Ohrenschmaus & Ohrengraus

Über die veterinärmedizinische Vorlesungslandschaft und Ansätze zur Verbesserung

Hund liegt auf Bücherstapel

von Jan Herrmann

aus Veto 48 – 2000, S. 8-12

Als ich 1989 mit meinem Studium begann, hielt Professor Rundfeldt, ein mittlerweile emeritierter Vertreter der Biometrie, einen grandios abstrakten Eröffnungsvortrag. Er konfrontierte die Studienanfänger mit dem Begriff „Informationsdichte“ und beschrieb dabei das Problem des jährlichen Wissenszuwachses. Wir hörten, dass in Vorlesungen Informationen vermittelt würden und je mehr davon ein Vortragender pro Zeiteinheit absondere, desto höher sei die Informationsdichte. Jede neue Generation von Studienanfängern sei bei unveränderten Regularien (d.h. bei gleicher von der TAppO vorgegebener Stundenzahl) wieder um einige Prozentpunkte herausgeforderter, da der Wissenszuwachs eine höhere Informationsdichte in den Vorlesungen erfordere.

Stand der Dinge

Nun stellt sich die Frage, wie die Fachvertreter heute mit dem Faktor Informationsdichte in ihren Vorlesungen umgehen. Läßt sich überhaupt beschreiben, wie eine Vorlesung aussieht, die ein Optimum an Informationen vermittelt? Es ist natürlich nicht so, daß alle brandneuen Forschungsergebnisse unmittelbar in die Vorlesungen einfließen und die Informationsdichte innerhalb der begrenzten Stundenzahl einer Vorlesung geschwürhaft anwachsen lassen. Insgesamt aber läßt sich ein Trend zu mehr Informationen, die in nicht adäquater Zeit übermittelt werden sollen, nicht leugnen. Junge Beispiele für Wissenszuwächse sind die Erkenntnisse und Darstellungen aus modernen bildgebenden Verfahren (Sonographie, Endoskopie, Computertomographie), die zunehmend Einzug in die Lehre finden.

Vorlesungs-Alltag

Die gewaltigste Verdichtung von Informationen findet wohl in der hannoverschen Kleintierklinik statt. Dort waren Vorlesungen an der Tagesordnung, in denen die Dozenten durch Folienditschen1 die Informationsdichte in schwindelerregende Höhen trieben.

Dies ist ein Extrembeispiel für eine Vorlesung mit ausgesprochen hoher Dichte an Informationen – allerdings nur auf Seiten der Vortragenden. Aha, da war doch noch etwas… Der bis hier benutzten Definition der Informationsdichte fehlt nämlich ein wichtiger Faktor: Der Informationsempfänger.

Nicht die Geschwindigkeit mit der Termini in freier Rede aneinandergereiht werden, oder das hochfrequentielle Weiterklicken von Textwüsten auf Folien und Dias bestimmen die Informationsdichte. Die Zuhörer bestimmen, wieviel Wissen vermittelt wird. Und es obliegt den Dozenten, diesen Wert auch durch andere Maßnahmen als reine Stoffmenge in angemessene Höhen zu schrauben.

Alle Dozierenden, die sich vor Augen führen, dass nicht die Fakten alleine eine gute Vorlesung ausmachen, haben schon einen entscheidenden Blick auf ihr eigenes Tun geworfen. Der veterinärmedizinische Hochschulalltag sieht aber anders aus. Noch immer die meisten Vorlesungen stellen ein auf den reinen Wissensstoff reduziertes Angebot dar, der linear abgearbeitet wird, nicht viel anders als es auch in einem Lehrbuch zu lesen wäre.

Was ist eine gute Vorlesung?

Wann ist nun eine Vorlesung erfolgreich? Wenn die Studierenden mit vielen vollgeschriebenen Seiten nach Hause gehen? Wenn zahlreiche neue Termini die Köpfe zum Brummen gebracht haben? Oder wenn man die Vorlesung mit schmerzender Bauchmuskulatur verläßt, weil die Dozentin so tolle Witze erzählen konnte?

Ich finde es sehr einfach, eine gute Vorlesung zu beschreiben. Nach der Vorlesung möchte ich einen sofort anwendbaren Überblick über das gelesene Thema haben. Dazu gehören vielleicht ein paar Termini, aber vor allem das Verständnis einer Struktur oder eines grundlegenden Systems. Feinheiten, die zwar in einer Vorlesungsstunde les- aber nicht erfassbar wären, kann ich mir selbst erarbeiten, da ich ausreichend Empfehlungen für weitere Beschäftigung erhalten habe. Ausserdem hilft mir der Enthusiasmus des Vortragenden, dass ich es kaum erwarten kann, mehr zu dem Thema zu erfahren, also zu Hause mal ein Buch aufschlage und eine kaum beherrschbare Lust verspüre, die nächste Vorlesung zu besuchen.

Wie kann nun der Vortragende seinen Anteil dazu beitragen, dass die Zuhörer derart paradiesisch wohlgestimmt den Hörsaal verlassen?

Studieren nach Regeln

Man könnte glauben, dass so etwas wie die Informationsdichte doch irgendwo amtlich geregelt sein muß. Gibt es nicht neben irgendeiner EU-Karamelbonbon-Importverordnung auch eine Vorschrift für die Informationsdichtenmittelwerte in der tiermedizinischen Ausbildung?

Die Approbationsordnung für Tierärzte (TAppO) gibt sehr knapp formuliert vor, wie Lehrinhalte inhaltlich aussehen sollten und mit wieviel Stunden die einzelnen Fächer ausgestattet werden (TAppO Anlage 1). Die TAppO sollte eigentlich die Instanz sein, die alle Jubeljahre wieder die Lehrinhalte entschlackt und durch neue Aufteilungen und Gewichtungen die Besinnung auf das Notwendige und Wesentliche ermöglicht. Die TAppO neuen Situationen anzupassen ist aber ein langwieriger und aufgrund der vielen beteiligten Interessen steiniger Weg, der nicht die notwendige Flexibilität für Änderungen beinhält. Die TAppO bleibt also nur eine recht abstrakte Grundlage und läßt genug Spielraum für verschiedenartige Vorlesungsmodelle.

Die neue TAppO ist verabschiedet und gilt für die Studierenden, die ihr Studium im Wintersemester 2000/2001 beginnen. Es ist zu recht drastischen Umverteilungen zwischen den Lehrbereichen kom- men (Für eine Gegenüberstellung der Stundenzahlen siehe http:// www.tiermedizin.de/tierme98/stud/tappo.htm).

Neues Wissen, dass für die Grundausbildung als wesentlich erachtet wird, sollte idealerweise seinen Platz durch Verteilung der Stundenzahlen bei Reduzierung (und keinesfalls Komprimierung) des Inhaltes der gekürzten Fächer bekommen. Es wird aber nirgends vor- geschrieben, wie die Fachvertreter mit den Stundenzahlverringerungen umzugehen haben.

Langfristig wird die Tiermedizin in Deutschland der Schwerpunktbildung schon im Studium nicht ausweichen können, um dem Wissenszuwachs und der Lehrbarkeit des Wissens gerecht zu werden (Martens 1999).

Die TAppO im Internet: http://www.vetmed.uni-muenchen.de/ studium/tappo.html (Heute ungültiger gedruckter Link –>Aktueller Link)

Wie werden Vorlesungen besser?

Wenn man auf dem Weg zu einer besseren Vorlesung die fachliche Eignung der Dozenten voraussetzt, bleibt etwas übrig, das im tiermedizinischen Hochschulbetrieb ein Leben im Untergrund führt: Didaktische Kompetenz.

Vortragende zeigen Ihre didaktischen Fähigkeiten, wenn sie nicht nur ihren Wissens-Stoff ins Publikum streuen, sondern auch dafür Sorge tragen, wie am meisten von den Informationen aufgenommen, verstanden und erinnert wird.

Die Vorbereitung eines didaktischen Unterrichts setzt voraus, dass sich der Dozent über die Ziele der Vorlesung im Klaren ist. Was die Studierenden am Ende der Vorlesung verstanden haben sollen, muß deutlich formuliert sein! Es hilft hier nicht, einfach „Alles“ zu sagen. JedeR muß realistisch den Umfang des mitnehmbaren Wissens beurteilen und sich über die Erfüllung des Anspruchs auch gelegentlich bei den Studierenden versichern. KASKE und REHAGE (Artikel in dieser Veto) nennen das anwendbare Wissen mit dem die Studierenden die Vorlesung verlassen „Get home message“, SEELER et al. (1994) sprechen von Schlüsselkonzepten.

Gute Vortragende wissen auch, wie der typische Alltag von Studierenden ihrer Vorlesungen aussieht. Welche anderen Fächer haben die Studierenden zu absolvieren? Wieweit darf die Freizeit für Nach- und Vorbereitung mit eingeplant werden? Es ist eben unsinnig, die Studierenden besonders motivieren zu wollen, wenn am nächsten Tag die Konkurrenz ein Testat abhält.

Mitschreibwahn

Wer alles mitschreibt, ist nicht gleichzeitig in der Lage, dem Vorlesungsfaden geistig zu folgen. Mitschreibende können nicht mitdenken und reflektieren. Deshalb kann es nicht darum gehen, daß mehrseitige Aufzeichnungen angefertigt werden. Wann immer möglich sollte auf ein gutes Lehrbuch oder Institutsskript verwiesen werden. Alternativ können Vorlesungsfolien als Kopie ausgegeben werden. Die Studierenden haben Angst etwas zu verpassen, diese Angst kann Ihnen durch gezielte Verweise auf die bestehende Literatur genommen werden. („Diese Aufstellung finden Sie im Rosenberger auf S. 123“ u.s.w.)

Ein sehr willkommener Nebeneffekt dieser Literaturverweise ist auch die Erziehung zum selbständigen Fortbilden. Die im oberen Teil erwähnten Wissenszuwächse in der Tiermedizin erfordern nach Abschluß des Studiums eine eigenständige Fortbildung. MARTENS (1999) betont, dass es auch Aufgabe des Studiums sein muß Lernkompetenz zu vermitteln.

Für Vortragende, die sich mit der Ruhe im Hörsaal schwertun, verschwindet durch den Verzicht auf Mitschreiborgien allerdings der Vorteil eines einfach anwendbaren Lautstärkereglers. Eine Folie mit ausreichend Text aufzulegen ist nämlich ein Geheimtip, um einen Vorlesungssaal vom morgendlichen Kaffeeklatsch in eine schweigsame Fleißmasse zu verwandeln.

Eine Vorlesung, in der Texte nur mündlich vorgetragen werden, die so auch nachzulesen sind, ist verschwendete Zeit. Es geht vielmehr darum Fakten in die richtigen Zusammenhänge einzupassen, um dadurch das Verständnis zu erleichtern. Eine Vorlesung sollte den Text komplementieren und supplementieren, nicht aber ersetzen (SEELER et al. 1994). Die Reduzierung des Mitschreibens ist also eine elementare Voraussetzung für den Rollenwechsel der Studierenden von passiven Mithörern zu aktiven Mitdenkern.

Erinnern

Erinnerung funktioniert durch Verknüpfung neuer mit bekannten Informationen. Bei dieser Verknüpfungsleistung muß der Vortragende aktive Hilfe leisten. Er kann Beispiele anbringen, die abstrakte Vorgänge verständlich machen. KASKE und REHAGE betonen den Wert emotionalen Lernens. Die Dozenten, die es vermögen eine emotionale Lernumgebung zu schaffen, werden langfristig höhere Lernerfolge bei Ihren Studenten erreichen können. Ein Beispiel lieferte SCHNAPPER (1999), die die Studierenden in einer Histologieübung mit Beschreibungen und Diapositiven um dreihundert Jahre zurück versetzte und sie die Struktur von Muskelgewebe „neu“ beschreiben ließ.

Sehr effektiv ist eine Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen. Wer sich mit dem Kenntnisstand der Studierenden beschäftigt, weiß an welchen Haken das neue Wissen aufgehängt werden kann.

Die Kenntnis um das Studentenleben verhilft in manchen Fällen auch zu besonders gut aufzunehmenden Vergleichen. Die Herzfrequenz von Jungtieren liegt dann eben mal bei den Beats per Minutes eines aktuellen Techno-Stückes und die von senilen Tieren beim Rhythmus eines Roger Whittaker Schlagers.

Die Studierenden spüren den Enthusiasmus der Vortragenden. Diese Begeisterung kann sich übertragen und Motivation für das Fach schaffen. Neue Entwicklungen wie sie nicht im Lehrbuch zu lesen sind, können gerade aus Sicht des Forschenden gut vermittelt werden, wenn auch die Aufregungen des Laborlebens oder Publizierens trans- parent gemacht werden.

Eine wichtige Motivationshilfe für die Vorklinik ist der Bezug zur klinischen Bedeutung. Dadurch wird das oftmals trockene Grundlagenwissen deutlich hirngängiger gemacht. Aber auch hier macht der Ton die Musik. Mit lustlosen Verweisen auf die Klinik gewinnt man keine Begeisterungsstürme. Wenn dann auch noch gedroht wird, dass man ohne das gerade Gelesene in der Klinik untergehen wird, dann hat man nur einen weiteren erfolgreichen Bei- trag zur Studierenden-Frustration geleistet.

Behaltensquote von Informationen in Abhängigkeit von der Form der Informationsaneignung (in %)
Bundesarbeitsgemeinschaft der jungen Philologen im deutschen Philologenverband 1998 aus ROTHER (1998)

Streichen, Verlagern, Quetschen?

Gibt man didaktischen Prinzipien mehr Raum, kann nicht mehr alles gelesen werden, was auch prüfungsrelevant ist. Aber wie wertvoll ist denn eine gequetschte und kom- primierte Vorlesung, in der wirklich alles einmal gesagt wurde? Das unmittelbare Verständnis der Zuhörer wird deutlich gesenkt und demzufolge wird auch weniger erin- nert. Es bleibt die Mitschrift. Aber Schrift kann man – das sei nochmal mit Nachdruck erwähnt – auch Büchern und Skripten entnehmen, wenn es an die Prüfungsvorbereitung geht. Es ist sowieso der Fall, daß viele Studierende zum Lernen gar nicht auf Ihre Vorlesungsmitschriften zugrei- fen, sondern auf Bücher oder Skripten. Also warum nicht gleich Studentin und Studenten aus einer Vorlesung raus- gehen lassen, in der sie das gelesene unmittelbar verstan- den haben und erinnern können. Wenn man dann auch noch Möglichkeiten schafft, dass die Studierenden ihr Wissen anwenden können, dann schafft das zusätzlich Erfolgser- lebnisse, die die Stimmung und den Lernwillen der Stu- dierenden günstig beeinflussen.

Warum ist das nicht so?

Auch wenn Dozenten den besten Willen zu didaktisch hochwertigen Vorlesungen haben und damit gute Voraus- setzungen mitbringen, stehen die Chancen für eine Umsetzung schlecht. Die Erstellung einer didaktisch optimierten Vorlesung erfordert sehr viel Zeit. Und diese Zeit haben Universitätsangestellte in der Regel nicht. Das Problem für die Dozenten liegt darin, daß sie für didaktische Mühen keine Lorbeeren zu erwarten haben. Es gibt dafür keine zusätzlichen Gelder für das Institut oder die eigene Stelle, keine Karrierehilfe, keine Punkte. So etwas bekommt man nur, wenn man forscht und publiziert, dass sich die Regalbretter biegen. Jede Mühe, die man also in die didaktische Aufbereitung des Stoffes steckt, bekommt einen altruistischen Anstrich.

