Tieren zu kommen.

Sollte das BST-Moratorium nicht über den 31.12.1994 hinaus verlängert werden, ist eine EU-weite Zulassung so gut wie sicher. Das wäre dann nur der Anfang: weitere gentechnische Hormone – für Geflügel, Fische Schafe und Schweine – warten auf ihre Chance. Und selbst das in der EU geltende Verbot für Sexualhormone in der Tiermast wird schon wieder zur Disposition gestellt. Den 20.12.1986, den Tag dieser Entscheidung bezeichnete die Pharma-Industrie später als „the black day in our history“. Damit es dabei bleibt und Hormonkälber weiter „schwarze Schafe“ und nicht die Regel sind, bedarf es noch viel Power und Phantasie.

Nicht nur Produzenten von Babynahrung sind gefordert. Ob Produzenten von Fertiggerichten, Käse oder Speiseeis, Supermarktketten, Lieferanten von Universitätsmensen, alle müssen mit Boykott rechnen, wenn sie nicht eindeutig zu BST auf Distanz gehen.

In den USA startete am 3. Februar, dem Zulassungstag des Monsanto-BST Posilac, die „PURE FOOD CAMPAIGN“. Mehr als 150 der führenden Molkereien, Produzenten, Händler, Firmen führender Markenzeichen und Supermarktketten versichern, wissentlich keine BST-Milch zu verkaufen, ebensowenig wie Produkte aus BST-Milch oder -Fleisch. Das schließt auch Verpflichtungserklärungen ihrer Lieferanten ein.

VETO Nr.15 S.33, VETO Nr.16 S.20-26, VETO Nr.17 S.13 u.14, VETO Nr.18 S.14, VETO Nr.l9 S.16 u.17, VETO Nr.21 S.18 u.19, VETO Nr.23 S.16-18 VETO Nr.24 S.8-10, VETO Nr.25 S.31, VETO Nr.33 S.16 u.17, VETO Nr.34 S.29

Zur Zukunft von BST

"Trinken sie's oder trinken sie's nicht", das bleibt weiterhin die Frage

von Anita Idel

aus Veto Nr. 33 – 1993, S. 16-17

Die EG-Agrarkommission hat ein siebenjähriges Moratorium für das gentechnisch produzierte Rinder-Wachstumshormon (BST) in der EG verfügt. Chance oder Risiko für die VerbraucherInnen?

Kleine Geschichte des BST

1993 ist das verflixte siebente Jahr für die Hersteller des gentechnischen Rinder-Wachstumshormons. Seit 1986 versuchen sie, ihr Hormon in den USA und in der EG auf den Markt und an die Kuh zu bringen. Dabei wechseln die Werbeaussagen so häufig wie die Krawatten ihrer Pharmavertreter.

Für die Herstellung des Rinder-Wachstumshormons werden Bakterien mit dem entsprechenden Gen aus Rinderembryonen manipuliert. Das von den Bakterien gebildete Hormon wird Kühen gespritzt, damit sie noch mehr Milch geben.

40% mehr Milch pro Kuh und Jahr durch BST hieß es 1986. In den USA war aber gerade eine Verordnung zur Bekämpfung der Milchüberschüsse in Kraft getreten. Danach sollten innerhalb eines Jahres 1,5 Millionen (!) Kühe geschlachtet werden oder ihren Besitzer wechseln (die Besitzer sollten die Milchproduktion an den Nagel hängen und dafür sozial entschädigt werden). Aufgrund der naheliegenden Schlußfolgerung, mehr Leistung pro Tier erhöhe die Überschüsse, und weil die extremen Ergebnisse nur von vier Tieren stammten, betonte die Pharmaindustrie in der Folge, so extrem sei die Leistungssteigerung ja gar nicht. Vielmehr ließe sich BST als Instrument zur „Feinabstimmung“ der Leistung einsetzen.

Das Rinder-Wachstumshormon gelangte indes auf die Titelblätter US-amerikanischer Zeitungen. Insbesondere Keith Schneider von der New York Times hatte die Zeichen der Zeit erkannt: den geplanten Einstieg der Gentechnik in den Tierstall via Rinder-Wachstumshormon.

Was dort (USA) lauthals propagiert wurde, sollte hier (EG) klandestine die Zulassungsbehörden passiert haben, ehe es auch nur einE VerbraucherIn bemerkt hätte.

Aber damals begannen sich in Europa und in den USA Kontakte zu knüpfen zwischen kritischen Organisationen in den Bereichen Landwirtschaft, Tier-, Umwelt-, Verbraucher- und Naturschutz. Besonders die WisconsinFamily-Farmers, die in ihren mittelständig strukturierten Betrieben über 30% des US-amerikanischen Milchaufkommens ermelken, suchten Verbündete. „Nur gemeinsam sind wir stark“, war Erkenntnis und Gebot der Stunde.

Das hatte auch die Pharmaindustrie erkannt. Und die rivalisierenden Multis Monsanto, Eli Lilly, Upjohn und Cyanamid verpflichteten gemeinsam den größten amerikanischen Werbekonzern für eine BST-Kampagne: Hill und Knowlton. Einen profimäßigen Eindruck machte die Argumentation aber auch weiterhin nicht, – wohl aber das Beharrungsvermögen!