Auch die enthusiastischen Anfänger im Hochschulbetrieb, die gerade den Seitenwechsel vollzogen haben und sich plötzlich an der Hochschule in einer Position des Lehrenden wiederfinden, müssen plötzlich realisieren, wie es zu den schlechten Vorlesungen kommt, die sie immer verurteilt haben. Die Zeit reicht gerade mal so eben für die Zusammenstellung des zu vermittelnden Stoffes, aber nicht für die Aufbereitung nach didaktischen Prinzipien.

Was ist zu tun?

Die hier genannten Beispiele sind natürlich nicht auf Vorlesungen aller Fächer gleichermaßen anwendbar. Den Studierenden fällt die Aufgabe zu, den Lehrenden auch abseits von offiziellen Evaluierungen ein feedback zukommen zu lassen. Über konstruktive Kritik sind die meisten Dozenten zu erreichen. Die guten in ihrem guten Vorlesungsstil zu bestätigen und die weniger guten durch freundliche Kritik mit Beispielen für’s Bessermachen auf die richtige Fährte zu führen, ist eine Aufgabe, die Studierende gerne übernehmen sollten, wenn Sie an einer Verbesserung der Ausbildung interessiert sind.

Eine wichtige Grundvoraussetzung ist aber auch, den Vortragenden eine gute Vorlesung angenehm zu gestalten. Das bedeutet, dass man den Vortragenden eine Chance gibt, indem man zuhört.

Die Bildungsministerin Edelgard BULMAHN hat Ende Juni 1999 ein Konzept veröffentlicht, nach dem Hochschulprofessoren nicht mehr nur nach Alter sondern nach Leistung entlohnt werden sollen. Wieweit dabei die Lehre einen höheren Stellenwert bekommt, bleibt allerdings fraglich. Nach wie vor wird die Forschung den wichtigsten Platz einnehmen. Es bleibt auch noch die Frage, wie denn gute Lehre zu messen ist. In der Diskussion ist eine Beurteilung der Lehre durch Studierende und Kollegen. Es bleibt zu hoffen, daß die Evaluierungsgrundlage gut genug ist, die wirklich guten Vorlesungen aus dem Haufen von Kasperltheatern, Schlaftherapien und Harald Schmidt Nachahmungen herauszufiltern.

Abgesehen von didaktischen Prinzipien, die den Schwerpunkt dieses Artikels darstellen, gibt es auch immer wieder Vorlesungen, die nicht einmal einfache Prinzipien der Vortragskommunikation berücksichtigen. Das sind dann die Fälle, wo gegen die Projektionswand geredet wird, wo 10 Punkt Schrift Dias die Augen der letzten Reihen tränen lassen oder komplette Vorlesungen im Diadunkel verschlafen werden. Anregungen zu einfachen technischen Verbesserungen lassen sich z.B. bei GORDON (1983), FLEISCHER (1986) und EBEL und BLIEFERT (1990) finden.

Viele Beispiele und Hilfestellungen für bessere Ausbildung in der Veterinärmedizin sind im leider eingestellten Journal of Veterinary Medical Education beschrieben worden. Aber auch allgemeine Literatur zur Vortragsgestaltung enthält vielfältige Tips zur Verbesserung von Vorlesungen.

Literatur

BONWELL, C. C. u. J. A. EISON (1991): Active Learning: Creating Excitement in the Classroom. George Washington University, Washington, DC.

BULMAHN, Edelgard (1999): Mut zur Veränderung. Deutschland braucht moderne Hochschulen. Vorschläge für eine Reform. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Internet: ftp://192.76.176.135/m-rede.pdf

EBEL, H. F. u. C. BLIEFERT (1990): Vortragen. VCH, Weinberg.

FLEISCHER, G. (1986): Dia-Vorträge. Planung, Gestaltung, Durchführung. Georg Thieme Verlag, Stuttgart; New York.

GORDON, J. C. (1983): Techniques used by successful teachers. J. Vet. Med. Edu. 10, 20–22

MARTENS, H. (1999): Grundstudium und postgraduelle Ausbildung in der Veterinärmedizin: Herausforderungen und Perspektiven für die Zukunft. DTB, 456–461

ROTHER, M. (1998): Repräsentation der Vorlesung „Tiergeburtshilfe“ in einer interaktiven Multimedia-Anwendung für die Verwendung im Internet und die modellhafte Untersuchung zur Akzeptanz und Integration solcher Anwendungen in das Studium der Veterinärmedizin. Tierklinik für Fortpflanzung des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, Dissertation

SCHNAPPER, A (1999) „Quergestreifte Muskulatur“. Vorlesung im Fach Gewebelehre im Juni 1999

SEELER, D. C., G. H. TURNWALD u. K. S. BULL (1994): From teaching to learning: Part III. Lectures and approaches to active learning. J. Vet. Med. Edu. 21, S. 7–12

VORLESUNGSTECHNIKEN

SEELER et al. (1994) schlagen ein Vorlesungsmuster nach folgendem Modell vor: Es gibt eine Einführung, einen Vorlesungskörper und einen Schlußteil. In der Einführung wird die letzte Vorlesungsstunde nochmal aufgegriffen. Es werden wesentliche Dinge wiederholt angesprochen und den Studierenden wird Gelegenheit gegeben, Fragen zu stellen. Dann wird auf das neue Thema übergeleitet, indem auf die Relevanz des Stoffes eingegangen wird (Wofür lernt man diese Fakten). Dabei werden z.B. Bezüge zu klinischen Fällen gesetzt.

Im Vorlesungshauptteil, dem Körper, findet die Vorlesung statt. Aus didaktischer Sicht sollte ein Schwerpunkt darauf gelegt werden, den Zuhörern ein aktives Lernen zu ermöglichen (siehe unten). SEELER et al. wollen im Vorlesungskörper zwei bis drei Schlüsselkonzepte untergebracht haben. Nach der Abhandlung eines Konzepts sollte der Stoff nochmal zusammengefasst werden, um daraus eine Überleitung zum nächsten Konzept herzuleiten.

Der Schlußteil sollte die Schlüsselpunkte nochmal wiedergeben. Hier wird vorgeschlagen, Studierende eine kurze Zusammenfassung geben zu lassen. Das fördert erstens die Aufmerksamkeit und gibt zweitens auch die Möglichkeit, zu überprüfen, wie gut das Gelesene verstanden worden ist. Ausserdem sollten die Dozenten in diesem Teil ein Verhältnis des aktuellen Themas zum übergeordneten Kursziel bilden. Auch hier können Fragen beantwortet werden.

AKTIVES LERNEN

Um den Studierenden zu helfen, die Fähigkeiten Objektivität, kreatives Denken, Beurteilungsvermögen, Interpretationsvermögen, Problemlösungsvermögen zu erwerben, müssen Sie aktiv am Lernprozess beteiligt werden.
Wenn das gelingt, wird sich die Motivation und die Freude am Lernen erhöhen. Die Studierenden sollen sich bei Denkaufgaben höherer Ordnung (Analyse, Synthese, Evaluation) engagieren. Sie müssen sich davon lösen, mit losgelösten Fakten zu arbeiten, sondern sollten die Relevanz neuen Wissens erkennen und dieses unmittelbar im wirklichen Leben anwenden können. Einige Techniken, die das unterstützen, sind im folgenden aufgezählt:

  1. Fragen
    Rhetorische Fragen auch wirklich rhetorisch arbeiten lassen. Eine Frage kann in den Raum gestellt werden, aber sie sollte auch wirken können. Die Studierenden sollten ein paar Sekunden Zeit haben, über die Frage nachzudenken.
    Richtige Fragen ans Publikum müssen sorgfältig vorbereitet sein. Die Antwortenden dürfen nicht blosgestellt werden, die Dozenten müssen also mit falschen Antworten sensibel umgehen, sonst ist der Einsatz der Fragetechnik in diesem Jahrgang verdorben. Fragen sind auch erstklassig geeignet, um Akzente zwischen längeren passiven Strecken zu setzen.
  2. Denkphasen
    Die Vorlesung wird in mehrere etwa 15 Minuten lange Blöcke unterteilt. Nach einem Block klassischer Vorlesung, geben Sie zwei bis drei Minuten Zeit, damit sich alle alleine oder in Kleingruppen Notizen machen und wichtige Fakten austauschen kön-
    nen. BONWELL et al. (1991) spricht von signifikanten Lernverbesserungen bei Einsatz dieser Technik.
    Eine ähnliche Variante beinhaltet etwas längere Vorlesungseinheiten. Dabei werden zunächst die Inhalte der Vorlesung mitgeteilt und dann die Studierenden explizit aufgefordert, nicht mitzuschreiben. Nach 20- 30 Minuten Vorlesung erhalten die Studierenden 5 Minuten Zeit für Notizen. Danach kann mit Nachbarn der Stoff diskutiert werden. Um eventuelle Unklarheiten zu beseitigen, gehen der Dozent und eventuell weitere Mitarbeiter herum und stehen zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
  3. Brainstorm
    Die Studierenden bekommen minimale Informationen und werden dann aufgefordert ein Thema zu durchdenken. Der Dozent sammelt Stichpunkte und lenkt die Lernergebnisse. Eine Histologievorlesung kann z.B. so gestaltet werden, dass die Studierenden um 350 Jahre zurückversetzt werden. Sie bekommen minimale Informationen zu einem Schnittpräparat der Zunge und sollen dann die wesentlichen Charakteristika der quergestreiften Muskulatur selbst erarbeiten (SCHNAPPER, 1999).
  4. Die guten alten Tests
    Eine Vorlesung mit nachfolgendem Test hat eine höhere Erinnerungsrate zur Folge BONWELL et al. (1991). Wenn die Studierenden gezwungen sind, frisches Wissen wiederzugeben, müssen Sie es dafür in ihre Denke eingliedern und reflektieren. Das wirkt sich auf lange Sicht positiv aus.
    Weitere Beispiele (Projektunterricht, Forschendes Lernen, Klassisches Seminar) bei KASKE und REHAGE (diese Veto).

Auf verschlungenen Wegen ins Gehirn

Vom Lernen und wie die Lehre dabei helfen kann

von Martin Kaske & Jürgen Rehage

aus Veto 48 – 2000, S. 4-7

Spätestens am Präpariertisch in der Anatomie merkt es jeder Student der Tiermedizin: dies Studium ist nur zu schaffen, wenn man viel, viel lernt – wer hätte vorher geahnt, daß es allein an einem anscheinend so banalen Knochen wie dem Oberschenkel eines Hundes so viele Tubercula, Cristae und Condyli geben könnte, die man – natürlich – für das Testat mit korrektem lateinischen Namen kennen sollte. Und das setzt sich fort: ob juxtaglomerulärer Apparat der Niere in der Physiologie, die hinterlüftete Wand in der Tierhygiene, Antiarrhythmika vom lokalanästhetischen Typ in der Pharmakologie, der portocavale Shunt in der Klinik und die Herstellung der Brühwurst im Lebensmittelkurs – unendlich viele Details, Sachverhalte, Zusammenhänge aus den verschiedensten Instituten, Kliniken und Fachgebieten harren auf den wißbegierigen Studenten und sollen – ja, halt gelernt werden.

Aber wie soll dieser ganze Stoff hinein in’s Hirn? Seien wir ehrlich – jeder weiß, es geht überhaupt nicht hinein, zumal sich das heute verfügbare Wissen im biomedizinischen Bereich mit atemberaubender Geschwindigkeit vermehrt. Mit jeder erfolgreich bestandenen Prüfung zeigt man zwar, daß man den abgeprüften Stoff irgendwann mal mehr

oder weniger gelernt hatte – doch was heißt das schon? Der Stoff wird sehr schnell abgelegt oder, weniger euphemistisch ausgedrückt, verdrängt und vergessen. Zwar nicht total, denn selbst nach Jahren gelingt es relativ schnell, sich das früher Gelernte erneut zu vergegenwärtigen, doch immerhin ist es nicht mehr unmittelbar abrufbar als präsentes Wissen. Und eigentlich geht es doch nur darum: später im Berufsalltag den theoretischen Hintergrund ab- rufbar zu haben, um Probleme lösen zu können – sei es am Patienten, in der Forschung oder wo auch immer. Diese Probleme sind in Abhängigkeit von den sehr unterschied- lichen Berufsfeldern des künftigen Tierarztes ausgesprochen vielfältig – und um dennoch damit klarzukommen, bieten sich zwei Wege an:

1. Man muß lernen, wie man ein Problem angeht und Strategien zur Problemlösung entwickelt: wie gelangt man an die häufig sehr speziellen Informationen, die zur Lösung des Problems erforderlich sind? Welche strategischen Überlegungen sind notwendig? Wie kann man gegebenen- falls andere Experten einbinden, an der Lösung des Problems mitzuwirken?

2. Ebenso wichtig ist es, einen Grundstock an Basiswissen verfügbar zu haben, das man jederzeit beliebig abrufen und einsetzen kann.

Prämissen für erfolgreiches Lernen

Um diese übergeordneten Ziele zu erreichen, bedarf es einiger Bemühungen – und zwar sowohl der Dozenten als auch der Studierenden.

Darum soll es im Folgenden gehen. Zunächst werden einige Prämissen zum erfolgreichen Lernen vorgestellt, die auf eigenen Erfahrungen beim Lernen und Lehren basieren; sie sind als ein Diskussionsbeitrag zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und/oder All- gemeingültigkeit.

  1. Jeder hat seine eigene, ganz individuelle Methode, um effektiv zu lernen. Diese muß man zunächst ein- mal selbst kennen: während der eine besonders vom Zuhören profitiert (akustischer Typ), muß ein anderer Abbildungen anschauen (visueller Typ); ein dritter lernt am besten, wenn er Dinge im Sinne des Wortes begreifen kann (haptischer Typ). Mit Hilfe von simplen Tests kann jeder Student seinen Lern- typ erkennen und sein Lernverhalten daran ausrich- ten.
  2. Lernen erfordert Motivation. Ziel in der Lehre muß es sein, die autonome Motivation (Interesse am Inhalt) der Studenten zu erhöhen und heteronome Motivation (Interesse, eine Prüfung zu bestehen) zu vermeiden. Eigentlich ist das gerade bei Studieren- den der Tiermedizin nicht allzu schwierig: die mei- sten beginnen ihr Studium überaus motiviert, wer- den dann aber zunehmend durch den Studienalltag frustriert und desillusioniert. Die Motivation läßt sich (wieder) wecken, indem in der Unterrichtseinheit der Bezug des Lehrstoffes zur Erlebniswelt des Studierenden deutlich wird, die Relevanz dargestellt wird und – nicht zuletzt – indem die Studenten möglichst aktiv in den Unterricht eingebunden werden. Für den Studenten ist die Konsequenz, sich mög- lichst früh im Studium Interessenschwerpunkte aus- zusuchen und stets zu versuchen, dort besonders intensiv zu lernen. Das kann ein Fach sein, eine Spe- zialdisziplin (z.B. Anästhesiologie) oder eine Tier- art – und man wird nach kurzer Zeit m.o.w. überrascht bemerken, wieviele andere Aspekte aus scheinbar entfernten Disziplinen plötzlich große Relevanz für den ausgewählten, relativ engen Be- reich haben, die man nun mit mehr Motivation lernt und deshalb auch besser behält.

c. Lernen erfolgt auf der affektiven Ebene schneller und nachhaltiger als auf der kognitiven Ebene. Den Hintergrund kennt jeder aus dem Alltag: sobald man emotional beteiligt ist, bleiben Erlebnisse und Er- fahrungen viel besser in Erinnerung, als wenn al- lein der Verstand gefordert ist. Wer erinnert sich nicht an das „besondere“ Erlebnis im Praktikum: die Kuh mit dem Uterusprolaps, der Hund mit der heftig blutenden Ballenwunde, das Pferd mit Kolik – und jeder Handgriff, den man selbst oder der Tier-

arzt durchführte, ist einem gegenwärtig. Warum? Weil sich einerseits das Erlebnis heraushob aus dem Alltagseinerlei und weil man andererseits unmit- telbar involviert war. Auf die Lehre übertragen, muß man entsprechend dem Studenten die Möglichkeit einräumen, sich direkt zu beteiligen. Der Student kann diese Prämisse nutzen, indem er vermehrt ver- sucht, Lehrstoff mit einem Patienten zu verbinden. Dazu bietet sich ein spezielles Heft an, in dem be- sonders interessante Tiere aus Quoten oder Prakti- kum mit dem zugehörigen speziellen Stoff aufgeli- stet werden. Und genau dieses Heft wird man noch Jahre später immer wieder in die Hand nehmen, um bestimmte Sachverhalte nochmals nachzusehen …

d. Lernen kann man um so leichter, je besser man den betreffenden Zusammenhang verstanden hat; erst die Darstellung der Komplexität eines Problems ein- schließlich notwendiger Hintergrundinformationen führt zu dem berühmten „Aha-Erlebnis“. Als Stu- dent sollte man entsprechend auch mal einen gan- zen Nachmittag investieren, um einen relativ spe- ziellen und schwierigen Lehrstoff sehr gründlich durchzuarbeiten. Ein Beispiel: die Funktion des Kehlkopfes wird man erst dann verstehen, wenn man tatsächlich mehrere Stunden in Anatomieatlas, Physiologiebuch und Klinikhandbuch gestöbert hat – andererseits aber wird man den Stoff danach auch deutlich länger in Erinnerung behalten.

e. Lernen setzt die geistige Auseinandersetzung mit dem Lehrinhalt voraus. In der Mehrzahl der Lehr- veranstaltungen gelangt nur ein Bruchteil der vor- getragenen Fakten in das Langzeitgedächtnis der Studenten. Entscheidend ist es deshalb, die wich- tigsten Informationen im Unterricht hervorzuheben und als besonders bedeutsam herauszustellen („Get- home-message“) sowie die Studenten zu einer Re- flexion des Gelernten anzuhalten.

f. Redundanz ist unabdingbare Voraussetzung für je- den Lernprozess. Es ist eine deprimierende Erfah- rung, daß nahezu alles Gelernte, was man nicht mindestens einmal pro Woche anwendet, mit hoher Wahrscheinlichkeit im unendlichen Nirwana des menschlichen Geistes verschwindet. Auch das kennt jeder: sogar die Telefonnummer der Verflossenen, die man damals täglich brauchte und absolut selbst- verständlich im Hinterkopf hatte – heute ist sie nicht mehr abrufbar. Für die Lehrenden bedeutet dies, wichtige Zusammenhänge immer wieder in unter- schiedlichem Kontext zu diskutieren. Die Studie- renden müssen sich entsprechend klarmachen, daß alles, was sie wirklich behalten und langfristig wis- sen wollen, ständig aufgefrischt werden muß.

g. Eigenverantwortung fördert entscheidend Lernpro- zesse. Dies gilt in praktisch allen Bereichen: im Praktikum ist einem die Anfahrt zum Hof des Bau- ern X solange unklar, wie man beim Tierarzt nur Beifahrer war; muß man selbst dorthin fahren, prägt sich der Weg problemlos ein. Als Student muß man entsprechend versuchen, etwas heute relativ Selte- nes anzustreben: sich nicht durch das Studium trei

ben zu lassen, sondern selbst Eigenverantwortung zu suchen – schwierig genug, keine Frage. Aber wo ein Wille, da ist ein Weg: sei es als Bremser in einer Klinik, bei einem Praktiker, als „Experte“ in einem Verein, oder, oder, oder … .

h. Erfolgserlebnisse erhöhen die Effektivität des Ler- nens. In Lehrveranstaltungen müssen Studierende möglichst oft auch erkennen, daß sie bereits über eigene Kompetenz verfügen. Erfolgserlebnisse der Studenten haben vielfältige Folgen: Interesse und Motivation wachsen, und die intellektuelle Ausein- andersetzung mit dem Lehrinhalt wird begünstigt. Überflüssig zu betonen, daß die Verantwortung für das Erlangen dieser Erfolgserlebnisse nicht allein auf Seite der Dozenten liegt, sondern daß die Stu- dierenden durch eigenes Bemühen diese Lerner- folge ermöglichen müssen.

i. Erfolgreiches Lernen setzt nicht nur voraus, daß sich die Lehrenden bemühen, sondern daß sich auch die Lernenden Mühe geben. So entsetzlich banal dies klingt: vielen scheint’s nicht klar zu sein. Einige Studenten haben sich an eine im übrigen gesell- schaftlichen Leben durchaus übliche Konsumenten- mentalität gewöhnt: sie sitzen entspannt im Audi- torium, und der Dozent hat etwas darzubieten: mög- lichst unterhaltsam, spannend, farbig und natürlich didaktisch perfekt aufbereitet – man pickt sich dann die Rosinen heraus, und das Lernen wird zum Kin- derspiel. Dahinter mag die Vorstellung stehen, man könne auch passiv etwas lernen. Welch‘ ein Miß- verständnis! Lernen kann und soll zwar Spaß ma- chen, doch es ist nichtsdestotrotz anstrengend und mühevoll – und es ist ein aktiver Vorgang.

j.

Effektives Lernen erfordert ein gutes Zeit- management – die vielleicht am schwierigsten um- zusetzende Empfehlung in einem offensichtlich nahezu uferlosen Fach wie der Veterinärmedizin. Ganze Bücher wurden geschrieben über dieses The- ma – Stichworte sind hier die Schaffung von Zeit- fenstern für vorgegebene Bereiche und das Akzep- tieren der Tatsache, daß „alles“ eben nie zu machen ist.

Status quo

Gemessen an diesen Maßstäben schneiden viele der traditionellen Lehrveranstaltungen nicht sonderlich gut ab. Ziel vieler Vorlesungen ist noch immer die möglichst lük- kenlose Vermittlung von Grundlagen und auch Spezialwis- sen. Der Lernerfolg wird dadurch erschwert, daß Vorle- sungen als Frontalunterricht abgehalten werden. Die Stu- denten geraten in die Rolle von passiven Rezipienten, die zunächst die vorgetragenen Fakten durch Mitschreiben le- diglich sammeln. Eine kritisch-intellektuelle Auseinander- setzung mit dem Lerninhalt unterbleibt weitestgehend.

Praktika oder auch klinische Vorweisungen bieten zwar die Möglichkeit zur Interaktion zwischen Dozenten und Studierenden und sind didaktisch positiver einzuschätzen, zumal die vergleichsweise geringe Teilnehmerzahl gegenstandszentrierte Diskussionen zuläßt. Der übervolle Stundenplan ist jedoch einer der Gründe, daß die Vorbe

reitung der Studierenden auf die Veranstaltungen häufig unzureichend ist. Dadurch entsteht wiederum die Tendenz, Frontalunterricht abzuhalten. Zudem steht meist nur ein begrenztes Thema (z.B. ein krankes Organsystem) im Mit- telpunkt der Veranstaltung. Die Zeit ist häufig zu knapp, um die erlernten Fakten in einen größeren Zusammenhang zu stellen und die Relevanz zu verdeutlichen.

Alternative Lehrveranstaltungen Projektorientierter Unterricht

Ziel derartiger Veranstaltungen mit einer Teilnehmer- zahl von möglichst nicht mehr als 30 Studierenden ist es, Verständnis von komplexen Zusammenhängen zu vermit- teln, exemplarisch zu zeigen, wie man sich einem Problem nähert und möglichst viele der o.a. Prämissen für erfolg- reiches Lernen umzusetzen.

Die eigenen Erfahrungen mit dieser Unterrichtsform sind sehr positiv: im Mittelpunkt steht dabei eine wichtige klinische Fragestellung, woraus sich einerseits eine hohe Motivation der Studierenden und andererseits die unmit- telbare Relevanz des notwendigen Basiswissens ergibt. Während der Veranstaltung wird von jedem Teilnehmer ein Referat gehalten; dabei wird auch wissenschaftliche Primärliteratur in den Unterricht einbezogen. Die Studie- renden lernen dabei, wie in der Wissenschaft Lösungsan- sätze für definierte Problemstellungen erarbeitet werden. Praktische Lerninhalte, wie das Untersuchen eines Tieres, sollen zusätzlich motivieren und für „Erholungspausen“ in dem straffen Programm sorgen.

Durch die gezielte Beteiligung von Kollegen wird der Kurs aufgelockert und die Komplexität des Problems ver- deutlicht. Wenn schließlich Überlegungen zur Therapie angestellt werden, können die Studierenden ihr neu erwor- benes Wissen einbringen und erkennen ihre eigene fachli- che Kompetenz. In täglichen schriftlichen Wissens- kontrollen wird schwerpunktmäßig das Verständnis von Zusammenhängen abgefragt; diese Tests werden jedoch nicht eingesammelt, sondern vom Studenten selbst wäh- rend der Nachbesprechung korrigiert, um heteronome Motivation auszuschließen. Es ist überraschend festzustel- len, daß die Studenten diese Tests durchaus schätzen, da sie dadurch offensichtlich ihren eigenen Lernerfolg bestä- tigen können.

Die Resonanz der Studierenden auf derartige Veran- staltungen (fakultative Kurse, Projektwochen u.ä.), in de- nen ein Problem fachübergreifend behandelt wird, ist über- wiegend positiv. Das große Interesse der Studierenden an entsprechenden Veranstaltungen macht deutlich, daß eine erhebliche Leistungsbereitschaft bei den Studierenden po- tentiell vorhanden ist, die im traditionellen Unterricht je- doch nur unzureichend abgerufen wird.

Forschendes Lernen

Auch durch das projektorientierte, forschende Lernen kann das Angebot an traditionellen Lehrveranstaltungen ergänzt werden. Dabei wird eine wissenschaftliche Frage- stellung zusammen mit einer kleinen Gruppe von Studen

ten gemeinsam bearbeitet. Die At- traktivität derartiger Veranstaltungen für Studierende ergibt sich aus zu- sätzlicher Motivation durch Ausnut- zung des explorativen Verhaltens und durch die Anerkennung der fachli- chen Kompetenz. Andererseits bie- tet ein solches Projekt auch für den Dozenten Vorteile, da die Durchfüh- rung von sehr personalintensiven Versuchen durch die Beteiligung von eingearbeiteten Studenten erleichtert wird.

Das „klassische“ Seminar

Viel zu wenig werden die Studie- renden selbst aktiv in die Lehre ein- bezogen. Studenten sollten vermehrt Verantwortung für die Qualität der Lehre übertragen bekommen – in Form von Referaten und sogar eige- nen Lehrstunden, die teilweise selb- ständig, teilweise mit Hilfe von Do- zenten vorbereitet werden. Zusam- menhänge für andere verständlich darzustellen, ist für den vortragenden Studenten eine ungewohnte und auch schwierige Aufgabe. Sicher ist es je- doch für die Zuhörer eine willkom- mene Abwechslung und für die Vor- tragenden die mit Abstand beste Me- thode, selbst den Stoff geistig zu durchdringen und damit zu lernen. Die Einbeziehung in die Unter- richtsgestaltung vermittelt zudem fachliches Selbstbewußtsein und Kritikfähigkeit. Neu ist diese Idee zur Unterrichtsgestaltung sicher nicht – eigentlich entspricht sie lediglich dem, was man (früher?) unter dem guten alten Seminar verstand. Leider ist das Seminar heute jedoch, wie oben beschrieben, zum überwiegen- den Teil zu einer modifizierten Vor- lesung geworden.

Ausblick

Alternative Ausbildungsformen können die bestehen- den traditionellen Unterrichtsformen nicht ersetzen, zumal sie nur mit einer vergleichsweise kleinen Zahl von Stu- denten sinnvoll durchführbar sind. Viele Hindernisse mö- gen der Durchführung im Wege stehen – die große Zahl der Studenten, strukturelle und organisatorische Probleme innerhalb der Hochschule, der übervolle Stundenplan, der viele gute Ansätze im Keim erstickt, fehlende finanzielle Mittel zur Verbesserung der Lehrkapazität – jeder dieser Punkte ein wichtiges Thema für sich. Trotz all dieser Ar- gumente jedoch sollte die Umsetzung alternativer Lehr- methoden weiter von den Studierenden gefordert und von den Lehrenden propagiert und durchgeführt werden – und zwar nicht zuletzt aufgrund eines bisher nicht erwähnten, trotzdem aber sehr wichtigen Arguments: derartige Kurse machen viel Spaß. Einerseits den Studierenden, die sich insbesondere im Rahmen einer Blockveranstaltung häufig gegenseitig intensiver kennenlernen (Stichwort soziales Lernen – für viele augenscheinlich eine neue Erfahrung !). Aber auch für den Dozenten ist es eine ausgesprochen loh- nende Erfahrung, eine kleine Gruppe hochmotivierter Stu- denten länger zu erleben, statt – wie in vielen Vorlesun- gen – Studenten lediglich als amorphe Masse gesichtslo- ser Wesen vor sich zu haben.

Fortsetzungsgeschichte

Eine Woche im Veterinäramt

aus Veto 47 – 1999, S. 27-29

Montag

Telefon: Herr A. erklärt, sein West-Highland-Terrier hätte gestern ein Kind gebissen (der Hund war natürlich unschuldig), leider sei die letzte Tollwutimpfung 2 Jahre her. Die Eltern des Kindes sind besorgt und wollen wissen, ob ihr Kind nun geimpft werden muß. Herr und Hund werden sofort ins Veterinäramt bestellt, um festzustellen, ob der Hund Anzeichen einer Tollwuterkrankung aufweist.

Post aus dem Fach mitnehmen: Unzählige Aktennotizen, Lebensmittelberichte, Zeitschriften, Erlasse, Verordnungen, Mitteilungen aus dem Europäischen Amtsblatt usw., sollte alles jeder lesen. Faktisch unmöglich, oder es bliebe keine Zeit, überhaupt noch etwas selbst zu arbeiten. Wichtig ist, die Aktennotizen der Kollegen zu lesen, um mitzubekommen, was im Kreis passiert, und um bei Fragen von Betroffenen weiterhelfen zu können.

Der Besitzer mit dem tollwutverdächtigen Hund ist da. Das Tier läuft neugierig herein, springt an der Sekretärin hoch, diese streichelt ihm über den Rücken, und schwupps, schnappt der Hund zu. Zum Glück nicht weiter schlimm, aber immerhin so, daß es leicht blutet. Bis auf die Tatsache, daß das Tier zu fett und völlig unerzogen ist, bestätigt sich der Tollwutverdacht nicht. Der Hund wird für die nächsten zehn Tage unter amtliche Beobachtung gestellt (d.h. kein Kontakt zu anderen Personen und Tieren, kein freies Umherlaufen, auf keinen Fall Impfung, Achten auf Anzeichen einer Tollwuterkrankung).