Während sich bei BST-Testkühen Hinweise auf Fruchtbarkeits- und Stoffwechselstörungen sowie Eutererkrankungen häuften, stand die Pharmaindustrie wie ein Mann: Gesundheitliche Probleme für Mensch und Tier bestünden nicht.

Große durchrationalisierte Betriebe sollten umworben werden, indem sie als Gewinner eines BST-Einsatzes hingestellt wurden. Aber kleine und mittlere Betriebe wurden verschreckt durch Aussagen, wie sie top agrar in einer Überschrift dokumentierte: „Nur die Großen werden profitieren“. Sogleich reagierten die flexiblen Werbemacher: Besonders kleine Betriebe hätten mit BST ein Mittel zur Betriebsplanung in der Hand. Bei einer Senkung der Importfuttermittelpreise könnte BST gespritzt werden und so mit billigem Energieinput günstig Milch produziert werden. Eine Antwort auf die Frage, wieso sich das besonders für kleinere Betriebe lohnen sollte, blieben sie schuldig. Und woher sie den Glauben nahmen, die Leistung von Kühen ließe sich durch BST quasi „anschalten“ wie bei Maschinen, verrieten sie auch nicht. Tatsächlich reagieren die Kühe auf die Hormonspritzen sehr unterschiedlich: von enormer Leistungssteigerung bis zu einem Rückgang der Milchleistung.

Während die Skepsis eher zunahm, tingelte ein eigens von Monsanto für ein sechsstelliges Jahreseinkommen eingestellter Werbemann mit einer „Statistik“ durch die Lande, nach der über 70% der Bauern in der EG BST anwenden wollten. Daß lediglich 360 Bauern befragt worden waren, verschwieg er ebenso wie die Auswahlkriterien und die Auftraggeber der Erhebung, die Pharmaindustrie.

Aufwendiges Hormon-Lobbying hatte 1985 nicht verhindern können, daß der EG-Ministerrat eine Richtlinie mit einem EG-weiten Verbot von Hormonen in der Tiermast erließ. Doch für BST gilt das Hormonverbot nicht. Dies war der Erfolg des Engagements der FEDESA in Brüssel, einem seit Jahren bestehenden Zusammenschluß der auf dem europäischen Markt vertretenen Pharmaindustrie. In Sachen BST wurde auch schon mal der gesamte Agrarausschuß des Europaparlaments in die USA zu Eli Lilly eingeladen.

Aber zu einer endgültigen Zulassung konnte sich die zuständige EG-Agrarkommission auch nach sieben Jahren nicht durchringen: Erst halbjährlich, dann jährlich, zuletzt um zwei Jahre war die Zulassungsentscheidung in der EG hinausgeschoben worden. Dabei hatte die Kommission schon längst die Argumentation der Pharmaindustrie übernommen, nach der gesundheitliche Gefahren für Mensch und Tier auszuschließen seien.

Einzig der Verbraucherakzeptanz galt ihr Interesse. Um diese zu untersuchen, wurden in den letzten Jahren beachtliche EG-Gelder für Studien aufgewendet. „Trinken sie’s oder trinken sie’s nicht“, das war hier die Frage. Schließlich sind Millionen in die Entwicklung des gentechnischen Hormons und in die Werbung dafür investiert worden. Aber die jahrelangen Informations- und Protestkampagnen der GenkritikerInnen zeigten Wirkung: Eine eindeutig positive Antwort blieben die VerbraucherInnen offensichtlich schuldig. Nun soll die Zeit für das Hormon und seine Hersteller arbeiten:

Im Juni 1993 beschloß der US-Senat ein vorerst 14monatiges Moratorium für die Anwendung des Hormons in den USA.

Und im Juli 1993 überraschte Brüssel mit einem siebenjährigen BST-Moratorium für die EG.

Derweil sollen Lebensmittel aus dem Genlabor die Supermarktregale und die VerbraucherInnenmägen erobern: Käse und Champagner, die gentechnisch beschleunigt reifen, Bier und Brot, deren Produktion durch genmanipulierte Hefen ergiebiger wird, Säfte mit genmanipulierten Enzymen für Haltbarkeit und Geschmack, Joghurt mit genmanipulierten lebenden und vermehrungsfähigen Bakterien, sogenannten Starterkulturen…

Wenn diese sich zunehmend in unseren Mägen tummeln, so die Strategie, wird auch die Hemmschwelle für gentechnische Hormone und genmanipulierte Tiere fallen.

Die genkritischen Organisationen werden einen langen Atem haben müssen, damit die nächsten sieben Jahre keine mageren für sie werden und das Jahr 2000 nicht zum verflixten siebenten Jahr für den Verbraucherschutz wird.

Wer mehr wissen will: VETO Nr 15 S.33, VETO Nr 16 S.20-26, VETO Nr 17 S.13-14, VETO Nr 18 S.14, VETO Nr 19 S.16-17, VETO Nr 21 S.18-19, VETO Nr 23 S. 16-18, VETO Nr 24 S.8-10, VETO Nr 25 S.31