Nach zehn Tagen muß der Hund erneut vorgestellt werden, ist das Tier weiterhin unverdächtig, wird die amtliche Beobachtung aufgehoben. (Dieser Besitzer hält es nicht für nötig, nach zehn Tagen wieder zu erscheinen, woraufhin er schriftlich kostenfrei erinnert wird.)

Grundsätzlich kann nach der TollwutVO auch anders verfahren werden, da aber diese Region tollwutfrei ist und es sich hier nicht um einen jagdlich geführten Hund handelte, konnte ich so verfahren, mit dem Ergebnis, daß der Hundebesitzer das Ganze überhaupt nicht ernst nahm. Da wir in Bezug auf die Impfung des Kindes aufgrund ‚Nichtzuständigkeit‘ keine Auskunft geben dürfen, verweisen wir immer an das Hospital (beraten aber intern schon).

In der Post: Berichtanforderung durch das Regierungspräsidium: Wieviele Tierheime und Tierpensionen sind im Kreis; Rückmeldung innerhalb einer Woche. Bekannt ist nur ein größeres Tierheim. Grundsätzlich benötigen solche Einrichtungen eine Genehmigung nach dem Tierschutzgesetz (§11), da aber auch z.B. jeder Züchter eine §11 Genehmigung benötigt, sind alle ausgestellten Genehmigungen in mehreren Ordnern zusammengefaßt. Also alle Ordner durchgehen. Das Nachlesen in den Gelben Seiten befördert außerdem völlig neue und interessante Einrichtungen zu Tage. Nach Kontaktaufnahme mit den Besitzern dieser Tierpensionen zeigt sich, daß diese das schon immer so machen, von einer Genehmigungspflicht nichts wissen, aber wir natürlich gerne einmal vorbeikommen können … . Die Adressen werden aufgeschrieben und so bald wie möglich die Haltungen kontrolliert.

Nachkontrolle bei einem Schäferhundehalter: Die Schäferhunde werden einzeln und ohne Sichtkontakt in völlig kahlen Zwingern gehalten. Laut Besitzer kommen sie einzeln tagsüber in den Garten. Er versteht nicht, was gegen seine Hundehaltung einzuwenden ist, die Tiere hätten es doch gut und er würde schließlich sehr viel mehr von Schäferhundezucht verstehen als wir.

Die Hoffnung, ihn bei der letzten Kontrolle überzeugt zu haben, die Haltung zu verbessern, schwindet. Bis auf die Möglichkeit, die Einhaltung der Vorschriften der HundehaltungsVO einzufordern (Schutzhütte etc.), gibt das Tierschutzrecht nichts her; Kettenhunde müssen täglich eine Stunde frei laufen können, Zwingerhunde nicht (mal abgesehen von der Unmöglichkeit, dies überhaupt zu kontrollieren).

Wenn der Züchter mit mehr als drei Hündinnen züchtet, braucht er eine §11 Genehmigung (Sachkunde, artgerechte Unterbringungsmöglichkeiten, Zuverlässigkeit). Angeblich tut er dies nicht (hat aber gleichzeitig Welpen aus vier verschiedenen Würfen da). Mein Vorschlag, ihm eine Buchführungspflicht aufzuerlegen, um festzustellen, mit wievielen Hunden er züchtet, wird aufgrund mangelnder Rechtsgrundlage von der Verwaltung abgelehnt (alle Verwaltungsakte, die den Rechtsunterworfenen belasten, brauchen eine rechtliche Grundlage). Der Vorteil einer Genehmigung wäre gewesen, diese mit bestimmten Haltungsauflagen zu verbinden.

Zurück im Amt: Anruf einer Tierschützerin; vor dem Supermarkt stehen Zirkusleute mit einem Esel und betteln, ist denn so etwas erlaubt?! Antwort: Ja (Tierschützerin mit dieser Auskunft sehr unzufrieden)

Dienstag

Abfassen der Verfügung an den Schäferhundezüchter, um wenigstens die Einhaltung der Vorschriften der HundehaltungsVO zu fordern. Nach Diskussionen mit Kollegen und Verwaltung einigen wir uns darauf, daß er den momentanen Tierbestand dokumentieren muß und wir so bei Nachkontrollen, evtl. anhand der Zuchtbücher, auf die tatsächliche Wurfzahl kommen.

Anruf von einem Bürgermeister: Es werden Schafe an der Straße mit Elektrodraht eingezäunt gehalten. Mehrere Mütter hätten angerufen, ihre Kinder könnten auf dem Schulweg diesen Elektrodraht anfassen und einen Schlag bekommen. Frage: Gibt es eine Vorschrift, daß am Zaun ein Schild ‚Vorsicht Elektrozaun‘ angebracht sein muß? Antwort: Nein, zumindest nicht von unserer Zuständigkeit her, da Schafe im Allgemeinen nicht lesen könnten (kurzes Schweigen, brüllendes Gelächter).

Der Computer hat sich per E-mail einen Virus eingefangen: Der Vormittag ist gelaufen, aber immerhin wird ab jetzt ein Virensuchprogramm vom Landratsamt zur Verfügung gestellt, was wir vorher angeblich ja nicht brauchten.

Post durcharbeiten

Termin mit Landwirt B.: Überprüfung der Rinderkennzeichnung: Das Veterinäramt hat eine Liste von zufällig ausgewählten viehhaltenden Betrieben erhalten, bei denen die Kennzeichnung der Tiere und das Bestandsregister überprüft werden müssen. Die Betriebsinhaber sollen von der Überprüfung nicht informiert werden. Nach kurzer Diskussion einigen wir uns im Amt darauf, uns bei den Betrieben zwei Tage vorher anzukündigen, um ihnen so die Möglichkeit zu geben,
das Bestandsregister zu aktualisieren.

Das Ziel soll letztlich die Einhaltung der Vorschriften der Viehverkehrsverordnung sein, und wenn dies mit Hilfe einer Ankündigung erreicht werden kann, spart sich das Amt müßige Nachkontrollen und die Verärgerung der Landwirte. In diesem Fall fährt Herr B. mit mir zu seinen sechs Scottish-Highländern auf die Weide: das Bestandsregister ist vorbildlich, es ist nur etwas schwierig, an die Tiere nahe genug heranzukommen, um die Ohrmarke ablesen zu können (außerdem haben sie viel zu lange Haare an den Ohren). Aber mit Geduld und Fernglas geht es schließlich. Termin mit Landwirt C., ebenfalls Überprüfung der Rinderkennzeichnung: Herr C. hat kein Verständnis für ‚das Geschiss mit der Rinderkennzeichnung‘, er habe anderes zu tun und kennzeichne seine Rinder nicht wie vorgeschrieben mit spätestens dreißig Tagen, sondern wann ihm es paßt. Da ein vernünftiges Gespräch mit ihm nicht möglich ist (und er auch von früheren Gelegenheiten dem Veterinäramt gut bekannt ist), bekommt er es eben nochmals schriftlich plus Bußgeld und Zwangsgeldandrohung.

Mittwoch

Unterricht an der Landwirtschaftsschule: Während des Winterhalbjahres dürfen die Tierärzte 10 Unterrichtsstunden an der Landwirtschaftsschule geben, inhaltlich sollten dabei die Bereiche übertragbare Krankheiten, Seuchenhygiene und Tierschutz abgedeckt werden. Trotz Vorbereitung fällt es mir nicht leicht, innerhalb von 2 Stunden die Begriffe im Tierschutzgesetz zu erläutern und die einzelnen Verordnungen anzusprechen, bzw. überhaupt ein Bewußtsein für bestimmte Bedürfnisse von Tieren zu schaffen. Frage: Was macht ihr denn mit euren Kümmerern? Antwort: Na, erschlagen natürlich, was denn sonst! Kälber ab dem 8. Lebenstag Rauhfutter geben? Das Fleisch nimmt uns doch kein Metzger mehr ab, erst wenn auch die Franzosen… (Insgesamt hat es aber viel Spaß gemacht und auf den Boden der Realität zurückgeholt)

Kälbermarkt: Im Rahmen der Marktüberwachung (ViehverkehrsVO) werden die Näbel der Kälber kontrolliert und bei der Versteigerung dann alle Veränderungen bekanntgegeben. Seit Kälber im Alter unter 14 Tagen nicht mehr transportiert werden dürfen, ist eine enorme Geburtenzunahme genau 14 Tage vor dem Stattfinden des Kälbermarktes zu verzeichnen. Theoretisch müßten alle Besitzer von Kälbern mit nicht abgeheilten oder entzündeten Näbeln angezeigt werden… .

Termin bei Landwirt D.: Er bekommt wöchentlich Mastschweine aus einem Gebiet, das auf Grund von Wildschweinepest reglementiert ist. Ein Tierarzt kontrolliert die Gesundheit der Schweine bei der Abfahrt und verplombt den Anhänger. Wir müssen uns jeweils schriftlich einen Tag vor der Anlieferung damit einverstanden erklären, daß Schweine aus diesem Gebiet in unserem aufgestallt werden dürfen. Bei Ankunft der Schweine müssen wir den
Transporter entplomben und die Gesundheit und Anzahl der Tiere überprüfen (bis auf den Umstand, daß die meisten Ferkel angeknabberte Ohren haben, sind sie soweit gesund). Nach 14 Tagen ist eine Abschlußuntersuchung notwendig. Leider bin ich auf die
dumme Idee gekommen, die Körpertemperatur zu messen … und nun?!

Verfügung an Landwirt C.: Um seine Rinderkennzeichnung zukünftig sicherzustellen.

Post durcharbeiten.

Anruf des Tierschutzvereines: Sie hätten einen Hund gefunden mit einem Teletaktgerät um den Hals. Die Besitzer hätten sich inzwischen gemeldet und ihren Hund wieder abgeholt, aber sie wollten uns doch Bescheid sagen, damit wir etwas gegen das Teletaktgerät unternehmen. Telefongespräch mit den Besitzern: Nein, sie würden das Teletakt nie und auf gar keinen Fall benützen, ihr Halsband sei kaputtgegangen und da hätten sie halt dies umgelegt … .

Reisekostenabrechnung: Ein privater PKW wird für Dienstfahrten vorausgesetzt. Alle Dienstfahrten müssen mit Datum, Uhrzeit, Ort, Kilometerangabe und vor allen Dingen dem entsprechenden Titel angegeben werden. D.h. auf den einen Zettel alle im Bereich Tierseuchen gefahrenen Kilometer, auf dem nächsten die für den Tierschutz und ebenso für Schlachthof/Lebensmittel. Wurden die Bereiche aus Kostenersparnis miteinander verknüpft, muß man halt etwas schummeln (genauso wie beim Schätzen der Arbeitszeiten für die einzelnen Bereiche).

Donnerstag

Post durchsehen.

Anruf eines Schweinehalters: Er möchte gerne 50 Mastschweine im Freien halten, was es denn da in Zukunft zu beachten gäbe? Hätte ich mich nicht zufällig privat mit der neuen SchweinehaltungshygieneVO befaßt, wäre es wieder ein typisches Beispiel von: Bitte geben Sie mir ihre Telefonnummer, ich rufe Sie zurück.

Lebensmittelkontrolle: Wie war das mit dem Hackfleisch?! Die Herstellung von Geflügelgeschnetzeltem ist nach der HackfleischVO verboten. Macht der Metzger sich jetzt strafbar, wenn der Kunde ihn bittet, das sozusagen bereits gekaufte Geflügelteil klein zu schneiden? Fragen Sie ihren Sachverständigen! Nach der neuen Lebensmittelhygiene VO müssen Betriebe für alle abzugebenden Lebensmittel eine Gefahrenanalyse durchführen, d.h. sie müssen herausfinden, wodurch ihr Lebensmittel so nachteilig beeinflußt werden kann, daß die Gefahr der Schädigung der menschlichen Gesundheit besteht (Verstanden?). Zu diesem Thema gibt es unzählige Veröffentlichungen, Fortbildungen usw.. Entfernt hat es etwas mit
HACCP (Hazard Analyses of Critical Control Points) zu tun, ein inzwischen fast überall verhaßtes Schlagwort bei jeder Lebensmittelkontrolle und Besprechung. Durch falsche Übersetzung und fehlerhafte Interpretation entstanden unzählige und überflüssige Papieransammlungen, in denen ohne Sinn und Verstand alles Mögliche gemessen und dokumentiert wird. Konkret geht selbst bei uns im Amt jeder mit der Umsetzung der neuen LebensmittelhygieneVO sehr unterschiedlich um, je nach eigenem Wissen, Verständnis und individueller Präferenz.
Das Thema auch nur anzusprechen, ist meist in kleinen Betrieben gar nicht möglich, da keine Grundvoraussetzungen bestehen. Z.B., wenn nach 10 Minuten ausführlicher Erläuterungen über Grundhygiene, Histamingehalt in warm gelagertem Thunfisch etc. der Betriebsinhaber sagt: „Ich mache halt Pizza, wo ist euer Problem?“ und ich genau weiß, daß spätestens in einem halben Jahr ein anderer Pizza- oder Gyrosstand hier sein wird, und ich froh sein kann, wenn sprach-
lich überhaupt eine Kommunikation möglich ist.

Unbefriedigende Diskussion im Amt, wie ab Januar die Umsetzung der KälberhaltungsVO erfolgen soll (Anbindeverbot von Kälbern). Anscheinend ist es unmöglich, sich darüber überregional zu verständigen (schon die Regierungspräsidiums-Ebene wird angezweifelt), da ja jedes Amt örtlich zuständig ist und daher nach eigenem Ermessen handelt.

Freitag

Termin mit Landwirt D.: Nach der Brucellose- und Leukose-Verordnung muß regelmäßig überprüft werden, ob ein Rinderbestand frei von diesen Krankheiten ist. Bei milchliefernden Betrieben ist dies über Tankmilchproben möglich, schwieriger wird es bei Mutterkuhhaltungen, an die Blutproben zu kommen.

Ein Teil wird von den Hoftierärzten genommen, überall dort, wo es komplizierter wird und keine Fangeinrichtungen vorhanden sind, dürfen die Amtstierärzte ihr Glück versuchen. Dieser Landwirt hat für seine ‚Scottish Highland‘-Rinder nun endlich eine Fangeinrichtung gebaut, in der die langen Hörner nicht hängenbleiben können und es läuft einigermaßen glücklich ab.

Post durcharbeiten.
Einschalten des Anrufbeantworters.

Wochenende

(2-3 x tägliches Abhören des Anrufbeantworters, ob irgendeine Seuche ausgebrochen ist, Lebensmittel vergiftet oder Tiere gequält wurden)

eine Amtstierärztin

brave new world oder die Rettung der deutschen Hauskatze

von Norbert Roers

aus Veto 45 – 1998, S. 16-17

AGKT und Gentechnik

Zur Begriffsdefinition: im folgenden verwende ich (hier und heute, nur für diesen Artikel) einen sowohl vereinfachenden als auch – wie ich behaupte – klärenden Vulgärbegriff der Gentechnik: er umfasst also sowohl zuarbeitende Methoden wie z.B. teilautomatisierte Sequenzierungstechniken oder PCR, als auch biotechnologische Methoden von in vitro-Fertilisation bis hin zur künstlichen Gebärmutter, als auch den Komplex der Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen, das Klonen von (noch) Tieren, die Gentherapie, rasse- und sozialhygienische Initiativen bis hin zur Eugenik ……..

Begründung: erstens ist zwar die Gentechnik im engeren Sinn ebenso „nur“ eine Technik wie andere Techniken auch, sie kann jedoch wegen der Auswirkungen auf den einzelnen Menschen und auf den Begriff des Menschlichen weniger als andere Techniken isoliert von ihren historischen gesellschaftlichen Bedingungen gesehen werden. Im Unterschied zur Atomkraft ist hier ja weniger eine Unfall-oder Mißbrauchsdiskussion zu führen, sondern vor allem eine Normalitäts- bzw. Gebrauchsdiskussion. In Bezug auf die Suche nach Krankheiten oder Normabweichungen im menschlichen Genom, auf das Bestreben nach Elimination dieser Faktoren aus diesem und – als nicht mehr sehr unwahrscheinlichem Szenario – dann eben auch aus der Menschheit besteht das Risiko der Gentechnik ja gerade nicht in ihrem Versagen, sondern in ihrem Gelingen.

Zweitens scheint mir die Herauslösung dieser Technologie aus ihrem kapitalistischen Umfeld – also der Versuch, sie jenseits aller Verwertungsbedingungen als neutrale Technik zu begreifen – nur dann akzeptabel, wenn gleichzeitig auch eine andere gesellschaftliche Verfassung ernsthaft mitdiskutiert würde. Dies sehe ich weder in der AGKT, noch in anderen veröffentlichten Diskussionen. Ich verweigere also so lange eine Trennung zwischen Technik und Anwendung, wie die Systemfrage nicht ernsthaft gestellt wird und halte dies auch für einen konstruktiven Vorschlag zur Verhinderung von Scheindebatten.

Aus dem gleichen Grund lehne ich auch eine Technikfolgenabschätzungsdebatte im engeren Sinn ab. Selbst bei optimaler Ausstattung, guter fachlicher Zusammensetzung und finanzieller Unabhängigkeit „kritischer Kontrollkommissionen“ wäre eine solche Debatte nur sinnvoll, wenn in der Zwischenzeit ein „Standstill“, ein Moratorium gelten würde. Nur dann gäbe es Zeit zur Abwägung anstatt des Zwangs zu ständigen Rückzugsdebatten. Zudem gehen die Befürworter dieser Vorgehensweise davon aus, daß es echte Steuerungsmechanismen gibt, was faktisch nicht stimmt. Kapitalistische Verwertungsinteressen, die Skrupellosigkeit der Machteliten, der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologien und die technischen Möglichkeiten der schnellen Umsetzung gerade noch erst diskutierter Entwicklungen verunmöglichen eine demokratische Entscheidung darüber, welche möglicherweise von „uns“ favorisierte Technik- oder Anwendungsbereiche denn kontrolliert zuzulassen oder zu fördern seien. Der Einsatz der Gentechnik ist eben nur sehr bedingt eine Abwägung zwischen richtig und falsch, sondern vor allem eine Machtfrage. Diesem Umstand sollte mensch auch Rechnung tragen.

„und wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol“

Fehlfarben: Monarchie und Alltag, 1980

Warum also der Versuch einer Neuformulierung der AGKT-Position?

  1. die normative Kraft des Faktischen: An und für sich ja kein starkes Argument, wenn wir uns nicht zugestehen müssten, daß die Mehrheit der AGKTlerInnen eine Fundamentalablehnung vor sich selbst und anderen ( nicht ohne Gewissensnöte) nicht mehr aufrechterhalten kann oder will. Verschiedene Anläufe zur Vereinheitlichung des Diskussionsstandes in den letzten Jahren führten nicht zu einem neuen Konsens, sondern zum kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Sich-Nicht-Verhalten. Ich behaupte, daß vor allem deswegen die AGKT schon seit einiger Zeit nicht mehr zu einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet fähig ist.
  2. Lebenswege und AGKT-Mehrheiten: Als Individuum vor die Frage gestellt, ob denn diese weit verbreitete diagnostische Methode oder jenes Experiment mit beachtlichem Erkenntnisgewinn oder jener gentechnologisch hergestellte Impfstoff denn durchgeführt bzw. angewendet werden dürfe, ist die Antwort für viele von uns schon des öfteren „ja, ich will“ gewesen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Parteiausschlußverfahren und die reine Lehre für die Verbleibenden oder die Suche nach einem neuen Kompromiss.
  3. Der Spion, der aus der Kälte kam: auch wenn ich nicht der Ansicht bin, daß der kritische Dialog Gentechnnologie-Hardliner dazu bringen könnte, ihre Meinung zu ändern, scheint es mir doch notwendig, die Türe für Informationen offenzuhalten. Konkret muß darum geworben werden, daß einzelne in privaten oder öffentlichen Institutionen Forschende kritische Publikationen nutzen, um Interna oder auch ihnen fragwürdige Projekte zu veröffentlichen. Dies wird aber nur erfolgreich sein, wenn mensch um Informationen und Menschen wirbt.
  4. Wahrheit und Handlungsfähigkeit: Die entscheidende Frage ist die, ob die reine Lehre eine politische oder nur eine moralische Kategorie ist. Andersherum gefragt: ist das Aufweichen von AGKT-Fundamentalpositionen das Ende einer politischen Opposition und der Verzicht auf Widerstand oder ist das Beharren auf der kategorischen Ablehnung aller gentechnischen Methoden und Anwendungsgebiete eine wohlfeile Haltung, die zwar auch nichts ändert, aber dem Individuum die Schuldfrage abnimmt?

Der AGKT-Doppelbeschluß

Aus der oben postulierten Falle führt meiner Ansicht nach nur ein Befreiungsschlag. Ein widerspruchsfreies Leben im Sinne einer totalen Verweigerung einzelner Diagnosetechniken oder Produkte ist nicht mehr möglich. Punkt. Fragezeichen? Die PCR zum Beispiel ist so weit verbreitet, daß ich – wenn ich denn konsequent sein wollte – zumindest meine Großtierpraxis mit meinem diagnostischen Ansatz zumachen könnte. Hab ich aber nicht vor. Wer da noch für sich eine Möglichkeit der Unschuld für sich sieht, dem empfehle ich erstens mal scharf nachzudenken und zweitens noch 2,3 Jahre zu warten. Wie immer, so auch hier: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“ (Benjamin).

Unterstellt also, ich komme in Einzelfragen nicht an der Gentechnik vorbei. Wieso aber sollte mich dies daran hindern, politisch offensiv gegen Patentierung von Pflanzen, Tieren und (noch) Teilen von Menschen vorzugehen? Ich beziehe auch Strom von der RWE und bin dennoch Gegner der Atomwirtschaft. Auch meine konventionellen Impfstoffe beziehe ich (zwangsläufig) von eben den Pharmariesen, denen ich als AGKT‚ler einseitig profitorientierte Forschung vorwerfe.

Was ich vorschlage, ist also ein AGKT-Doppelbeschluß, der – stark verkürzt – einerseits die alte AGKT-Totalablehnung aufhebt, um einzelne Techniken oder Anwendungsgebiete zu tolerieren, andererseits eine verstärkte politische Auseinandersetzung mit der „molekularen Sicht auf das Lebendige“ führt.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Absolutionen für Sündenfälle zu geben. Angesichts der oben begründeten Ablehnung einer Technikfolgenabschätzungsdebatte geht es hier um das Ziehen etwas gröberer politischer Linien. Es nutzt aber überhaupt nichts, dies als moralisches Individuum zu tun. Ich möchte sehr wohl, daß die AGKT politikfähig ist, dies allerdings zu unseren Bedingungen. Das Ziehen der politischen Linien muß als kollektiver Prozess fast zwangsläufig “work in progress“ sein. Es genügt dabei nicht, gegen das Klonen von Menschen einzutreten, nur die wenigsten Vertreter des Befürworterkonglomerats aus Universitäten, politischer Macht und Pharmakonzernen sind ja bekennende Dr. Frankenstein-Nachfolger. Ein „pro bonum, contra malum“ ist also ein Allgemeinplatz, ein wenig schwieriger wird es schon werden. Ziel einer solchen Debatte kann keine glatte AGKT-Position sein, die elegant die bestehenden Widersprüche ausklammert oder zukleistert. Angesichts der Komplexität des Themas geht es zunächst vor allem um das eigene Denken. Das ist aber schon eine ganze Menge.

Chips und Pferde

Konsequenzen der bereits bestehenden und noch geplanten Anwendungsverbote in der Pferdepraxis

von Viola Hebeler

aus Veto 46 – 1998, S. 18-20

Die Anwendungsverbote bestimmter Medikamente bei lebensmittelliefernden Tieren nach der Verordnung EWG 2377/90 und die daraus für die Pferdepraxis resultierenden Konsequenzen sind seit Ende letzten Jahres bereits breit diskutiert worden. In allen Medien sind Pferdetierärzte/innen und Tierschützer/innen gegen die neuen Anwendungsverbote Sturm gelaufen. Einer der meistverbreitetsten Artikel und typisch für den Gesamttenor der Diskussion war dabei der Spiegelartikel im Heft 7/98, in dem geschickt Fakten und Stimmungsmache vermischt wurden. So wurden sachlich richtige Statements von Pferdepraktikern benutzt, um als Ursache der Misere „das sture Schubladendenken der europäischen Agrarbürokraten“ auszumachen. Daß die Pharmafirmen durch Investitionen in Rückstandstests diese Anwendungsverbote hätten verhindern können, fand im allgemeinen kaum Erwähnung. Es sei auch dahingestellt, ob es Sinn macht, von diesen Firmen anderes als marktwirtschaftliches Kalkül zu erwarten. Nichtsdestotrotz wurde dadurch, daß diese Fakten nicht zur Kenntnis genommen wurden, häufig sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die Aufweichung der angeblich zu strengen europäischen Rückstandsregelungen verlangt. Gerne stimmte die Pharmaindustrie in diesen Chor ein, würde es ihr doch viele Millionen sparen. (Zur Verteidigung der „großen“ Pharmafirmen sei allerdings gesagt, daß die „kleinen“, Generika vertreibenden Firmen gar nicht erst versuchten, durch Zusammenschluß die Kosten für die Ermittlung der MRL-Werte für z.B. Phenylbutazon, mit dem sie so viel Geld verdient hatten, zusammenzubringen. Damit bestätigten sie natürlich ihr Bild als „Trittbrettfahrer“ im Pharmageschäft.)

Die Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin hat sich auf dem letzten Gesamttreffen im Mai diesen Jahres mit diesem Thema beschäftigt und für eine vorrangige Behandlung des Verbraucherschutzes und eine Durchsetzung der Anwendungsverbote ausgesprochen. Hierbei wurde ganz richtig festgestellt, daß die zum Teil hysterisch geführte Diskussion über Therapielücken besonders in der Pferdemedizin am eigentlichen Problem vorbeigeht. Es kann nicht sein, daß mit den Argumenten des Tierschutzes der Verbraucherschutz geschwächt wird, wie dies bei einer Rücknahme der Anwendungsverbote zu befürchten wäre. Andererseits scheint es mir aber auch nicht angebracht, den Fakt, daß bestimmter Therapielücken tatsächlich bestehen, zu übergehen. Daher werde ich versuchen, an einzelnen Beispielen aufzuzeigen, wo die neuen und alten Anwendungsverbote die Therapie in der Pferdepraxis beeinflussen. Siehe hierzu Kasten 1 und 2.

Die Pferdemedizin stellt wirtschaftlich für die Pharmaindustrie im Vergleich zu den landwirtschaftlichen Nutztieren nur einen kleinen Sektor dar. Daher werden für viele Medikamente keine Zulassungen für Pferde beantragt. Ganz einschneidend konnte man dies nach der Einführung der tierartlich getrennten Zulassung für Arzneimittel und dem Verbot der Umwidmung im Jahr 1994 sehen. Die Einführung der MRL ist hierbei quasi als nächste Stufe der Reduktion der für Pferde zugelassenen Medikamente zu sehen.

Wer in der Pferdepraxis innovativ und an Forschungsergebnissen besonders der angelsächsischen Länder orientiert behandeln will, ist schon immer zu halbund illegalem Verhalten gezwungen worden. Das hat die im Sportbereich tätigen Pferdetierärzte/innen auch nach 1994 jedoch nicht an der Verwendung nicht zugelassener Medikamente gehindert, wenn durch ihren Einsatz ein deutlicher Therapievorteil erkennbar war. Ich persönlich empfinde es auch als empfindlichen Einschnitt in meine Freiheit bei der Berufsausübung, wenn ich zwischen 30 und 50 % aller meines Erachtens notwendigen Medikamente nicht benutzen darf. Es kann nicht sein, daß einer aufwendigen Diagnostik durch fundiertes Wissen und ausgefeilte Technik eine Pauschaltherapie mit nur einer Handvoll Medikamente gegenübersteht, bloß weil diese lukrativ genug sind, die Zulassungskosten wieder einzubringen. Eine qualifizierte Therapie kann offenbar nur durch illegales Verhalten erreicht werden. Die Analyse des Kollegen Dr. Cronau, langjähriger betreuender Tierarzt der deutschen Springreiterequipe und FEI-Veterinär, die „Tierärzte stehen immer mit einem Bein im Gefängnis“ ist somit völlig richtig.

Das Hauptproblem liegt bekanntermaßen an der Zuordnung der Pferde zu den lebensmittelliefernden Tieren. Dies ist aber nicht von den „sturen EU-Bürokraten“ in ihrem „Schubladendenken“ erfunden worden, sondern spiegelt nur die überwiegende Situation in der EU wieder. In Ländern wie Frankreich, Spanien, etc. wird traditionell viel Pferdefleisch gegessen. In Großbritannien hingegen ist dies gar nicht der Fall. Die Briten haben daher auch sofort Pferde zu nicht-Lebensmittel-liefernden Tieren erklärt und propagieren den weiteren Einsatz der verbotenen Medikamente. Dieser Einzelgang Großbritanniens war allerdings insofern nützlich, weil findige Köpfe sofort mit dem Reimport von in GB erlaubten und in der Rest-EU verbotenen Arzneimitteln drohten und damit das Bestreben um einen Kompromiß förderten. Ein EU-weiter Lösungsvorschlag von den verschiedensten Seiten einschließlich der Bundestierärztekammer zielt auf die dauerhafte Kennzeichnung der nicht zur Schlachtung bestimmten Pferde hin. Das ist gewiß die intelligenteste Lösung.

Ob die Kennzeichnung mit einem Mikrochip allerdings die praxisreifste Lösung ist, ist noch die Frage. Da die Bundestierärztekammer auch den Ersatz des Heißbrandes durch Mikrochips favorisiert, würde dies bedeuten, daß bei jedem Verkauf oder bei jeder anderen Identitätsprüfung mindestens einer der Anwesenden im Besitz eines Lesegerätes sein müßte. Beifall findet diese Lösung bislang nur bei den Herstellern und Vertreibern von Lesegeräten. Der unbestrittene Vorteil einer nachträglichen Kennzeichnung, wie z.B. mit dem Mikrochip, ist, daß nicht bereits bei der Geburt entschieden werden muß, ob ein Pferd geschlachtet werden kann oder nicht. Hätte ein deutsches Warmblutpferd nun anstelle des Heißbrandes bereits als Fohlen einen Mikrochip implantiert bekommen, würde bei der Applikation eines nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassenen Arzneimittels die Implantation eines zweiten Mikrochips fällig werden. Angenommen dieses Pferd würde aber Jahre später doch zur Schlachtung gelangen, woher soll der ordnungsgemäß die Mikrochips kontrollierende Schlachter wissen, nach wie vielen Chips er suchen muß?

Darüberhinaus würde die Kennzeichnung per Chip für mich als Pferdetierärztin bedeuten, daß ich jedesmal wenn ich ein solches Medikament verwenden will, vorher mit einem Lesegerät das betreffende Pferd kontrollieren müßte, um zu erkennen, ob es bereits „gechipt“ worden ist oder nicht. Vielleicht ist es nur Voreingenommenheit den modernen Techniken gegenüber, aber aus Gründen der Praktikabilität würde ich eine ohne Hilfsmittel erkennbare Kennzeichnung wie z.B. eine Tätowierung bevorzugen. Bei der Verabreichung von Medikamenten, bei denen eine sichere Ausscheidung innerhalb mehrerer Wochen feststeht, könnte das Pferd auch durch Rasur einer definierten Stelle gekennzeichnet werden. Nach Ablauf der Zeit, in der die Haare wieder völlig nachgewachsen sind, könnte das Pferd rückstandsfrei geschlachtet werden.

Trotz all dieser Schwierigkeiten sollte man selbstverständlich dem Verbraucherschutz oberste Priorität einräumen. Aber wenn man seit vielen Jahren mit der oben beschriebenen Situation auf dem Arzneimittelsektor in der Pferdemedizin arbeiten muß, fällt es manchmal schon schwer, den nötigen Ernst zu bewahren.

  1. Phenylbutazon
    Phenylbutazon hat zwei Vorteile gegenüber den Konkurrenzpräparaten. Es ist relativ gut verträglich und preiswert. Das immer als Ersatz genannte Flunixin-Meglumin ist weder das eine noch das andere. Es ist ein hervorragendes Präparat für die Behandlung akuter Lahmheiten. Für den Einsatz bei Pferden mit chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen ist es dagegen nicht verwendbar, da es maximal 5 Tage angewendet werden soll. Vedaprofen, das unter dem Markennamen Quadrisol und dem Motto „statt Phenylbutazon“ zur Zeit stark beworben wird, ist erheblich teurer. Pferde halten aber nicht nur Leute, bei denen Geld keine Rolle spielt. Ich kenne viele Pferde, die unter niedriger Phenylbutazontherapie noch jahrelang freizeitmäßig geritten werden konnten. Ich selbst habe bei entsprechender Situation, wenn das Pferd nicht mehr sportlich genutzt werden konnte und bei dauernder Lahmheit getötet werden sollte, diese Therapieform als lebensverlängernde Maßnahme eingesetzt, vorausgesetzt ich war davon überzeugt, daß überlegene Therapieformen wegen Geldmangels tatsächlich nicht in Frage kamen.
    Dem Phenylbutazon überlegen durch seine knorpelanabole Wirkung ist von den nichtsteroidalen Antiphlogistika lediglich das Carprofen, das es für Pferde aber nur in den USA gibt. Hier würde ich durch den Therapievorteil eine Verteuerung für vertretbar halten.
  2. Griseofulvin
    Für Griseofulvin wurde wegen mangelnden wirtschaftlichen Interesses bis 1.1.1996 gar nicht erst eine MRL-Festsetzung beantragt. Griseofulvin kann meines Wissensstandes gar nicht ersetzt werden. Sollten äußerliche Antimykotika wirkungslos sein, kann die Behandlung mit Trichophytie-Vakzine versucht werden. Bei Vorliegen von anderen als Trichophytieinfektionen entfällt diese Möglichkeit natürlich.
  3. Strophantin
    Auch Strophantin entfiel, weil keine MRL-Festsetzung beantragt wurde. Mit dem Verbot der Umwidmung von Digoxin aus der Humanmedizin gibt es nunmehr kein Herzglykosid mehr, das man bei diagnostizierter Herzinsuffizienz legal verwenden könnte. Der Absatz von Crataegus-Präparaten stieg sprunghaft an.
  4. Halothan
    Das am breitesten eingesetzte Inhalationsnarkotikum hatte noch nie eine Zulassung zur Anwendung bei Pferden. Es wurde und wird illegal eingesetzt.
  5. Acetylcystein
    Acetylcystein ist in der Humanmedizin inzwischen als das überlegene Sekretolytikum anerkannt. Es wird auch in der Pferdemedizin mit Erfolg eingesetzt. Besonders bei der Therapie der Chronisch Obstruktiven Bronchitis ist es in Kombination mit Clenbuterol das Mittel der Wahl. Es war noch nie für Pferde zugelassen. Es wurde und wird illegal eingesetzt.
    Selbiges gilt für Augensalben, Dopamin, Digoxin, Ringerlösung, Bikarbonatlösung, Theophyllin, Röntgenkontrastmittel und andere mehr.
  6. Dimetridazol
    Dimetridazol ist wegen seiner mutagenen Wirkung verboten worden. Allerdings scheint es nach neueren Untersuchungen der Universität Edinburgh (McGoran 1996) als einziges Medikament gegen die fast immer tödlich verlaufende Colitis X des Pferdes zu wirken. Bei 16 erkrankten Pferden überlebten in der mit Dimetridazol behandelten Gruppe 8 von 8 Pferden. In der konventionell behandelten Gruppe starben 5 von 7 Pferden. Der lange erwartete Durchbruch in der Therapie dieser gefürchteten Erkrankung kommt zu spät.
  7. Isoxsuprin
    Isoxsuprin fällt unter das Verbot ß-2-sympathomimetischer Substanzen. Auf dem Tierärztetag 1996 wurde von einem die EU beratenden Pharmakologen vehement die Wirksamkeit dieser Substanz bei chronisch degegenerativen Gelenkserkrankungen wie Podotrochlose abgestritten. Unzweifelhaft ist eine selektive Wirkungsweise dieses Medikamentes an den distalen Gliedmaßen wie es immer wieder zu hören war schlicht Mumpitz. Unbestritten ist unter Pferdetierärzten/innen jedoch auch die Wirksamkeit gerader dieser Substanz. Ob dies auf die gefäßerweiternde Wirkung oder einer noch nicht erforschten analgetischen Nebenwirkung beruht, sei dahingestellt. Tatsache ist jedoch, daß mit Isoxsuprin behandelte Pferde wieder anfingen zu lahmen, wenn das Medikament abgesetzt wurde. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Ausnahmen zur Anwendung als Tokolytikum auf die Behandlung von Lahmheiten beim Pferd auszudehnen wie dies beim Clenbuterol und den Atemwegserkrankungen des Pferdes geschah. Statt dessen wurde diese Anwendung explizit verboten. Wenn man bedenkt, wie viele Arzneimittel mit ungesicherter Wirkung zugelassen sind, war die ungehaltene Reaktion der in der Pferdemedizin tätigen auf das Verbot auch dieses Medikamentes verständlich.
  8. Clenbuterol
    Auch Clenbuterol fällt unter das unter 8. genannte Verbot. Es ist dankenswerterweise zur Behandlung von Atemwegserkrankungen erhalten geblieben. Eine Verwendung beim Pferd für andere Indikationen ist explizit verboten. (Die Firma Boehringer, Ingelheim hat extra Aufkleber auf ihren Ventipulmindosen, auf denen auf dieses Verbot separat hingewiesen wird.) Es steht nur zu hoffen, daß eines der wichtigsten Therapeutika nicht durch die neuesten Kälberskandale doch noch in der Illegalität verschwindet.
  9. Xylazin
    Wenn nicht bis zum Jahr 2000 die Auflagen zur Festsetzung eines MRL erfüllt werden, läuft die Zulassung für Xylazin aus. Xylazin ist ein ähnlicher Fall wie Phenylbutazon. Schon seit geraumer Zeit beherrschen die preisgünstigen Generika den Markt. Die „großen“ Pharmafirmen haben kein Interesse an weiteren Investitionen. Ein ähnliches Konkurrenzprodukt wie dies beim Phenylbutazon das Flunixin ist, steht auch hier schon bereit. Detomidin (Domosedan) ist erheblich teurer und hat zudem den entscheidenden Nachteil, daß die Sicherheit der Sedation vom Kopf zum Schwanz hin abfällt. Ist das Domosedan das Mittel der Wahl, will man Manipulationen am Kopf durchführen, so ist vom Gebrauch bei Manipulationen am Hinterteil des Pferdes abzuraten. Es kann zu unkontrollierten Abwehrbewegungen kommen und zwar auch bei Pferden, die sonst lammfromm sind. Ich selbst habe so einen Fall gesehen, und ich würde nur ausgesprochen ungern im nächsten Jahrtausend auf den Einsatz von Xylazin zur Sedation verzichten. Alle anderen bereits eingeführten Sedativa sind entweder von der sedativen oder der analgetischen Kompetenz dem Xylazin unterlegen.
  10. Thiobarbiturate
    Wenn nicht bis zum 1.1.2000 ein MRL festgesetzt werden kann, entfällt auch die Zulassung von Thiobarbituraten (Standardtherapeutikum zum Ablegen von Pferden, kann heutzutage durch Xylazin/Ketamin ersetzt werden), Vitamin A, Vitamin D und Cortisol.
  11. Metamizol
    Metamizol gehört erfreulicherweise (noch) nicht in diese Aufzählung. Zwar sollte es mangels MRL-Wertes ebenfalls verboten werden, aufgrund einer fehlerhaften Deklaration wurde dieses Verbot jedoch nicht wirksam. Metamizol ist zur Kolikbehandlung beim Pferd besonders geeignet, weil es eine analgetische und spasmolytische Wirkung hat, ohne wie das Parasympatholytikum N-Butylscopolamin (Buscopan) eine völlige Ruhigstellung des Darmes zur Folge zu haben. Es ist für alle Kolikformen einzusetzen. Bei Verstopfungskoliken und mit Einschränkungen auch bei Gaskoliken können unter der abschirmenden Wirkung des Metamizols milde darmanregende Wirkstoffe zur Therapie verwendet werden. Diese würden durch N-Butylscopolamin neutralisiert werden. Auch Flunixin-Meglumin (Finadyne) ist kein Ersatz. Flunixin fehlt die spasmolytische Wirkung. Die analgetische Wirkung ist dagegen so stark, daß bei anderer als „low-dose“ Therapie, Symptome eines Ileus überdeckt werden können. Darüberhinaus verursacht Flunixin erheblich leichter Läsionen an der Darmschleimhaut, was in der Kolikbehandlung natürlich unerwünscht ist.

Veto 43

Totgesagte leben länger

Nachdem die letzte VETO mangels Masse ausgefallen ist, melden wir uns jetzt um so mächtiger zurück. Der an die Abonenntlnnen verschickte Brief hat Früchte getragen und uns einen reichen Lesesegen beschert und den Kreis der Autorinnen für die VETO erfreulich erweitert. Der Dank der Geschichte ist ihnen gewiß.

Diese VETO greift sowohl aktuelle Themen auf (DOLLY, BSE u. ESP, BST, Herodesprämie), setzt aber auch Reihen fort, die in den letzten VETOs schon angefangen haben. Neu ist die Reihe zu Alternativen Heilmethoden, die mit dieser VETO beginnend in den kommenden Vetos allerlei Wissenswertes und Bedenkliches von „Aderlaß“ bis „Zytoplasmatische Therapie“ berichten will. Den dritten Block bilden Grundsätzlichkeiten: „Würde des Tieres“, „Tierschutz und politische Moral“ heißen zwei Beiträge, die uns freundlicherweise von außen zur Verfügung gestellt wurden. In diesen Tierschutzkontext lassen sich auch drei Artikel zur Haltung von Kaninchen und Pferden sowie zum Schächten einordnen.

Beschaulich anschaulich findet sich in dieser VETO auch ein Reisebericht ins Baltikum.

Damit wir beim nächsten Mal nicht wieder um die Existenz der VETO zittern müssen, folgen jetzt zwei Anregungen zur Übersendung von Artikelfluten.

AGKT-Treffen – Schwerpunkt Gentechnik. Warum?

Auf dem AGKT-Treffen in Gießen im Herbst 1996 wurde beschlossen, die Gentechnik zum Schwerpunktthema des Frühjahrstreffens 1997 in Berlin zum machen. Die Gründe dafür sind folgende: Wir haben vor 10 Jahren sehr intensiv diskutiert und dezidiert Stellung bezogen.

Mittlerweile hat die Gentechnik den tierärztlichen Alltag erreicht. Viele von uns arbeiten mit der Technik oder gentechnischen Produkten in der Uni, aber auch in der Praxis (z.B. Impfstoffe, Diagnostika).

Gleichzeitig hat sich die Diskussion in der Öffentlichkeit verändert. Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel drängen auf den Markt, werden aber weitgehend abgelehnt. Gentechnik in der Medizin dagegen befürworten viele Menschen bis weit ins kritische Lager hinein.

Von den Menschen, die heute der AGKT angehören, kennen viele die alten Diskussionen und die Begründung für unsere Stellungnahmen nicht. Die Diskussion soll allerdings keine reine Wiederholung sein. Im Gegenteil – unsere damaligen Argumentationen müssen vor dem Hintergrund der jetzigen Situation überprüft werden.

Dazu hoffe ich auf Beiträge für die Frühjahrs-VETO und die Vorbereitung aller durch Lesen unserer alten VETOs (z.B. Nr. 19, 24, 33, 38). Weiterhin wünsche ich mir, daß die Vorbereitung unseres Treffens nicht meine Privatsache bleibt und sich alle, die etwas tun wollen, bei mir melden. Natürlich hoffe ich auch, daß unsere früheren und heutigen „Gentechnik-Cracks“ nach Berlin zur Diskussion kommen.

Christiane Schmahl

Kikerikii! Mancher gibt sich viele Müh mit dem lieben Federvieh

Rind und Schwein, Pferd und Katz’, Ost und West, oben und unten – alles schon durchleuchtet – oder?

Nein, fanden die AGlerlnnen, da fehlt noch ein Bereich der landwirtschaftlichen (?) Tierhaltung, dessen Bedeutung angesichts wachsender Angst vor Rindfleisch und sinkender Akzeptanz bei Schweinefleisch in jüngster Zeit noch gestiegen ist.

Geflügel, betrachtet unter jenen Gesichspunkten, die uns bei Rind und Schwein wichtig sind, und untersucht auf die spezifischen Verhältnisse dieser Produktionsrichtung, soll der Schwerpunkt der VETO 44 sein.

Der Eierpreis ist seit 30 Jahren stabil, Hähnchen und Pute als Dumpingfleisch mit 3,98 DM/kg bzw. 4,44 DM/kg im Rennen um die Erzeugergunst; 35 Millionen Legehennen im Käfig bei nur langsam steigendem Anteil an Boden- und vor allem Freilandhaltungen, aber Freilandeier in jedem Supermarkt – so könnte man kurz, selektiv und parteilich einige Spezifika der Geflügelproduktion aufzählen.

Jedoch, nicht Enthüllungsjournalismus å la Stern TV ist gefragt, sondern die kritische Auseinandersetzung auf der Basis bekannter Fakten oder herleitbarer Zusammenhänge – also bewährter VETO-Stil.

  • Dabei sollten folgende Themen der näheren Betrachtung unterzogen werden:
  • Entwicklung und aktueller Stand der Geflügelwirtschaft in der BRD
  • kurzer Überblick über die in der BRD gehaltenen Nutzgeflügelarten
  • konventionelle und alternative Haltungssystem für die verschiedenen Geflügelarten.
  • Problematik der Haltung großer Tierzahlen unter konventionellen und alternativen Bedingungen
  • die Beispiele Österreich und Schweiz
  • anzustrebende Struktur der Geflügelwirtschaft (Markenprogramme, Herkunfts- und Qualitätskontrolle).
  • Veterinärmedizin in der Geflügelwirtschaft (Infektionsprophylaxe, Hygieneprogramme)
  • Einflußmöglichkeiten der Zucht hinsichtlich Verhaltensrepertoire (Federpicken, Kannibalismus) und Krankheitsresistenz.
  • Geflügelschlachtung (Hygiene, Tierschutz)
  • Saisongeflügel (Ente, Gans)

Veit Kostka

Inhalt der Veto 43

Inhalt und Impressum

Redaktionsadressen

Editorial ….3

Tierschutz

Nicht immer – aber immer öfter
Betäubung vor der rituellen Schlachtung ….4

Würde der Kreatur ….7

Landwirtschaft

Sind die Kühe Schuld?
Unsinn auf dem Rindfleischmarkt ….9

Kolchosensterben in Lettland …..11

Alternative Heilmethoden

Gib mir dein Blut und alles wird gut
Der Aderlaß …..14

The magic touch
Akupressur …..16

Gentechnik

Don’t wonder – be worry
Von geklonten Schafen …..17

Gen-ethische Beschleunigung …..19

Dossier BSE

BSE – Ein Bericht von der Insel …..21

Law and order

Was tun ?
Zur öffentlichen Organisation der Tiergesundheit …..30

Hundeverzehr und Moral

Ragout fin de chien
Warum wir in Deutschland keine Hunde mehr essen …..32

Und die Moral…
Zur sozialen Dimension der Tiermedizin …..33

Frauen

Vom Anfang einer Schwemme
Die ersten weiblichen Influenzen in der Tiermedizin …..37

Kammer

Rolling home
Frischer Wind bläht die Segel …..39

Heimtiere

Anforderungen an die artgerechte Haltung von
Kaninchen …..40

Pferde

Anforderungen an die Pferdeausbildung
Protokoll des Pferde-Arbeitskreises …..42

Interna

PSE und BSE
Protokoll des AGKT-Treffens in Gießen

Anzeigen …..45

Kontaktadressen …..47

Ankündigung

AGKT-Treffen in Berlin …..48

Veto 40

Mit dieser 40. Ausgabe der VETO ist etwas wahr geworden, das wir alle noch vor wenigen Jahren kaum zu hoffen wagten, das vierte runde Jubiläum allen Schwierigkeiten zum Trotz. Die VETO hat im Laufe der Jahre ihr Outfit modernen Ansprüchen der Leserschaft und der Produzenten angepaßt und ist wenn auch etwas zögerlich dem allgemeinen Trend hin zu modernen Techniken in der Herstellung gefolgt. Für die Ausgaben der Zukunft ist zu hoffen, daß wir ein endgültig „letztes“ Exemplar durch wie auch immer geartete Anpassung an die widrigen Umstände wie z.B. die schrumpfende Anzahl Aktiver verhindern können. Die unkonventionelle Erstellung unserer Publikation, alles angefangen von den Artikeln bis hin zum Versand in Eigeninitiative und unendgeltlich, bringt es mit sich, daß man zwar planen kann, manches oder besser gesagt vieles aber doch anders kommt als man denkt. So ist diesmal das Schwerpunktthema „Landwirtschaft“ erfreulicherweise ungewöhnlich umfangreich ausgefallen und spiegelt damit den derzeitigen Diskussionsbedarf zum Thema Agrarpolitik auf verschiedensten Ebenen wider.

Einen Schwerpunkt im Schwerpunkt bildet die sogenannte „Körler Erklärung“ (S. 8) vom Agrarbündnis-Bauerntag im Juni dieses Jahres, da sie Ausgangspunkt für eine Grundsatzdebatte über Zwänge und Möglichkeiten der Landwirtschaft ist. Es schließen sich zwei Positionen zu den in Körle proklamierten Vorschlägen zur Sanierung der Landwirtschaft an, da sowohl Bodo Bertsch (S. 9) als auch das Plenum auf dem AGKT-Treffen in Emmerich (S. 11) nicht mit dem in Körle propagierten Weg konform gehen, jedoch bei differierenden Kritikansätzen. Ferner setzen sich zwei Autoren mit der Position der AGKT auseinander, einerseits „Quo vadis Landwirtschaft“ (S. 12) und „Abwärts mit Schimanski“ (S. 15).

Mit „Hormonpolitik – Neue Debatte auf EU-Ebene“ (S. 6) wird die brisante Diskussion um einen erneuten Vorstoß der U.S.A., Hormone als Masthilfsmittel auf dem europäischen Agrarmarkt zu legalisieren, aufgegriffen und Matthias Link beleuchtet die bereits bestehende Problematik von Leistungsförderen aus anderen Arzneimittelgruppen in der landwirtschaftlichen Produktion („Kein Ende der Spirale – leistungsgeförderte Überschüsse“ S. 4).

„Listeriose-Hysteriose und Mysteriose“ (S. 17) zeigt auf, daß die Hetze gegen den Verzehr von Rohmilch und Rollmilchprodukten nicht nur gesundheitliche Gründe hat.

Während uns der Verein TEO in „Mais und Milchvieh im Exil“ (S. 23) nach Tibet entführt und ein dortiges Projekt vorstellt, beleuchtet „Milchviehhaltung in Deutschland“ (S. 20) die regionalen Unterschiede vor Ort und leitet damit zum Schwerpunktthema der nächsten Veto (Nr. 41) über, die sich mit dem Gegensatz Ost-West auseinandersetzen wird.

Daß „Alternative“ Heilmethoden sehr wohl auch konventionelle Ansätze haben können beweist der Artikel „Akupunkturbehandlung von Rückenproblemen bei Pferden“ (S. 27).

Mit unserem Berufsstand setzen sich sowohl Matthias Müllers Erlebnisbericht aus dem Dasein eines Praxisvertreters „Strangers in Paradise“ (S. 30) als auch die Fortsetzung der Entstehungsgeschichte der Fraktion „Frischer Wind“ mit dem Bericht aus der ersten Kammersitzung „40 Jahre Alleinherrschaft“ (S. 33) auseinander.

Last not least kann sich jeder über den Verlauf des AGKT-Treffens in Emmerich im Herbst 1995 informieren (S. 31).

Natascha Arras

Inhaltsverzeichnis der Veto Nr. 48

Inhalt. Impressum Redaktionsadressen Editorial 2

Agrarpolitik

Kein Ende der Spirale
….Leistungsgeförderte Überschüsse 4

Hormonpolitik
Neue Debatte auf EU Ebene 6

Körler Erklärung 
Stadt und Land für eine neue Agrarpolitik 8

Thesen zur Weiterentwicklung
der Positionen und agrarpolitischen Forderungen des AgrarBündnis 9

Emmericher Thesen 
Agrarpolitik-Diskussion der AGKT 11

Quo vadis Landwirtschaft ??? 
Kritische Anmerkungen zu den Emmericher Thesen 12

Abwärts mit Schimanski 
Gedanken zur AGKT-Agrardebatte 15

Listeriose 
Hysteriose und Mysteriose in der Presse. 17

Ost West

Come together – Milchviehhaltungin Deutschland 20

Dritte Welt

Mais und Milchvieh im Exil
Bericht aus einem tibetischen Flüchtlingslager. 23

Naturheilverfahren

Akupunktur
Behandlung von Rückenproblemen beim Pferd. 27

TAppO

Was lange währt – wird auch nicht besser!  29

Praxis

Strangers in Paradise
Freud’ und Leid eines Vertreters 30

AG Interna

Hilfe, ich seh’ schwarz-weiß
Protokoll des Gesamttreffens der AG im Herbst 1995.  31

Standespolitik

40 Jahre .Alleinherrschaft zeigt Folgen
Frischer Wind zieht in die hessische Tierärztekammer. 33

Gentechnik

Den Bock zum Gärtner 34

Ökologie

Tiermedizin im Ökolandbau
Erläuterungen zum kommenden Seminar 35

Ankündigungen und Anzeigen 36

Kontaktadressen 40

Hormonpolitik – Neue Debatte auf EU Ebene

von Bernd-Alois Tenhagen, Wolfram Schön, Anita Idel, Matthias Wolfschmidt

aus Veto Nr. 40 – 1996, S. 6-7

Was tun mit Ochsen, die so gar keinen maskulinen Habitus annehmen wollen, einfach nur langbeinig und knochig werden? Die für Suppenfleisch erzielten Preise sind so toll nicht. Nicht kastrieren ist auch nicht so schön weil dann zum maskulinen Habitus die mannhafte Streitbarkeit kommt und zahm sollen sie ja schon sein.

Kein Problem eigentlich. Die pharmazeutische Industrie hält für dieses Problem diverse Lösungen bereit. Nur daß diese Lösungen, „natürliche“ und synthetische Steroidhormone, bisher in der BRD und der gesamten EU verboten sind, oder vielleicht waren? Es gibt da nämlich ein Problem. Die EG (damals hieß sie noch so) hat 1988 den Einsatz dieser Stoffe als Masthilfsmittel verboten. Vordergründig aus gesundheitlichen, d.h. verbraucherschützerischen Gründen. Zu unterstellen, daß mit dem Verbot des Einsatzes dieser Stoffe auch die teilweise Abschottung Europas gegen Rindfleischimporte aus Drittstaaten (nicht EG-Staaten) bezweckt war, setzt nur mittelmäßige Boshaftigkeit voraus.

Das sehen diese Drittstaaten (nicht zuletzt die Leute von der Shiloh Ranch, USA) auch so. Sie halten das Verbot für ein nicht-tarifäres Handelshemmnis und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind igittigitt. 1989 reagierten sie schlicht mit Strafzöllen auf europäische Agrarprodukte, die auch heute noch erhoben werden. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wenn sich ein paar Cowboys über europäischen VerbraucherInnenschutz ärgern. Sollen sie doch. Das ging ja auch fast 8 Jahre gut (seit 1988 eben).

Jetzt soll das anders werden. Nicht tarifäre Handelshemmnisse sind nicht nur igittigitt, sie sind seit einem GATT-Abkommen von 1993 (GATT=General agreement on tarifs and trade) verboten und justitiabel. Eben darauf beruft sich die amerikanische Regierung, die natürlich liebend gern Rindfleisch im großen Stil auf den europäischen Markt bringen möchte. Wenn die EU sich dagegen wehrt, so sicherlich nicht nur aus moralischen Gründen. Schließlich hieß der Verein zu Beginn Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Nichtsdestotrotz ist zu fragen: Was hat es auf sich mit dem Verbot der „Stoffe mit pharmakologischer Wirkung“ (so der Titel der in der BRD gültigen Rechtsverordnung zum Thema)? Was, außer handelspolitischen Gründen, spricht für die Beibehaltung des Verbots?

Vordergründig geht es in dem Streit zwischen EU und USA nur um das Verbot der Einfuhr dieses Fleisches. Wenn aber erlaubt wird, solches Fleisch einzuführen, wird es schwierig, das Verbot des Einsatzes in der EU noch zu rechtfertigen.

In der Öffentlichkeit wird vorwiegend mit gesundheitspolitischen Gründen argumentiert. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, denn die Vorstellung über ein saftiges Steak sein Geschlechtsleben nachhaltig zu beeinflussen, schreckt gleichermaßen diejenigen, die diesen Bereich tabuisieren, wie diejenigen, die es zu einem nicht eben unwichtigen Bereich ihrer Persönlichkeit zählen. So fällt das Schüren von Sorge bis hin zur Panik nicht sonderlich schwer.

Neue Munition hat diese Sorge sicherlich auch noch mal durch die ins Gerede geratenen „Pillen“ erhalten. Hormone beeinflussen nicht nur unsere Geschlechtlichkeit, sie sind auch noch gefährlich.

Natürlich argumentieren die Vertreter der Hormonlobby (schöner Kampfbegriff) dagegen. Das sei alles nicht so schlimm. Die Dosierung der Hormone sei so gering, daß eine Beeinflussung der Konsumentinnen auszuschließen sei. Daß die Firmen dabei auf den „ordnungsgemäßen Gebrauch“ der Stoffe abheben und dieser längst nicht immer zu gewährleisten ist, kompliziert die Sache nicht unerheblich. Aber auch die FDA (Food and Drug Administration, US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde) und das Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), halten die Gefährdung im Normalfall für gering. Auf UN-Ebene wurde beschlossen im „Codex Alimentarius“ Grenzwerte1 für die Hormone festzulegen. Dies unterstellt daß es eine Untergrenze für die Konzentration gibt, unter der Hormone keine (unerwünschte) Wirkung entfalten. Unterstützung in der Wissenschaft zu finden, fällt ihnen nicht sonderlich schwer, und das nicht nur aus ökonomischen Gründen (Wessen Brot ich ess….), sondern auch, weil der Nachweis von Nebenwirkungen relativ kompliziert ist, verglichen mit Wirkungen, weil die Fragestellung unpräziser ist. Gerade bei Hormonen die schon in kleinen Mengen in ein kompliziertes System von Regelmechanismen eingreifen, läßt sich der Nebenwirkungsnachweis schwer führen (s.a. VETO 34 und 35., Kronfeld 1994, Bultmann u. Schmithals 1994). Wissenschaftlerlnnen können aber nur solche Nebenwirkungen als gegeben annehmen, die sich auch nachweisen und einem Wirkstoff zuordnen lassen. „Es wurden keine Nebenwirkungen festgestellt“ heißt also in erster Linie, daß keine nachgewiesen wurden, nicht, daß es sicher keine gibt. Das kann eigentlich niemand definitiv sagen.

Allerdings kann mehr oder weniger intensiv nach ihnen geforscht werden. Und da hat es wohl in den USA bei der FDA eine gewisse Großzügigkeit bei der Zulassung der synthetischer Präparate gegeben (Hapke 1989). Wohlgemerkt, daß keine ausreichenden gentoxikologischen Studien zu diesen Medikamenten vorlagen, heißt nicht notwendigerweise, daß sie gentoxisch sind, sondern einfach nur, daß es (zumindest offiziell) niemand hinreichend genau weiß. 

Das ist ein Problem.

Ein anderes Problem ist, wie bei allen Wachstumsförderern, ein politisches: Wie wollen wir Lebensmittel erzeugen? Wollen wir Leistung um jeden Preis? Wie wirkt sich der Einsatz der Hormone auf die Landwirtschaftsstruktur und die soziale Lage der Bäuerlnnen aus. Wie auf die Tiergesundheit? Bei anderen Wachstumsförderern ist schon darauf hingewiesen worden, daß sie die beste Wirksamkeit unter suboptimalen Haltungs- und Fütterungsbedingungen entfalten. Aber selbst wenn Steroidhormone auch unter optimalen Bedingungen noch zu einer deutlichen Steigerung der „Leistung“ fahren – wollen wir diese Steigerung? Auf Fleischberge und volle Kühlhäuser bei gleichzeitig stark rückläufigem Fleischkonsum zu verweisen, mag ein Allgemeinplatz sein und Marktfetischistlnnen – vielleicht nicht zu Unrecht – argumentieren, der Markt werde das schon regeln … Nur: für wen? Fest steht: eine gesellschaftliche Notwendigkeit (z.B. wegen Mangel an Fleisch) für Turbomast besteht nicht. Die Notwendigkeit kann aber betriebswirtschaftlich für die Mäster durchaus entstehen, nämlich dann, wenn sich der Einsatz der Hormone ökonomisch rechnet.

Ungeachtet der Frage der Sinnhaftigkeit des Hormoneinsatzes stellt sich die nach der Durchsetzbarkeit des Verbotes d.h. nach den Kräften, die für eine Zulassung oder doch zumindest Aufweichung des Verbotes sind und denen, die eben dies verhindern wollen.

Beide Gruppen sind heterogen. Auf der Seite der Hormonbefürworter findet sich aus verständlichen Gründen der Bundesverband für Tiergesundheit (hinter diesem NewspeakTerminus verbirgt sich die Pharmazeutische Industrie), die schon genannten Leute von der Shiloh-Ranch, aber auch Teile der westeuropäischen Fleischrinderproduzenten, besonders jene, die Fleisch unter extensiven (Weidehaltung) Bedingungen produzieren (Großbritannien, Irland, Frankreich). Sie erwarten sich von der Zulassung ökonomische Vorteile oder doch zumindest die Vermeidung von Nachteilen, wenn das Importverbot fällt.

Auf der Seite der Gegner finden sich neben der Agraropposition auch die Lobbyisten der kontinentalen Landwirtschaft, die natürlich die harte Konkurrenz der amerikanischen Feedots fürchten, die aber auch die Sensibilität der Verbraucherlnnen kennen, die allemal für verschiedene Boykottaktionen gut sind. Das internationale Handelsrecht ist auf Seiten der Amerikaner. Seine demokratische Legitimation ist zwar fraglich das ändert aber nichts an seiner Schlagkraft. Die Prüfung möglicher Zulassungsgründe, d.h. der Nachweis der Gesundheitsgefährdung wird nicht sehr einfach sein und Zeit brauchen. Als kleine Pikanterie am Rande wäre mit der Zulassung der Steroidhormone natürlich auch das rBST-Moratorium der EG in Frage gestellt (s. VETO 37), um das in der Öffentlichkeit so lange gestritten wurde, denn dieses unterliegt den selben gesetzlichen Bestimmungen. rPST, das Wachstumshormon für Schweine steht schon in den Startlöchern und auch andere Regelungen (Gen-Food, Pflanzenschutzmittel, technische Mindeststandards für Geräte und vieles andere mehr) müßten mittelfristig dem Primat der Weltökonomie weichen, wenn die schärferen Nonnen wissenschaftlich nicht einwandfrei zu rechtfertigen sind.

1 Grenzwerte sind politische Werte. Sie besagen nicht, wann ein Stoff keine Wirkung entfaltet, sondern welche Konzentrationen eines Stoffes politisch zu tolerieren sind. Einen interessanten Grenzwert-Poker gab es nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, als plötzlich die Grenzwerte für die maximale radioaktive Belastung von Lebensmitteln nach oben korrigiert wurden. Andere Beispiele sind die Werte der Milchgüteverordnung (Zellzahl und Keimzahl).

1:O für uns! Über rBST und über rBST hinaus

von Anita Idel

aus Veto Nr. 37 – 1995, S. 10-11

rBST ist derzeit in der EU politisch nicht durchsetzbar. Am 14.12.1994 stieg weißer Rauch aus dem Tagungsgebäude der Agrarminister: ein Moratorium, ein Anwendungsverbot bis zum 31.12.1999. Keine Jahrhundertentscheidung, aber ein schmerzhafter Pfahl im Fleisch der Hormonlobby. Zum entgangenen Gewinn durch jede bisher nicht verkaufte Spritze (zu 6.50 $) kommen die nicht amortisierten Entwicklungskosten, die mit 500 Millionen bis eine Milliarde Dollar beziffert werden, von den Werbungskosten für die Akzeptanz ganz zu schweigen.

Widerstand kann sich lohnen

Es blieb spannend. Und ohne die hartnäckige Präsenz der Kampagne gegen rBST vor Ort in Brüssel bis zum letzten Augenblick wäre das Moratorium sicher nicht so lange ausgefallen. Recht hatte behalten, wer die Entscheidung bis zuletzt für verhandelbar gehalten hatte. Die widersprüchlichen Gerüchte aus dem unmittelbaren Umfeld des Ministerrates – von sofortiger Zulassung über ein zweijähriges Moratorium bis hin zum Anwendungsverbot bis zum Jahr 2000 – waren beredter Ausdruck der herrschenden Konfusion.

Für die deutsche Kampagne führten wir am 12.12.94 ein halbstündiges Gespräch mit Bundeslandwirtschaftsminister Borchert und übergaben ihm über 35000 Postkarten mit Unterschriften gegen rBST. Wie schon zuvor in Münster und Luxemburg betonte er, in Deutschland seien wir ums ja einig, das Problem seien die Länder, in denen es keinen Widerstand gebe. Wenige Stunden später konnten wir ihn eines besseren belehren: Mit der vier Meter hohen, aufblasbaren Turbo-Kuh der Europäischen Bauernkoordination (CPE) boten wir mit VertreterInnen zehn weiterer EU-Länder Ministern und Medien zu Beginn der Agrarministerratskonferenz einen (un)willkommmenen Blickfang. Mensch muß sie gesehen haben. Und wurde der Kompressor für die Druckluft mal für einige Minuten abgeschaltet, um unser Megafon nicht zu übertönen, sank ihr Kopf in der Manier des sterbenden Schwans – ein ebenso ungeplantes wie drastisches Sinnbild dessen, was der Tiergesundheit mit rBST angetan wird…

Während wir den von Borchert „eingeforderten“ internationalen Widerstand verkörperten, waren sich die übrigen Verantwortlichen in ihrer Sichtweise der Manifestation mitnichten einig: Pöbel, Polittourismus oder mündige BürgerInnen? So spitzte sich auch die Auseinandersetzung mit der Polizei – erweitert um eine dem Bundesgrenzschutz vergleichbare Einheit – zu. Letztlich wurde aber unserer Forderung, die Straße vor dem Ratsgebäude erst freizugeben, wenn wir einen weiteren offiziellen Gesprächstermin zu rBST erhielten, stattgegeben. Der entpuppte sich dann allerdings als Lehrstück politischer (Un)Sittengeschichte: Der Vertreter des Rates war der Meinung, es sei völlig unnütz, sich gegen eine Zulassung von rBST zu engagieren, denn es sei unmöglich, den illegalen Einsatz zu kontrollieren…

Das war dann doch noch mal eine derbe Herausforderung unseres Galgenhumors – weiterhin war alles offen. Derweil tagte immer noch der Veterinärausschuß, in dem die Hormonlobbyisten mit einem „Kompromiß“ – um zwei Jahre verlängertes Moratorium, derweil flächendeckende Freilandversuche – einen möglichst nahen Zulassungstermin durchzusetzen suchten.

Das bestmögliche

Daran gemessen, ist die Entscheidung für das Moratorium bis zum Jahr 2000 die weitestgehende unter den derzeit denkbaren Varianten. 1:0 für uns, aber eben nur ein Etappensieg. Die Auseinandersetzung geht ohne Pause in die nächste Runde. Die Zeiten, in denen sich ein Agrarminister, aus Brüssel zurückkehrend, für ein Moratorium in Sachen rBST feiern lassen konnte, sind vorbei. Denn wer auch nach acht Jahren nicht für das einzig sinnvolle – ein endgültiges Verbot – entscheidet, ist nicht ausreichend gegen rBST. Verschoben ist nicht aufgehoben, ganz im Gegenteil: Diese Entscheidung bedeutet das Offenhalten der Hormonoption, ist letztlich zeitlich begrenzte Symptomkuriererei und Lichtjahre von einer grundsätzlichen, richtigen Weichenstellung entfernt. Wo anderenorts das St. Floriansprinzip blüht, ist die Kampagne gegen rBST lebendiger Ausdruck des Gegenteils: Was 1987 beim „Aachener Appell“ mit dem Zusammenschluß von Organisationen aus der Landwirtschaft, der Dritten Welt und dem Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz begann, bildet heute als Agrarbündnis den harten Kern auch im Kampf gegen rBST und hat sich einmal mehr bewährt. Hinzu kommt die wachsende internationale Verflechtung – auf EU-Ebene organisiert insbesondere durch die CPE und darüber hinaus mit der Pure Food Campaign in den USA. Das Engagement gegen rBST geht derweil weit über diese genannten Organisationen hinaus. Aber während Jochen Borchert demonstrative Aktionen forderte, waren kein Bauernverband, keine Tierärzteschaft, keine Partei und eben auch keine der staatlichen Verbraucherorganisationen vor Ort zu sehen. Letztlich sind aber phantasievolle, mitunter spektakuläre Entscheidungen vonnöten, um solche Entscheidungen zu beeinflussen.

Der Kampf gegen die chemische Keule geht weiter

Es ist der Druck der Straße, den die Politiker immer noch enorm fürchten. Daß diese Entscheidung das verhängte Moratorium auf eine weitgehend populistische Attitüde reduziert, verdeutlicht nur den aktuellen Handlungsbedarf gegen die weiterhin drohende Hormonstrategie. Der Bekanntheitsgrad der Droge konnte zweifellos durch die aktuelle Kampagne noch einmal enorm gesteigert werden. Eine gute Voraussetzung für die weitere Arbeit.

Während Kühe und Menschen in der EU noch einmal eine rBST-freie Atempause erhalten haben, ist in Kanada noch alles offen. „Empfindliche Dokumente“ über Zahlungen in Millionen-Dollar-Höhe von Monsanto an zulassungsinvolvierte Kreise waren dort bekanntgeworden, als eine Zulassung gerade greifbar nahe erschien.

Bereits im Frühjahr 1994 ist in Australien rPST, das Schweinewachstumshormon, zugelassen worden. Bei dieser Entscheidung stand die Akzeptanz auf den Hauptabsatzmärkten im Vordergrund. Mit expansiver Exportpolitik sollen Japan und die USA für australische Schweinereien gewonnen werden. Beide Länder äußerten gegenüber rPST keine Bedenken.

Bereits Mitte der achtziger Jahre sind vom BML geförderte rPST-Versuche in der Bundesrepublik durchgeführt worden. Wer darin längst verjährte Jugendsünden sieht, muß sich durch aktuelle rPST-Forschung in Dummerstorf bei Rostock eines besseren belehren lassen. Der Preis für das fünfjährige rBST-Moratorium sind Freilandversuche, die nun jedes EU-Mitgliedsland nach eigenem Gutdünken durchführen kann. Die Ergebnisse sollen dann in einen bis zum 31.7.1998 zu erstellenden Kommissionsbericht münden. „Kein Stoff ist so gut untersucht wie rBST“, kommentiert Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf die wissenschaftliche Unsinnigkeit dieser Entscheidung.

„Die EU-Agrarminister sollen sich endlich um ein praktikables Nachweisverfahren kümmern, statt über Feldversuche die Bevölkerung durch die Hintertür an die GentecHormonmilch gewöhnen zu wollen“, kritisierte das Agrarbündnis in seiner vorerst letzten Presseerklärung zu rBST. Es gibt noch viel zu tun, damit der weiße Rauch von vorgestern nicht zum Schnee von gestern wird.

Ein Schuß für 6.50 Dollar

POSILAC, ein Hormon macht krank

von Anita Idel

aus Veto Nr. 35 – 1994, S. 27

Im Juli 1993 hatte die Europäische Kommission mit einem Votum für ein 7jähriges BST-Moratorium für die EG überrascht. Während die Bestätigung dieser Entscheidung durch den EG-Agrarministerrat noch ausstand, erteilte die in den USA zuständige Behörde, die „Food and Drug Administration“ (FDA) am 4. November eine BST-Zulassung für den 4. Februar 1994. Dies dürfte die EG-Agrarminister nicht unberührt gelassen haben: zum ersten Mal übergingen sie den Vorschlag ihrer Kommission und beschränkten sich auf die Verlängerung des BST-Moratoriums um ein Jahr.

Der Beipackzettel mit den möglichen „Neben“-Wirkungen des nun in den USA vermarkteten BST (Markenname Posilac) der Firma Monsanto liest sich wie ein bösartiges Pamphlet von Genkritikern:

erhöhtFruchtbarkeitsstörungen
vermehrtZysten
verkürztTrächtigkeitsdauer
verringertGeburtsgewichte
vermehrtZwillingsgeburten
vermehrtNachgeburtsverhalten
vermehrtklinische Mastitiden
vermehrtsubklinische Mastitiden
vermehrtsomatische Zellen in der Milch
erhöhtKörpertemperatur
vermehrtGelenkserkrankungen
reduziertFutteraufnahme

Bei allen genannten Störungen handelt es sich um Erkrankungen, die heute schon durch jahrelange einseitige Selektion auf Hochleistung große Probleme und Kosten in der Milchproduktion verursachen. Das einzig für die Ökonomie und den Tier- und Verbraucherschutz vertretbare Ziel muß also sein, durch gesunde Zuchtziele den Medikamenteneinsatz zu reduzieren und letztlich zu gesünderen Tieren zu kommen.

Sollte das BST-Moratorium nicht über den 31.12.1994 hinaus verlängert werden, ist eine EU-weite Zulassung so gut wie sicher. Das wäre dann nur der Anfang: weitere gentechnische Hormone – für Geflügel, Fische Schafe und Schweine – warten auf ihre Chance. Und selbst das in der EU geltende Verbot für Sexualhormone in der Tiermast wird schon wieder zur Disposition gestellt. Den 20.12.1986, den Tag dieser Entscheidung bezeichnete die Pharma-Industrie später als „the black day in our history“. Damit es dabei bleibt und Hormonkälber weiter „schwarze Schafe“ und nicht die Regel sind, bedarf es noch viel Power und Phantasie.

Nicht nur Produzenten von Babynahrung sind gefordert. Ob Produzenten von Fertiggerichten, Käse oder Speiseeis, Supermarktketten, Lieferanten von Universitätsmensen, alle müssen mit Boykott rechnen, wenn sie nicht eindeutig zu BST auf Distanz gehen.

In den USA startete am 3. Februar, dem Zulassungstag des Monsanto-BST Posilac, die „PURE FOOD CAMPAIGN“. Mehr als 150 der führenden Molkereien, Produzenten, Händler, Firmen führender Markenzeichen und Supermarktketten versichern, wissentlich keine BST-Milch zu verkaufen, ebensowenig wie Produkte aus BST-Milch oder -Fleisch. Das schließt auch Verpflichtungserklärungen ihrer Lieferanten ein.

VETO Nr.15 S.33, VETO Nr.16 S.20-26, VETO Nr.17 S.13 u.14, VETO Nr.18 S.14, VETO Nr.l9 S.16 u.17, VETO Nr.21 S.18 u.19, VETO Nr.23 S.16-18 VETO Nr.24 S.8-10, VETO Nr.25 S.31, VETO Nr.33 S.16 u.17, VETO Nr.34 S.29